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Henriette Quade zu TOP 18: Gemeinnützigkeit zivilgesellschaftlicher Organisationen – Streichung des § 51 Absatz 3 Satz 2 Abgabenordnung (AO)

Ich möchte aus der Stellungnahme des Bundesrates zur Änderung des Jahressteuergesetzes zitieren: „Mit der vorgesehenen bloßen Streichung des Wortes ‚widerlegbar’ … erlangt aber die Aufführung in einem Verfassungsschutzbericht nunmehr faktisch die Wirkung eines Grundlagenbescheids für die Körperschaftssteuerveranlagung, ohne dass es sich dabei tatsächlich um einen Verwaltungsakt handeln würde.“

Ich verstehe die Überraschung und Entrüstung über die grundsätzliche Dimension dieser Debatte nicht. Das Problem der Abgabenordnung und des Jahressteuergesetzes ist erstens, dass der Begriff „Extremismus“ bzw. der Begriff „extremistisch“ Eingang in ein Bundesgesetz finden soll. Dieser Begriff wird politisch so kontrovers wie emotional diskutiert.
 
Dass Organisationen keine Unterstützung oder steuerliche Begünstigung erfahren dürfen, deren Aktivitäten sich gegen die Verfassung dieses Landes richten oder die den Kampf gegen die Demokratie, gegen Meinungsfreiheit oder auch gegen Menschen ganz konkret betreiben, ist völlig klar und unumstritten. Genauso klar ist aber auch, dass sich die Gefährdung der Demokratie nicht auf Organisationen und Zusammenschlüsse beschränkt. Es gibt undemokratische und antidemokratische Einstellungen. Es gibt antisemitische und rassistische Stereotype. Es gibt die Vorstellung vom Recht des Stärkeren. Diese Einstellungen gibt es in allen Altersgruppen und in allen gesellschaftlichen Schichten.

All diese Einstellungen sind Gefahren für die Demokratie. All diese Einstellungen werden aber vom Begriff des Extremismus nicht erfasst. Im Gegenteil: Die Verwendung des Begriffs vernachlässigt diese Gefahren, indem die Gesellschaft, ideologisch aufgeladen - auch das haben wir erlebt -, als zweigeteilt in demokratisch legitime Mitte einerseits und antidemokratische und illegitime Ränder anderseits dargestellt wird.  
 
Der Extremismusbegriff taugt deswegen in den Augen der Fraktion DIE LINKE eben nicht, um eine solide Aussage über die demokratische Verfasstheit unserer Gesellschaft zu treffen. Vor allem aber sind die Begriffe „Extremismus“ und „extremistisch“ juristisch nicht definiert und kommen deswegen auch in keinem anderen Gesetz vor. Wenn dieser unbestimmte Rechtsbegriff nun Eingang in die Abgabenordnung für zivilgesellschaftliche Organisationen finden soll, führt das unmittelbar zum zweiten Problem.
 
Die Entscheidung darüber, ob eine Organisation verfassungsfeindlich oder extremistisch sein soll, obliegt laut Gesetz ausschließlich den Landesämtern für Verfassungsschutz und dem Bundesamt für Verfassungsschutz.  
 
Genau der Verfassungsschutz, der über zehn Jahre lang zugesehen hat, wie eine rechte Terrorgruppe mordend durchs Land zog, der durch üppige Zahlungen an nichtkontrollierbare V-Leute die neonazistischen Strukturen mitfinanziert hat, der warnende Hinweise auf rechte Terrorstrukturen ignoriert hat und dessen Verstrickung in die Mordserie des NSU nach wie vor nicht geklärt ist und seiner Konstruktion nach wohl auch nicht vollständig aufklärbar sein wird - ausgerechnet diese Behörde soll nun zum Demokratie-TÜV werden. Das ist absurd.

Das ist absurd und ein Schlag in das Gesicht derjenigen, die beispielsweise nach einem rassistischem Angriff auf die Hilfe jener zivilgesellschaftlichen Initiativen, auf die staatlicherseits immer wieder verwiesen wird , angewiesen sind, wenn es um Aktivitäten gegen Rechts geht, die aber andererseits beispielsweise wegen eines dezidierten Antifaschismus durch Erwähnung im Verfassungsschutzbericht inkriminiert werden.  
 
Damit sind wir beim dritten Problem. Die Erwähnung und auch die unbestimmte Nennung in einem der Verfassungsschutzberichte soll laut Gesetzentwurf automatisch ohne weitere Prüfung durch die Finanzämter, vor allem aber - das ist die eigentliche Neuerung in dem Entwurf gegenüber der Fassung aus dem Jahr 2009 - nicht widerlegbar zur Aberkennung in der Gemeinnützigkeit führen.  
 
Der Verfassungsschutz mutiert zur Steuerbehörde. Die Finanzämter verlieren damit ihren Ermessensspielraum. Die Betroffenen verlieren die Möglichkeit, bei den Finanzgerichten Rechtsschutz zu suchen. Es bliebe lediglich ein langjähriges Verwaltungsgerichtsverfahren.
 
Für die Betroffenen bedeutet die Streichung des Wortes „widerlegbar“ in der Abgabenordnung Folgendes: Während eines solchen Verfahrens würden alle steuerlichen Begünstigungen ruhen. Die Möglichkeit, steueranrechnungsfähige Zuwendungsbescheide auszustellen, entfiele. Förderanträge könnten nicht mehr gestellt werden. Hinzu können erhebliche Körperschaftssteuernachforderungen kommen, was angesichts der fast überall etablierten kurzfristigen Förderpraxis für nicht wenige dieser Organisationen das finanzielle Aus bedeuten kann.
 
Viertens stellt sich die Frage nach der Konstruktion des Verfassungsschutzes und der Qualität der Informationen, die er bietet. Ich zitiere aus dem Verfassungsschutzbericht des Bundes für das Jahr 2008: „Rechtsterroristische Strukturen waren auch 2008 in Deutschland nicht feststellbar. Wie im Vorjahr fand 2008 in der rechtsextremistischen Szene keine Debatte über rechtsterroristische Gewalt statt.“
 
Zu diesem Zeitpunkt hatte der NSU mutmaßlich bereits zehn Menschen ermordet. Deswegen ist es völlig richtig, dass der Verfassungsschutz nicht der Demokratie-TÜV dieser Gesellschaft sein darf und nicht über das Wohl und Wehe und die Zulässigkeit zivilgesellschaftlicher Initiativen entscheiden darf.