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Eva von Angern zu TOP 4: Entwurf eines Gesetzes zur Gewährleistung einer paritätischen Zusammensetzung der Verfassungsorgane des Landes Sachsen-Anhalt mit Frauen und Männern

Anrede

Es war die erste Amtszeit der ersten Bundeskanzlerin in unserem Land, als Angela Merkel im Kanzleramt eine Beobachtung machte. Vielmehr gab es etwas, das sie am Kanzleramt ausdrücklich nicht beobachten konnte: schwangere Frauen. Grund dafür war nicht etwa, dass es im Kanzleramt keine bzw. keine entsprechend jungen Frauen gab. Nein, Grund war, dass auf der Referentinnen - Ebene jede Mitarbeiterin neben dem Kanzleramt noch ein sogenanntes „Mutterhaus“ hatte, in das sie sofort zurückgeschickt wurde, sobald sie schwanger war.

Die Begründung dafür war: Man brauche im Kanzleramt die volle Leistungsfähigkeit. Nun ist müßig zu ergründen, wer einst wann die Grundentscheidung für dieses Verfahren traf. Entscheidend ist vielmehr, dass Frau Merkel dieses Verfahren unverzüglich beendete, wie sie selbst kürzlich berichtete. Und entscheidend ist, dass dieses Beispiel zeigt, welche Welten aufeinandertreffen, wenn Frauen Führungspositionen übernehmen. In diesem Fall eins der wichtigsten Ämter in unserem Land.

Lassen Sie mich auf eine weitere historische Frau blicken: Dr. Elisabeth Selbert. Sie setze fast im Alleingang in den Jahren 1948/1949 Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz durch und ihr wird folgender Satz zugeschrieben:

„Die mangelnde Heranziehung von Frauen zu öffentlichen Ämtern und ihre geringe Beteiligung in den Parlamenten ist doch schlicht Verfassungsbruch in Permanenz.“

Eine ebenso bekannte Frau unserer Geschichte, die erste und bisher einzige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Frau Prof. Dr. Jutta Limbach ergänzte den genannten Satz im Jahr 2014 in wunderbar deutlicher Weise:

„Endlich Halbe/Halbe! Frauen haben in der Demokratie ein selbstverständliches Anrecht auf Teilhabe an politischer und wirtschaftlicher Macht. Erst wenn das Ziel erreicht ist, sind wir in Deutschland in guter Verfassung.“

Genau so und nicht unter dem sage ich allen Frauen in unserem Land. Uns Frauen wird nichts geschenkt, deshalb ist die parteiübergreifende Solidarität bei diesem Thema unendlich wichtig. Nun möchte ich Sie mit nüchternen Zahlen konfrontieren:

Im Landtag von Sachsen-Anhalt waren in der 1. Wahlperiode 106 Abgeordnete gewählt. Davon waren 16% weiblich. In den folgenden Wahlperioden waren immer ca. 30% der Abgeordneten weiblich. Zu Beginn der derzeitigen Wahlperiode waren von den 87 Volksvertreterinnen 23 weiblich. Inzwischen sind nur noch 21 Frauen Abgeordnete im Landtag von Sachsen-Anhalt. Das sind 21%. Das ist seit dem Jahr 1994 ein deutlicher Tiefpunkt.

Unser Landtag ist im Länderranking bundesweit der Landtag mit dem geringsten Frauenanteil. Wer von Ihnen schon mehrere Wahlperioden als Abgeordnete tätig sein darf, weiß auch ohne wissenschaftlichen Nachweis, dass das Folgen hat. Folgen für die Themen, die im Haus gesetzt werden, für Schwerpunkte, die gebildet werden und auch für das politische Klima. 

In meiner Fraktion finden Sie 16 Abgeordnete: davon sind 9 weiblich. Das sind 56,25 %. Wir haben geliefert. Schau ich mir die gesamte Entwicklung in Sachsen-Anhalt an, stelle ich fest, dass wir damit alleine sind. Bei Bündnis 90/ Die Grünen, meiner Partei, aber auch zum Teil in der SPD wird Parität durch die entsprechenden Normen in den jeweiligen Wahlordnungen der Parteien erreicht. Solche Wahlordnungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich und wären aus meiner Sicht der beste Weg hin zu einem paritätisch besetzten Landtag. Allein darauf zu warten oder zu hoffen, erscheint mir sinnlos.

Klar ist:

Die gewünschte Parität wird nicht mit netten Sonntagsreden und Bekenntnispolitik oder mit Hoffnung erreicht werden. Also ist es an uns, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, hier zu handeln und den Weg klar zu benennen. Diese Erkenntnis ist auch bei unserer Bundeskanzlerin – wenn auch sehr spät gereift:

Zitat Angela Merkel, aus Anlass von 100 Jahren Frauenwahlrecht am 12.11.2018:

„Die Quoten waren wichtig, aber das Ziel muss Parität sein.“

In diesem Satz wird deutlich, dass auch sie die begrenzten Möglichkeiten der Selbstbekenntnisse erkannt hat. Sie hat im Jahr des 100. Geburtstages des Frauenwahlrechtes erkannt, dass wenn wir weiter im Schneckentempo die Gleichstellung von Mann und Frau umsetzen, alle aktuell lebenden Frauen dieses Ziel nicht mehr erreichen. Vielleicht nutzt sie noch die letzten Monate ihrer Kanzlerschaft, um ähnlich wie bei der „Ehe für alle“ den entscheidenden Schritt zu gehen. Nur Mut, Frau Kanzlerin!

Dass Handlungsbedarf besteht, eint zumindest die Vertreter*innen von CDU, LINKEN, SPD und Bündnis 90/ Die Grünen. Dies ist spätestens mit der Berichterstattung in der Volksstimme anlässlich des 100. Geburtstages der ersten Rede einer Frau in einem deutschen Parlament deutlich geworden. Das ist dem Grunde nach erst mal gut so. Lassen Sie uns daher in den parlamentarischen Diskurs über den besten Weg zum Ziel eintreten.

Ihre Koalitionsvereinbarung lässt eine Prüfung der rechtlichen Möglichkeiten bzw. Schwierigkeiten bei der Einführung eines Paritégesetzes erwarten. Gleichwohl streiten Sie noch immer, über das „Wie“ der Prüfung. Den Ausgang dieses Streites wollen wir nicht abwarten, erscheint uns doch das Zeitfenster günstig, um ernsthaft in die Debatte einzusteigen. Außerdem vertreten wir die Meinung, dass es inzwischen ausreichend Literatur und Gutachten gibt, die die Behandlung eines Gesetzentwurfes bei aller landespolitischer Spezifik möglich machen. Jetzt ist der politische Wille gefragt.

Deshalb hat auch an dieser Stelle meine Fraktion geliefert und Ihnen heute einen Entwurf eines Paritégesetzes vorgelegt. Ich möchte ihn nicht als unfehlbar bezeichnen, bin aber der festen Überzeugung, dass er eine hervorragende Grundlage für die seit geraumer Zeit aus politischer und rechtlicher Sicht sehr kontrovers geführte Debatte ist.

Ich möchte noch einige Gründe für die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes für Sachsen-Anhalt benennen:

Bei der Recherche zum Thema fand ich – dank des Deutschlandfunks folgendes Zitat:

„Können sich die Ehegatten nicht einigen, so muss im Interesse der Familie die Entscheidung der einzelnen Angelegenheit dem Ehegatten übertragen werden, der nach der natürlichen Ordnung von Ehe und Familie, wie sie das Leben selbst entwickelt hat, diese Entscheidung treffen muss. Das ist der Mann.“

(so sah es der Bundesjustizminister Neumayer zu Beginn der 50er Jahre…; und er war immerhin Mitglied der FDP)

Sie werden in der letzten Woche sicher die Diskussion zu einer Debatte im Bundestag mitbekommen haben: Es gab durch eine Rednerin einen Verweis auf die wenigen Frauen der AfD, die in Parlamenten sitzen. Aus den Reihen der AfD-Fraktion war im Bundestag der Zwischenruf zu hören: „Natürliche Auslese!“ Ich könnte diesen Kommentar als „schlicht“ abtun. Doch so einfach ist es eben nicht. Auch dieser Zwischenruf ist der Beleg für einen Rollback in unserer Gesellschaft, der ganz bewusst von ganz rechts befördert wird.

Doch ich sage Ihnen deutlich, auch mit Blick auf aktuelle Debatten, wie den § 219 a und die von Jens Spahn zu § 218 StGB geplante Studie: wenn Frauenrechte eingeschränkt werden, ist das der erste Schritt hin zum Abbau demokratischer Rechte und aus meiner Sicht damit eine Gefahr für unsere Demokratie. Deshalb ist für uns als Fraktion die Herleitung, dass mehr als 50% der in Sachsen-Anhalt lebenden Bevölkerung weiblich ist, auch nur ein Grund für den heute vorgelegten Gesetzentwurf.

Der Verweis einiger Verfassungsrechtler auf die geringe Anzahl weiblicher Mitglieder in den Parteien und einer daraus resultierenden de facto Unterrepräsentanz von Frauen in den Parlamenten mag nicht überzeugen. Parlamente sind Volksvertretungen und nicht Parteimitgliedschaftsvertretungen.

Ein weiterer wesentlicher Grund ist für uns das grundrechtlich in Artikel 3 Grundgesetz verankerte Gebot der Gleichberechtigung von Mann und Frau.In unserer Landesverfassung in Artikel 7 Absatz 2 zu finden.

Es gibt Kolleginnen, die die Auffassung vertreten, dass allein dieses Gebot ausreichend sei, um die Verfassungsmäßigkeit eines Paritégesetzes zu begründen. Bei der Lektüre unseres Gesetzentwurfes konnten Sie erkennen, dass wir den doppelten Boden und eine entsprechende deutliche Formulierung in unserer Landesverfassung vorschlagen. Die Zulässigkeit einfachgesetzlicher Paritéregelungen ist in der Wissenschaft umstritten. Hierzu führte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages aus, dass letztendlich eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes alle Bedenken ausräumen würde. Daher unser Ansinnen, unsere Verfassung entsprechend zu ändern. Wir müssen also nicht mehr über die Zulässigkeit, sondern nur noch über das politische Wollen streiten.

Ich werde an dieser Stelle keinerlei Prognosen für im Raum stehende Verfahren bei Verfassungsgerichten vorwegnehmen. Dies kann und will ich nicht bewerten.

Sehr geehrte Damen und Herren, Frauen sind nicht die besseren Männer und auch nicht die besseren Menschen. Das soll auch dieses Gesetzesvorhaben nicht suggerieren. Doch nicht nur die Wirtschaft hat es erkannt, sondern es ist auch durch Studien inzwischen mehrfach nachgewiesen, dass divers zusammen gesetzte Gruppen zu besseren Problemlösungen kommen.

Und natürlich verbessern sich Chancen von Frauen auf gleichberechtigte Teilhabe und gleichberechtigten Aufstieg signifikant, wenn Frauen paritätisch an der Erledigung von Führungsaufgaben beteiligt sind.Fragen Sie sich doch mal selbst, wer sich in der letzten und in der aktuellen Wahlperiode in der Koalition ganz konkret dafür stark gemacht hat, dass die Quote für Führungspositionen in die Koalitionsvereinbarung oder Verbesserungen für Alleinerziehende oder Frauenhäuser aufgenommen wurde.

Zu einzelnen Normen unseres Gesetzentwurfes:

Änderung der Landesverfassung

  1. Artikel 34 soll um ergänzt werden um die Formulierung:

„Das Land sorgt für die Möglichkeit einer gleichen Repräsentation von Frauen und Männern in gewählten Vertretungen, in der Landesregierung und im Landesverfassungsgericht.“

  1. Entsprechende Folgeänderungen finden sich in den Artikeln 42 Abs. 1, 64 Abs. 1 und 74 Abs. 2.
  2. Die Änderungen zur Zusammensetzung von Landesregierung und Landesverfassungsgericht soll nach unseren Vorstellungen bereits innerhalb dieser Wahlperiode wirksam werden: Wenn ein Mitglied aus der Landesregierung oder dem Landesverfassungsgericht ausscheidet, muss die Nachbesetzung bzw. Nachwahl entsprechend zur paritätischen Besetzung führen.

Beim Landesverfassungsgericht ist es an uns, ggf. eine Anpassung bei der Anzahl der RichterInnen auf acht Mitglieder vorzunehmen. Das würde uns übrigens die Möglichkeit eröffnen, dem berechtigten Wunsch der Anwaltschaft in Sachsen-Anhalt auf einen Vertreter/ eine Vertreterin aus ihren Reihen im LVerfG nachzukommen. Lassen Sie uns auch das ergebnisoffen diskutieren.

Änderung des Wahlgesetzes

Anzahl der Wahlkreise

Sie erinnern sich, dass wir mit der letzten Parlamentsreform entschieden haben, die Zahl der Wahlkreise für die achte Wahlperiode auf 41 zu senken. Meine Fraktion schlägt mit dem vorliegenden Gesetzentwurf vor, die Zahl der Wahlkreise auf 22 zu senken. Würden wir die Zahl der Wahlkreise belassen, hätten wir in der achten Wahlperiode mit den weiteren von uns vorgeschlagenen einen übergroßen Landtag, was wohl kaum vertretbar wäre und zu immensen Kosten führen würde. Zu den vorgeschlagenen 22 Wahlkreisen werden wir in die Ausschussberatungen auch einen konkreten Vorschlag für die neu einzuteilenden Wahlkreise einbringen. Unser Vorschlag macht aus verschiedenen Gründen auch regionalpolitisch Sinn. Doch das lassen Sie uns en détail im Ausschuss besprechen.

Alternierende Landeslisten

Das Modell der alternierenden Listen folgt dem Brandenburger Gesetz und hat allein für sich gesehen mindestens zur Folge, dass ein Viertel des Parlamentes weiblich besetzt ist. Daher haben wir uns dafür entschieden, einen Schritt weiter zu gehen und auch in den Wahlkreisen die Geschlechterparität zu verfolgen, um tatsächlich eine Gesamtparitätische parlamentarische Vertretung zu realisieren. Bewerber, die die strikt alternierende Reihenfolge durchbrechen, werden von der Liste gestrichen.

Tandems in Wahlkreisen/ Verringerung der Anzahl der Wahlkreise

Zukünftig sollen in jedem – neu regional zu definierenden – Wahlkreis ein Mann und eine Frau gewählt werden können. Das bedeutet nicht, dass jede Partei gezwungen sein wird, auch tatsächlich einen Mann und eine Frau aufstellen muss. Doch klar ist: jeder Wahlkreis soll durch eine Frau und einen Mann im Landtag vertreten sein. WählerInnen können Mann und Frau derselben Partei wählen, müssen aber nicht. Sie können zukünftig drei Stimmen vergeben: eine Stimme für eine Kandidatin, eine Stimme für einen Kandidaten und eine Stimme für eine Partei. Gewählt ist der Mann, mit den meisten Stimmen auf der „Männerliste“ und die Frau mit den meisten Stimmen auf der „Frauenliste“. Wir wollen das Recht der Einzelbewerber ausdrücklich nicht beschneiden, würden darin verfassungsrechtliche Bedenken sehen. Daher haben wir hieran nichts geändert.

3. Option

Hinsichtlich der „Dritten Option“ haben wir uns für den Brandenburger Weg entschieden. Es bedarf einer Entscheidung, die ausdrücklich nur für den Wahltag gilt, welchem Geschlecht man für den Wahlakt zugehörig ist. Sollte im Zuge der Gesetzesberatung eine bessere Regelung gefunden werden, zeigen wir uns hierfür ausdrücklich offen.

Lassen Sie mich noch kurz auf das Stichwort: „Freikaufen“ eingehen. Gemeint sind nach dem französischen Vorbild finanzielle Sanktionen für Parteien, die die Frauenquote nicht erfüllen. Hiergegen stehen zum einen verfassungsrechtliche Bedenken im Raum. Zum anderen will ich nicht, dass Parteien sich frei kaufen können. Unser Ziel ist die paritätische Besetzung des Landtages. Im vorgeschlagenen Weg sehen wir die Erreichung dieses Ziels als möglich an.

Zwischenzeitlich liegt uns auch eine erste rechtsformale Einschätzung des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes vor. Diesen werden wir formal auch dem Rechtsausschuss zur Verfügung stellen und damit in die Debatte im Ausschuss einführen.

Anrede,

Der Landtag von Brandenburg ist einen wesentlichen für unsere Demokratie sehr bedeutenden Schritt gegangen. Lassen Sie uns gemeinsam auch in Sachsen-Anhalt diesen und bitte noch weitreichender wirkenden Schritt gehen! Ein Schritt zur tatsächlichen Gleichstellung von Männern und Frauen – auch in der parlamentarischen Repräsentanz.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!