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Henriette Quade zu TOP 25: Perspektiven für geflüchtete Menschen - „Chancen-Aufenthaltsrecht“ auch in Sachsen-Anhalt regeln

Sehr geehrte Damen und Herren,

viel ist die Rede von einer Zeitenwende und ja – auch im Aufenthaltsrecht und der Integrationspolitik erleben wir eine solche: Der Staat zeigt mit der unkomplizierten, liberalen und an den Bedürfnissen der Betroffenen orientieren Aufnahmepolitik für Ukrainerinnen und Ukrainer, was er kann. Das begrüßen und unterstützen wir ausdrücklich. Was wir kritisieren: Der Staat zeigt auch, wem er dringend notwendige Schritte wie Arbeitserlaubnisse, das Recht auf Freizügigkeit und das ganz grundsätzliche Recht zu Bleiben absichtlich vorenthält. Was nötig wäre, statt Geflüchtete erster und zweiter Klasse zu manifestieren, wäre die grundsätzlich gute und richtige Politik für Ukrainer:innen als Vorbild für eine grundlegende Humanisierung des Aufenthaltsrechts zu nehmen. Davon sind wir meilenweit entfernt, auch das sogenannten Chancen-Aufenthaltsrecht hat damit wenig zu tun – warum es dennoch ein Schritt in die richtige Richtung und dringend nötig ist und warum wir die von uns beantragte Vorgriffsregelung schnellstmöglich brauchen, wird schnell klar, wenn wir auf die aktuelle Meldung aus Magdeburg schauen:
Hier wurden gestern offenbar 2 junge Frauen, die seit über 11 Jahren hier leben, abgeschoben. Obwohl über ihre Widersprüche und Anträge noch nicht entschieden wurde. Obwohl sie nach dem erklärten Willen der Bundesregierung in wenigen Monaten die Chance auf eine dauerhaftes Bleiberecht bekommen hätten. Das meine Damen und Herren, ist ein unfassbarer Vorgang, der nicht nur aufgearbeitet werden muss, sondern der auch aufgehalten werden muss! Und Frau Ministerin: Wenn sie sagen, eine Chancen-Aufenthaltsrecht sei das völlig falsche Signal: Ist das, was den beiden jungen Frauen und ihrer Familie angetan wurde das, was sie wollen? Denn exakt das ist die Alternative dazu. Es wäre ihre Aufgabe, diese Abschiebung, die offenbar rechtswidrig ist, zu stoppen oder rückgängig zu machen.
Und so unfassbar er ist – er ist absolut kein Einzelfall, im Gegenteil. Engagierte und Betroffene beobachten seit Monaten, dass die Abschiebaktivitäten zunehmen und dass insbesondere diejenigen darunter leiden müssen, die unter die Neuregelungen, die die Bundesregierung angekündigt hat und die mittlerweile schon als Gesetzentwurf vorliegen.


„Wir wollen einen Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik gestalten, der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird. Dafür brauchen wir einen Paradigmenwechsel: Mit einer aktiven und ordnenden Politik wollen wir Migration vorausschauend und realistisch gestalten.“  
heißt es im Koalitionsvertrag der Bundesregierung dazu und gerade in Sachsen-Anhalt ist das dringend nötig:
Denn es ist doch absurd – Sachsen-Anhalt ist in besonderem Maße auf Zuwanderung angewiesen. Wir haben in etlichen Bereichen mit Fachkräftemangel, Mangel an Azubis und dem Aussterben von Gegenden zu kämpfen.  Gleichzeitig verweigern sie Menschen, die seit Jahren hier leben und die trotz widriger Bedingungen das getan haben, was immer wieder verlangt wird (spannenderweise von denselben, die die Hürden dafür besonders hochschrauben) nämlich sich zu integrieren, die Chance, dauerhaft und rechtmäßig hier zu leben, Teil dieser Gesellschaft zu werden und dabei eben auch etwas an die Gesellschaft zurückzugeben.


Die praktische Folge ist, neben einem immensen Verwaltungsaufwand, dass durch die fehlenden Möglichkeiten der dauerhaften Legalisierung des Aufenthaltes, Entscheidungen getroffen werden nicht im Interesse des Landes sein können. Weil sie bedeuten, Menschen, die als Krankenpfleger:in, als Lehrer:in, als Handwerker:in arbeiten wollten und könnten, nicht die Chance dazuzugeben, z.B. weil kein Pass beschaffbar ist. Da ist die iranische Lehrerin, die nicht arbeiten darf, weil sie zwar eine Geburtsurkunde hat, aber keinen Pass. Das hat nichts mit Täuschung bei der Identiätsfeststellung zu tun, sondern mit den Bedingungen von Flucht aus einer Diktatur. Da ist der Auszubildende, der als unbegleiteter Minderjähriger geduldet wurde, aber fürchten muss, sobald er volljährig ist, abgeschoben zu werden. Da sind der Ingenieur und die Ärztin, die als Fachkräfte aus einem europäischen Land geworben werden sollen, aber weil sie aus dem falschen Land kommen, keinen dauerhaften Aufenthaltstitel bekommen und nicht arbeiten dürfen.
Genau hier, setzt das sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht der Bundesregierung an, das von nahezu allen Expert:innen in Sachen Migration und Integration und Fachverbänden als überfällig begrüßt wird :
Für gut integrierte Menschen soll es Erleichterungen geben und die Mindestanforderungen für Aufenthaltszeit gesenkt werden, Möglichkeiten für gut integrierte junge Menschen geschaffen werden, besondere Integrationsleistungen zur Chance auf Bleiberecht führen. Die elende Praxis der Kettenduldungen soll zumindest teilweise überwunden werden. Wer zum Stichtag 1. Januar 2022 5 Jahre hier lebt, nicht straffällig geworden ist und sich sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt, soll eine einjährige Aufenthaltserlaubnis auf Probe erhalten können, um in dieser Zeit die übrigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen. Arbeitsverbote für bereits in Deutschland Lebende sollen abgeschafft werden. Das hat mit einer umfassenden Liberalisierung des Aufenthaltsrechts nichts zu tun – aber es ist ein Anfang, um es rationaler und übersichtlicher zu machen, von unnötigen Verwaltungsaufwand zu entschlacken und der Realität eines Einwanderungslandes anzupassen.


Worum es mit unserem Antrag heute trotz vieler einzelner Antragspunkte geht ist, etwas ganz einfaches: Wir wollen sicher stellen, dass Menschen, die unter die im Koalitionsvertrag auf Bundesebene angekündigten Neuregelungen fallen, nicht kurz vor deren Inkrafttreten noch abgeschoben werden. Wir wollen sicher stellen, dass so etwas wie in Magdeburg nicht mehr passiert.
Und wir wollen sicher stellen, dass die Rechte derjenigen, die auf das Handeln und die Entscheidungen der Ausländerbehörden angewiesen sind, gewahrt werden. Ganz offensichtlich ist das reihenweise nicht der Fall: Denn zu der Grunderfahrung der Betroffenen, nämlich dass der erhebliche Ermessensspielraum den die Ausländerbehörden haben, nur im absoluten Ausnahmefall im Sinne der Betroffenen genutzt wird, kommt noch hinzu: Dass die Ausländerbehörden zwar fleißig abschieben, für ihre Belange aber schlichtweg nicht erreichbar sind.
Im Februar wurde z.B. mit einer Kundgebung vor der Ausländerbehörde in Halle eindrucksvoll deutlich gemacht, wie unhaltbar die Zustände sind: Da werden Anrufe nicht entgegen genommen, Mails nicht beantwortet und ist es unmöglich, einen Termin zu vereinbaren. Da werden Anträge über Monate nicht bearbeitet. Da bleiben dringende Anfragen einfach unbeantwortet. Das hat gravierende Folgen: Ich kenne Menschen, die ihren Job und ihre Wohnung verloren haben, weil es nicht möglich war, rechtzeitig den Aufenthaltstitel zu verlängern. Und nein – das liegt nicht nur an der Pandemie- das liegt an einem strukturellem Problem: Die Betroffenen haben nicht die Lobby, die sie bräuchten, es gibt kaum einen Rechtsbereich, der dermaßen überreguliert und restriktiv ist, wie das Ausländerrecht und politisch und praktisch sind die Ausländerbehörden zuallererst Abschiebe- und Integrationsverhinderungsbehörden.
Das muss sich dringend ändern und das wird nur mit einem wirklichen Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik gelingen und einem Umbau der Ausländerbehörden zu Servicestellen. Unser Antrag will zuallererst die eklatanten akuten Missstände beheben und dafür sorgen, dass die Behörde ihrer Verpflichtung und ihrem Auftrag nachkommt. In Bezug auf das Chancenaufenthaltsrecht wollen wir Ermessen lenken – nicht irgendwie, sondern anhand der Kriterien, die die Bundesregierung und damit auch 2 Regierungsparteien in Sachsen-Anhalt angelegt hat und der bereits 6 Bundesländer mit entsprechenden Anordnungen vorgreifen. Nicht mehr und nicht und nicht weniger.