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Thomas Lippmann zu TOP 2: Regierungserklärung des Ministerpräsidenten "Wege aus der Krise"

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

eine Pandemie, wie wir sie alle erstmalig erleben, hat viele Schattenseiten. Sie deckt Defizite auf, die schon lange vorher entstanden sind und sie bringt neue krisenhafte Entwicklungen hervor. Es gibt nicht nur eine Corona-Krise, es gibt derer viele.

Der Ministerpräsident hat uns bei der Ankündigung seiner Regierungserklärung etwas im Unklaren gelassen, aus welcher dieser Krisen er dem Land einen Weg in die Zukunft weisen will. Den Sachsen-Anhalt-Plan kannten wir ja schon länger und seine Umsetzung in der 6. Eindämmungsverordnung auch. Darüber war also nicht mehr viel zu erfahren.

Worüber muss also gesprochen werden, wenn es um die Corona-Folgen und Wege aus den Krisen geht? Die Maßnahmen der Bundes- und Landesregierung zur Eindämmung der Pandemie haben in zweifacher Weise massiv in unseren gewohnten Alltag eingegriffen: Die physischen Kontakte wurden über längere Zeit so rigoros begrenzt, dass praktisch alle Strukturen unseres sozialen und kulturellen aber auch unseres demokratischen Zusammenlebens auf Eis gelegt wurden, weil Menschen nicht mehr zusammenkommen konnten.

Und dann wurden Produktion und Konsum und die damit verbundenen Geldflüsse in vielen Branchen stark eingeschränkt oder ganz unterbrochen. Es wurde schnell klar, dass sich hieraus eine Wirtschaftskrise ergeben würde. Und um die hat sich dann ja vom ersten Tag an auch fast alles gedreht. So wie auch heute in der Regierungserklärung. Dabei ist es unbestritten, dass sich die Politik natürlich auch mit den wirtschaftlichen Folgen der staatlichen Eingriffe auseinandersetzen muss.

Nun sind Wirtschaftskrisen aber nichts Neues im Kapitalismus, nur der Anlass ist diesmal ungewohnt. Der Wirtschaft wurde schon immer mit Steuergeld ausgeholfen, wenn es mal eng wurde. Da sind die Mechanismen durchaus erprobt, das sieht man ja an den schnellen und umfangreichen Hilfsprogrammen der Bundesregierung aber auch der EU und nicht zuletzt auch des Landes selbst.

Und wie immer, wenn durch politische Entscheidungen große Geldmengen verteilt werden, versuchen Lobbygruppen ein möglichst großes Stück vom Kuchen abzubekommen. Wie viel Geld erforderlich ist und wer es bekommen muss, darum wurde und wird wie immer gestritten und gekämpft. Dennoch ist diesmal am Ende einiges ganz gut gelungen und man konnte sogar den einen oder anderen Lerneffekt feststellen. Wir begrüßen vor allem, dass einige der Entscheidungen nachhaltig wirken werden.

Ich bin davon überzeugt, dass sich die Wirtschaft am Ende viel schneller erholt, als jetzt prognostiziert wird. Es ist ja nichts kaputt gegangen, sondern nur unterbrochen worden. Wenn die Kontaktbeschränkungen aufgehoben werden können und wieder Geld fließt, springt der Motor auch wieder an. Die wirtschaftlichen Schäden können weitgehend mit Geld behoben werden. Und dass es an Geld nicht mangelt, sollte inzwischen klar geworden sein.

Die wirklichen Krisen aber, die uns beschäftigen müssen, sind die, die im sozialen und kulturellen Bereich bestehen und die tiefer gehen und länger anhalten werden.

Da ist am deutlichsten sichtbar die Krise des Gesundheitssystems, die seit mehr als einem Jahrzehnt herbeiregiert wurde und die sich jetzt in der Pandemiesituation brutal gerächt hat? Die Angst vor dem Zusammenbruch des Gesundheitssystems und dem Mangel an Intensivbetten und Beatmungsplätzen war der zentrale Grund für den radikalen Lockdown mit all seinen Folgen. Jetzt fahren die Krankenhäuser durch ausfallende Behandlungen große Defizite ein. Was war und ist hier der Plan der Landesregierung? Was wird aus dem 700 Mio. Investitionsprogramm, das von der Sozialministerin gefordert wurde? Wie soll Sachsen-Anhalt aus dieser Krise herauskommen? Dazu hat der Ministerpräsident kein Wort gesagt!

Als nächstes schaut man auf die Krise im Bildungssystem. Anders als es der Ministerpräsident hier ausmalt, ist mit großer Ernüchterung festzustellen, dass wegen fehlender Lehrkräfte und ohne digitale Infrastruktur für die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler kein vernünftiges Homeschooling möglich war. Die Bildungsgerechtigkeit ist in diesem Schulhalbjahr noch mehr als je zuvor auf der Strecke geblieben.

Gibt es einen Plan der Landesregierung, diese Defizite zu erfassen und dem Abhängen der benachteiligten Schülerinnen und Schüler gezielt entgegenzuwirken? Gibt es einen Weg, massenhafte Klassenwiederholungen und steigende Zahlen von Schulabbrechern ohne Schulabschluss in den kommenden Schuljahren zu vermeiden? Wie können Nachhilfe und zusätzliche Unterstützung organisiert und finanziert werden? Und nicht zuletzt, wie sollen der angekündigte Regelbetrieb in den Schulen und die Einhaltung der Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen unter einen Hut gebracht werden. Ich habe davon nichts in der Erklärung des Ministerpräsidenten gehört.

Wir haben erfahren müssen, wie fragil und krisenanfällig die Kulturszene im Land ist. Nur mit Mühe ist es gelungen, so viel Unterstützung zu mobilisieren, dass die schlimmsten Auswirkungen auf die persönlichen und beruflichen Existenzen gemildert werden können. Es gab und gibt zu wenig Kontinuität und Verlässlichkeit in der Finanzierung des Kulturbetriebes. Wir erinnern uns an die umkämpften Theaterverträge oder an die unzureichende Finanzierung der Musikschulen, von der Förderung soziokultureller Einrichtungen gar nicht zu reden. Durch die zu engen Spielräume in den Haushalten von Land und Kommunen hängt vor allem die Kultur immer an einem seidenen Faden. In Krisenzeiten droht er schnell zu zerreißen. Wie sieht hier der Pan für die Zukunft aus?

Die Haushalte der Kommunen und die hier zu erwartenden Steuerausfälle wurden kurz angerissen. Hier sollen zumindest die durch Corona bedingten Mindereinnahmen von Bund und Land ausgeglichen werden. Damit wird aber keineswegs die Krise der kommunalen Haushalte gelöst. Auch vorgezogene Zahlungen oder erweiterte Verschuldungsmöglichkeiten helfen nicht auf Dauer. Das sind alles nur kleine Pflaster auf die kommunalen Wunden und sie verhindern auch nur, dass die Probleme im Moment nicht noch größer werden. Doch die bevorstehenden Auseinandersetzungen um die Konsolidierung der kommunalen Haushalte sind schon heute mit den Händen zu greifen.

Denn es gibt weiterhin keine Korrekturen an der zu niedrigen Grundfinanzierung der Kommunen. Durch falsche Weichenstellungen und unfaire Verteilmechanismen wurden und werden viele Kommunen seit Jahren in die Verschuldung und in zermürbende Konsolidierungsprogramm hineinregiert. Ein radikaler Schuldenschnitt durch den Bund und die Ankündigung grundlegender Änderungen im FAG des Landes wären in dieser Ausnahmesituation die richtigen Maßnahmen. Dann hätten viele Kommunen nach Corona eine faire Chance für einen Neustart. Aber dafür gibt es keinen Plan dieser Landesregierung! 

Stattdessen macht bei der CDU immer ein Satz die Runde, wenn es um die Finanzen geht. Und der durfte natürlich auch heute nicht fehlen. Die Drohung mit dem Konsolidierungsbedarf ab 2022 auf den man sich bereits jetzt vorbereiten müsse. Aber auch der Ministerpräsident vermeidet es, wie schon sein Finanzminister oder andere CDU-Redner, etwas genauer darauf einzugehen, was denn damit gemeint ist. Was soll dann wieder abgebaut werden? Welche sozialen Wohltaten werden Sie auf den Prüfstand stellen? Wer muss dann wieder den Gürtel enger schnallen? Sagen Sie den Menschen im Land, welche Einschnitte und Belastungen als Preis für die Corona-Hilfen auf sie zukommen werden, wenn sie weiter die Regierung stellen sollten.

Als vor reichlich zehn Wochen das 500 Mio. Hilfspaket hier auf den Weg gebracht wurde, habe ich eine Diskussion darüber angemahnt, wer am Ende die Zeche bezahlen muss. Weil es dafür angeblich noch zu früh war, hatte Kollegin Pähle dafür geworben, diese Diskussionen nach der Krise hier im Hohen Haus zu führen. Nun weiß ich nicht, wann nach der Krise sein soll, aber inzwischen wird diese Frage immer drängender und von vielen im öffentlichen Raum gestellt.

Die CDU hat diese Frage für sich längst beantwortet. Für sie gilt „Business as usual“ – also wie bisher: Schulden machen und anschließend die Haushalte auf der Ausgabenseite abwürgen, den öffentlichen Dienst ausquetschen, die Infrastruktur verkommen lassen und den Sozialstaat schleifen. Also frage ich die SPD und die Grünen, ob und wann diese Diskussion denn geführt werden soll und mit welchem Ziel?

Für die LINKE sind Schulden nicht per se ein Problem. Zumal dann nicht, wenn jetzt zweifellos schnell Geld mobilisiert werden muss. Aber es macht keinen Sinn, das jetzt benötigte Geld den nächsten Haushalten zu entziehen. Wenn es noch eines Nachweises bedurft hätte, dann wird doch mit der Bewältigung der Corona-Folgen mehr als deutlich, dass die Decke überall zu kurz ist und vergrößert werden muss.

Im Moment sind ja alle in Regierung und Koalition noch damit beschäftigt, sich beim Geldverteilen kräftig auf die Schultern zu klopfen. Aber es kommen die Tage der Wahrheit, spätestens mit den nächsten Steuerschätzungen. Wer in den nächsten Jahren regieren will und noch ein Mindestmaß am Gestaltungsmöglichkeiten haben will, kommt um eine Steuerdebatte nicht herum. Nach meiner Überzeugung auch die CDU nicht.

Die Krisen über die wir zu reden haben und für die wir einen Weg brauchen, sind Krisen politischer Entscheidungen vor der Pandemie, es sind Krisen, die die sozialen Schieflagen verstärken und Bildungsungerechtigkeit verfestigt, die den Staat finanziell weiter aushungern und die Grundfesten unserer Demokratie ins Wanken gebracht hat. Deshalb wachsen die Proteste und die Erwartungen der Menschen an andere Entscheidungen und an eine andere Politik.

Im Moment spricht nicht viel dafür, dass aus diesen Krisen wirklich etwas gelernt wird. Vielmehr besteht derzeit die Gefahr, dass durch die Kriseneffekte neoliberale Politikmuster noch einmal einen Aufwind erfahren und alte Strukturen zementiert werden.

Die wirklichen Krisen infolge der Corona-Pandemie hat der Ministerpräsident nicht im Blick. Was auch geflissentlich überspielt wird, ist die Krise der Koalition und der Landesregierung. In der letzten Sitzung wurde uns ja live vorgeführt, wie es um die Abstimmung und Einigkeit im Kabinett bestellt ist. Nicht nur der Ministerpräsident, sondern auch die Sozialministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin und der Wirtschaftsminister hatten nacheinander die Aktuellen Debatten gekapert, um jeweils eigene Regierungserklärung mit sich widersprechenden Aussagen abzugeben.

Wo gab es also bisher wirklich einen Plan, der funktioniert hat? Bei der Öffnung der Gaststätten vor oder nach dem Himmelfahrtstag? Oder beim Übergang zum Regelbetrieb in Kitas und Schulen? Oder für Finanzierung der Lasten für die z.B. den Hochschulen nun doch bereits jetzt ein Solidarbeitrag abgepresst wird? Nein Herr Ministerpräsident, Sie und ihrer Regierung, sie haben keinen Plan für die Zukunft dieses Landes. Sie leben von der Hand in den Mund und schwanken wie ein Rohr im Wind. Sie sind von den Ereignissen und den Entscheidungen anderer getrieben und lassen ihren Kabinettsmitgliedern freie Hand.

Außer Schulden für die kommenden Generationen aufzuhäufen fällt ihnen nichts ein. Corona ist keine Ausrede für das dringend nötige Umsteuern in der Gesundheits-, Bildungs- und Finanzpolitik. Nur hieraus kann ein Plan für die Zukunft des Landesgeschmiedet werden.

Sehr geehrte Damen und Herren,

nach Monaten des Lockdowns sind ungezählte Menschen mit existenziellen Nöten konfrontiert. Viele sind besorgt, um Großeltern, die nicht besucht werden dürfen. Familienmütter und -väter sind zornig und verzweifelt über die Zustände in den Kitas und Schulen.

Es kommt jetzt darauf an, die Einschränkungen weiter zurückzufahren und dafür ein Frühwarnsystem durch systematische und flächendeckende Tests zu installieren. Wenn so auf neue Infektionsherde unmittelbar und regional begrenzt reagiert werden kann, können die Menschen ihr normales Leben wieder zurückerhalten. Das erwarten die Menschen im Land von uns.