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Nicole Anger zu TOP 15: Entscheidungsverlangen nach § 40 Abs. 3 Satz 7 GO.LT zum Entwurf der Verordnung über bauliche Mindestanforderungen nach dem Wohn- und Teilhabegesetz (Wohn- und Teilhabegesetz- Mindestbauverordnung - WTG-MindBauVO)

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

meine Fraktion fordert seit vielen Jahren eine Verordnung zu Mindestbaustandards im Bereich der Gesundheits-, Alten- und Pflegeeinrichtungen und besonders auch in den Einrichtungen der Eingliederungshilfe.

Bereits 2016 hat der Landesbehindertenbeirat bereits seinen Beschluss mit konkreten Vorschlägen vorgelegt.

Der noch laufende Prozess begann 2018.

Ganz konkret lief das in diesem Falle so:

-        Der Landtag hat in seiner 49. Sitzung der 7. Wahlperiode am 25.5.2018 den Alternativantrag der Koalition zur Neufassung der Heimmindestbauverordnung (zu unserem Ursprungsantrag) in den Ausschuss überwiesen.

-        Seit Anfang Mai 2019 tagte eine AG im Sozialministerium, u.a. besetzt mit Referaten des MS, Landesbehindertenbeauftragten, Sozialagentur, LiGA, Pflegekassen, MDK, Landesseniorenvertretung – ein ganz guter Start, um die Interessen einzusammeln und sich auf den Weg zu Beteiligung zu machen – allerdings hatten diese Expert:innen nur Gelegenheit sich bis zum 6. Juni 2019 zu äußern. Also exakt 4 Wochen Beteiligung.

-        Im Sozialausschuss in der 38. Sitzung der 7. Wahlperiode am 12.06.2019 wurde dann die Verordnung angekündigt.

-        Im Anschluss gab es noch Stellungnahmen der LIGA und der Lebenshilfe.

-        Danach passierte: NICHTS. Seit 3 Jahren passierte einfach mal nichts mehr.

Bis wir zuletzt dann erst wieder im Dezember des letzten Jahres hier in diesem Plenum auf Antrag der Grünen dazu beraten haben. Mit dem Ergebnis der Überweisung in den zuständigen Ausschuss, den Sozialausschuss.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

schauen wir doch noch mal gemeinsam in das Plenarprotokoll vom 15.12.2021, was dort so kundgetan wurde. Die Ministerin Frau Grimm-Benne betonte, dass sie natürlich hoffe, dass wir darüber im Sozialausschuss beraten. Herr Pott kündigte an, dass man darüber gemeinsam weiter im Sozialausschuss diskutieren müsse. Frau Dr. Schneider sagte, dass der Antrag der Grünen in die richtige Richtung gehe und man Übergangsnormen brauche. Und auch Frau Gensecke hat sich ganz klar für die Überweisung und damit ja auch für die Fachdebatte im Ausschuss ausgesprochen.

Was ist dann aber im Sozialausschuss passiert? Das können Sie alle im Protokoll des SOZ vom 30. März 2022 nachlesen - aber ich sage es gern hier auch noch einmal. Der Ausschuss war aufgefordert, eine Stellungnahme zu erarbeiten. Herr Krull sprach gleich für die ganze Koalition, dass mit dem neuen Entwurf der Verordnung nun die Probleme gelöst seien und man ein positives Votum abgeben solle. Auf meinen Einwand hin, den die Kollegin der Grünen unterstützte, dass es keine entsprechende Beteiligung mehr gegeben habe, dass die Interessenvertretungen und Betroffenen in den Diskurs nicht bis zuletzt involviert waren, versuchte die Ministerin es so auszusehen zu lassen, dass dieser Verordnungsentwurf immer wieder mit allen Beteiligten beraten wurde.

Daher frage ich Sie Frau Ministerin Grimm-Benne:

-        Mit wem haben Sie diesen Entwurf zwischen der Plenumssitzung im Dezember 2021 und der Ausschusssitzung am 30.3.2022 beraten?

-        Und mit wem haben Sie diesen Entwurf in 2020 und in 2021 besprochen, nachdem die – wohlgemerkt - schriftliche Anhörung 2019 abgeschlossen für Sie war?

-        Und wem haben Sie Ihre jetzt vorgelegten Änderungen gegenüber dem Entwurf aus 2019 transparent gemacht und auch beraten?

-        Welche Träger haben Sie seit Anbeginn des Prozesses von 2018 bis heute aktiv eingebunden?

 

Eine Fachdebatte im Sozialausschuss? Fehlanzeige: Auf inhaltliche Nachfragen haben die Mitarbeitenden aus dem Sozialministerium geantwortet:

-        Zitat 1: „Mir wäre es ganz lieb, wenn wir die Frage im Nachgang aus der Abteilung zielgerichtet beantworten könnten.“

-        Zitat 2: „Wir werden uns gern um eine konkretere Antwort der Abteilung 3 bemühen und diese im Nachgang übermitteln.“

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

dies ist nicht zielführend für Fachdebatten im Ausschuss. Dies ist keine Fachdebatte. Meine Vorstellung einer Fachdebatte ist, dass man auf Fragen, die im Diskurs gestellt werden, Antworten bekommt und nicht erst Tage oder Wochen danach. Und dass man in diesem Zusammenhang auch noch einmal kritisch einzelne Punkte, einzelne Paragrafen abwägen kann und bei Bedarf auch noch mal etwas ändert. Augenscheinlich waren sowohl Antworten als auch Änderungsvorschläge zum Entwurf nicht gewünscht. Und ja, daraufhin hab auch ich Ihnen meine Fragen zum Verordnungsentwurf schriftlich vorgelegt. Deren Antwort kam dann auch erst viel später und es verblieb kaum Zeit, sich damit intensiv bis zur heutigen Landtagssitzung zu beschäftigen. Das nenne ich nicht eine Fachdebatte. Das nenne ich aber auch nicht ernsthafte Beteiligung und es ist für mich auch nicht die angemessene Form der Sacharbeit, wie diese doch in einem Ausschuss erfolgen sollte. Und es sollte, und das macht es noch viel kruder, ein Einvernehmen zu dieser Verordnung hergestellt werden – zu deren Inhalt die Fragen nicht beantwortet waren.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

ergo: Sie haben hier im Plenum allen versichert, dass der aktuelle Verordnungsentwurf im Sozialausschuss fachlich diskutiert wird. Passiert ist das nicht. Sie stellen sich nicht der Fachdebatte, nicht mit uns im Ausschuss und - noch schlimmer: nicht mit den Interessenverbänden und den Betroffenen. Aufgrund dieses unprofessionellen Vorgehens der Landesregierung war bspw. die LIGA gezwungen, mit Schreiben vom 26. April 2022, einen Appell „nachzureichen“ und somit auch selbst nochmal auf die fehlende Beteiligung und die schlechte Kommunikation zu verweisen. Diesen Appell unterstützt meine Fraktion ausdrücklich und macht ihn sich zu Eigen.

Die LIGA wie aber auch andere Träger hatten im Jahr 2019 umfangreiche Stellungnahmen zum damaligen Entwurf der WTG-Mindestbauverordnung vorgelegt. Auf diese Stellungnahmen erhielten die Verbände so gut wie keine Rückmeldung, schon gar keine inhaltlicher Debattenkultur. Es wird kritisiert, dass die aktuelle Wiederaufnahme des 2019 abgebrochenen Prozesses zur Erarbeitung der Verordnung ohne erneute Kommunikation und Antwort auf damalige Stellungnahmen erfolgte.

Und es wird kritisiert, warum nunmehr alles so schnell gehen muss, nachdem die Verordnung so lange gelegen hat. Der Eindruck stellt sich ein, dass eine Debatte nicht gewünscht ist. Haben Sie sich nicht gefragt, was das bei den Beteiligten auslösen könnte.  

Und an dieser Stelle muss ich auch ganz deutlich darauf hinweisen, dass dies nicht den Forderungen der UN-BRK [Präambel Anstrich o) und Artikel 29 (1) b)] nach Einbeziehung der Menschen mit Behinderungen in die Regelung ihrer Angelegenheiten entspricht.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich gehe davon aus, dass der Ministerin nicht nur die UN-BRK sondern auch die Partizipationsstufen mehr als nur ein Begriff sind. Partizipation bedeutet nicht nur Teilnahme, sondern vor allem Teilhabe. Teilhabe bei allen wesentlichen Fragen der Lebensgestaltung – eben auch bei den Fragen des Wohnens. Dabei zählt die Form der Anhörung noch zu den sogenannten Vorstufen zur Partizipation. Meinungen werden geäußert, also in diesem konkreten Falle wurden Einzelne um eine schriftliche Stellungnahme gebeten, aber auch nicht mehr.

Auf Nachfrage einzelner Verbände im letzten Jahr zum Sachstand der Verordnung hieß es seitens des Sozialministerium lediglich „Man beabsichtige nach Befassung im Landeskabinett die Verbände zu informieren“.

 

Das – Anrede – ist keine Beteiligung.         

Sie sehen, es fehlt an echter Mitbestimmung, es fehlt an Transparenz. Es fehlt an Geduld an der richtigen Stelle.

Den Beteiligten aus 2019, wie auch von der LIGA kritisiert, ist nicht klar, was mit ihren Stellungnahmen passiert ist, in welcher Form Anregungen in den nun veränderten Verordnungsentwurf eingeflossen sind, warum bspw. die Einzelzimmerquote von 80% nur noch eine Empfehlung ist. Im Übrigen wird genau diese Empfehlung den Trägern bei den Verhandlungen mit der Sozialagentur perspektivisch auf die Füße fallen. Denn es besteht, sollten Sie an diesem Verordnungsentwurf so festhalten, keine Verbindlichkeit. Es würde dann nur eine Empfehlung bleiben und damit den Verhandlungen einen Bärendienst erweisen.

Das Problem ist doch, dass bei den Verhandlungen zu den Leistungen eben nicht die notwendigen Mittel bewilligt werden, mit der Begründung, dass sie die Standards überschreiten. Aus Mindestanforderungen werden so in Verhandlungen durch die Sozialagentur schnell Maximalanforderungen. Gleichzeitig verhindert dies den Neubau von Einrichtungen anhand der fehlenden klaren Erfordernisse von Einzelzimmern und persönlichen Bädern. Und das nach mehr als zwei Jahren Pandemie, die uns noch einmal mehr vor Augen geführt hat, wie wichtig ein personenbezogenes Bad ist.

 

Und so eine aktive und verbindliche Beteiligung hätte auch noch einmal sehr deutlich darauf hingewiesen, dass dieser Verordnungsentwurf zwei Perspektiven braucht. Einrichtungen der Altenhilfe und Einrichtungen der Eingliederungshilfe lassen sich nicht schablonenartig abbilden. Die einen, die der Altenhilfe, sind für einen bestimmten Lebensabschnitt gedacht und haben in Teilen andere Ansprüche und Anforderungen zu erfüllen als Einrichtungen der Eingliederungshilfe, welche Lebensmittelpunkt sind. Bei zweiteren braucht es beispielsweise nicht überall Handläufe. Auch sind Begriffe wie „stationäre Einrichtungen“ in der Eingliederungshilfe nicht mehr entsprechend der aktuellen Bundesgesetzlage. Das zeigt, es ist auch handwerklich nicht gelungen, die novellierte Bundesgesetzgebung in diese Verordnung einfließen zu lassen.

Warum dieses Entscheidungsverlangen?

Da Sie gewiss meinen Ausführungen aufmerksam gefolgt sind und sich vorab selbst noch mal informiert haben, und zwar nicht nur in den Protokollen, sondern vor allem auch bei den Trägern, dann wissen Sie, dass es dem Sozialministerium bisher nicht um Schnelligkeit ging. Der Prozess der Neufassung der Verordnung zur Heimmindestbauverordnung hat 2018 begonnen. Deswegen müssen wir jetzt auch nicht hektisch werden. Lassen Sie uns diese Verordnung gemeinsam mit denen, die sie anwenden sollen, qualitativ gestalten. Dann heißt es vielleicht bald aus Sachsen-Anhalt – alle anderen Bundesländer haben ja ihre Verordnungen bereits vorgelegt: Die Letzten werden die Ersten sein. Denn wir können hier einen echten Qualitätsstandard setzen. Für die Menschen, die in den Einrichtungen leben, die dort ihr Zuhause haben.

Ihnen allen liegt der bereits erwähnte und aktuelle Appell der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege vor. Die LIGA appelliert an uns, dass wir heute nicht das Einvernehmen zum vorgelegten Verordnungsentwurf herstellen, sondern diesen in den Sozialausschuss zurücküberweisen. Und ich kann Ihnen nur dringend anraten, nehmen Sie diesen Appell hier und heute ernst. Lassen Sie uns diese Verordnung mit einer Neuaufnahme des Beteiligungsprozesses aus 2019 in den Ausschuss zurückgeben und dort qualitativ fachlich mit den Verbänden diskutieren.

 

Es ist keine Schande, sich heute einzugestehen, dass man hier möglicherweise in eine eigenartige Hektik, in Torschlusspanik verfallen ist und einiges nicht beachtet habe. Es wäre aber fatal, dies so fortzusetzen und sich nicht noch einmal dem Diskurs zuzuwenden. Fehler können passieren, sie sind menschlich. An Fehlern ist nichts Schlechtes, es sei denn, man wiederholt diese.

Zeigen Sie, dass Sie in den Koalitionsfraktionen die Kultur des Widerspruchs aushalten, dass Sie Partizipation ernst nehmen und stimmen Sie unserem Entscheidungsverlangen und damit auf Rücküberweisung in den Sozialausschuss mit entsprechender Anhörung zu.

Vielen Dank!