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Henriette Quade zu TOP 7: Debatte über Maßnahmen von Sicherheitsbehörden gegen Corona-Leugner-Demos

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sind umstritten – während die Regierungen in Bund und Ländern in der Mehrheit der Bevölkerung nach wie vor großen Rückhalt für den allgemeinen Kurs der Verlangsamung des Infektionsgeschehens, um Infektionsketten nachzuvollziehen und Behandlungsmöglichkeiten sicherzustellen, erfahren, sind die einzelnen Maßnahmen seit Beginn der Pandemie Gegenstand kontroverser Auseinandersetzung in Politik und Gesellschaft und es wichtig das deutlich zu sagen: Das ist auch gut so. In einer demokratischen Gesellschaft muss offen diskutiert werden, wie wir mit so einer gewaltigen Herausforderung umgehen. Wie wir damit umgehen, dass sich das Leben jedes Menschen verändert hat durch die Pandemie, wie wir damit umgehen, den notwendigen Schutz zu organisieren und gleichzeitig elementare Freiheitsrechte schützen, wie wir die Lasten die sich als Folge der Eindämmungsmaßnahmen ergeben gerecht verteilen; wie wir dafür sorgen, dass Jene deren ökonomische Existenz gefährdet ist unterstützen, wie wir für die Menschen deren unermüdlicher Einsatz den Schutz aller ermöglicht mehr tun können als zu klatschen und nicht zuletzt, wie wir mit einschneidenden Folgen im Alltag wie Einsamkeit umgehen, mit der Tatsache, dass Menschen unglücklich werden an den notwendigen Maßnahmen. Das muss Gegenstand öffentlicher Debatten sein, die nicht abgewendet werden dürfen, weil es Gemeinsamkeit braucht – das ist zwar richtig, aber Gemeinsamkeit lässt sich nicht verordnen, sie muss im Zweifel in der Diskussion über die verschiedenen Argumente erreicht werden.

Das, vorneweg gesagt – meine sehr geehrten Damen und Herren –, setzt auch den Rahmen, in dem wir über die Aktionen von Personen und Gruppierungen sprechen müssen, welche die Existenz des Corona-Virus‘ in Abrede stellen und die hinter den Eindämmungsmaßnahmen nicht mal gute und mal weniger gute Entscheidungen sehen wollen, sondern eine große Verschwörung behaupten. Denn wer falsche Informationen, Lügen und Verschwörungserzählungen verbreitet, beteiligt sich nicht an einer öffentlichen Debatte mit dem Ziel einen Austausch über Positionen herzustellen, sondern mit dem Ziel die Debatte entweder zu manipulieren oder sie direkt zu zerstören. Genau das ist es, was die extreme Rechte will. Ideologisch schreibt sie ihre Kernerzählung fort, die ich hier, nur zum Verständnis, kurz skizzieren will. Es ist die Erzählung, dass die Deutschen, gemeint sind die Weißen Deutschen, von Feinden im Inneren bedroht seien, von Politikern die sie verkaufen würden, von Nichtregierungsorganisationen die sie steuern würden, von einer Presse die sie belügen würde, jetzt auch von Medizinerinnen die sie schwächen und versklaven wollten und das – so geht diese extrem rechte Erzählung weiter – um Feinden im Äußeren zu dienen, ja, letztendlich, um die behauptete Weiße Rasse, um die Deutschen zu vernichten. Diese Erzählung steht in einer Kontinuität faschistischen und nationalsozialistischen Denkens, sie ist grundlegend antisemitisch, sie baut auf der Vorstellung von globalen Eliten – und gemeint sind hier, auch wenn es oftmals nur angedeutet oder in Codes ausgedrückt wird – vermeintliche jüdische Eliten, die ihre Interessen gegen das durchsetzen würden, was die extreme Rechte als „das Volk“ konstruiert und woraus sie große und relevante Teile der Bevölkerung ausnimmt. Die extreme Rechte will sich nicht an einer notwendigen, demokratischen Debatte über die Eindämmungsmaßnahmen beteiligen, sondern sie baut die Eindämmungsmaßnahmen in ihre Verschwörungserzählungen ein, mit denen sie die eigenen Anhängerinnen und Anhänger mobilisieren will, ihre Gegnerinnen und Gegner angreifen und die Debatte beenden und durch hasserfüllten Kampf ersetzen, um ihrem Ziel näher zu kommen, die Demokratie zu zerstören und ihre eigene Herrschaft zu errichten. Die Konsequenz sind brachiale Auftritte, wie wir sie in Berlin beobachten mussten, als Rechtsextreme auf die Treppen des Reichstags stürmten. Was hier geschehen ist, ist ebensowenig Zufall, wie es Zufall ist dass Abgeordnete der AfD vorgestern genau diese Leute in den Bundestag holten, wo sie Abgeordnete bedrängten – es ist der gezielte Versuch, Demokratinnen einzuschüchtern und dem eigenen Lager die eigene Macht zu demonstrieren, um es zu weiteren Taten anzustacheln. Der symbolische Gewinn ist das Entscheidende für die extreme Rechte.

 Die Ausschreitungen in Leipzig rühren nicht daher, dass Rechtsextreme glauben, sie könnten damit direkt gewaltsam die Umsetzung ihrer politischen Ziele erzwingen, sondern weil sie damit das politische System insgesamt destabilisieren wollen. Die Verbreitung von Falschinformationen geschieht nicht, weil die handelnden Personen verwirrt sind, sondern sind gezielte Desinformation. Hier sehen wir die wichtigste Mastererzählung der extremen Rechten nach 2015. Das zeigt sich auch daran, dass selbst in relativ neuen Zusammenschlüssen wie der verschwörungsideologischen „Bewegung Mitteldeutschland“ und ihren lokalen Ablegern offen Umsturzfantasien geäußert werden. Die Realität ist: Die extreme Rechte befindet sich im Aufwind. Die Anzahl extrem rechter Aufmärsche und Kundgebungen überschreitet schon jetzt deutlich die Zahlen, die im Jahr 2015 zu dokumentieren waren. Die Radikalisierung geschieht dabei noch schneller, als das bisher zu beobachten war, schon seit Jahren aktive Rechtsextreme spielen dabei in Sachsen-Anhalt eine zentrale Rolle. Ich nenne nur einige Beispiele von Corona-Leugner-Kundgebungen, bei denen sich das zeigen lässt: Steffen Thiel von der NPD in Zeitz; die IB Harz in Wernigerode; Hooligans und Kameradschaftsspektrum in Dessau; Püschel, Karl und Mundt von der NPD in Weißenfels; Poggenburg und Kurth in Köthen; Hauser und Klemm von der IB in Merseburg; Bauer von der Artgemeinschaft in Zeitz – Gezielt zieht die extreme Rechte Menschen aus einem rationalen gesellschaftlich-politischen Gespräch in eine Parallelwelt aus Lügen und Hass. In eine Parallelwelt, in der Gewalt zur Notwehr erklärt wird. Diese Gewalt sehen wir, wenn in beispielsweise in Halle Journalistinnen und Gegenprotest von Teilnehmern der Corona-Leugner-Proteste beleidigt, bedrängt, bespuckt und geschlagen werden, wenn Neonazi Sven Liebich mit seinen Anhängern aus Sachsen-Anhalt in Leipzig einen Fotojournalisten tätlich angreift. Was wir auch sehen ist, dass die Sicherheitsbehörden diesen Versammlungen seit Monaten nicht effektiv begegnen. Abstände werden nicht eingehalten, Mund-Nasen-Schutz nicht getragen, sofort vollziehbare Beschränkungen nicht umgesetzt. Und doch geschieht zu oft nichts.

Wir haben gestern über das Versammlungsrecht debattiert – meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brauchen kein Lex Liebich, um eine Antwort auf diesen Neonazi zu finden. Er gehört schlicht, weil er gewalttätig ist, weil er sich nicht an Auflagen hält, weil er Teile der Bevölkerung verächtlich macht, weil er Menschen beleidigt als Versammlungsleiter und Redner bei Versammlungen abgelehnt und das gibt die Rechtslage schon jetzt – übrigens auch schon vor rechtswirksamen Strafurteilen – her. Dazu müssen Versammlungsbehörden genau analysieren, was auf diesen Versammlungen geschieht, das gerichtsfest dokumentieren und daraus die richtigen rechtlichen Schlüsse ziehen, also zutreffende Gefahrenanalysen erstellen. Und die Polizei Einsätze so vorbereiten, dass sie Auflagen nötigenfalls auch durchsetzen kann und das dann auch tun, oder eben eine solche Versammlung auflösen kann.

Die Landesregierung muss sich anschauen, was es ist, das bei den Sicherheitsbehörden schief läuft und das auch so benennen, sie entsprechend ausstatten und ggf. qualifizieren. Denn das Versagen der Sicherheits- und Ordnungsbehörden im Umgang mit Corona-Leugner-Demos hat konkrete Folgen, die Szene fühlt sich durch die Freiräume die ihr über das rechtlich Notwendige hinaus eingeräumt werden ermächtigt, radikalisiert sich weiter, plant nächste Taten. Dass solche rechten Aufmärsche wie Brandbeschleuniger wirken, zeigt das Beispiel des mutmaßlichen Mörders von Dr. Walter Lübcke, der die Beteiligung an einer rechtsextremen AfD-Kundgebung als Auslöser beschrieb.

Die Corona-Leugner-Proteste in Sachsen-Anhalt sind nicht Versammlungen verwirrter Spinner, sie sind die größe rechtsextreme Mobilisierung in diesem bundesland seit Jahren. Entsprechend muss reagiert werden.

Zuschauen und hoffen haben schon 2015 nicht geholfen, sie werden es jetzt noch weniger.