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Henriette Quade zu TOP 4: Schutzsuchenden helfen - Integration befördern - Kosten gerecht verteilen

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit Blick auf den Grundton der Debatten und Beiträge – ich denke da vor allem an die Aktuelle Debatte der CDU im Dezember und an die Beiträge der Innenministerin- kann man den Eindruck haben, die Aufnahme von Schutzsuchenden sei eine Aufgabe, die wir als Land abwählen könnten. Deshalb gleich zu Beginn und ganz deutlich: Die Aufnahme und Unterbringung Geflüchteter und Asylsuchender ist eine humanitäre Verantwortung und sie ist eine Pflicht, die sich unmittelbar aus Grundgesetz, Europa- und Unionsrecht ergibt und der wir als Land nachkommen müssen.

Und natürlich kann man sich hinstellen und sagen: Dublin funktioniert nicht, Rückführung läuft nicht so, wie wir das wollen. Natürlich kann man fordern, die Grenzen zu schließen und wieder und wieder neue „Abschiebeoffensiven“ ankündigen. Natürlich kann man wider alle Empirie und wissenschaftliche Untersuchung von Pullfaktoren schwadronieren, während Menschen sich auf die denkbar und real gefährlichsten Fluchtwege machen, weil sie keine andere Option für sich sehen. Natürlich kann man die Hände heben und auf ungenügend ausgebaute Erstaufnahmeplätze verweisen.

All das kann man machen und wird gemacht, all das hat aber mit gestaltender Politik nichts zu tun denn es verändert die Situation vor Ort, hier bei uns im Land und in den Kommunen nicht – zumindest nicht zum Besseren. Wenn die Integrationsbeauftragte darauf hinweist, dass die permanente Wiederholung der Behauptung, es gäbe zu viele Ausländer in Sachsen-Anhalt, auch auf diejenigen abschreckend wirkt, um deren Kommen sich die Landesregierung mit mäßigem Erfolg ausdrücklich bemüht, beleuchtet sie nur die Spitze des Eisbergs: Denn was diese Botschaften mit den Menschen macht, die hier sind, die dem Land zugewiesen wurden, die es geschafft haben, eine strapaziöse Flucht zu überstehen, das sehe ich und das sehen viele in ihrer täglichen Arbeit. Während sie gegen unzählige Hürden anzukämpfen haben, die ihnen deutsches Aufenthaltsgesetz und Ausländerbehörden in den Weg stellen, die sie von Sprachkursen fernhalten, die sie zwingen in Gemeinschaftsunterkünften zu leben, die gut für die schnelle Erstaufnahme, aber nicht für ein Leben sind, die ihnen die Arbeitserlaubnis verweigern, die sie, wenn sie krank sind zum Amt, statt zum Arzt zwingen, werden sie zum Problem schlechthin, zur Belastung, zur Überforderung und zu Konkurrenten gemacht. Das ist nicht nur ungerecht – es ist auch brandgefährlich, weil es Rassismus, Ausgrenzung und Abwehr bestärkt, statt zu bekämpfen.

Und ja – wir haben einen Defizit an Unterkünften für die Erstaufnahme, insbesondere für die besonders vulnerabler Personen. Tragen die Afghan:innen, gegen deren Aufnahme die Innenministerin vorgehen will, die Verantwortung dafür? Oder der Bund?

Nein. Die Verantwortung dafür trägt ausschließlich diese Landesregierung – denn sie schafft es seit Jahren nicht, die Erstaufnahmeeinrichtung in Stendal an den Start zu bringen, sie hat festgelegt, wie die Plätze in der ZAST genutzt werden, sie lehnt die notwendige Aufstockung der Mittel im Landeshaushalt für Integration ab. Das Kapazitätsproblem ist hausgemacht.

 

Völlig klar ist: Der Bund muss hier anders agieren als bisher. Die direkten Kosten der Aufnahme von Geflüchteten (Unterbringung, Gesundheitsversorgung, Sozialleistungen) müssen den Ländern bzw. Kommunen vollumfänglich erstattet werden. Wir brauchen eine wirksame Beteiligung an indirekten und infrastrukturellen Kosten der Aufnahme, bessere Abstimmung und Koordination und schnellere und bessere Entscheidungen des BAMF, mehr Sprachkurse für alle, die sie brauchen und auch personelle Unterstützung durch den Bund. Und selbstverständlich: Die Notwendigkeit in Europa endlich ein funktionierendes, menschenrechtswahrendes und Einheitlichkeit sicherndes solidarisches System der Aufnahme Geflüchteter liegt genauso wie die nachhaltige Unterbindung rechtswidriger Praxen wie Pushbacks, die Garantie gleicher Standards und Bedingungen im Asylverfahren auf der Hand. Wer illegale Fluchtwege beklagt, muss legale Fluchtwege schaffen. Wer Defizite -stellenweise zu Recht- beklagt und Regierungsverantwortung trägt muss handeln, statt markige Interviews zu geben.

Und wissen sie – es wenden sich viele Menschen an mich: Asylsuchende, Fachkräfte, Ehrenamtliche, die Menschen helfen und begleiten. Der Blick auf ihre Probleme und Anliegen ist ebenso erhellend wie erschütternd: Da ist die iranische Lehrerin, die perfekt Deutsch spricht, die nicht arbeiten darf, weil sie keinen Pass hat und die Ausländerbehörde die Geburtsurkunde als Identitätsnachweis nicht akzeptiert und in Zweifel zieht, dass sie und ihre Familie tatsächlich Christen sind. Da ist der junge Mann, der als unbegleiteter Minderjähriger kam, weder lesen noch schreiben konnte, Deutsch gelernt hat, einen Schulabschluss gemacht hat, einen Job gefunden hat, eine Wohnung hat und sich ein Leben – mit Freunden, mit Vereinen und allem was dazu gehört- aufgebaut hat. Er wurde zur Verlängerung seiner Duldung in die Ausländerbehörde bestellt, dort in Haft genommen und sollte abgeschoben werden. Da ist die Familie aus Indien, die seit 8 Jahren in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt und nicht ausziehen darf. Da ist die junge Frau aus Syrien, die Verwandte in einem Landkreis hat, bei denen sie wohnen könnte, die ihr beim Ankommen helfen könnten, die sie unterstützen könnten, die aber nicht zu ihnen ziehen darf, weil sie einem anderen Kreis zugewiesen wurde. Da ist der Menschenrechtler, der über Jahre im Auftrag der deutschen Regierung in Afghanistan gearbeitet hat und jetzt deswegen um sein Leben und das Leben seiner Familie fürchten muss, weil sich hierzulande niemand für ihn zuständig fühlt und stattdessen auf begrenzte Kapazitäten, Arbeitsaufwand und Kosten verwiesen wird. Nicht diese Menschen sind das Problem,  eine Politik, deren Leitidee die Abschreckung und die Angst als zu migrationsfreundlich zu gelten ist, ist das Problem.

Ob Integration gelingt und ob es einen Punkt gibt, an dem es schlichtweg egal ist, woher und als was jemand gekommen ist, und zwar für die Person selbst, als auch für den Staat und den Aufwand, den er erbringen muss, ist nur dann eine Frage von Schicksal, wenn es weiter ganz entscheidend darauf ankommt, an welchen Mitarbeiter oder welche Mitarbeiterin in der Ausländerbehörde die Person gerät. In den politischen Debatten erleben wir vielfach, dass das Agieren der Ausländerbehörde eine black box ist und als sakrosankt, nicht zu hinterfragen und nicht zu beeinflussen, dargestellt wird, für die noch dazu niemand zuständig sein will. Unser Antrag setzt deshalb auch am Agieren der Ausländerbehörden an mit dem Ziel, dass es den Leuten besser geht und der staatliche Aufwand für Unterbringung, Betreuung und Sozialleistungen kleiner werden kann. Und nein – weniges im Bereich Integration ist ein Selbstläufer und es wird auch Fälle geben, in denen Betreuung, Hilfe und Begleitung sehr lange notwendig sein werden.

Wenn aber die Ausländerbehörden als Integrationsverhinderungsbehörden agieren und die vorhandenen Kapazitäten für Erstaufnahme nicht hauptsächlich zur ersten Aufnahme, sondern mit extralangem Aufenthaltszwang zur Abschreckung genutzt werden und die notwendigen versprochenen Kapazitäten Jahr um Jahr nicht geschaffen werden, wenn Menschen aus ideologischen Gründen von Arbeit und Eigenständigkeit fern gehalten werden weil sie sich nicht integrieren sollen, sondern weil sie sie loswerden sollen, dann ist die Rede von Kapazitätsproblemen, Kosten und Aufnahmestopp ungerecht, unehrlich und ein schlechtes Zeugnis für ihre eigene Arbeit als Landesregierung. Dass es anders geht zeigt die Praxis: In einer in Bezug auf Wohnungsmarkt und Unterbringung weitaus angespannteren Lage als in Sachsen-Anhalt hat die Berliner Sozialsenatorin Katja Kipping die Verpflichtung zur Wohnsitzaufnahme in einer Gemeinschaftsunterkunft gelockert. Wie falsch und unehrlich die Erzählung ist, Ausländerbehörden würden nur Recht und Gesetz umsetzen und ihr Handeln sei nicht zu beeinflussen (und im übrigen auch, dass es auf andere Dinge als das Parteibuch ankommt) zeigt das Agieren des Landrates des Burgendlandkreises, Götz Ulrich, der mit seiner Dienstanweisung die klare Zielrichtung ausgegeben hat, möglichst vielen Geflüchteten, unabhängig vom Aufenthaltsstatus und dem Ausgang des Asylverfahrens, eine Möglichkeit zur Arbeitsaufnahme zu geben und erfolgreich im Arbeitsleben integrierten Personen einen Übergang in einen dauerhaften Aufenthalt zu ermöglichen.  

Das ist eine klare Ansage, das zeigt wie falsch die Legende vom nicht beeinflussbaren Handeln der Ausländerbehörden ist und das sollte Standard im ganzen Land sein - auch dafür plädieren wir mit unserem Antrag.

Wer die Voraussetzungen für bedarfsgerechte Erstunterbringung nicht schafft, wer auf Abschreckung statt auf Teilhabe setzt und wer so tut, als sei Integration nur Sache der Ankommenden, der kann nicht auf Überforderung und Kapazitätsprobleme verweisen, sondern muss endlich seine Arbeit machen. Ich werbe um Zustimmung zu unserem Antrag.