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Kristin Heiß zu TOP 22: Kinder- und Jugendbericht ernst nehmen - Empfehlungen umsetzen

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Am 17. März dieses Jahres wurde der 7. Kinder- und Jugendbericht der Landesregierung an den Sozialausschuss übergeben. Dort wurde er am 2. September dann tatsächlich behandelt. Der Bericht, der laut Gesetz in der Mitte der Legislatur vorgelegt werden soll, kam somit gut 1,5 Jahre zu spät. Das sind 1,5 Jahre, in der die Landesregierung schon längst hätte tätig werden können, schon längst hätte Maßnahmen ergreifen können, um die Situation junger Menschen im Land zu verbessern.

Was bisher mit diesem Bericht passiert ist, ist folgendes: Er wurde dem Sozialausschuss übergeben, einige der Ausschussmitglieder haben die 467 Seiten tatsächlich gelesen, die Staatssekretärin hat ihn im Ausschuss kurz vorgestellt und wir haben darüber diskutiert.

Danach ist er wieder in der Schublade verschwunden.

Das ist uns zu wenig. Daher wollen wir den Bericht und dessen Erkenntnisse noch mal in den Fokus stellen. Denn eine kurze Diskussion im Ausschuss kann nicht alles sein, was mit den teuer erkauften Erkenntnissen auf 467 Seiten passiert.

Der Kinder- und Jugendbericht soll die Situation der Kinder- und Jugendlichen im Land darstellen, aber auch Bestrebungen und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe aufzeigen. Er soll Vorschläge zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe machen und einen Überblick über die kinder- und jugendpolitischen Zielvorstellungen der Landesregierung geben. Erstmals wurde dafür ein externer Dienstleister beauftragt.

Den gesetzlichen Ansprüchen ist der Bericht durchaus gerecht geworden. Kritisieren kann man Inhalt und Art und Weise des Berichts natürlich immer, aber insgesamt lässt sich sagen, dass sich die externe Beauftragung durchaus gelohnt hat. Gerade die Interviews mit den Fachkräften und die Befragungen junger Menschen haben einen deutlichen Qualitätssprung gebracht.

Warum jedoch der Bericht nach der Fertigstellung durch den externen Dienstleister noch gut ein Jahr lang im Ministerium überprüft werden musste, ist uns nicht verständlich und konnte auch im Sozialausschuss nicht abschließend geklärt werden. Es wird wohl ein Rätsel bleiben.

Der 7. Kinder- und Jugendbericht hat den Fokus „Jugend“. Er zeigt deutlich, dass sich die Situation junger Menschen in Sachsen-Anhalt in den vergangenen Jahren nicht wesentlich verbessert hat. Er zeigt auch, dass die Landesregierung wenig zur Verbesserung getan hat. Im Bericht zeigen sich Defizite in unterschiedlichen Bereichen, von der Jugendarbeit, über den Ausbildungsmarkt bis hin zum Jugend(medien)schutz.

Im Bericht wurden folgende Dinge festgestellt:

  • Die Hälfte der jungen Menschen ist nicht zufrieden mit Freizeit- und Beteiligungsmöglichkeiten in ihrer Umgebung
  • Es herrscht in vielen Bereich der Jugendhilfe Fachkräftemangel
  • Die Fachkräfte, die noch da sind, sind prekär beschäftigt und unterbezahlt
  • Es herrschen im Bereich der Jugendarbeit sehr unterschiedliche Bedingungen in den Regionen des Landes
  • Im ländlichen Raum gibt es einen Abbau von Strukturen, in Städten einen Erhalt bzw. leichte Verbesserungen
  • Die strukturelle und personelle Situation im Jugendschutz wird als katastrophal bezeichnet

Das ist eine ganze Menge Holz. Und um mal im Forst-Vokabular zu bleiben: Das Holz liegt schon eine lange Zeit herum und wird nicht besser. Es muss damit etwas getan werden!

Wer sich im Vergleich die vorherigen Kinder- und Jugendberichte und die diversen Kleinen Anfragen meiner Fraktion anschaut, stellt fest, das sind alles keine neuen Erkenntnisse, wir wussten das schon vor etlichen Jahren. Es ist in der Zwischenzeit nur wenig etwas passiert.

Zu dem Wenigen, was getan wurde, gehört:

  • Die Verankerung einer zwei prozentigen Dynamisierung im KJHG, die nicht mal die regelmäßigen Tariferhöhungen abbildet
  • Die Schaffung des Kompetenzzentrum „Jugend und Kommune“ in Stendal, obwohl mit dem Kinder- und Jugendring ein seit Jahrzehnten zuverlässiger und erfahrener Akteur solche jugendpolitischen Schwerpunkte schon lange bearbeitet
  • Die Weiterführung der Schulsozialarbeit, die aber genaugenommen gar nicht zur Jugendhilfe gehört

Die Liste dessen, was sie sich laut Koalitionsvertrag vorgenommen, aber nicht umgesetzt haben, ist übrigens deutlich länger. Und die Liste dessen, was außerdem noch zu tun wäre, würde diese Debatte hier sprengen.

An dieser Stelle hätte ich in der Ursprungsversion meine Rede übrigens gesagt, dass Sie in Ihren Reden bestimmt mit dem jugendpolitischen Programm um die Ecke kommen. So wie Sie es auch im Sozialausschuss getan haben. Und dann kam ja gestern ihr Alternativantrag auf den Tisch geflattert.

Dieser sagt schon in der Art und Weise so viel aus: Unser Antrag zum Kinder- und Jugendbericht war einer der ersten Anträge, der für diese Landtagssitzung eingereicht wurde, das war vor 14 Tagen. Und sie kommen einen Tag vor der Behandlung des Themas mit so einem lieblosen Alternativantrag um die Ecke? Er wirkt so, als hätte sich gestern noch schnell ein Referent hingesetzt und die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag zusammengesucht. Noch mehr kann man sich kaum entlarven.

Sie argumentieren, dass mit dem jugendpolitischen Programm alles gut werden soll. Ein Programm, dass sechs Monate vor der Wahl fertig gestellt wird.

Welchen Effekt soll das denn bitte in den kommenden Monaten entfalten? Es verkommt zu einem Haken an Ihre Vorhabenliste aus dem Koalitionsvertrag. Inhaltlich ist damit in dieser Legislaturperiode nichts gewonnen.

Können dadurch mehr Jugendliche an Projekten teilnehmen? Sind dadurch die Bedingungen von Fachkräften verbessert worden? Haben sie dadurch junge Menschen politisch beteiligt, ihnen eine bessere Perspektive gegeben? Nein. Nichts davon. Sie agieren rein auf der theoretischen Ebene.

Was von all den Erkenntnissen und Papieren tatsächlich umgesetzt wird, überlassen sie ihren Nachfolgern. Herr Krull sagte es ja im Sozialausschuss ganz deutlich: Die vielen Schlussfolgerungen müssen im zukünftigen Koalitionsvertrag Niederschlag finden. Aha.

Kann es sein, dass sie gar nicht ernsthaft vorhatten, in dieser Legislatur etwas zu tun? Denn Sie wissen ja, dass die Menschen in der Kinder- und Jugendarbeit sehr langmütig sind, mit wenig Geld viel bewirken, mit befristeten, schlecht bezahlten Jobs auskommen, in Gebäuden mit undichten Dächern und Fenstern arbeiten, mehrere Jugendclubs gleichzeitig betreuen und natürlich bei Seminaren alle Qualitätsvorschriften und Richtlinien erfüllen.

Und wenn die jungen Menschen auf dem Domplatz fürs Klima protestieren, können sie sich ja nicht gleichzeitig darüber aufregen, dass ihr Jugendclub zugemacht wurde in Schönebeck, in Biederitz, in Zerbst oder Weißenfels.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Sie müssen jetzt handeln! Es ist höchste Zeit, den jungen Menschen im Land und den Fachkräften eine Perspektive zu geben.

Dafür braucht es:

  • unmittelbare, langfristige und nachhaltige Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel, insbesondere durch unbefristete Verträge und tarifgerechte Bezahlung
  • verbindliche qualitative und quantitative Mindeststandards für die örtliche Jugendhilfeplanung
  • systematische und aufeinander bezogene Maßnahmen zur Armutsprävention,
  • die Initiierung einer digitalen Ausstattungsoffensive für Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit
  • die Entwicklung von personellen Mindeststandards für den erzieherischen Kinder- und Jugendschutz in den Landkreisen
  • und die Festsetzung des Jugend(medien)schutzes als verbindlichen Bestandteil der örtlichen Jugendhilfeplanung

Die sind nur einige notwendige Handlungsfelder. Im Bericht selbst werden noch deutlich mehr Themen angesprochen. Die Handlungsnotwendigkeiten sind überwältigend und dringend. Sie dürfen nicht weiter abwarten, weiter Schleifen drehen und dabei zusehen, wie Strukturen verloren gehen.

Die letzten Sozialausschusssitzungen in denen wir uns mit Kinder- und Jugendthemen beschäftigt haben, zeigen Ihr deutliches Desinteresse. Es ist schade, dass Sie sich im Zuge solcher Sitzungen nicht den Fragen und Sorgen der ehrenamtlich Engagierten und Fachkräfte stellen. Vielleicht würden Sie die Brisanz des Themas dann besser einschätzen können.

Somit bleibt nur folgendes Urteil: Diese Legislatur ist jugendpolitisch ein Reinfall.

Vielen Dank!