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Kerstin Eisenreich zu TOP 8: Aktuelle Debatte: Ernährung für alle sichern

Sehr geehrte Damen und Herren,

Das Thema der aktuellen Debatte ist eigentlich überhaupt nicht neu und müsste uns auch hier im Land ständig viel stärker umtreiben. Dass ein Krieg wie der aktuelle in der Ukraine Anlass dafür ist, ist umso furchtbarer. Dabei wäre es so wichtig, in vermeintlich krisenarmen Zeiten gerade das Thema der Ernährungssicherung grundsätzlich zu diskutieren und längst notwendige Veränderungen in der Landwirtschaft endlich vorzunehmen. Und verschließen wir doch nicht die Augen davor, dass uns die Klimakrise dazu längst zwingt.

Denn bereits vor diesem unsäglichen Krieg litten rund 800 Millionen Menschen an Hunger, 100 Millionen Menschen könnten durch den Krieg dazukommen. Die Ärmsten müssen schon heute bis zu 90 Prozent ihres Einkommens für die Ernährung ausgeben, weil die Preise schon bisher enorm gestiegen sind. Und die Gefahr, dass diese Entwicklungen sich durch den Krieg verschärfen, ist groß, da die Ukraine und Russland zu den 10 größten Getreideexporteuren weltweit gehören und rund 30 Prozent des Exportvolumens von Weizen bereitstellen. Doch die aktuellen Preisexplosionen von ca. 25 Prozent an der Getreidebörse sind gegenwärtig rein auf Spekulationen zurückzuführen. Das trifft jene Länder im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika besonders, die von den Getreideimporten aus der Ukraine und Russland besonders stark abhängen. Und auch die Lieferungen der Welthungerhilfe, die im Rahmen des Welternährungsprogramms zur Sicherstellung der Ernährung von armen Menschen u.a. im Norden Afrikas auf mehr als 50 Prozent auf Weizen aus der Ukraine zurückgreifen, werden massiv betroffen sein. Für diese Regionen werden die kriegsbedingten Ernteausfälle zu einer Verknappung führen und die Preise weiter nach oben katapultieren. Aber es geht nicht nur um Getreide, auch um Soja, Sonnenblumenöl, Tierfutter und Düngemittel.

Europa dürfte wohl glimpflich davonkommen. Ja, möglicherweise wird es Lieferengpässe an der einen oder anderen Stelle geben und ja die Preise werden steigen. Aber bei der Verwendung von 70 Prozent des europäischen Getreides als Tierfutter sollten wir uns erst einmal ehrlich in die Augen schauen, welches Potenzial hier noch auszuschöpfen ist.

Und das übrigens nicht nur bei Getreide. So hat auch der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter in einer kürzlichen Stellungnahme darauf verwiesen, dass wir bei Kartoffeln, Fleisch, Zucker, Milch und Getreide einen recht hohen Selbstversorgungsgrad haben. Und zugleich noch riesige Reserven bei Obst und Gemüse. So ist es doch immer noch unsägliche Praxis, dass in Deutschland Lebensmittel vernichtet werden. Wir verschwenden eines der wertvollsten Güter. Da wird Gemüse vor der Ernte untergepflügt, weil es angeblich nicht verkauft werden kann, oder Obst bleibt am Baum und vergammelt, weil wir es billiger aus anderen Ländern importieren. Und ein längst notwendiges Wegwerfverbot von Lebensmitteln auch in der Verarbeitung und insbesondere im Handel muss endlich umgesetzt werden. Das haben wir hier bereits in der letzten Legislatur gefordert. Leider ohne Ergebnis.

Da stehen wir wieder an einer der grundsätzlichen Fragen: Wir müssen unsere Ressourcen schonend behandeln. Die Landwirtschaft muss viel nachhaltiger werden. Wir brauchen eine Agrarwende zum Schutz von Mensch und Natur, ansonsten werden die Folgen auch ohne Kriege katastrophal sein und unsere eigene Zukunft und insbesondere die der nachfolgenden Generationen gefährden. Wenn wir die weltweite Ernährungssicherheit garantieren wollen, Hunger, Landvertreibung, Wasserverknappung verhindern, müssen wir die Landwirtschaft unter agrarökologischen und damit auch Klimaaspekten umbauen. Das regelt im Übrigen kein Markt!

Dazu gehört, dass die Landwirtschaft, die weltweit ein Viertel der klimaschädlichen Gase emittiert, diese Emissionen drastisch reduziert. Die Verunreinigung der Gemeingüter Wasser, Boden und Luft muss endlich beendet werden.

Monokulturen müssen der Vergangenheit angehören, weil durch den Verlust der biologischen Vielfalt Ernteeinbußen vorprogrammiert sind. Außerdem sind diese Monokulturen, die überwiegend der Bedürfnisbefriedigung der Menschen in den Industriestaaten dienen, die Ursache für Vertreibung, Bodendegradation, Privatisierung und Verknappung von Wasser und damit für Armut, Hunger, die Beschneidung von Menschenrechten und Flucht.

Hinzu kommt, dass im Gegensatz zum Bereich Energie die Forschung im Ernährungsbereich eine große Lücke aufweist, wie eine klimagerechte und vor allem zukunftsfähige Landwirtschaft aussehen muss. Diese Forschungslücke muss dringend geschlossen werden.

Die aktuelle Kriegs- und Krisensituation erfordert daher einerseits kurzfristige Lösungen für jene, die bisher sehr stark von den Getreideimporten aus der Ukraine und Russland abhängen. Da trägt Europa auch eine besondere Verantwortung. Einerseits benötigen die betroffenen Länder Hilfslieferungen und auch Finanzhilfen, sie benötigen logistische Hilfe, weil Transportwege zerstört und auch die Transportkosten durch die Preissteigerungen im Energiesektor durch die Decke gehen.

Aber wir müssen neben der akuten Krisenbewältigung mittel- und langfristig dafür sorgen, dass die Importabhängigkeit weltweit reduziert wird. In allen Ländern muss der Selbstversorgungsgrad mit Nahrungsmitteln erhöht werden, indem Ackerbau und Viehzucht vor Ort nachhaltig, standortgerecht und klimaangepasst mit Sortenvielfalt aufgebaut und die Rodung von Wäldern gestoppt werden. Hier liegt eine besondere Verantwortung bei den Industrienationen, die ja wesentlich Profiteure des bisherigen Systems mit billigen Importen, teuren Exporten, Verlagerungen von Teilen der Wertschöpfungskette usw., sind. Denn diese Entwicklungen werden nur möglich, wenn Industrienationen und Schwellenländer die im Rahmen der Weltklimakonferenzen zugesagten 100 Milliarden Dollar Klimafinanzierung pro Jahr endlich für die Betroffenen und die notwendigen Anpassungsmaßnahmen bereitstellen. Davon sind wir weit entfernt. Hier wird aber auch noch einmal mehr deutlich, wir brauchen mehr Entwicklungshilfe statt Rüstungsexporten!

Und natürlich müssen wir auch zur Sicherstellung der Ernährung die Emission von klimaschädlichen Gasen drastisch reduzieren und beim Klimaschutz alle Anstrengungen unternehmen, um die Klimaschutzziele von Paris zu erfüllen. Ansonsten werden unsere Lebensgrundlagen tatsächlich in Gefahr geraten. Insofern zeigen uns die für heute angekündigten Klimastreiks richtigerweise, dass wir bisher auf keinem guten Weg sind. Sie fordern zurecht konsequentes Handeln zum Klimaschutz ein. Die Sicherstellung der Ernährung für die Milliarden Menschen auf der Erde unter den zugespitzten Bedingungen des Ukrainekrieges sollten dabei dringliche Mahnung und Aufforderung sein, endlich aktiver zu werden.