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Wulf Gallert zu TOP 7: Meinungs- und Kunstfreiheit im Internet verteidigen – EU-Urheberrechtsreform überarbeiten und Uploadfilter ablehnen

In den letzten Wochen und Monaten wurden wir Zeugen einer harten Auseinandersetzung um eine Richtlinie der EU zur Urheberrechtsreform. Das Interessante an dieser Auseinandersetzung ist, dass sich dazu in der Bundesrepublik Hunderttausende, wenn nicht Millionen Menschen dazu artikuliert haben. In vielen Städten Europas gab es Demonstrationen vor allem von jungen Leuten zu diesem Thema, nur in der politischen Debatte in den Parlamenten und in Zeitungen und Rundfunk fand diese Debatte relativ wenig statt, und wenn, dann häufig auf einem Niveau für das der Merkelsche Begriff „Neuland“ schon fast eine Untertreibung ist.

Dabei geht es hier um sehr sehr viel. Es geht um die Lebensrealität vieler Menschen in diesem Land und es geht um eine wirtschaftliche Dimension, die durchaus mit der hierzulande so geliebten Autoindustrie vergleichbar ist. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir vor diesem Hintergrund die Intensität der netzpolitischen Debatte im Parlament, beispielsweise mit der Debatte über die Wolfsichtungen in Sachsen-Anhalt vergleichen, brauchen wir uns nicht über das Legitimationsdefizit institutionalisierter Politik vor allem unter jüngeren Menschen zu wundern.

Vielen von uns fällt es offensichtlich schwer, die Konflikte, die hier ausgetragen werden, zu verstehen. Zumal wie üblich bei solch wirtschaftlich bedeutsamen Themen alle interessierten Seiten mit Informations-  oder besser Desinformationskampagnen versuchen, die argumentative Hoheit zu erringen. Lassen Sie mich dazu ein Beispiel nennen. Die CDU-/CSU-Gruppe im EP hat auf ihrem Twitterkanal eine Umfrage gestartet. Da wurde dann völlig wertfrei gefragt: „Wer soll in erster Linie an den Werken von Künstlern, Musikern und Kreativen verdienen? A die Urheber der Werke, B Facebook, Google und Co? Diese Umfrage war ein voller Erfolg. Mehr als 33.000 Menschen beteiligten sich daran. Es gab sage und schreibe 2.000 Kommentare dazu. Das ist für einen Twitteraccount mit einer Reichweite 3.600 Followern ein riesiger Erfolg. Allerdings erstaunt das Ergebnis. Obwohl die Frage nach dem Muster gestrickt war, bist du für oder gegen den Frieden?, stimmten sage und schreibe 76 % für Facebook, Google und Co. Zu unserer großen Überraschung scheinen die Urheber der Umfrage mit diesem Ergebnis nicht mehr zu argumentieren.

Lassen Sie mich ein zweites Beispiel anführen. Auf dem gleichen Twitterkanal wird die Position des Musikproduzenten Micki Meuser verbreitet. Der macht sich für die vorliegende Urheberrechtsreform  stark und erzählt tatsächlich, dass diese vorliegende Urheberrechtsreform nichts mit Zensur und Uploadfiltern zu tun hat. Und wenn diese Urheberrechtsreform kommt, diejenigen, die z. B. bei youtube etwas runterladen wollten, dann rechtssicher wären. Letzteres übrigens stimmt gar nicht, weil die vorliegende Richtlinie zur Urheberrechtsreform keinesfalls die Nutzer dieser Plattformen von der Haftung ausschließt. Interessanterweise verkündet daraufhin aber der Sprecher der CDU-nahen Arbeitsgemeinschaft Digitalpolitik mit dem Namen C-Netz, dass die CDU nunmehr für ihn bei der Europawahl unwählbar geworden ist.

Worum geht es eigentlich in dieser so hart geführten Auseinandersetzung? Es geht darum, dass neben dem sogenannten Leistungsschutzrecht, nach dem beispielsweise der Verweis auf Zeitungsartikel in Internetsuchmaschinen bereits Urheberrechte verletzen würde (Artikel 11), nun im Artikel 13 der vorgelegten EU-Richtlinie alle Internetplattformen, bei denen Internetnutzer eigene Inhalte aufladen können, nicht wie bisher diejenigen für die Verletzung von Urheberrechten herangezogen werden können, die diese Inhalte dort einstellen, sondern zuerst die Plattformen, bei denen das geschieht. Währenddessen bisher eine Urheberrechtsverletzung angezeigt werden muss und die Plattform dann diese Inhalte löschen muss, soll es jetzt bereits strafbar sein, dass urheberrechtlich geschützte Dinge überhaupt auf solchen Plattformen auftauchen. Nun benötigt man nicht sonderlich viel Phantasie, um sich vorstellen zu können, dass die Entscheidung, mit welchem Beitrag Urheberrechte verletzt werden und welche nicht, eine ausgesprochen schwierige ist. Manche dieser Auseinandersetzungen vor Gericht dazu dauern Jahre. Schon bei einer kleinen Plattform mit mehreren tausend Nutzern ist es völlig unmöglich, dass einzelne Menschen jeweils diese Frage entscheiden können, bevor ein Inhalt auf einer solchen Plattform eingestellt ist. Die großen kommerziellen Anbieter mit Millionen Nutzerzahlen, um die es hier geht, sind deshalb ganz klar darauf angewiesen Algorithmen zu entwickeln, also Filter, die von sich aus erkennen, ob irgendwo Urheberrechte verletzt sein können. Diese Programme entscheiden dann darüber, welche Inhalte noch erscheinen dürfen und welche blockiert werden. Übrigens ein Verfahren, das, wenn es einmal eingeführt ist, sehr wohl in der Lage ist, nicht nur kommerziell, sondern auch politisch zu filtern. Wie solche Dinge laufen, können wir uns in China gerade anschauen. Das sind Möglichkeiten, auf die allerdings auch ein Urban, Kaczynski oder Salvini innerhalb der EU interessiert schauen. Der Internetexperte Sascha Lobo, übrigens vor nicht allzu langer Zeit mal Mitglied eines SPD-Kernteams, schrieb zu dem Argument, dass solche Uploadfilter ja gar nicht in der EU-Richtlinie drin stehen, dass dies auch überhaupt nicht nötig sei. Vergleichbar ist es mit dem Argument, dass man zwar eine Regel aufstellt, dass jemand von Berlin nach New York innerhalb von 10 Stunden kommen soll, aber würde ihn ja nicht dazu zwingen ein Flugzeug zu nehmen.

Unterm Strich bleibt also stehen, dass über die Inhalte, die wir ins Netz stellen können, ein Algorithmus entscheiden wird, der von Konzernen im Interesse maximaler Gewinnerwirtschaft ohne irgendeine Kontrolle erstellt wird. Übrigens hat youtube für solche Filter bereits 100 Mio. Dollar ausgegeben und die Kritiken dazu bezeichnen die Funktionalität dazu überwiegend schlecht bis miserabel.

Kommen wir nunmehr auf die oben bereits erwähnte Umfrage der CDU-/CSU-Parlamentarier zurück  und die Frage, warum sich massenhaft die wirklich kleinen Kreativen und Urheber gegen diese Richtlinie, die angeblich für ihre Interessen steht, wenden und dafür die großen Fische, wie der vorhin erwähnte Micki Meuser, dafür einsetzen. Die Idee besteht im Wesentlichen darin, dass alle kommerziellen Internetplattformen, Lizenzverträge mit Verwertungsgesellschaften abschließen, beispielsweise VG Wort oder Verlage, und die Künstler dann im Einzelnen davon profitieren werden. Schaut man sich allerdings die Lobbyisten an, die aus Deutschland für diese Urheberrechtsreform stehen, sind das nicht etwa Künstler, sondern eben diese Verwertungsgesellschaften und die großen Verlage wie Berthelsmann und Springer. Der Grund dafür ist einfach. Diejenigen Kreativen, die aus diesen Verwertungsgesellschaften praktisch keinen Nutzen ziehen, wissen, dass durch diese faktische Zensur des Internets es eher schwieriger wird, ihre Ideen zu verbreiten und sie am Ende nichts davon haben werden. Diejenigen Kreativen, die für Verlage arbeiten, verlieren durch ihre Vertragsgestaltungen ihre Rechte ohnehin an diese Verlage. Fairerweise muss man gestehen, dass in diesem Bereich die ursprüngliche Richtlinie des Europäischen Parlaments der Urheberrechtsreform in den Artikeln 14 bis 16 wirklich Verbesserungen vorsah, die die Position von Urhebern gegenüber Verwertungsgesellschaften und Verlagen gestärkt hätte. Allerdings sind durch die Verhandlungen des Ministerrats diese Verbesserungen wieder weggefallen. Unterm Strich kann man zusammenfassen: Nichts ist gut an dieser Urheberrechtsrichtlinie! Und deshalb finde ich es ausdrücklich richtig, dass die linken Europaabgeordneten aus Deutschland geschlossen gegen diese Richtlinie gestimmt haben. Währenddessen die CDU/CSU geschlossen dafür stimmt, stimmten die Europaabgeordneten von SPD und GRÜNEN bisher überwiegend für diese Form der Einschränkung der Meinungsfreiheit im Internet. Meine Hoffnung ist, dass wir durch die öffentliche Debatte auch bei uns hier in Sachsen-Anhalt die Mehrheitsverhältnisse im EP ändern und diese entscheidende Fehlentwicklung mit einer entsprechenden Ablehnung im Europaparlament stoppen können.

Es gibt seit Jahren andere und vor allem wirkungsvollere Wege, eine Umverteilung der Einnahmen  aus den genannten Plattformen hin zu den Urhebern vorzunehmen. Lassen Sie uns in der politischen Debatte diese weiterverfolgen und wirklich die Interessen der Kreativen und nicht die der Verlage und Verwertungsgesellschaften in den Mittelpunkt stellen, die mit diesem Verstoß Meinungsfreiheit einschränken und eine Internetzensur vorbereiten.