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Henriette Quade zu TOP 2: Regierungserklärung des Innenministers "Sachsen-Anhalt: Unsere Heimat, starker Staat, gelebter Zusammenhalt"

Anrede,

als wir die Ankündigung der Regierungserklärung bekamen habe ich als erstes gesagt, „das kann alles und nichts sein“. Ehrlich gesagt, bleibe ich auch nachdem wir die Regierungserklärung gehört haben dabei. Denn immer wieder ist die Diskrepanz zwischen Bekenntnissen einerseits und konkretem Handeln andererseits augenfällig: Denn der starke Staat wird als rhetorische Figur, als nahezu heiliger Gral, konservativer Politik und vor allem konservativer Sicherheits- und Ordnungspolitik zwar immer wieder gefordert. Dort wo ein starker Staat aber konkret erlebbar wäre, wird er oft gar nicht als stark wahrgenommen.

Um kein Missverständnis zu erzeugen: Es ist kein Geheimnis dass sich konservatives und linkes Staatsverständnis grundlegend unterscheiden. Wir wollen einen Staat der seine Stärke darin zeigt, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Wir wollen einen Staat, der seine Stärke in Solidarität und sozialer Gerechtigkeit zeigt. Einen Staat, der seine Stärke in guter Arbeit, guter Bildung und einer gerechten Vermögensverteilung zeigt. Einen Staat, der Kinder- und Altersarmut wirksam bekämpft. Einen Staat, der jedem Menschen eine faire Chance im Leben gibt.

Die Vorstellungen eines starken Staates, wie sie ein Innenminister hat, taugen unseres Erachtens nicht als Leitbild. Ein starker Staat wäre zum Beispiel in Schulen erlebbar. Er wäre erlebbar, wenn nicht 700 000 Stunden im letzten Schuljahr ausgefallen wären. Er wäre spürbar mit Arbeitsbedingungen für Lehrerinnen und Lehrer, die sie nicht zum Schulhopping zwingen. Er wäre erkennbar daran, dass Lehrende, die die Arbeit von Rektorinnen und Rektoren übernehmen, auch als solche bezahlt werden. Ein starker Staat wäre auch schon auf dem Weg zur Schule erlebbar, nämlich indem er Kinder nicht zwingt, kilometerweit zu fahren, um eine Schule zu erreichen. Ein starker Staat wäre daran erkennbar, bewusst Bereiche zu schaffen, die nicht unter Rentabilitätsdruck gesetzt werden. Kunst und Kultur zum Beispiel.

Sachsen-Anhalt hat eine so reiche und vielfältige Kunst- und Kulturszene und ja, Kunstschaffende, Kulturgüter, Kulturgeschichte, Theater, Galerien, Museen, Orchester - das alles gehört zweifellos zu den Schätzen Sachsen-Anhalts. Doch wie so viele andere Bereiche sind sie seit Jahren unter Druck, von Personalabbau, von Kürzung, von Einsparpotentialen, kurzum sie sind von der viel gerühmten schwarzen Null bedroht und in ihrer Entwicklung gebremst.

Ein starker Staat wäre z.B. daran erkennbar, dass er dafür sorgt, dass Pflegerinnen und Pfleger tariflich bezahlt werden. Indem er dafür sorgt, dass Pflegende in Sachsen-Anhalt nicht im Schnitt 1000 Euro weniger bekommen als in Baden-Württemberg. Indem er die Voraussetzungen dafür schafft, dass Menschen sich entscheiden, in der Pflege arbeiten zu wollen.

Was für die Pflege gilt, gilt natürlich auch für alle anderen Arbeitsbereiche: Ein Staat der dafür sorgt, dass Menschen nicht 3 oder 4 Jobs zum Überleben brauchen, dass Menschen nicht in ausbeuterischen Verhältnissen arbeiten müssen, dass sie gute Arbeitsbedingungen vorfinden und dass sie nicht in andere Bundesländer pendeln müssen, um diese zu finden -das wäre ein starker Staat, der auch real erlebbar wäre.

Meine Damen und Herren, die Linke ist reich an Theorien und Analysen. Altbekannt dürfte die Einschätzung sein, dass Konservative auch deswegen so gern vom starken Staat im ordnungsrechtlichen Sinne reden, um von ihrer faktischen Politik gegen einen starken Sozialstaat abzulenken. Wenn wir uns die heutige Regierungserklärung anschauen und die große Lücke zwischen Beschwörungen des starken Staates und real eben in vielen Bereichen gerade nicht erlebbarer Stärke des Staates anschauen, finde ich, spricht vieles für diese Analyse.

Doch auch wenn wir uns die Bereiche anschauen, über die der Minister offensichtliche gerne reden will, fällt die Diskrepanz zwischen Worten und Taten nicht kleiner aus: Ehrenamt -ein beliebtes Thema für Sonntagsreden. An der Stelle zitiere ich gern mal den Koalitionsvertrag: Wir werden uns auf Bundesebene dafür einsetzen, ehrenamtliche Tätigkeit von der Sozialversicherungspflicht zu befreien. Hier herrscht Stillstand und zwar seit Jahren! Die wechselseitigen Rechte und Pflichten im Integrationsprozess wollen wir in einem Integrations- und Teilhabegesetz regeln. Sachsen-Anhalt wartet bis heute auf ein Integrations- und Teilhabegesetz!

Auch bei der Polizeistrukturreform bleibt vieles auf der Ebene von Versprechungen. Ohne der Debatte nachher zu weit vorgreifen zu wollen: Entscheidend für das Sicherheitsgefühl und die reale Belastbarkeit von Polizei ist nicht, wie das Schild am Eingang der Dienststelle aussieht, sondern wieviel Personal da ist, wie gut Polizei ausgestattet ist, wie gut sie qualifiziert ist und wie die Arbeitsbedingungen sind. Und genau hier wird eben spürbar, dass die jahrelang währende Politik des Personalabbaus, bei Polizei wie Schule, in eine Sackgasse geführt hat, die diesen Staat geschwächt hat.

Und auch wenn wir uns die reale Situation der Gemeinden und Kommunen anschauen, sind die oft gehörten Bekenntnisse zur kommunalen Familie, zur wichtigen Rolle von Gemeinden als Lebensort und zur Wertschätzung, die sie verdienen und das tägliche Erleben weit auseinander. Sich hier hinzustellen und salbungsvolle Worte zu finden ist das eine. Aber wer ist denn für die strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen über Jahre hinweg verantwortlich? Das sind auch sie Herr Minister denn auch sie haben genau diesen Kurs über Jahre hinweg getragen.

Der Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalts (SGSA) schätzte in diesem Sommer ein, dass nach vielen Jahren der strukturellen Unterfinanzierung der Kommunen ein erheblicher finanzieller Aufholbedarf besteht, um dem derzeitigen Investitionsrückstand begegnen zu können. (Quelle: Kommunalnachrichten des Städte- und Gemeindebundes Nr. 7 /2018). - Der Landkreis Mansfeld-Südharz geht nach ersten Schätzungen von einem Sanierungsbedarf von 46 Millionen Euro für die Schulen aus. (Quelle: GEW-Zeitung 6/2018) - Für die Kreisstraßen Sachsen-Anhalts bezifferte die Landesregierung 2017 den Investitionsbedarf auf 821 Millionen Euro (Drs. 7/1064).

Diese Zahlen zeigen, dass die Regierung das Land auf Verschleiß fährt. Seit Jahren sind die Abschreibungen höher als die Investitionen. Straßen und Schulen vergammeln in den Kommunen unter dem Mantra der Generationengerechtigkeit. Die künftigen Generationen werden sich bei uns bedanken, wenn sie diese Versäumnisse ausbaden dürfen, wenn sie Straßen, Brücken und Schulen teuer sanieren müssen, die wir heute zum Wohle schwarzer Nullen verfallen lassen.

Wer etwas dafür tun will, dass Menschen gern in Sachsen-Anhalt leben, sich hier zuhause fühlen, hier bleiben wollen und sich einbringen, der muss das Geld, das da ist, nutzen. Sachsen-Anhalt hat ein dickes Sparbuch, aber keiner hat was davon. Allein im Jahr 2017 wurden 500 Mio. Euro, die für dringende Investitionen vorgesehen waren, nicht ausgegeben. Derzeit sind nicht mal die nötigen 25 Millionen für den einmaligen Anschluss an das Glasfasernetz aufzutreiben. Mit 500 Millionen hätten wir die Schulen 20 Mal anschließen können. Ein Staat, der am Ausbau dieser grundlegenden Infrastruktur für das 21. Jahrhundert so eklatant scheitert wie Sachsen-Anhalt, ist kein starker Staat.

Es ist die Ironie Ihrer eigenen Regierungserklärung, dass gerade Polizei und Justiz - die Grundfesten Ihres starken Staates - durch das jahrelange Zaudern und Sparen Ihrer Regierung bei der IT-Infrastruktur eine Bruchlandung erleben werden, die mit dem elektronischen Postfach in der Justiz in diesem Jahr begann und mit den Polizeidiensten weitergehen wird. Ein starker Staat würde das im Überfluss vorhandene Geld durch gerechte Steuern einsammeln und in die Zukunftsfähigkeit des Landes investieren. Diese Regierung füllt ihre Sparbücher praller und praller auf Kosten der heute lebenden Bürgerinnen und Bürger dieses Landes.

Seit Jahren erleben wir, dass insbesondere dort, wo sich Gemeinden in der Haushaltskonsolidierung befinden, freiwillige Aufgaben (Schwimmbäder, Bibliotheken, Kultur) stetig zurückgefahren, ganz eingestellt oder ehrenamtlich tätigen Vereinen übertragen (Beispiel Oberharz am Brocken) werden. Sprudelnde Einnahmen in Haushaltsüberschüssen und die Standardargumentation ‚das Geld reicht nicht‘ -das passt nicht zusammen.

Die Leute brauchen keine Rückholprämie und keinen netten Brief vom MP, Sie brauchen Lebensperspektiven. Und dazu gehört, dass es Theater, Vereine, Kultur, Infrastruktur, Internet, Öffentliche Verkehrsmittel, Kindergärten, Schulen, Pflegeeinrichtungen und Soziokultur gibt und zwar nicht nur in den Städten, sondern gerade in Sachsen-Anhalt auch auf dem Land und dass für einen Spielplatz nicht erst Spenden gesammelt werden müssen. Dazu gehören gute Arbeitsbedingungen und ein Staat, der sich an die Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stellt und Politik, die es wagt, endlich die himmelschreiende Ungerechtigkeit der Vermögensverteilung anzugehen.

Dazu gehört die Perspektive, dort wo man es möchte alt werden zu können, Gesundheitsversorgung vorzufinden und eine Rente zu bekommen, von der man leben kann. Das wären die Stellen, an denen ein starker Staat gebraucht würde. Es sind die Stellen, an denen diese Landesregierung versagt.

Meine Damen und Herren, weil der Minister natürlich auf die Frage von Identität und Heimatgefühl abstellt, wie es ja unter Innenministern in zu sein scheint, will auch ich natürlich einige Dinge dazu bemerken. Der Minister sprach von den Brüchen für Menschen im Osten nach 89 und und von Unsicherheiten. Letzte Woche wurde in der Zeit der Ausdruck verwendet, viele würden ein Loch empfinden. Ich glaube nicht, dass sich das beschrieben Loch mit wie auch immer gearteten Gefühlen und Appellen an Gefühlen füllen lässt. Ich glaube auch nicht, dass Politik das tun sollte.

Das Gefühl zu Hause zu sein, sicher zu sein, geborgen zu sein, wertgeschätzt zu werden, tun zu können, was man tun will, Wege gehen zu können oder sie auch verlassen zu können, das Gefühl dazu zu gehören zu können, das verstehe ich unter Heimatgefühl im positiven Sinne. Das ist doch nun wirklich etwas sehr individuelles und genau das sollte es auch bleiben.

Denn sobald wer auch immer versucht, festzulegen, wie dieses Heimatgefühl aussehen soll und wer es haben darf und wer nicht, geht es weit weniger um das Verbindende, als das Abgrenzende. Die AfD macht uns das ja nahezu täglich vor. Wer jedoch seine Stärke nur aus der Abgrenzung zu anderen und deren Ausschluss bezieht, ist nicht stark, sondern macht andere künstlich schwach.

Und was die Frage der Identität angeht: Identität ist wichtig, jeder hat eine, manche mehrere. Aus der Tatsache, im gleichen Land geboren zu sein und die gleiche Sprache zu sprechen, erwächst aber zum Glück nicht automatisch eine gemeinsame Identität. Das hat etwas mit Sozialisierung, mit Erfahrungen und Prägungen und etwas mit bewussten Entscheidungen zu tun. Was für mich identitätsstiftend ist, ist es für andere noch lange nicht und umgekehrt. Warum auch? Insofern wird Politik, die an Heimatgefühl und Identität appelliert, immer in ihrer eigenen Erzählung wie dieses Gefühl und diese Identität aussehen sollen gefangen bleiben. Das ist einerseits ziemlich unproduktiv. Es ist andererseits auch gefährlich.

Mit Empfindungen und Verstößen gegen Empfindungen sind in der Geschichte die größten Grausamkeiten begründet worden und insbesondere dann wenn von ‚dem‘ Volksempfinden die Rede ist, sind Willkür und die Abkehr von sämtlichen zivilisatorischen Errungenschaften nicht weit. Wie real diese Gefahr ist, sehen wir an hier im Hause vorgetragenen Wünschen nach ‚Reinigung des deutschen Volkskörpers von Wucherungen‘, wir sehen es an pogromartigen Versuchen, Rechtsstaatlichkeit dem als Volksempfinden propagierten Willen von Faschisten, alten und neuen Nazis oder diversen kruden Verschwörungstheorien unterzuordnen. Deren Kampfbegriffe zu übernehmen, ohne diese Verknüpfungen und Bedeutungen zu übernehmen, ist schlichtweg nicht möglich. Sie mit einem universellen und für alle tragbaren Gehalt zu füllen, auch nicht.

Unsere Identität heißt Vielfalt, war in den letzten Wochen vielerorts zu lesen. Richtig. Deshalb werben wir dafür, Heimat Heimat und Identität Identität sein zu lassen und nicht zu versuchen, dass zitierte Loch mit politischen Appellen an die Gefühlsebene zu füllen, sondern mit Lebensperspektiven und einer nicht nur gefühlt argumentierten und messbaren Verbesserung von Lebensqualität.

Und weil ja auch viel von Zusammenhalt die Rede war und diese Regierungserklärung ja augenscheinlich auch die Funktion haben soll, den Innenminister als künftigen Ministerpräsidenten in Stellung zu bringen, auch dazu einige Bemerkungen: Ist es ihr Verständnis von Zusammenhalt und Förderung von zivilgesellschaftlichem Engagement, Menschen die sich gegen Rechtsextremismus engagieren als Linksextremisten zu diskreditieren? Ist es ihr Verständnis von gelebten Zusammenhalt, Vereinen, die gegen nicht ein einziges Förderkriterium verstoßen und die im Auftrag des Landes unverzichtbare Arbeit leisten, mit Fördermittelentzug zu drohen und die Auflösung nahezulegen, wenn Sie ihren Vereinszweck nicht nach ihrem politischen Willen verändern? Ist es ihr Verständnis von Zusammenhalt wenn sie mit der Vortäuschung von Faktenwissen aus ihrem Amt heraus via Interview in eine kriminelle Ecke stellen? Ist es ihr Verständnis von Zusammenhalt, wenn entgegen jeder Expertise, der Ministerpräsident darüber spekuliert, wie er Menschen die sich aus dem Bürgerkriegsland Syrien hierher flüchten konnten, möglichst bald wieder loswerden kann?

Nicht zuletzt: ist es ihr Verständnis von gelebtem Zusammenhalt, ihren eigenen Koalitionspartner zu brüskieren und lieber mit Rechtsextremen abzustimmen? Ist es ihr Verständnis von Zusammenhalt, Menschen die Chance zu nehmen, sich ein zu Hause aufzubauen, indem sie sie 1 1/2 Jahre kasernieren?

Unser Verständnis von Zusammenhalt ist das nicht und es stellt sich gerade mit Blick auf die Zukunft die Frage, mit wem Sie da eigentlich zusammenhalten wollen und gegen wen sich diese Form des Zusammenhaltes wenden wird. Das gilt natürlich nicht nur für Sie Herr Minister, sondern für die gesamte CDU-Fraktion. Mit Blick auf die heutige Regierungserklärung, auf das Agieren der CDU in dieser Koalition und auf ihr persönliches bleibt für meine Fraktion festzuhalten: Nichts davon bringt eine greifbare Verbesserung der Lebenssituation von Menschen in Sachsen-Anhalt, nichts weist sie als besonders guten Innenminister aus, als guten Ministerpräsidenten in spe erst recht nicht.