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Matthias Höhn zu TOP 6a: Aktuelle Debatte "Starker und wehrhafter Rechtsstaat ist Antwort auf die terroristische Bedrohung"

Anrede,

Wir werden unsere Art zu leben von Terroristen nicht zerstören lassen. Diese Aussage hört man oft nach den schrecklichen Anschlägen unserer Zeit. Dieser Satz soll doch sagen, dass wir unsere Freiheit, unsere Werte nicht aufgeben werden. Also auch das beibehalten, was wir unter freier politischer Meinungsäußerung und freier Debatte verstehen, aber auch das, was uns Freude macht, was wir genießen und was wir lieben.

Zwölf Menschen starben kurz vor dem Weihnachtsfest am Breitscheidplatz in Berlin, rund 50 wurden teils schwer verletzt. Sie wurden ermordet von einem islamistischen Attentäter. Ihre Familien und Freunde sind noch inmitten des Schmerzes.

Für die Betroffenen, für die Verletzten, für die Familien und Freunde der Anschlagsopfer, gilt der Satz vom Beginn meiner Rede nicht. Ihre Art zu leben wird nie mehr die sein, die es vor den Anschlägen war und ihre Beziehungen zur Welt müssen erst neu geknüpft werden.

Wenn wir also davon reden, dass unsere Art zu leben stabil bleibt, unangreifbar, dass wir tapfer und unerschrocken weitermachen, dann ist das eine politische Botschaft. Eine Botschaft gegen kollektive Ängste, gegen Irrationalität, und eine Botschaft der Besonnenheit. Wenn dies auch die Botschaft ihrer Debatte sein soll, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dann sollten wir nicht so tun, als ob das Paket neuer Bundesmaßnahmen der Durchbruch sei in Sachen Sicherheit.

Die elektronische Fußfessel, die sie so dringend in das Landesrecht übernehmen wollen, wird niemanden aufhalten. Die SPD im Land war gemeinsam in der CDU-geführten Landesregierung in den letzten Legislaturperioden verantwortlich für den Stellenabbau bei der Polizei. Bundesweit wurden in den letzten Jahren in den Polizeien von Bund und Ländern 18.000 Stellen abgebaut. Jetzt wird mit einiger Hektik, auch hier bei uns, nachjustiert.

Wenn Personal fehlt, soll es die Technik richten. Ob Fußfessel oder Videokamera – es sind konkret immer Menschen, die Gewalttäter beobachten und stoppen müssen. Die Fußfessel kann man kurz vor der Tat entfernen oder auch mit Fußfessel die Tat begehen. Der Attentäter von Berlin passierte bei seiner Flucht zig Kameras. Aufgehalten haben ihn letztendlich zwei italienische Polizisten – und sie haben dafür ihr Leben riskiert. Attentätern, die zuvor Bekennervideos produzieren, die ihre Ausweispapiere am Tatort hinterlassen, die ihren eigenen Tod als Dienst verstehen, ist nicht beizukommen, in dem man sie bei der Tat filmt.

Bundesweit wird zurzeit der Frage nachgegangen, was ist schiefgelaufen bei der Einschätzung des Gefährders Amri. Im Vergleich zum Attentäter von München, oder den Gewalttätern von Würzburg und Ansbach, war Amri bereits unter Beobachtung. Oder doch nicht? Erst gestern berichtete der rbb, dass die Berliner Polizei die Überwachung des Anis Amri früher beendet hat als bisher bekannt. Bereits im Juni 2016 seien diese Maßnahmen von der Polizei eingestellt worden, drei Monate bevor die Staatsanwaltschaft das Ende der Überwachung angeordnet habe. Wenn sie den Rechtsstaat wehrhaft haben möchten, dann müssen wir doch erst klären, warum er in diesem Fall nicht wehrhaft genug war. Das ist doch auch im Interesse derer, die vom Leid der Attentate unmittelbar betroffen sind. Wir sollten nicht einfach reflexhaft immer wieder die alten Konzepte aus der Schublade ziehen. Mehr Kontrolle, mehr Überwachung – die Forderungen kommen genau so schnell wie die Aussage, dass wir doch eigentlich bei unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bleiben wollen.

Ich erinnere daran: Bereits nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 brachte der Deutsche Bundestag innerhalb weniger Wochen umfangreiche Gesetzesänderungen auf den Weg, die so genannten Otto-Pakete, benannt nach dem damaligen Innenminister Otto Schily. Gegenstand waren damals die gleichen Themen wie heute: Erweiterung von Befugnissen für die Behörden, mehr Kompetenzen für die Geheimdienste, Ausbau elektronischer Überwachungsmaßnahmen... Bis heute ist nicht evaluiert, was das alles eigentlich gebracht hat. Auch in den Folgejahren ging es so weiter: bspw. 2004 Terrorabwehrzentrum, 2005 Biometrischer Reisepass, 2006 Anti-Terror-Datei, Vorratsdatenspeicherung und BKA-Novelle 2008 ... Und nun eben erneut. Es muss die Frage gestellt werden, wo diese Entwicklung eigentlich enden soll und wann denn der Punkt erreicht ist, wo wir unsere Freiheit einmal zu viel hinter dem nächsten "zwingend notwendigen" Sicherheitspaket hinten angestellt haben?

Und wir müssen uns auch der Frage stellen, welche Auswirkungen deutsche und europäische Sicherheitspolitik im Ausland haben. Seit 2001 befindet sich der Westen im Krieg gegen den Terror. Wenn wir uns die internationale Situation 16 Jahre später anschauen, müssen wohl auch diejenigen, die diese Politik noch 2001 gutgeheißen haben, eingestehen, dass deren Erfolg mehr als fragwürdig ist.

Wer wirklich eine Botschaft gegen Angst und Irrationalität setzen will, sollte im Übrigen nicht ausschließlich über islamistische Gefahren reden. Es ist schon höchst verwunderlich von den Kollegen der SPD, ihren Antrag ausschließlich darauf zu beziehen. Wenn sie vom wehrhaften Rechtsstaats reden wollen, müssen Sie doch auch die im Blick haben, die ihr Gartentor höher werten als jedes Grundgesetz. Sogenannte Reichsbürger erschießen und verletzen Polizisten, horten Waffen, bedrohen Gerichtsvollzieher.

Und Sie sollten nicht - wie in ihrem Antrag - verschweigen, dass politisch begründete Gewalt kein neues Problem ist. Die deutsche Vergangenheit ist nicht nur durch staatlichen Terror des Nationalsozialismus geprägt. Auch im engeren Sinn hat die Bundesrepublik schwere Terrorserien erleben müssen. Die Gewalt der RAF und anderer Gruppen in den 70er und 80er Jahren. Seit der Wiedervereinigung sind mindestens 179 Menschen Opfer rechter Täter und Täterinnen geworden. Die 1990er Jahre waren ein Gewaltexzess gegen Migrantinnen, Migranten und alternative Jugendliche. Der NSU hat gemordet, geraubt und seine Opfer aus der Sicherheit heraus verhöhnt. Und trotz zahlreicher V-Leute in seinem Umfeld blieb er unentdeckt. Seit 2015 schnellen die Angriffszahlen auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte wieder in die Höhe.

Im Sommer 2000 explodierte an der S-Bahn-Haltstelle Düsseldorf-Wehrhahn eine Rohrbombe. Zehn Menschen wurden verletzt. In dieser Woche - fast 17 Jahre später - konnte der mutmaßliche Rechtsterrorist verhaftet werden.

Diesem Anschlag folgte wenige Monate später ein Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge. Dies gab damals den Anstoß für den sogenannten Aufstand der Anständigen. Nach einer Welle rechter Gewalt, nach den Brandanschlägen und Pogromen in Solingen, Mölln und Rostock lenkte die Bundesregierung ein. Erstmals wurde eine politische Strategie entworfen, die politische Kriminalität auch als ideologisches Problem begriff und nicht nur als sicherheitspolitisches. Die Bundesprogramme zur Demokratieförderung in Ostdeutschland, die späteren Opferberatungen und Bildungsprogramme wurden damals angeschoben. Unterfinanziert, angefeindet, umkämpft – und dennoch sind sie uns bis heute erhalten geblieben, weil sie so bitter notwendig sind.

Alles was Gewalt, Radikalisierung und mörderischen Fanatismus verhindern kann, Menschen in einem positiven Selbstbild stärken kann oder Opfer unterstützend begleiten kann, muss ausgebaut werden. Es sind die sogenannten weichen Themen, die Sozialarbeit, die Elternberatung, die Jugendarbeit, die so unerlässlich für das Zurückdrängen von Gewalt ist. Es ist das, worüber der Stammtisch oft hinweglacht, was so wichtig ist, um Leid zu vermeiden. Wir brauchen eine viel stärkere Aufmerksamkeit auf die Möglichkeiten und Wege der Prävention. Wir müssen uns über Unterschiede und Gemeinsamkeiten politischer Gewalt klarer werden.

Sicherheits- und Sozialpolitik zusammenzubringen, das ist die Herausforderung, vor der wir politisch stehen. Einen starken Rechtsstaat wird es nur mit einem starken Sozialstaat geben. Das verstehe ich unter der Art zu leben, die ich mir vom Terror nicht kaputt machen lassen will.