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Kristin Heiß zu TOP 24: Anteil ostdeutscher Führungskräfte erhöhen

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

meine Kollegin Eva von Angern und ich hatten Mitte des Jahres eine Kleine Anfrage gestellt zum Thema „Ostdeutsche in Führungspositionen der Landesverwaltung“. Unsere kleine Anfrage und der heutige Antrag reihen sich ein in eine Debatte, die seit zwei Jahren wieder intensiver geführt wird.

Eine Studie der Uni Leipzig aus dem Jahr 2016 hat beschrieben, dass Ostdeutsche in weiten Teilen der gesellschaftlichen Elite nicht annähernd repräsentiert sind.

Auch der Ministerpräsident weist seit über einem Jahr auf dieses Problem hin und fordert eine Diskussion dazu. Dafür wollen wir Raum schaffen, auch deswegen diese Kleine Anfrage.

Wir wollten wissen, wie hoch der Anteil ostdeutscher Führungskräfte bei uns im Land in der Verwaltung, bei den Hochschulen, den Universitätsklinika, den Gerichten und bei der Investitionsbank ist. Einen Vergleichswert bietet die Studie der Universität Leipzig.

Fazit für die Verwaltungselite in Sachsen-Anhalt ist: Der Anteil ostdeutscher Führungskräfte stagniert seit 1998. Waren im Jahr 1998 rund 32 Prozent der Führungskräfte in den genannten Bereichen Ostdeutsche, sank die Zahl bis 2011 auf 31 Prozent. Momentan sind es ungefähr 37 Prozent.

Das bedeutet umgekehrt, dass 63 Prozent der Abteilungsleiter, Referatsleiter, Geschäftsführer etc. aus den alten Bundesländern stammen. Diese Quote spiegelt sich übrigens auch im Landeskabinett wider. Von den 10 Ministerinnen und Ministern sind nur vier in Ostdeutschland sozialisiert. Bei den 13 Staatssekretärinnen und Staatssekretären steht es sieben zu sechs für den Westen.

Während der Regierungszeit von Reiner Haseloff ist der Anteil ostdeutscher Minister und Staatssekretäre übrigens von anfangs 47,5 Prozent im Jahr 2011 auf 37,5 Prozent im Jahr 2018 gesunken! Damit, Achtung rote Laterne (!), schneiden wir im Vergleich mit den anderen ostdeutschen Bundesländern am schlechtesten ab. Dort liegt der Anteil Ostdeutscher in der Regierungsmannschaft im Schnitt bei 70 Prozent.

Nun ist mir klar, dass der MP wenig Einfluss darauf hat, welches Personal ihm seine Koalition-Fraktionen fürs Kabinett vorschlagen, eine Sensibilität für die Auswahl des Personals könnte aber durchaus auf beiden Seiten entwickelt werden.

Was der Ministerpräsident jedoch tut, und das übrigens verstärkt seit dem Bundestagswahlkampf im Jahr 2017, ist zu beklagen, dass Ostdeutsche so wenig zu sagen hätten.

Ich zitiere aus der ZEIT Nummer 46 vom November 2017: „Ich bin überzeugt: Bei strenger Beachtung des Leistungsprinzips würden genügend Ostdeutsche in Führungspositionen aufsteigen. Sie sind nicht weniger qualifiziert als ihre Mitbewerberinnen und Mitbewerber aus anderen Regionen. Dennoch bleibt zu konstatieren, dass noch immer Ostdeutsche zu wenig an wichtigen Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Und weiter: „ ...dieses offensichtliche Ungleichgewicht und die daraus resultierenden strukturellen Nachteile für Ostdeutsche können sich negativ auf die weitere Entwicklung auswirken, zum Beispiel auf die Akzeptanz unserer demokratischen Institutionen."

Dann schauen wir uns doch die Ministerien mal genauer an: Besonders heraus stechen, leider im negativen Sinne, das Innen- und das Justizministerium. Hier ist nur etwa jede Vierte Führungsposition mit einer/einem Ostdeutschen besetzt.

Über die gesamte Landesverwaltung gesehen, liegt der Anteil ostdeutscher Führungskräfte bei 37 Prozent.

Feststellen lässt sich auch: Ministerien, die vor 20 Jahren die geringsten Ost-Quoten hatten, haben auch heute die geringsten Anteile Ostdeutscher in Leitungsfunktion. Das zeigt sich besonders bei MI und MJ. Und die Ministerien, die von Anfang an die meisten Beschäftigten aus dem Osten rekrutierten, wie beispielsweise das Bildungsministerium, sind auch heute noch an der Spitze.

Das unterstützt unsere These, dass westdeutsch sozialisierte Führungskräfte tendenziell eher westdeutsche Bewerber nachziehen. Es scheint so zu sein, wie beim Frauenanteil in Führungspositionen - Ostdeutsche stoßen offenbar ebenso an eine "gläserne Decke" wie Frauen. So wie Männer in hohen Positionen vorzugsweise unter sich bleiben, so ziehen westdeutsch sozialisierte Führungskräfte westdeutsche Nachwuchskräfte in die höheren Ebenen nach. Dabei gibt es heute mehr als genügend qualifizierte Bewerber und Bewerberinnen mit ostdeutscher Herkunft und Sozialisation.

Die Landesregierung streitet solche sozialen Mechanismen ab. Laut Aussage der Landesregierung wird rein nach dem Leistungsprinzip besetzt.

Das steht im Widerspruch zur oben genannten Aussage des Ministerpräsidenten, dass bei strenger Beachtung des Leistungsprinzips genügend Ostdeutsche in Führungspositionen aufsteigen würden. Und das belegen ja auch unsere Zahlen.

Fraglich ist für uns übrigens, warum ein nicht unwesentlicher Teil der Antwort auf unsere KA in der Geheimschutzstelle gelandet ist. Besonders spannend ist, dass ALLE Häuser ihre Daten öffentlich gemacht haben bis auf eines: Die Staatskanzlei. Dort finden sich übrigens 40 Führungspositionen. Wir können nicht nachvollziehen, warum man der Allgemeinheit diese Daten vorenthalten will. Am Datenschutz des einzelnen kann es bei so vielen Führungspositionen nicht liegen.

Ähnliches gilt für die Daten der Sozialagentur, des Landesamtes für Verbraucherschutz, des Landesschulamtes, 25 anderer Institutionen. Alle Daten zu diesen Behörden liegen unverständlicherweise in der Geheimschutzstelle. Wir können also öffentlich nicht sagen, wie die Quoten in diesen Bereichen aussehen, wissen es jedoch jetzt. Wir werden uns aber wegen der überzogenen Geheimhaltung mit einer Beschwerde an die Landtagspräsidentin wenden.

An dieser Stelle möchte ich noch mal mit einem Zitat des Ministerpräsidenten vom 9. November dieses Jahres ansetzen: „Noch immer gibt es zu wenig Ostdeutsche in Führungspositionen und noch immer werden zu wenige Ostdeutsche an wichtigen Entscheidungsprozessen beteiligt. Für diese Unterrepräsentanz gibt es keine sachlichen Gründe. Es handelt sich um einen strukturellen Nachteil. Über die Gründe müssen wir sehr viel intensiver reden. Sonst bleibt dieses Ungleichgewicht bestehen.“

Also lassen Sie uns darüber reden! Wie war das denn damals nach der Wende? Wieso ist die Situation so, wie sie sich uns hier präsentiert?

Nach dem Ende der DDR musste nicht nur die politischen Ebenen, sondern auch die Ministerialverwaltung neu aufgebaut werden. Die gab es im bundesdeutschen Sinne hier nicht.

Die neuen Landesregierungen hatten umfangreiche Organisations- und Personalstrukturen von der DDR geerbt. Mitte 1991 gab es im Osten 634.000 Landesbedienstete. Ein Großteil dieser Bediensteten konnte und sollte jedoch nicht in führenden Verwaltungsebenen eingesetzt werden. Dazu kam, dass Ostdeutsche erst auf das bundesdeutsche System nachqualifiziert werden mussten.

Das führte dazu, dass den Menschen aus dem Osten in vielen Fällen nur die unteren Verwaltungsebenen, also die Stellen als Mitarbeiter, Sachbearbeiter, manchmal Referenten blieben. Das ist noch heute erkennbar. Die Führungsebenen hingegen wurden meist durch Menschen aus dem Verwaltungsdienst der alten Länder besetzt.

Die damals relativ jungen Stelleninhaber aus dem Westen sitzen bis heute auf ihren Posten und verhindern das Nachrücken einer ostdeutschen Nachwuchsgeneration.

Man darf aber nicht vergessen: Damals hatte die frisch vereinigte Republik gar keine andere Wahl, als zehntausende westdeutsche Aufbauhelfer in den Osten zu senden, denn deren Expertise war unentbehrlich für den Aufbau eines demokratischen Systems.

Diesen Aufbauhelfern gebührt Dank. Dank dafür, dass sie diesen bemerkenswerten Kraftakt auf sich genommen haben, dass sie entfernt von Familien, Kindern, Freunden im Osten geholfen haben, Verwaltungsstrukturen aufzubauen und zu etablieren.

Unser Partnerland im Westen war Niedersachen, somit bestand die Möglichkeit für viele Verwaltungsmitarbeiter zur Arbeit in den Osten zu pendeln. Und sie kamen und kommen in Scharen. Aus Helmstedt, Braunschweig, Gifhorn, Hannover, Wolfsburg.

Für andere war der Weg zum Pendeln zu weit und man musste in der ersten Zeit nach dem Umbruch ins Hotel ziehen. Einige gingen nach den ersten Jahren wieder, viele wurden hier in Sachsen-Anhalt sesshaft. Man findet sie heute vermehrt im sogenannten Magdeburger Speckgürtel: Biederitz, Möser, Wahlitz, Barleben, Schönebeck um nur einige Orte zu nennen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, wie viele der Kolleginnen und Kollegen aus den alten Bundesländern hier im Land wohnen. Viele Wochenendpendler haben einen Zweitwohnsitz in Sachsen-Anhalt, ihren ersten Wohnsitz aber in der Heimat.

Leider unterscheidet die Landesregierung in der Antwort auf unsere Anfrage nicht nach Erst- und Zweitwohnsitz, konnte uns aber sagen, dass in einigen Bereichen der Landesverwaltung immer noch 30 Prozent der Beschäftigten ihren Wohnsitz außerhalb Sachsen-Anhalts haben.

Das ist erstaunlich, wenn nicht sogar bedenklich, denn die Kolleginnen und Kollegen haben einen erheblichen Einfluss auf politische Entscheidungen und damit die Entwicklung im Land Sachsen-Anhalt.

Ja, es soll sie noch vereinzelt geben die Di-Mi-Dos und Wochenendpendler. Wer mal die Gelegenheit hat, nachmittags oder abends den Pendlerzug von Magdeburg nach Braunschweig oder Helmstedt zu nehmen, kann sich einen guten Überblick verschaffen, was gerade so im Innenministerium, im Wirtschafts- oder im Sozialministerium passiert und was so alles geleistet wurde. Besonders für die Opposition ist das mitunter sehr aufschlussreich!

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in Ostdeutschland sind 87 Prozent der dort lebenden Menschen ostdeutsch. Sie sollen auch verstärkt bei den Entscheidungen in ihrem Land, ihrer Region in leitender Position mitwirken dürfen. Davon sind wir mit unseren 37 Prozent ostdeutscher Führungskräfte aber weit entfernt.

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, sagte kürzlich in einem Interview zum Thema Osten: „Die Dominanz westdeutscher Eliten im Osten wird von den ostdeutschen als kultureller Kolonialismus erlebt. Viele Ostdeutsche haben auch 28 Jahre nach der Einheit das Gefühl, fremdbestimmt zu leben. Weil fast alle wichtigen Führungspositionen im Osten von Westdeutschen besetzt sind.“

Und weiter: Über die gefühlte Dominanz der Westdeutschen müsse gesprochen werden, und zwar ohne dass die persönliche genommen oder moralische verstanden wird.

Das möchten wir tun. Daher lassen sie uns in den Fachausschüssen darüber reden. Wir möchten gern wissen, wie die Landesregierung mit diesem Thema umgeht, ob sie sich der Problematik überhaupt bewusst ist und wenn ja, das sollte ja spätestens nach der Kleinen Anfrage der Fall sein, welche strukturellen Maßnahmen sie insgesamt und ressortspezifisch gegen die Unterrepräsentanz Ostdeutscher in Führungspositionen der Landesverwaltung unternimmt.

Herzlichen Dank!