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Monika Hohmann zu TOP 26: Housing First - Kommunen unterstützen bei der Bekämpfung von Wohnungslosigkeit

Sehr geehrte/r Frau/Herr Präsident/in!

Das Thema Armut - besonders unter dem Aspekt von Obdachlosigkeit - rückt alljährlich in den Wintermonaten in den Fokus. Menschen erfrieren auf der Straße.

Im Jahr 2021 gab es in Sachsen- Anhalt 2192 Zwangsräumungen von Wohnraum. Umgerechnet auf die 255 Arbeitstage im Land entspricht das 8,6 Räumungen pro Tag.

Ebenfalls rücken die aktuellen Probleme von Inflation und Preissteigerungen für Lebensmittel und Energie in den Fokus. Allein das Thema Wohnen. Wasser, Strom, Gas und andere Brennstoffe sind im Vergleich zum letzten Jahr um 14,2 % in Sachsen- Anhalt gestiegen. Daran können Sie sehen, dass diese Themen wohl leider längerfristig und breiter auf der Agenda stehen werden.

Hier im Haus ist das Thema Obdachlosigkeit gerade Teil einer aktuellen Ausstellung im B-Flügel der ersten Etage.
Sehr geehrte Damen und Herren,

nach der Resolution des EU-Parlaments von 2020, die Obdachlosigkeit in der EU bis 2030 zu bekämpfen und den Beschlüssen der Konferenz der Arbeits- und Sozialminister im Dezember 2021 dazu, muss sich auch in Sachsen-Anhalt mehr bewegen.

 

Im September 2022 erschien erstmals eine seit vielen Jahren von sozialen Trägern geforderte bundesweite Wohnungslosenstudie. Im „Forschungsbericht 605“ des Bundessozialministeriums, in dessen Auftrag die GISS (Gesell. Für innovative Sozialforschung) eine umfangreiche empirische Untersuchung vorgelegt hat, wurden in 151 deutschen Städte wohnungslose Menschen befragt, wie, ob und wo sie Notunterkünfte nutzten. Aus Sachsen-Anhalt waren Halle, Dessau-Roßlau, Wittenberg und Nebra dabei.
Erstmals liegen mit dieser Studie Zahlen vor, wie viele Menschen in Deutschland kein Dach über dem Kopf haben oder behelfsmäßig sich bei Bekannten und Verwandten durchschlagen.

Im Ergebnis wird die Gesamtzahl der erwachsenen Wohnungslosen ohne Unterkunft in Deutschland auf ca. 37.400 Personen geschätzt, die Zahl der erwachsenen verdeckt Wohnungslosen auf ca. 49.300. Hinzu kommen rund 6.600 minderjährige Kinder und Jugendliche – ca. 1.100 lebten gemeinsam mit Eltern(-teilen) auf der Straße und ca. 5.500 in verdeckter Wohnungslosigkeit.

Eine eigene Wohnung stellt einen elementaren Schutzraum dar, besonders auch für Frauen und Kinder. Im Bericht heißt es auf Seite 54 – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis – „Die Zahl der wohnungslosen Frauen, die sexualisierte Gewalt erfahren, ist besorgniserregend hoch.“

Ein weiteres Problem ist der schlechte Gesundheitszustand vieler wohnungsloser Menschen. Auf Seite 51 heißt es in der Untersuchung, dass das Leben auf der Straße und in verdeckter Wohnungslosigkeit einhergeht mit körperlichen, psychischen und oftmals Suchterkrankungen. Niederschwellige Gesundheitshilfen stünden kaum zur Verfügung. Auf Seite 37 wird im Bericht darauf hingewiesen, dass es zielgruppenspezifischer Hilfsangebote bedarf, z.B für Migrantinnen, Frauen mit Kindern oder jungen Männern. „Prävention und dauerhafte Wohnungsversorgung bleiben die wichtigsten Instrumente, um Wohnungslosigkeit zu beenden“, heißt es in der Studie. Auf Seite 31 wird ein Durchschnittsalter von Wohnungslosen mit 44 Jahren angegeben, bei verdeckt Wohnungslosen von 35 Jahren.

Im Ergebnis ist die verdeckte Wohnungslosigkeit - besonders auch von jungen Frauen - auffällig. Zunehmend wird auch hierzulande medial vom sogenannten „Sofahopping“ und „schwierigen Zeiten für Obdachlose“ berichtet.

Housing First ist für uns wie für viele Wohlfahrtsverbände ein vielversprechender Ansatz, um Wohnungslosigkeit zu verhindern. Das Konzept stammt aus den USA, wird in Finnland erfolgreich eingesetzt und mittlerweile auch deutschlandweit in Kommunen erprobt. Es soll präventiv, niederschwellig, nachhaltig und schnell Menschen ein zu Hause geben, die nach Wohnungsverlust keine Chance auf dem regulären Wohnungsmarkt haben. Die kommunale ordnungsrechtliche und temporäre Unterbringung in Obdachlosenheimen ist keine Lösung. Zumal diese Notunterkünfte - laut oben erwähnter Studie – meist gescheut werden.

Die Landeshauptstadt Magdeburg hat Mitte dieses Jahres ein Projekt zu „Housing First“ gestartet, das bis 2024 wissenschaftlich von der Uni Magdeburg begleitet wird. Hier zeigt sich jedoch schon das Hauptproblem: begleitende Fachkräfte wie Sozialarbeiter und selbst auch Sachbearbeiter sind schwer zu finden, die vielschichtigen Problemlagen obdachloser Menschen sind komplex, das Angebot muss sich erst rumsprechen.

Zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit brauchen die Kommunen personelle und finanzielle Unterstützung, um solche Modellprojekte wie in Magdeburg tatsächlich auch umsetzen zu können. Hier soll ein Förderprogramm helfen, da die Bundesmittel des Wohnraumfördergesetzes im Land bisher kaum abgeflossen sind und an den Bund zurückgingen. Die Mietwohnungsbaurichtlinie soll dafür kurzfristig angepasst werden.
Die Landesregierung soll in Zusammenarbeit mit den verschiedenen Trägern das Konzept „Housing First“ etablieren, um langfristig Wohnraum für alle Menschen im Land zu gewährleisten.

Derartige Modellprojekte zum Housing First sind bereits in sieben Bundesländern gestartet. In Bremen seit vielen Jahren, in Baden-Württemberg steht das Konzept im Koalitionsvertrag, Berlin arbeitet sehr erfolgreich nach diesem Konzept, und auch Sachsen hat für das Housing-First-Konzept 150.000 Euro im aktuellen Haushalt eingestellt. Das schwebt uns auch vor.  
Das Erstellen einer Landesstatistik zu Wohnungslosigkeit soll helfen, den konkreten Bedarf, die Situation und Probleme der betroffenen Menschen einzuschätzen und niederschwellig beheben zu können.

Wir beantragen die Überweisung des Antrages federführend in den Sozialausschuss, mitberatend in die Ausschüsse Infrastruktur und Digitalisierung sowie Inneres.

Danke.