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Thomas Lippmann zu TOP 2: Aktuelle Debatte "Wir brauchen alle - Die Krise in der Lehrkräftegewinnung überwinden!"

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,

vor mehr als einem halben Jahr hat uns Minister Tullner mit dem ihm eigenen Getöse die größte Ausschreibung von Lehrerstellen aller Zeiten verkündet. Inzwischen ist längst klar geworden, dass er damit das bisher größte Desaster erlebt hat. Ein wahres Waterloo!

Es macht einen fassungslos: Von den 900 Stellen, die Mitte Februar ausgeschrieben wurden, waren Mitte Juni – also vier Monate später kurz vor den Sommerferien – sage und schreibe 31 tatsächlich besetzt. Noch einmal zwei Monate später – also zum Schuljahresbeginn – standen gerade einmal 317 neue Lehrkräfte vor den Klassen. Damit wurde nicht einmal die Hälfte der Lehrkräfte ersetzt, die gleichzeitig ausgeschieden sind.

Es sind aber nicht nur die dürftigen Einstellungszahlen und die unfassbar langen Zeiträume für die Bearbeitung der Bewerbungen, die einen wütend machen. Was dem Fass wirklich den Boden ausschlägt, ist die Unfähigkeit, auf die Bewerberlage zu reagieren. Man will es eigentlich nicht glauben: Trotz Hunderter unbesetzter Stellen haben wieder einmal 157 Bewerber mit einer vollen Lehrerausbildung dem Land den Rücken gekehrt, weil ihnen kein Einstellungsangebot gemacht wurde. Wie schon bei Hunderten Bewerbern vor ihnen hat das nichts mit der Qualität der Bewerber zu tun, sondern lediglich damit, dass sie nicht in das Raster der Ausschreibungen passen.

Bei einem Bedarf von mehr als eintausend Neueinstellungen p.a. strampelt sich das Landesschulamt weiterhin damit ab, immer wieder jede Stelle einzeln auszuschreiben, um dann darauf monatelang nutzlose Ranglistenverfahren durchzuführen. Bis man da durch ist, hat sich ein Großteil der Bewerber längst davongemacht. Wir brauchen aber alle, die wir kriegen können und die müssen innerhalb weniger Wochen und nicht erst nach Monaten ihre Verträge in den Händen halten.

Doch der Minister wird uns auch heute wieder erklären, dass er das Verfahren nicht ändern kann, weil es eine Bestenauslese geben muss und jeder die gleichen Chancen auf eine Bewerbung haben muss. Er kann oder will nicht verstehen, dass das längst hinfällig ist, wenn es nicht einmal mehr halb so viele qualifizierte Bewerber, wie Stellen gibt. Es gibt keine Konkurrenz mehr unter den Bewerbern, es gibt nur noch die Konkurrenz um die Bewerber. Und die verlieren wir gerade gnadenlos.

Man wird wirklich wütend, wenn man immer wieder von Bewerbern hört, die an unserem Bewerbungssystem scheitern und drei Wochen später in Sachsen ihren Dienst antreten. Wenn man hört, dass in Sachsen die Schulräte direkt auf Initiativbewerbungen reagieren können und in kürzester Zeit Verträge abschließen. Oder man schaut nach Thüringen, da kann man es sogar nachlesen, wie es geht. Denn anders als von unserem Minister wird in Thüringen die Öffentlichkeit über die Situation zum Schuljahresbeginn durch Presseveröffentlichungen zeitnah informiert. Und da liest man dann Folgendes:

Von den 1.200 Stellen, die 2019 besetzt werden sollen, waren bis zum 06. August bereits 851 besetzt – also mehr als 70%. Ich zitiere: „Da es – in Gegensatz zu vergangenen Jahren – mit der nun praktizierten flexiblen Einstellungspraxis fortlaufend zu Neueinstellungen kommen kann, handelt es sich nicht um abschließende Einstellungszahlen.“ Da kann man doch nur staunen! Entsprechend hat eine Nachfrage in Thüringen ergeben, dass drei Wochen später, also kurz nach Schuljahresbeginn, bereits 953 Neueinstellungen realisiert wurden – das Dreifache von uns – und dass kein Bewerber mit Lehrerausbildung ohne Angebot geblieben ist.  

Minister Tullner aber beharrt auf seinen untauglichen Methoden und  ist einfach nicht in der Lage, den Bewerbern den Weg in unsere Schulen zu ebnen und sie nicht nach Sachsen, Thüringen oder Brandenburg ziehen zu lassen. Er hat uns durch sein Handeln in eine existenzielle Krise gestürzt. Wir können hier im Plenum beantragen, was wir wollen, der Landtag kann beschließen, was er will, wir können im Bildungsausschuss diskutieren was wir wollen – der Minister dreht sich weg und macht einfach weiter, wie bisher. Nach mir die Sintflut!

Deshalb Herr Ministerpräsident, richte ich mich mit meiner Kritik ausdrücklich an Sie und nicht an den Minister. Denn bei ihm ist es offenkundig zwecklos. Sie erinnern sich vielleicht, dass ich vor etwa sechs Jahren zusammen mit dem damaligen DGB-Vorsitzenden Udo Gebhardt bei Ihnen war, um sie persönlich auf die schon damals absehbare dramatische Entwicklung beim Lehrerpersonal hinzuweisen. Das Ergebnis war die Einrichtung einer interministeriellen Arbeitsgruppe zur Ermittlung des Lehrkräftebedarfs unter der Leitung von Herrn Fahlbusch. Sie ist gescheitert, weil der damaligen Finanzmister Bullerjahn die Ergebnisse einfach einkassiert hat. Und sie haben nichts dagegen unternommen, sondern sie haben es laufen lassen – bis heute.

Dann wurde auf unseren Antrag hin vor drei Jahren erneut eine Arbeitsgruppe zur Ermittlung des Lehrkräftebedarfs eingesetzt, die auch sehr zügig ganz handfeste Ergebnisse produziert hat. Aber diese Landesregierung schert sich einen Dreck um diese Ergebnisse. Zu diesem Versagen habe ich von ihnen noch nie etwas gehört. Sie zeigen sichtbares Engagement, wenn es um 3.000 Arbeitsplätze in der Kohle geht, die in 20 Jahren wegfallen. Ein solches Engagement fordern wir von ihnen für die 230.000 Schülerinnen und Schüler, deren Zukunft heute durch den Mangel an Schulbildung massiv gefährdet wird.

Unser gesamtes Schulsystem geht seit 2013 den Bach runter und zwar völlig ungebremst. Das sind sechs Jahre in Folge, die in ihrer Regierungsverantwortung liegen. Und der Niedergang beschleunigt sich sogar noch. Sie müssen die Lehrkräftegewinnung jetzt endlich zu ihrer Sache machen, wenn ihnen der hausgemachte Lehrermangel nicht komplett als Versagen anhaften soll. Ich fordere sie erneut auf, endlich das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Wir fordern von ihnen einen Masterplan mit folgenden Punkten:

Sie müssen zunächst dafür sorgen, dass die Schulbehörden wieder arbeitsfähig werden. Es liegt in ihrer Hand, Schulamtsdirektor Klieme wieder an die Spitze des Landesschulamtes zu setzen. Sorgen sie jetzt dafür, dass die Vorbereitung des nächsten Schuljahres wieder in fachlich versierte Hände gelegt wird. Und suchen sie sich einen Bildungsminister, der von Schule etwas versteht und der einen Plan hat, wie er die Karre aus dem Dreck bekommt und sie nicht immer weiter hineinschiebt.

Wir fordern sie auf, das Ministerium anzuweisen, die Ausschreibungspraxis zu ändern. Lassen sie eine Ausschreibung für das gesamte Jahr machen und lassen sie dann Teams aus schulfachlichen Referenten und Personalreferenten die Stellen in einem Landkreis eigenverantwortlich bewirtschaften.

Und sie müssen letztlich dafür sorgen, dass ihre zuständigen Minister die Empfehlungen der Expertenkommission für den künftigen Lehrkräftebedarf endlich umsetzen. Die Kapazitäten in der Lehrerausbildung müssen mindestens um weitere 400 Erstsemesterstudienplätze erhöht werden – an beiden Universitäten und in den Schulformen und Fächern, in denen der Bedarf unabweisbar ist. Wir werden ihnen dazu ganz konkrete Forderungen im Rahmen der Haushaltsberatungen auf den Tisch legen.

Seit Jahren reihen sich Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen beim Thema Lehrkräftebedarf und Lehrkräftegewinnung in dieser Landesregierung aneinander. Heute erleben wir dadurch Zustände, die bisher für niemanden vorstellbar waren. Und die Unterrichtsversorgung wird in den kommenden Jahren noch weiter ins Bodenlose rutschen. Der Schaden, der unter ihrer Regierungsverantwortung, in den letzten 10 Jahren angerichtet wurde, kann heute nur noch begrenzt werden. Dazu sind drastische Maßnahmen erforderlich und ein paar kluge Ideen. Herr Ministerpräsident, nutzen sie ihre verbleibende Zeit, denn für die Fehler ihrer Regierungen bezahlen wir schon heute einen zu hohen Preis.