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Kerstin Eisenreich zu TOP 8: Leere Taschen und leere Regale – Sachsen-Anhalt zwischen Rekordinflation und Versorgungsmangel

Sehr geehrte Damen und Herren,

die aktuelle Inflation von 7,4 Prozent ist das Ergebnis der seit über einem Jahr ansteigenden Preise, angefangen bei den Rohstoffpreisen bis hin zu den Verbraucherpreisen im Supermarkt. Doch während das Thema in der Politik erst jetzt so richtig angekommen scheint, litten die Menschen bereits kurz nach Beginn der Corona-Pandemie darunter. Zwar stiegen zum damaligen Zeitpunkt die Preise nicht, dafür mussten aber aufgrund von Kurzarbeit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhebliche Einkommensverluste in Kauf nehmen. Das war und ist gerade für die Arbeitnehmer*inne in Sachsen-Anhalt erheblich, liegen doch die Einkommen nach wie vor unter dem Bundesdurchschnitt und das Armutsrisiko ist besonders hoch. Darauf hat meine Fraktion mit allen Anträgen zum Ausgleich pandemiebedingter Risiken immer und immer wieder aufmerksam gemacht, die ich jetzt hier gar nicht alle aufzählen kann. Aber die vorgeschlagenen Maßnahmen und die Hinweise auf die prekäre Situation vieler Menschen, insbesondere auch der Kinder, fanden kaum Beachtung. Das in der Antragsbegründung angeführte Zitat der Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, zur sich verfestigenden Armut besagt demnach, dass die Armut und das Armutsrisiko bereits vorher ein großes Problem waren. Das heißt Millionen Menschen in Deutschland hatten bereits vor und während der Pandemie keinen Zugang zu ausreichender und gesunder Ernährung, zu ausreichender Energie- und Wärmeversorgung, zu Mobilität, zu Sport, Kultur, Freizeitangeboten. Das gerät leider in der durch die Inflation zugespitzten Situation in Vergessenheit. Unbestritten ist, dass immer mehr Menschen in Deutschland und Sachsen-Anhalt davon betroffen und auf Hilfen angewiesen sind. Insofern sind die Entlastungspakete der Bundesregierung grundsätzlich richtig, aber „am stärksten entlastet würde aber die mit ‚dem ganz großen Portemonnaie‘, kritisiert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Und da sind im Übrigen wir, so wie wir hier sitzen gemeint. WIR bräuchten doch diese Unterstützung nicht!

Und wenn hier von Versorgungsmangel gesprochen wird, so muss ich hier nochmals klarstellen und stehe damit nicht allein: Das Problem sind nicht vermeintlich fehlende Lebensmittel, sondern in erster Linie für viele Menschen das Problem, sich diese nicht oder in nicht ausreichendem Maße leisten zu können, auch in Deutschland. Dementsprechend benötigen immer mehr Menschen in Deutschland die Unterstützung durch die Tafeln und dies geraten dadurch zunehmend in Not, weil die gleiche Menge an Lebensmitteln für mehr Menschen reichen muss. Wir sollten uns alle ganz ehrlich fragen, ob wir jeder Medienmeldung über vermeintlich drohende Engpässe hinterherhecheln und Lebensmittel hamstern und horten, die wir gar nicht in der Menge brauchen oder in vernünftigen Zeitrahmen verarbeiten können. Lebensmittel, die nicht dauerhaft haltbar sind, werden dann doch wieder weggeworfen. Das ist doch Irrsinn!

Wir sollten aber unseren Blick über den nationalen Tellerrand hinaus werfen. Und ich bin daher auch sehr froh über das Fachgespräch im Ausschuss für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten. Denn das Thema Ernährungssicherheit und Hunger betrifft weltweit hunderte Millionen Menschen, im Übrigen die meisten in Südasien, wie Rafael Schneider von der Welthungerhilfe berichtete. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine – und eben nicht verharmlosend Konflikt wie die AfD in ihrem Antrag ihn nennt – wird die Zahl der vom Hunger bedrohten Menschen um mehrere Dutzend Millionen erhöhen, da 30 Prozent der Lieferungen über das Welternährungsprogramm aus der Ukraine kamen. Die Auswirkungen werden allerdings erst nach der diesjährigen Ernte richtig zeigen, denn noch steht die Ernte aus dem vergangenen Jahr zur Verfügung. Dazu kommt, dass auch in den betroffenen Ländern Ernterückgänge zu verzeichnen sind. Hinzu kommen Schwierigkeiten, die Lieferketten unter anderem wegen der enorm gestiegenen Transportkosten aufrechtzuerhalten. Das Problem ist aber auch hier nicht allein die Frage, ob Lebensmittel überhaupt verfügbar sind, sondern ob sich die Menschen die importierten Lebensmittel überhaupt leisten können. Denn ein großer Teil der armen Menschen muss 60 bis 80 Prozent des Einkommens für Lebensmittel ausgeben. Diese Probleme müssten kurz-, mittel- und langfristig gelöst werden, wie das Fachgespräch ergab. Der Handel mit Lebensmitteln und die Logistik und Transportwege müssen offengehalten und verschiedene Quellen aktiviert werden. Aber mittel- und langfristig muss der Selbstversorgungsgrad in diesen Ländern erhöht, Strukturen vor Ort entwickelt und unterstützt werden.

Auch wenn der Minister Schulze gestern hier bereits zur Nutzung der stillgelegten Flächen ausgeführt hat. Im Fachgespräch wurde mehrfach betont, dass diese für die Ernährungssicherheit insbesondere international nicht relevant seien! Ja, man kann ausrechnen, was diese Flächen bringen. Dabei will ich nicht Abrede stellen, ob wir in der angespannten Situation auf der Umsetzung des 4-Prozent-Zieles beharren müssen, d.h. jetzt alle geplanten Flächen aus der Bewirtschaftung herausnehmen.

Aber wenn wir die Versorgung in Deutschland betrachten, sind die Stellschrauben meines Erachtens andere als die Wiedernutzung stillgelegter Flächen. Und auch das hat das Fachgespräch noch einmal unterstrichen. Wir müssen uns in Europa und auch in Sachsen-Anhalt fragen, was wozu angebaut wird. Denn bereits im März habe ich an dieser Stelle darauf verwiesen, dass ein großer Teil des in Europa angebauten Getreides für Tierfutter verwendet wird. Klare Aussagen auch hierzu im Fachgespräch: Eine Reduzierung des Fleischverzehrs ist sinnvoller als stillgelegte Flächen wieder zu kultivieren. Es geht also darum, dass Interessenkonflikte zwischen Ernährungssicherheit und Naturschutz eben nicht gegeneinander ausgespielt und Klima- und Umweltziele nicht über Bord geworfen werden dürfen. Und ich möchte nochmals hier betonen, dass Unmengen von Lebensmitteln vernichtet und weggeworfen also verschwendet werden. Dieses Problem muss dringend angegangen werden.

Gestern haben wir hier zu unserem Antrag zu Maßnahmen gegen die Preistreiberei debattiert. Der Titel zeigt schon: Preise sind menschengemacht, sie steigen und fallen nicht von allein. Dahinter stehen immer Menschen mit ihren ökonomischen Interessen und entsprechendem Handeln. Und deshalb kann ich Ihnen auch heute nicht die Frage ersparen: Wie kann es sein, dass Familien, Rentner*innen, Arbeitnehmer*innen, Mieter*innen, Studierende, Gewerbetreibende tagtäglich ums Überleben kämpfen, während unter anderem Rohstoffkonzerne oder Eigentümer von Lebensmittelriesen beim Blick auf Ihre durch die Decke schnellenden Kontostände vor Lachen nicht mehr in den Schlaf kommen? Da läuft doch etwas falsch und dagegen müssen wir als Politik endlich was unternehmen. Denn der Markt wird das nicht im Interesse der Menschen regeln!