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Thomas Lippmann zu TOP 9b) Sicherung des Unterrichtsangebots an Sekundär- und Gemeinschaftsschulen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir sind von unserem Bildungsminister ja schon einiges an Überraschungen und negativen Schlagzeilen gewohnt. Aber dass er sich zum Ende seiner Amtszeit gerade die Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen noch einmal vorknöpft und sie erneut zur Ader lässt, schlägt dem Fass wirklich den Boden aus. Zum dritten Mal innerhalb von nur sechs Jahren soll die Lehrerzuweisung für diese Schulen noch einmal um etwa 5 Prozent abgesenkt werden.

Der Minister versucht sich damit herausreden, dass er die Lehrkräfte eben nicht hat und keine Potjomkinschen Dörfer bauen will. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Mit der Absenkung der Bedarfszuweisung gaukelt er der Öffentlichkeit zum wiederholten Mal eine Unterrichtsversorgung vor, die es tatsächlich gar nicht gibt. Das, Herr Minister, bezeichnet man als Potjomkinsches Dorf. Sie wollen lediglich verhindern, dass kurz vor der nächsten Wahl das erste Mal in der Geschichte des Landes die Unterrichtsversorgung für ganze Schulformen unter 90% sinkt. Sie wollen wieder mit diesem Taschenspielertrick die Unterrichtsversorgung auf dem Papier aufhübschen.

Die bittere Realität aber ist, dass der Lehrkräfteeinsatz an den Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen seit dem Schuljahr 2013/14 um fast 25 Prozent gesunken ist. Im diesen sieben Jahren ist die Schülerzahl um mehr als 12 Prozent gestiegen, während gleichzeitig der erteilte Unterricht um fast 12 Prozent gesunken ist.

Minister Tullner verwüstet diese Schulformen. Und sagt dann den Lehrkräften, den Eltern und den Schülerinnen und Schülern, dass sie sich in dieser Wüstung einrichten sollen. Denn durch die Kürzung der Zuweisung bekennt er nicht nur, dass er nicht in der Lage ist, die erforderlichen Lehrkräfte zu finden, er sagt den Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern auch, dass sie diese Lehrkräfte gar nicht brauchen und deshalb auch künftig nicht mehr bekommen werden.

Das verbindliche Unterrichtsangebot wird mit dem jetzigen Organisationserlass drastisch eingeschränkt. Die Wahlpflichtkurse und damit faktisch auch die zweite Fremdsprache fallen komplett weg. Musik oder Kunst soll ab der 7. Klasse abgewählt werden. Und in den Kernfächern, in den Naturwissenschaften und in den Profilfächern Wirtschaft und Technik soll sich der Unterricht im Umfang von durchschnittlich 5 Stunden in der Woche nur nach den Möglichkeiten der einzelnen Schulen richten, ohne einen verlässlichen Anspruch auf konkrete Unterrichtsinhalte. Das ist keine Allgemeinbildung mehr, was künftig an unseren Sekundarschulen und den Gemeinschaftsschulen noch übrigbleibt. Sie sind als Totengräber in unserem Schulsystem unterwegs, Herr Minister!

Noch vor fünf Jahren lag Sachsen-Anhalt mit seinem Unterrichtsangebot in den Schulen der Sekundarstufe I mit an der Spitze aller Bundesländer. Seitdem hat Sachsen-Anhalt den größten Einbruch bei der Lehrkräfteversorgung zu verzeichnen und war bereits im letzten Schuljahr ins untere Drittel abgerutscht. Mit den Einschnitten zum kommenden Schuljahr wird Sachsen-Anhalt die Rote Laterne aller Bundesländer übernehmen. Damit wiederholt sich an den Sekundar- und Gemeinschaftsschulen die gleiche Entwicklung, wie sie zwei Jahre zuvor schon an den Grundschulen eingeleitet wurde. Hier haben wir die Rote Laterne bereits übernommen.

CDU und SPD haben ganze Arbeit geleistet. Mit Ausnahme der Gymnasien ist Sachsen-Anhalts Schulsystem in allen anderen Schulformen zur Resterampe verkommen. Seit Ministerpräsident Haseloff die Landesregierungen führt, wurde das einstmals gute Schulsystem des Landes ruiniert. Er hat sich nie wirklich dafür interessiert, was mit unseren Schulen und der Unterrichtsversorgung passiert. Er hat die vielfältigen Proteste gegen die Personalpolitik seiner Finanz- und Bildungsminister an sich abprallen lassen.

Das nenne ich ein kollektives Versagen: des Bildungsministers, des Ministerpräsidenten und der Koalition. Die Sekundar- und Gemeinschaftsschulen gelten in Sonntagsreden gern als Rückgrat für den Nachwuchs in der regionalen Wirtschaft und im Handwerk, für die Kinderbetreuung und das Pflegesystem, für Handel und Gastronomie und für viele andere Brachen. Doch durch die reale Schulpolitik dieser Landesregierung und der Koalition werden diese Schulen praktisch aufgegeben.

Dem treten wir mit unserem Antrag auf breiter Front entgegen. Der Landtag muss dem Minister in den Arm fallen und ihn veranlassen, nicht nur die aktuellen Kürzungen zurückzunehmen, sondern auch die Kürzungen aus dem Schuljahr 2017/18. Und dann müssen alle Anstrengungen im Ministerium und im Landesschulamt darauf gerichtet werden, endlich wieder mehr Lehrkräfte einzusetzen. Da kann man sich in Sachsen oder auch in Mecklenburg-Vorpommern einiges abschauen.   

Auch in den anderen ostdeutschen Bundesländern gibt es Probleme und auch dort werden Fehler gemacht. Aber sie werden dort schneller erkannt und korrigiert. In Sachsen-Anhalt hat bisher nur die SPD zu erkennen gegeben, dass sie aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und Konsequenzen gezogen hat. Die CDU, Bildungsminister Tullner und Ministerpräident Haseloff allerdings meinen, sie können so weitermachen wie bisher.

Dem Wirtschaftsflügel der CDU muss klar werden, dass man sich nicht über mangelhafte Leistungen der Schulen beklagen darf und sich nicht über die fehlende Berufsbildungsreife der Azubis aufregen kann, wenn man sich einen solchen Bildungsminister und eine solche Schulpolitik leistet. Dann muss man die Konsequenzen auch klaglos ertragen. Von nichts kommt auch nichts, meine Herren.

Ich komme jetzt zum Schulgesetz. Mit ihrer Schulgesetznovelle liefert uns die AfD zum Ende der Legislatur noch einmal einen umfassenden Nachweis für ihr inhumanes Menschenbild. In ihren Vorstellungen von Selektion und Paukschule haben Bildungsgerechtigkeit und Demokratisierung keinen Platz. Die AfD will jeden Ansatz davon aus unserem Schulgesetz eliminieren.

Selektieren und wegsperren, was nicht ihrer Vorstellung von einem gesunden Volkskörper entspricht, das gehört zur DNA der AfD. Pädagogik, Förderung und individuelle Entwicklung sind Fremdworte für die AfD. Förderung und Chancengerechtigkeit für alle Schülerinnen und Schüler sind der AfD so zuwider, dass sie uns mit einem solchen Machwerk behelligt.

Die AfD will, dass Schülerinnen und Schüler mit erhöhtem Förderbedarf nicht mehr an Regelschulen gefördert werden können, so wie es ihrem Recht aus der UN-Behindertenrechtskonvention entspricht. Sie sollen zwangsweise in Förderschulen eingewiesen werden. Darüber sollen Behörden entscheiden, ohne Mitsprache der Eltern und ohne förderpädagogische Gutachten und sie sollen dort auch nur weggesperrt werden und keine regulären schulischen Abschlüsse mehr erwerben können. Das würde auch Schülerinnen und Schüler an Förderschulen für Körper- und Sinnesschädigungen betreffen, die heute alle schulischen Abschlüsse bis hin zum Abitur erwerben können. Was für eine perfide Vorstellung. Es gäbe keine blinden, stummen oder tauben Wissenschaftler mehr und keinen Stephen Hawking.

Sachsen-Anhalt steht immer wieder am Pranger, weil es bei uns eine extrem hohe Zahl an Schulabbrechern gibt, die die allgemeinbildenden Schulen ohne regulären Schulabschluss verlassen. Der Hauptgrund für diese hohe Zahl an Schulabbrechern liegt in dem extrem hohen Anteil an Schülern in den Förderschulen für Lernen, Sprache und für Verhaltensauffälligkeiten. Wenn es nach dem Willen der AfD geht, würden an diesen Förderschulen etwa 10% der gesamten Schülerschaft landen. Bei diesen Schülerinnen und Schülern handelt es sich aber gar nicht um Behinderungen. Es handelt sich fast ausschließlich um Benachteiligungen im sozialen Umfeld. Nach dem Willen der AfD soll das Schulsystem hier keinen Ausgleich mehr schaffen. Die AfD will, dass das Schulsystem die soziale Ungleichheit verfestigt und somit zur Milieu- und Ghettobildung in der Gesellschaft beiträgt.   

In ihrer ideologischen Verblendung ist die AfD auch nicht in der Lage, die ökonomischen Auswirkungen einer Schulpolitik zu erfassen, die vor allem auf Ausgrenzung und Abstieg setzt. Nach dem letzten Bildungsmonitor sinkt die Zahl der höheren Schulabschlüsse – und zwar sowohl bei den Abituren als auch bei den Realschulabschlüssen, während die Zahl der Schulabbrecher steigt. Das sind extrem negative Perspektiven für die Zukunft des Landes. Auf der einen Seite werden die jungen Leute Schwierigkeiten haben, ihren Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu finden und auf der anderen Seite wird sich für die einheimische Wirtschaft der Fachkräftemangel noch weiter verschärfen. Die Schulpolitik der AfD ist also nicht nur inhuman, sie ist auch wirtschaftsfeindlich.   

Mit diesem Erkenntnisdefizit ist die AfD allerdings nicht allein. Auch der Bildungsminister und mit ihm die CDU sind ja der Meinung, dass man die Förderung im gemeinsamen Unterricht an Regelschulen wieder zurückfahren und stattdessen das Förderschulsystem mit mehr Schülereinweisungen stabilisieren sollte.

Eine Überarbeitung unseres Schulgesetzes ist auch aus unserer Sicht dringend erforderlich. Aber nicht im Sinne der Antipädagogik der AfD und nicht mehr unter der Verantwortung dieses Bildungsministers. Minister Tullner hatte ja schon für die letzte Novelle weder Lust noch Ideen.

Die schulpolitische Bilanz der CDU und des Ministers ist desaströs. Unter dem Strich gibt es lediglich die missratenen Regelungen zu den Grundschulverbünden und zum Vorbereitungsdienst für Seiteneinsteiger, die beide bisher nicht in Gang kommen. Es gibt einen Kulturkampf gegen die Gemeinschaftsschulen und ein endloses Theater um die Finanzierung der Schulen in freier Trägerschaft, das bis heute nicht beendet werden konnte. Es gibt weder einen Plan für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zur Inklusion noch ein Konzept für das künftige Förderschulsystem. Und letztlich ist im Hinblick auf die Evaluation und Schulentwicklung in dieser Legislatur alles zum Erliegen gekommen, was in den Jahren zuvor aufgebaut wurde. An unseren Schulen herrscht unter Minister Tullner im besten Fall Stillstand und Friedhofsruhe, in vielen Fällen aber Rückschritt und Resignation. 

Das alles und manches mehr muss mit dem Beginn der nächsten Wahlperiode neu in Angriff genommen werden. Egal welche Regierungskonstellation die nächste Wahl ermöglicht, man kann für Sachsen-Anhalt nur hoffen, dass die CDU nicht wieder das Bildungsministerium besetzt und Minister Tullner höchstens wieder der Abgeordnete Tullner sein wird.