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Thomas Lippmann zu TOP 16: Unterrichtsversorgung im kommenden Schuljahr gewährleisten und Ausstattung der Schulen mit pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verbessern

Die Versorgung der Schulen mit ausreichend und gut qualifizierten Lehrkräften – ebenso wie mit Pädagogischen Mitarbeiter/innen – ist eine der wichtigen Pflichtaufgaben der Landesregierung. Ein Thema mit vielen Zahlen und Detailfragen und schon deshalb für parlamentarische Debatten wenig geeignet und interessant. Das hat sich allerdings schon in der letzten Legislatur grundlegend geändert, denn die Vorgängerregierung hatte sich dieser Aufgabe über die gesamte letzte Wahlperiode mit bemerkenswerter Konsequenz und Durchhaltevermögen entzogen. Statt über ein Jahrzehnt lang an einer extremen Begrenzung von Neueinstellungen festzuhalten, hätten schon vor fünf Jahren hier in diesem Hause Diskussionen geführt und Entscheidungen getroffen werden müssen, die wir jetzt zwar endlich auf den Tisch bekommen, denen wir aber nun fast hoffnungslos hinterherlaufen müssen.

Immerhin ist aus dem Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung herauszulesen, dass der Schaden, der entstanden ist, zumindest dem Grunde nach nicht mehr bestritten wird. Das ist aber an sich auch noch keine große Leistung der neuen Regierung und des neuen Bildungsministers. Denn schon mindestens zwei Schuljahren pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass es mehr und mehr Schulen gibt, die nicht einmal mehr in der Lage sind, das geforderte schulische Grundangebot sicherzustellen – von den Reserven für Vertretungsunterricht beim Ausfall von Lehrkräften ganz zu schweigen. Im jetzt zu Ende gehenden Schuljahr hat schon fast jede dritte Schule keine 100prozentige Unterrichtsversorgung mehr. Und wenn es noch eines letzten Nachweises für den über Jahre aufgelaufenen Lehrermangel bedurft hätte, dann ist er mit der Meldung über die Geschäftsaufgabe der freien Sekundarschule in Hedersleben passend zu unserer Debatte geliefert worden.

Zurückgeblieben ist also ein Scherbenhaufen bei der Personalausstattung in unseren Schulen, über dessen Größe wir hier im hohen Haus allerdings bis heute im Unklaren sind. Deshalb besteht auch eine erhebliche Unklarheit darüber, welcher Instrumente es jetzt bedarf, um diesen Scherbenhaufen schnellstmöglich und vollständig wieder zu beseitigen. Denn das sind wir alle gemeinsam den Schülerinnen und Schülern, den Eltern und diesem Land schuldig, dass wir jetzt alles in die Waagschale werfen, um den Schaden zumindest zu begrenzen und den Karren, der tief im Sumpf steckt, mit aller Kraft wieder flott zu bekommen.

Insofern habe sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen mit dem Koalitionsvertrag zwar schon einmal geblinkt und damit einen beabsichtigten Richtungswechsel angedeutet, aber umgesteuert habe sie noch längst nicht. Wir haben große Skepsis und Sorge, dass die Dimension des Problems weiterhin verkannt und kleingeredet wird, dass die Schritte zwar jetzt prinzipiell in die richtige Richtung gehen, aber weiterhin zu klein und verzagt sind und vor allem zu spät kommen. Wir befürchten, dass sie weiterhin mit Zahlenspielereien und Taschenspieltricks die wirklichen Verhältnisse in unseren Schulen verschleiern und das Parlament in Unkenntnis halten werden.

Das zeigt sich im Koalitionsvertrag und das zeigt sich entsprechend auch in der aktuellen Ankündigung, jetzt unverzüglich weitere 270 Lehrkräfte einzustellen. Es weiß wieder keiner, was die verschiedenen Zahlen bedeuten und was sie miteinander zu tun haben. Noch einigermaßen erkennbar und verständlich ist das Ziel, landesweit im Durchschnitt eine Unterrichtsversorgung von 103% erreichen zu wollen. Das ist im Übrigen eine ehr bescheidene Zielmarke, denn erst ab 105% kann von einer ausreichenden Versorgung der Schulen mit Lehrkräften gesprochen werden.

Diese Klarheit endet aber schlagartig, wenn es um die Fragen geht, welche Schritte und Maßnahmen erforderlich sind, um diesem Ziel zumindest nahe zu kommen. Woher kommt die Zahl 270 im Koalitionsvertrag und was sind sie wert? Was werden diese zusätzlichen Einstellungen für die tatsächliche Unterrichtsversorgung im neuen Schuljahr bringen – vorausgesetzt die Lehrkräfte können so kurzfristig tatsächlich noch gefunden werden?

Das laufende Schuljahr ist gekennzeichnet durch die schlechteste Unterrichtsversorgung, soweit wir zurückdenken können. Gestartet wurde es im letzten September mit wiederholten Kürzungen des Unterrichtsangebotes durch sogenannte „bedarfsmindernde Maßnahmen“ und durch ein Abschmelzen der Vertretungsreserve auf weniger als 1 Prozent. Im Laufe des Schuljahres hat sich die Situation aufgrund steigender Schülerzahlen und erheblicher Personalabgänge weiter zugespitzt. Würde die Unterrichtsversorgung jetzt zum Ende des Schuljahres ermittelt, müsste wahrscheinlich erstmals in der Geschichte dieses Landes eine Lehrkräfteversorgung festgestellt werden, die landesweit unter der 100-Prozent-Marke liegt. Das lässt sich einigermaßen verlässlich aus der Antwort der Landesregierung auf die kleine Anfrage der Abgeordneten Birke Bull zur Entwicklung der wesentlichen Parameter bis zum Schulhalbjahr ableiten.

Wird sich also gegenüber dem laufenden Schuljahr überhaupt etwas verbessern oder werden sich die Verhältnisse nur nicht noch weiter verschlechtern? Welche Unterrichtsversorgung kann bei dieser Ausgangssituation mit den jetzt angekündigten Einstellungen im besten Fall erreicht werden und wie groß ist dann trotzdem die Lücke zu den 103%? Das alles wissen wir hier derzeit nicht und ich vermute, dass es der Herr Minister im Anschluss auch nicht sagen will – oder es sogar nicht sagen kann. Denn derzeit befinden wir uns in einer permanenten Abwärtsbewegung bei der Bedarfsabdeckung in den Schulen – und da spricht man verständlicherweise nicht so gern Klartext. In jedem neuen Schuljahr haben wir derzeit schlechtere Bedingungen als im Schuljahr zuvor, aber immer noch bessere, als im Schuljahr danach. Das darf sich so nicht fortsetzen, wir brauchen endlich Klarheit und Wahrheit hier im Hause, was die Zahlen bedeuten. Wir müssen wissen, wie viele Lehrkräfte tatsächlich vor den Schülern stehen und wie viel ordentlicher Unterricht damit angeboten werden kann.

Wir können und wollen damit aber nicht bis zur Berichterstattung des Ministeriums warten, die dem Ausschuss für Bildung und Kultur inzwischen zwar regelmäßig, aber eben immer erst Ende Januar vorgelegt wird. Wir wollen von der neuen Landesregierung einen aktuellen Kassensturz beim Personal und beim Unterrichtsbedarf. Das ist eine zwingende Voraussetzung, wenn das Versteckspiel um die Unterrichtsversorgung hier im Parlament und in der Öffentlichkeit beendet werden soll. Und wir brauchen auch mehr Daten aus dem Ministerium, als die bisherige Berichterstattung enthält.

Wir wollen vor allem, dass nach diesem Kassensturz das Ziel von 103% Unterrichtsversorgung ernsthaft und konsequent angegangen wird. Das heißt schlicht, dass so viele Stellen ausgeschrieben werden sollen, wie für die 103% unter realistischen Annahmen tatsächlich erforderlich sind. Wir wissen dabei selbstverständlich, dass in der Ausbildung der Lehrkräfte hier im Lande keine Vorsorge getroffen wurde, um für einen schnellen Aufwuchs bei den Neueinstellungen gerüstet zu sein. Es ist auch unklar, in welchem Umfang Lehrkräfte außerhalb des Landes für unseren Schuldienst gewonnen werden können. Aber: Dies ist kein Grund, es nicht mit allen Kräften, mit aller Energie, mit Phantasie und mit hoher Flexibilität zu versuchen.

Hier kann ich den Schulbehörden und dem neuen Bildungsminister, der seinen Eid „mit Gottes Hilfe“ geschworen hat, unter Bezug auf eine bekannte christliche Botschaft nur den Rat geben: Machen sie die Tore weit und die Türen im Lande hoch. Schicken sie niemanden mehr weg, der bei uns als Lehrkraft arbeiten möchte und dazu in der Lage ist. Das werden neben vollausgebildeten Lehrkräften auch zunehmend Lehrkräfte mit einer im Ausland erworbenen Lehrbefähigung sein, Lehrkräfte ohne zweites Staatsexamen und klassische Seiteneinsteiger mit gesuchter fachlicher Qualifikation aber ohne didaktische und pädagogische Ausbildung. Diese müssen jedoch von Beginn an und systematisch für die Arbeit als Lehrkraft befähigt werden. Denn sonst sind sie nach kurzer Zeit aus dem Schuldienst wieder verschwunden, weil der erhoffte Arbeitserfolg ausbleibt. Wir erwarten deshalb vom Bildungsministerium ein Qualifizierungsangebot, mit dem allen Beschäftigten ohne vollständige Lehrerausbildung die Möglichkeit eröffnet wird, berufsbegleitend die volle Qualifikation und damit letztlich auch die gleiche Bezahlung zu erreichen.

Nehmen sie aber vor allem Abstand von der bisherigen „Rosinenpickerei“ nach Schulformen, Fächerkombinationen, Abschlussarten und Noten. Ändern sie radikal die Ausschreibungspraxis und konzentrieren sie sich darauf, arbeitswillige Pädagogen und Unterrichtsbedarf zueinander zu bringen. Wir können uns kein Verwaltungshandeln in den Schulbehörden mehr leisten, das noch aus der Zeit der Stellennot und der extremen Bewerberüberhänge stammt. Die Einstellung in unseren Schuldienst darf nicht länger als eine Art Gnadenakt für wenige Auserwählten zelebriert werden. Ab sofort brauchen wir alle! Wenn wir dieses mentale Umsteuern in den Schulbehörden nicht schnellstens schaffen, wenn wir Ausschreibungen und Einstellungsentscheidungen nicht erheblich beschleunigen, werden wir dafür einen Preis bezahlen, über dessen Höhe wir uns alle noch wundern werden.

Gestatten sie mir an dieser Stelle noch ein kurzes Wort zur Situation an den Privatschulen. Wir mussten ja erst vor wenigen Tagen etwas überraschend zur Kenntnis nehmen, dass die freie Sekundarschule in Hedersleben den Schulbetrieb einstellen muss, weil ihr die Lehrkräfte ausgehen. Wenn es einen allgemeinen und langanhaltenden Lehrkräftemangel gibt – und dem sehen wir unausweichlich entgegen – dann trifft er zwar grundsätzlich alle Schulen, öffentliche wie private. Aber der Staat ist fast immer in der Lage, im Wettstreit um zu wenigen Bewerber die Oberhand zu gewinnen. Insofern wird ein anhaltender massiver Lehrkräftemangel die privaten Schulen überproportional treffen und in den nächsten Jahren voraussichtlich noch mehr Einrichtungen zur Aufgabe zwingen, weil ihnen die Lehrer ausgehen.

Die Verantwortung dafür trägt die Landesregierung, denn im Lehrkräftebereich hat der Staat ein Ausbildungsmonopol und muss für die freien Schulen mit ausbilden. Das ist in den bisherigen Prognosen und Planungen aber immer unterschlagen worden. Ich habe gegenüber der Presse in einem Gespräch am Montag auf weiterreichende Folgen aufmerksam gemacht, die ein weiteres Privatschulsterben nach sich ziehen wird, das aus meiner Sicht nicht auszuschließen ist. Eine der wichtigen Konsequenzen ist, dass mit der Geschäftsaufgabe einer privaten Schule wegen Lehrermangel der Mangel anschließend ja nicht weg ist. Er wandert mit den Schülern nur an andere Schulen – entweder an öffentliche oder an andere private. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass diese Schüler dort möglicherweise nur freie Kapazitäten auffüllen und keinen zusätzlichen Bedarf erzeugen würden.

Darüber hinaus ist der Blick auf die Gründungsursachen einer Vielzahl freier Schulen – insbesondere im Bereich der Grund- und Sekundarschulen – zu richten. Diese sind meist in der unmittelbaren Folge der Massenschließungen staatlicher Schulen entstanden, weil Initiativen von Eltern aber auch von kommunalen Schulträgern den ersatzlosen Wegfall ihrer öffentlichen Schule und die teilweise unerträgliche Länge von Schulwegen nicht hinnehmen wollten und sich nach einem Ersatz umgetan haben. Wenn solche Schulen jetzt aus dem ohnehin gespannten Schulnetz rausfallen und damit das Problem eines zu löchrigen Schulnetzes und zu weiter Schulwege wieder entsteht, müssen die kommunalen Schulträger prüfen, ob dieser Schulstandort in öffentlicher Verantwortung weitergeführt werden kann oder sogar muss.

Last but not least weisen wir darauf hin, dass in unseren Schulen nicht nur Lehrkräfte eine unverzichtbare Arbeit leisten, sondern auch pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Hier ist die Versorgungssituation jedoch noch viel dramatischer als bei den Lehrkräften, denn diese Beschäftigtengruppe war für alle Vorgängerregierung seit der Privatisierung der ehemaligen Schulhorte vor 15 Jahren nur ein Steinbruch in der Personalentwicklung. Ich will an dieser Stelle den endlosen Debatten zum Einsatzkonzept für die Pädagogischen Mitarbeiterinnen hier keinen weiteren Beitrag hinzufügen, dazu werden wir später Gelegenheit haben.

Aber: auch hierzu hat sich die neue Landesregierung im Koalitionsvertrag endlich etwas vorgenommen. Nämlich einen Personalbestand im Umfang von 1.800 Stellen zu sichern. Auch das ist zwar nur ein bescheidenes Ziel, aber es ist endlich überhaupt eins. Und auch dafür müssen unverzüglich – und in erheblichem Umfang – Neueinstellungen erfolgen. Denn der aktuelle Personalbestand ist schon jetzt kleiner und er sinkt weiter. Dazu hört man aber bisher aus den Schulbehörden gar nichts. Ich hoffe sehr, dass sich das gleich mit dem Beitrag von Minister Tullner ändern wird.

Ich will die Landesregierung noch einmal nachdrücklich darauf hinweisen, dass Pädagogische Mitarbeiterin“ kein Beschäftigungsprogramm für ehemalige Horterzieherinnen ist oder so etwas wie eine „freiwillige Leistung“, die man Haushaltsvorbehalten opfern kann. Pädagogische Mitarbeiterinnen sind ebenso unverzichtbar, wie die Lehrkräfte. Ohne sie kann keine Förderung organisiert werden, weder in den Förderschulen noch im Rahmen der Inklusion in den Regelschulen. Ohne sie gibt es faktisch keine Ganztagsschulen und keine verlässlichen Öffnungszeiten der Grundschulen.

Das Schuljahr 2016/17 ist in drei Wochen zu Ende. Normalerweise sollte das neuen Schuljahr soweit vorbereitet sein, dass spätestens am letzten Schultag des alten Jahres alle Lehrkräfte, die Pädagogischen Mitarbeiterinnen und die Schülerinnen und Schüler wissen, wer mit wem im nächsten Schuljahr was miteinander zu tun haben wird. So weit wie in diesem Jahr waren wir von diesem Ziel schon lange nicht mehr entfernt. Erst in der kommenden Woche sollen die 270 zusätzlichen Stellen ausgeschrieben werden. Das ist natürlich viel zu spät und wird alle Beteiligten vor große Probleme stellen. Es wird auch zu einem höchst unbefriedigenden Ergebnis am ersten Schultag Anfang August führen und zu vielen Nachsteuerungen bis in den Herbst hinein. Ein geordneter Schuljahresbeginn sieht anders aus!

Wie wir uns eine neue Ausschreibungspraxis- und Einstellungspolitik vorstellen, um so weit wie nur irgendwie möglich Lehrkräfte gewinnen und einsetzen zu können, versucht unser Antrag inhaltlich zu fassen. Herr Minister, Sie haben jetzt die Chance, vieles richtig zu machen und die gravierenden Fehler der letzten beiden Wahlperioden zu korrigieren, an denen ja nicht nur unser Ex-Finanzminister sondern auch die CDU ein gerüttelt Maß an Mitschuld trägt – und zwar genauso radikal, wie sie zuvor begangen wurden. Zögern Sie nicht, sich für diese wichtigste ihrer Aufgaben auch die Unterstützung der LINKEN zu sichern. Selbst wenn sich das hohe Haus nicht in Gänze hinter die Inhalte unseren Antrag stellen sollte, kann ich nur an Sie appellieren: tun sie es dann trotzdem, es wird sich auszahlen.