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Strukturelle Unkontrollierbarkeit des Verfassungsschutzes erfordert die Auflösung

Henriette Quade, innenpolitische Expertin der Fraktion DIE LINKE, kommentiert die aktuelle Lage beim Verfassungsschutz wie folgt:

„Die Fraktion DIE LINKE fordert die Auflösung des Verfassungsschutzes als Geheimdienst. Die Aufgaben der Inlandsgeheimdienste von Bund und Ländern sind seit Jahren zu kritisieren, grundsätzlich ist die Konstruktion des Inlandsgeheimdienstes ein Fremdkörper im demokratisch verfassten Staat. Der Verfassungsschutz schützt nicht die Werte der Verfassung, er kann dies schon seiner Konstruktion nach nicht und die seinen Bewertungen zu Grunde liegende Extremismustheorie kann nicht zu brauchbaren Ergebnissen führen. Die strukturelle Unkontrollierbarkeit dieser Geheimdienste, das V-Mann-Prinzip, der Vorrang des Quellenschutzes und andere dem Verfassungsschutz inhärente Fehlkonstruktionen haben dazu geführt, dass Gelder in rechte Netzwerke geflossen sind und bis heute die Rolle der Inlandsgeheimdienste im NSU-Komplex nicht vollständig aufgeklärt ist. Der Verfassungsschutz verweigert sich bis heute der konsequenten Aufarbeitung der eigenen Rolle – Stichwort NSU-Akten – und wird dazu auch nicht durch die Regierung angewiesen.

Deswegen gibt es viele gute und richtige Gründe, über die Rolle und die Verfasstheit des Verfassungsschutzes zu sprechen, ihn zu kritisieren und darüber nachzudenken, was statt des Systems der Inlandsgeheimdienste denk- und machbar ist – der Antrag auf Aktuelle Debatte der AfD ist aber keiner dieser Gründe. Denn erstens ist die vermeintliche Sorge von Rechtsextremen um die Demokratie und den Rechtsstaat niemals, wirklich niemals, ernst zu nehmen. Wer, wie der der jetzige Vorsitzende des Innenausschusses damit droht, wütende Demonstranten mit Mistgabeln zu den Büros der Abgeordneten zu führen, wer mit Lügen und Falschinformationen gegen Geflüchtete hetzt, wer Vereine und Projekte, die sich kritisch mit der AfD und den von ihr propagierten Werten auseinandersetzen am liebsten verbieten will, der ist nicht in Sorge um die Demokratie, der arbeitet gegen sie. Insofern ist das Bekenntnis der AfD zur Demokratie kein ehrliches, sondern ein taktisches. Sie verkehrt Begriffe in ihr Gegenteil, sie spricht von Demokratie, wenn auf Versammlungen der Angriff auf eben diese Demokratie propagiert wird und sie greift damit zu einem ihrer wichtigsten Instrumente: Der Zerstörung der öffentlichen Debatte.

Wenn am Ende alles eine Frage der Meinung ist, wird Wahrheit beliebig und können Begriffe in ihr Gegenteil verkehrt werden. Genau darum geht es, genau das ist beabsichtigt – die Behauptung, dass es Corona nicht gibt steht dann gleichberechtigt neben dem Fakt, dass es Corona gibt; die Behauptung, die AfD sei eine demokratische Partei steht dann gleichberechtigt neben der Tatsache, dass sie eine extrem rechte Partei ist. Die Zerstörung der Debatte ist die Voraussetzung für die extreme Rechte, um ihre Positionen in die Debatte zu bringen, denn dazu müssen zunächst die Fakten weichen. Drittens, das „noch“. Ist der Verfassungsschutz „noch“ in guter Verfassung – auf dieses Wort kommt es an. Wenn es gegen links geht, zieht die AfD den Inlandsgeheimdienst gerne als Kronzeugen für die eigenen Behauptungen heran und soll schon die bloße Erwähnung einer Gruppe im Verfassungsschutzbericht am besten sofort zu Berufs- und Studienverboten für ihre Unterstützer:innen führen.

Als Linke streiten für Menschenrechte, gegen Antisemitismus, Rassismus und die extreme Rechte, wir gehen dafür auch auf die Straße und notfalls setzen wir uns Rechten ganz praktisch in den Weg. Wir fordern die Abschaffung der Inlandsgeheimdienste nicht, weil sie sich uns nicht beugen wollen, sondern weil wir davon überzeugt sind, dass Inlandsgeheimdienste nicht für die Aufgaben geeignet sind, die ihnen aktuell zugewiesen werden, sondern selbst eine Gefahr sind. Wir haben an dieser Stelle mehrfach und intensiv über die Einordnung dessen, was sich unter dem Label „Corona-Proteste“ in Sachsen-Anhalt und andernorts ereignet hat, gestritten. Was davon zu halten ist, wenn ganz normale Leute behaupten, sich wie die Juden in Nazideutschland fühlen und damit den Holocaust relativieren. Wie friedlich der Charakter von Demonstrationen ist, die mit Fackeln in der Hand fordern, Politiker:innen ihrer „gerechten Strafe“ zuzuführen, und damit dem Galgen meinen, der vielfach auch gleich als Demonstrationsmittel mitgeführt wurde.

Dies nun als „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ zu kategorisieren, zeigt vor allem, dass die Extremismustheorie der Inlandsgeheimdienste unbrauchbar ist und zu entsprechenden Ergebnissen führt. Es hat Jahre gebraucht, bis diese Geheimdienste jedenfalls teilweise verstanden haben, dass extrem rechte Einstellungen und Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft vorkommen. Nun sehen sie sich erneut Phänomenen gegenüber, die sich in der irrigen Annahme von extremistischen Rändern und demokratischer Mitte nicht einfügen lassen. Statt die falschen Grundannahmen zu korrigieren, reagieren die Dienste mit einer neuen Kategorie. Diese wird absehbar nicht hilfreich sein.

Was wir brauchen: Einen klaren Trennungsstrich zu Verschwörungsideologien, rassistischen und antisemitischen Ressentiments und zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Politik, die das endlich als Probleme der Mitte begreift. Entscheidender als neue Kategorien, in denen Inlandsgeheimdienste aufzählen, was Medien schon längst berichtet haben und andere besser analysieren, ist die Gegenwehr aus der Gesellschaft. Jede Abgrenzung etwa der CDU von der AfD bringt mehr als diese Kategorie.“

 

Magdeburg, 17. November 2022