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Kristin Heiß zu TOP 19: Förderung der Jugend(verbands)arbeit unter Corona-Bedingungen und Perspektiven danach

Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

 

In der gerade erschienen bundesweiten Studie „Erfahrungen und Perspektiven von jungen Menschen während der Corona-Maßnahmen“ lautet ein zentrales Zitat: „Wir Jugendlichen werden doch nur als Schüler gesehen. Wir sollen lernen und lernen und lernen. Warum wird darüber diskutiert die Sommerferien zu kürzen? Politiker denken wie Kapitalisten.“

Wenn es in der Corona-Krise um junge Menschen ging, ging es immer nur um Schulschließungen, Homeschooling und Notbetreuung in Horten und KiTas. Eltern und Kinder mussten über Wochen gemeinsam allein zuhause mit ausgedruckten Arbeitsblättern kompensieren, was durch die Schulschließungen weggefallen ist.

Aber auch die normalen Freizeitaktivitäten von Kindern und Jugendlichen fielen komplett weg. Kein Treffen mit Freunden, kein Jugendclub und Sozialarbeiter mit dem man seine Nöte und Probleme besprechen kann, kein Sportverein bei dem man seine Energie rauslassen konnte, kein Jugendverband bei dem man mit Gleichaltrigen kreativ Projekte umsetzen konnte.

Nahezu alles, was das Leben junger Menschen neben Schule und Ausbildung ausmacht, brach in den letzten Monaten weg. Jugendeinrichtungen wurden geschlossen.

Klar ist: Die klassischen Formate der Jugendbildung und Jugendverbandsarbeit werden auf absehbare Zeit nicht funktionieren. Workshops, Seminare, Kurse, Gruppenstunden und Verbandsaktivitäten unterliegen besonderen Beschränkungen und sind nicht oder nicht in der herkömmlichen Form möglich. Selbst wenn die bisherigen Einschränkungen aufgehoben werden, sind Nachwirkungen zu erwarten.

Was man aber ehrlicherweise auch sagen muss: Mit den Erlassen des Finanzministeriums und des Sozialministerium wurde vieles möglich gemacht. Der Handlungshorizont wurde deutlich erweitert.

Allerdings wird es in dem Moment schwierig, wenn es in die konkrete Umsetzung geht. Dann werden Handlungsempfehlungen herausgegeben, die nicht umsetzbar sind, die sich widersprechen oder missverständlich sind. Der Aufwand wird für Verwaltung und für die Träger deutlich größer. Das kostet Zeit auf beiden Seiten. Das sorgt für Unsicherheit und Frust. Warum also wird keine einfache und schlanke Regelung gefunden?

Auch im Landesjugendhilfeausschuss am 22. Juni gab es lange und emotionale Diskussionen zwischen Trägern und Verwaltung darüber, wie mit der Situation umgegangen werden soll, welche Rahmenbedingungen vorherrschen, was gemeinsam getan werden kann. Es wurden mehrere Anträge beraten und beschlossen, deren Grundlage auch die Befassung heute hier im Plenum ist.

Beim Landesjugendhilfeausschuss waren auch die jugendpolitischen Sprecher aller Koalitionsfraktionen anwesend. Sie haben die Diskussionen mitbekommen, die während der Sitzung liefen und vielleicht auch die in den Pausen. Sie wissen also mindestens seit drei Wochen, wo die Probleme liegen und was von uns als Politik getan werden muss. Sie wissen auch, dass wir die Verbände und Vereine nicht noch Monate hinhalten können, denn es müssen jetzt Lösungen gefunden werden.

Darum fordern wir:

Die Förderrichtlinien Jugend für das Jahr 2020 außer Kraft zu setzen. Sie behindern die Jugendverbände in der aktuellen Situation daran, mit jungen Menschen zu arbeiten. Die Richtlinien sind nicht auf solche Krisen ausgerichtet und bieten in solchen Situationen keinerlei Spielraum.

Die kurzfristig herausgegeben Handlungsleitenfäden des Landesjugendamtes sind widersprüchlich und basieren auf Entscheidungen auf Ermessungsgrundlage, die jeweils einzeln von der Verwaltung getroffen werden müssen.

Hier muss auch grundsätzlich geklärt werden, ob es sich bei den Problemen der Verbände durch die Corona-Krise um Einzelfälle handelt, die jeweils einzeln zu behandeln sind, oder ob es sich um ein grundsätzliches Problem handelt.

Wir sagen klar, es ist ein grundsätzliches Problem, das alle Verbände gleichermaßen betrifft. Also muss hier auch eine grundsätzliche Lösung gefunden werden. Schluss mit dem rumdoktoren an Richtlinien und verschlimmbessern von Vorgaben.

Die bereits bewilligten Mittel für das Jahr 2020 sollen im Rahmen des Zuwendungszwecks als Festbetrag und allgemeinen Zuschuss für die Arbeit der freien Träger gewährt und nicht verwendete Mittel ins kommende Jahr übertragen werden.

Viele Veranstaltungen können in diesem Jahr wegen der immensen Auflagen gar nicht durchgeführt werden. So wird das Kinderzeltlager der Falken in diesem Jahr ausfallen, kann das evangelische Jugendfestival nur digital stattfinden, können bei den Kindermedientagen nur wenige Kinder unter schwierigen Bedingungen dabei sein.

Kinder und Jugendliche müssen bei Veranstaltungen in geschlossenen Räumen Masken tragen, durch Hygieneauflagen bedarf es zusätzlichem Personal- und Materialaufwandes.

Nehmen wir zur Verdeutlichung das gerade benannte Beispiel Zeltlager: Es dürfen nicht mehr sechs oder vier Kinder in einem Zelt untergebracht werden, sondern nur noch zwei. Das treibt Aufwand und Kosten nach oben. Und wenn Sie schon mal auf einem Campingplatz übernachtet haben, wissen Sie, dass es dort durchaus interessante Waschräume gibt mit sechs Waschbecken, zwölf Duschen, zehn Toiletten nebeneinander. Und jetzt stellen Sie sich zwanzig Kinder zwischen sechs und 12 Jahren in diesen Räumlichkeiten vor. Die werden sich ganz bestimmt nicht an die Abstände und Vorgaben halten. Die pädagogischen Kräfte mutieren somit zu Aufsehern und Kontrolleuren. Wenn man ständig auf Abstände und Hygieneregeln achten muss, kann man keine pädagogische Arbeit mit den Kindern machen.

Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Natürlich ist es wichtig, dass wir uns schützen, dass wir versuchen, die Pandemie zu bewältigen und jedes weitere Opfer zu verhindern. Das geht aber nur, wenn diese Ausnahmesituation auch in allen Bereichen von der Exekutive erkannt wird. Man kann doch in einer Krisensituation nicht mit allen Richtlinien genauso weiter machen, wie bisher, sondern muss kreativ und mit Augenmaß schnelle und unkomplizierte Lösungen finden.

Kreativ waren aber, mit Verlaub, weniger die Regierung, sondern vorrangig die Träger. Sie haben in kürzester Zeit als Alternative viele neue digitale Angebote geschaffen. Aber viele Verbände berichten davon, dass sie gar nicht die notwendige Technik besitzen, um beispielsweise Onlinekurse anzubieten. Es fehlt an leistungsfähigen Computern, Webcams, Software für Videokonferenzen, manchmal auch an einem stabilen Internetanschluss. Hier sieht man übrigens, welche Lücken aufgrund unzureichender finanzieller Unterstützung in den vergangenen Jahren bei den Verbänden gerissen wurde.

Die technische Ausstattung bei den Jugendverbänden entspricht in keinster Weise den aktuellen Anforderungen moderner und zeitgemäßer Bildungsarbeit. Aber die Fachkräfte und Ehrenamtler lassen sich bisher davon nicht aufhalten.

Mit großem Enthusiasmus und persönlichem Einsatz wurden oft mit privater Technik spontane Angebote aus dem Boden gestampft. Deswegen wäre es wichtig, diese tollen Initiativen in den Verbänden zu unterstützen.

Daher fordern wir, die Verbände und Vereine auch finanziell zu entlasten. Die Kofinanzierung von Fördermitteln musste bisher immer in Form von Eigenmitteln der Träger kompensiert werden. Es ist schon unter normalen Bedingungen für viele Verbände schwer, Eigenmittel zu erwirtschaften. Unter den aktuellen Einschränkungen ist es für viele schlicht unmöglich. Der Nachtragshaushalt bieten glücklicherweise noch große finanzielle Möglichkeiten, den Verbänden hier unter die Arme zu greifen und die Eigenmittel in diesem Jahr durch Landesmittel zu ersetzen.

Auch die oben bereits erwähnten Förderrichtlinien können so nicht bleiben. Sie müssen unter Einbeziehung junger Menschen und Trägern für den Haushalt 2022 endlich praxisnah, innovativ und krisenfest gestaltet werden. Hier ist es wichtig – Sie erinnern sich an das Zitat am Anfang – zukünftig den Fokus deutlich mehr auf die Förderung der Jugendverbandsarbeit zu setzen und nicht nur den Bildungsaspekt in den Mittelpunkt zu stellen.

Bisher wird im großen Maße Bildungsarbeit bei den Verbänden gefördert und gefordert. Junge Menschen sollen auch in ihrer Freizeit in Bildungsmaßnahmen weiter lernen und sich Wissen aneignen. Spätestens seit der Corona-Krise ist doch aber klar geworden, dass dieser Ansatz nur teilweise erfasst, was junge Menschen brauchen.

Jugendverbandsarbeit ist mehr, als das Vermitteln von Wissen. Gerade jetzt geht es um den persönlichen und individuellen Kontakt zueinander, darum, sich miteinander auszutauschen, Zuversicht zu schöpfen, sich Mut zu machen. Es geht darum, auch außerhalb der Familie einen Platz zu haben, an dem man sich ganz frei von sonstigen Konventionen entwickeln kann.

Dazu kommt noch: Die Corona-Krise hat die prekäre Situation von Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien ein weiteres Mal verschärft. Mangelnde technischen Ausstattung und fehlende Internetanbindung sind dort an der Tagesordnung. Bestehende Benachteiligungen wiederholen und verschlimmern sich. Durch die wirtschaftliche Krise wird die Zahl der von Armut Betroffenen oder Bedrohten nochmals Detailsteigen. Hier muss dringend etwas getan werden.

Zur gezielten infrastrukturellen Unterstützung dieser Familien sollen Mittel für digitale Endgeräte wie PCs oder Tablets sowie Anschlusskosten in Form eines nicht rückzahlbaren Zuschusses gefördert werden. Der Digitalpakt und andere Fördertöpfe ermöglichen das für die Schule. Aber weil wir junge Menschen nicht nur auf Schule reduzieren dürfen, müssen wir auch für ihre Freizeit digitale Teilhabe ermöglichen.

Herzlichen Dank!