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Eva von Angern zur Sondersitzung des Landtags zum „Sachsen-Anhalt-Plan“

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich will Ihnen namens meiner Fraktion sagen: Der von Ihnen heute zur Debatte stehende Antrag entspricht nicht unserer Vorstellung von Beteiligung des Landtages an der Entwicklung der zur Bekämpfung der Pandemie erforderlichen Maßnahmen.

Sie wollen hier nicht etwa über den Sachsen-Anhalt-Plan 2021 beraten und beschließen, wie man nach dem Lesen der Betreffzeile vielleicht – wenn auch nur kurz – glauben könnte.

Nein. Hier soll auf Antrag der Koalitionsfraktionen, also jener Fraktionen, die die Regierung stützen und die deshalb nach dem gefährlichen Verfassungsverständnis des Ministerpräsidenten „Bestandteil des Kabinetts“ sind, lediglich beschlossen werden, die Regierung zu bitten, über den Entwurf des Sachsen-Anhalt-Plans 2021 zu informieren und über die ersten Ergebnisse der Anhörung zum Sachsen-Anhalt-Plan zu berichten. Außer – und da hätte ich Ihren Antrag augenscheinlich falsch interpretiert:

Sie wollen heute und hier Rede und Antwort stehen und das Parlament in Gänze und unverzüglich in die Ausgestaltung und Umsetzung des Sachen-Anhalts-Plans 2021einbeziehen, um gemeinsam Wege aus der Corona-Krise zu finden und zu beschließen.

Das ist der ausdrücklich von uns mehrfach vorgeschlagene Weg. Ich lege hier Sitzung für Sitzung dar, dass nach unserer Überzeugung:

In diesem Saal und nur in diesem Saal die grundsätzlichen Lebensfragen der Menschen in Sachsen-Anhalt entschieden werden müssen! Öffentlich und transparent, in Rede und Gegenrede!

Die maßgeblichen politischen Entscheidungen fallen aber nicht einmal in den Landesregierungen. Das ist eine Illusion. Sie fallen dort lediglich formal. Faktisch fallen sie in – wie am gestrigen Mittwoch – in der Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern.

Wie weit die tatsächliche Bedeutung dieser rein informellen, weder rechtlich noch parlamentarisch oder durch Medien kontrollierbaren Runde und ihre notwendige Transparenz auseinander klaffen, zeigt das Bescheiden eines IFG-Antrags des Tagesspiegel Berlin auf Zugang zu den Gesprächsprotokollen durch das Kanzleramt:

keine rechtliche Bedeutung, geschützter Kernbereich der Exekutive, Schutz des unbefangenen Meinungsaustauschs, Ablehnung.

Herr Ministerpräsident, aus Ihrer „Stunde der Exekutive“, in der die Administrationen eine Notlage zu meistern haben ist ein Jahr geworden. Der Verfassungsjurist Udo di Fabio hat uns in einem Interview in der „Welt“ vom 13. Februar 2021 genau darauf hingewiesen. Er beschreibt dort, dass es problematisch ist, wenn aus der „Stunde der Exekutive“ ein Jahr werde, weil sich dann möglicherweise in einer subkutanen Weise die Proportionen in dem Sinne verschieben würden, dass man sich daran gewöhne, dass die Exekutive weitreichend in den Alltag der Bürgerinnen und Bürger eingreife.

So bewegen wir uns aktuell in einer Lage, in der der Staat – wie es Heribert Prantl zuspitzte – gemessen an der eigentlich vorgegebenen Kompetenzordnung verfassungsrechtlich im Frieden Krieg spiele, ohne dass es für diesen Notstand ein geeignetes, schützendes Notstandsgesetz mit selbstbewussten Parlamenten als demokratische Sicherung gebe.

Sie, Herr Ministerpräsident, geben sich in dieser Frage verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch überaus orientierungslos: Mal tragen Sie vor, für eine Parlamentsbeteiligung sei wegen des Infektionsschutzgesetzes kein Platz, das Ihnen und nicht uns die Verordnungsermächtigung gibt. Mal tragen Sie vor, der Landtag sei in seinen Verfahren zu langsam. Mit diesem Argument, das einem Praxischeck nicht standhält, da auch in diesem Haus in der Vergangenheit mögliche, bis an die Grenzen des Zulässigen beschleunigte Gesetzgebungsverfahren genau das Gegenteil beweisen, könnte man den Landtag auch getrost in Gänze abschaffen. Und mal erwähnen Sie, der Landtag sei doch beteiligt, weil die Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen an den Kabinettssitzungen teilnehmen würden, wodurch sie zum Bestandteil des Kabinetts würden.

Ich fordere Sie auf: Beteiligen Sie dieses Parlament als gleichberechtigten Entscheider und holen Sie es aus der Rolle des Zuschauers heraus! Uns reicht das Informieren und Berichten nicht aus! Wir wollen, wir müssen mitberaten und mitentscheiden! Und das gilt auch und vor allem für den Sachsen-Anhalt-Plan!

Kann ein Plan, der den Namen Sachsen-Anhalt-Plan 2021 zu Recht tragen soll, durch einen anderen beschlossen werden als durch den Landtag von Sachsen-Anhalt selbst?

Schauen Sie nach Schleswig-Holstein zu Ihrem CDU-Kollegen Günter. Dort hat die CDU-geführte Landesregierung einen Perspektivplan beschlossen und sich damit dem Kieler Landtag bereits am 27. Januar 2021 gestellt. Seitdem beteiligt sich das Kieler Landesparlament mit umfassenden Anhörungen an der Fortentwicklung dieses Plans. Er wird so zu einer gemeinsamen Sache von Landesregierung und Landtag. Wir stehen dabei bestenfalls am Anfang, und müssen uns noch mit dem alleinigen Informieren und Berichten durch die Landesregierung begnügen.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

geht der Antragstext noch vom Entwurf des Sachsen-Anhalt-Plans aus, ist er nun heute trotz einiger überlieferter Unstimmigkeiten im Kabinett beschlossen worden. Wir diskutieren zur aktuellen Stunde nicht mehr über einen Entwurf, wie es der Antrag noch suggeriert, sondern über einen bereits beschlossenen Sachsen-Anhalt-Plan. Vollendete Tatsachen. Dieser Wirrwarr ist bezeichnend, wie ich auch bemerkenswert finde, dass die am 23. Februar 2021 beschlossene und zur Anhörung freigegebene Entwurfsfassung des Sachsen-Anhalt-Plans die erste und zugleich letzte Fassung war und ist, die ich dieser Debatte heute als Abgeordnete zugrunde legen kann und muss. Ob es die aktuelle oder eine überholte Fassung ist, liegt im Nebel.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte zum Anhörungsverfahren kommen. Sie haben mit diesem Anhörungsverfahren einmal mehr gezeigt, dass die Einsetzung eines Pandemie-Rats, wie er durch die Fraktion DIE LINKE seit Monaten gefordert wird, dringend Not tut. Unsere Anträge hatten Sie im Ältestenrat zwischengelagert. Ich muss derzeit davon ausgehen, dass das Zwischenlager in dieser Wahlperiode zum Endlager wird

Klar ist, wir werden noch einige Zeit, eine ungewisse Zeit mit Corona leben müssen.

Daher brauchen wir einen abgestimmten, einen realistischen Dreiklang aus: Impfen, Testen und mit Augenmaß öffnen. Und ich sagte es an dieser Stelle bereits mehrfach: die Eindämmungspolitik hat zu massiven Grundrechtseinschränkungen geführt.

Die existenziellen Belastungen des Lockdowns, die gebrochenen Versprechen von effektiven Finanzhilfen für Gewerbetreibende und die mangelnde Professionalität der Steuerung der Maßnahmen haben die Akzeptanz in der Bevölkerung sinken lassen. Dennoch wird die Logik von unrealistischen Ankündigungen zur Rücknahme des Lockdowns und seiner folgenden Verlängerung nicht durchbrochen. Der Sachsen-Anhalt-Plan steht für die Fortsetzung dieser Politik. Er winkt damit, in etwas mehr als 60 Tagen in 4 Stufen Schulen, Läden, Gastronomie, Kultur- und Freizeiteinrichtungen zu öffnen. Dies ist zunächst an Inzidenzen von 50 und dann an ein dauerhaftes Erreichen des Inzidenzwertes von 35 geknüpft (siehe Anlage 1).  Bei Inzidenzen von derzeit deutlich über 90 und den infektionssteigernden Virusmutanten werden wieder einmal uneinlösbare Versprechen, gemacht, die nicht weiterhelfen.

Perspektiven, die keine sind. Zudem ist der Plan in sich widersprüchlich. Einrichtungen mit relativ geringem Risiko, wie z.B. Theater, mittlerem Risiko, wie z.B. Restaurants, sollen viel später geöffnet werden, als die mit höheren oder hohen Risiko. (siehe Anlage 2)

Kein Wort zum Problem der nicht bzw. nur schleppend ausgezahlten Hilfen für Gewerbetreibende und andere Gruppen.

Klar ist: Die Pandemie wird nur dann einzudämmen sein, wenn die Bevölkerung schnell und umfassend Impfschutz erhält.

Das Thema der Impfungen wird in dem Sachsen-Anhalt-Plan lediglich zweimal angesprochen, in dem an die Impfbereitschaft der Bevölkerung appelliert wird.

Das ist das Gegenteil eines Plans. Nicht beantwortet wird die Frage, mit welchen Maßnahmen das schleppende Impftempo überwunden werden soll.

…und Sachsen-Anhalt fällt deutlich hinter das bundesdurchschnittliche Impftempo zurück.

Von 230.000 bis zum 28. Februar 2021 gelieferten Impfdosen waren zu diesem Zeitpunkt ca. 65 Prozent, einschließlich Zweitimpfung verabreicht (Bundesdurchschnitt 28.2.21 ca. 73 Prozent).  Es wird ab März mit einer spürbaren Zunahme der Impfstofflieferungen gerechnet. Für LSA sollen lt. Angaben des Bundegesundheitsministeriums bis zum 1.4. 2021 ca. 497.000 Impfdosen geliefert werden. Bundesweit sollen zu diesem Zeitpunkt über 18 Millionen Impfdosen ausgeliefert sein (siehe Anlage 3). Damit wäre eine erhebliche Steigerung des Impftempos möglich.

Diese Situation wirft einige Grundsatzfragen auf:

  1. Warum sollen geimpften Menschen weiterhin elementare Freizügigkeitsrechte vorenthalten werden, wenn ausreichend Impfstoff vorhanden ist?
  2. Warum sollen Restaurants und Läden nicht für sie geöffnet sein?
  3. Wann wird die Isolation der geimpften Heimbewohner aufgehoben?
  4. Warum wird die Erhöhung des Impftempos nicht generell ins Zentrum einer sinnvollen Öffnungsstrategie gestellt?

Ein Sachsen-Anhalt-Plan, der seinen Namen verdient, muss am Tempo und Umfang der Impfungen ansetzen. Außerdem müssen Schnelltests zur Regel werden. Das ist viel wichtiger, als falsche Hoffnungen durch ein zu schnelles und in der Auswahl deutlich willkürliches Öffnen zu wecken, in dem Wissen, dass wir durch eine 3. Welle ggf. zeitnah wieder alles runterfahren müssen.

Erhöht sich das Impftempo, ist davon auszugehen, dass bis zum Sommer ein erheblicher Teil der Bürger und Bürgerinnen geimpft ist. Mit welcher Rechtfertigung sollen ihnen dann zu diesem Zeitpunkt, wenn hoffentlich ca. 60 bis 70 % der Bevölkerung geimpft sind, weiter grundrechtseinschränkende Eindämmungsmaßnahmen zugemutet werden?

Darüber müssen wir ohne Schaum vorm Mund reden. Die Impfstrategie des Landes muss unbedingt überarbeitet werden. Deswegen fordert die Fraktion DIE LINKE:

  1. flächendeckendes Impfen in Arztpraxen und Kliniken ermöglichen
  2. mobile Impfangebote (mobile Impfteams und regionale Impftage)
  3. stufenweises Anschreiben aller impfberechtigten Personen zur Information
  4. Priorisierung der impfberechtigten Personen neben Vulnerabilität auch durch Infektionsgefahr
  5. klare, verbindliche, nachvollziehbare und transparente Festlegung impfberechtigter Personen, schneller Impfung von Schul- und Kita-Personal, Bus- und Straßenbahnfahrern

Nur ein hohes Testaufkommen ist aus unserer Sicht geeignet, Infektionscluster schnell zu identifizieren und die notwendigen Maßnahmen zur Nachverfolgung zu ergreifen. Eine deutliche Ausweitung von Testungen ist deshalb nach wie vor einer der wichtigsten Bausteine der Pandemiebekämpfung.

Deswegen fordert die Fraktion DIE LINKE:

  1. Insbesondere sollten in allen Schulen, Kitas und Betrieben wöchentlich ein Schnelltest angeboten werden.
  2. Die Kosten dafür sind vom Land zu tragen.
  3. Kostenfreie Schnelltests für Alle in Apotheken und Arztpraxen sowie durch zu schaffende weitere Teststationen
  4. Regelmäßige Schnelltests für Beschäftigte und Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften, Obdachlosenunterkünften und weiteren Einrichtungen, wo Menschen auf engem Raum zusammenleben
  5. Ausgeweitete Testungen am Arbeitsplatz durch verbindliche branchenspezifische Arbeitsschutzregelungen
  6. Konsequente Schnelltestungen bei Einreise nach Deutschland

Sie sehen, wir haben uns als Linksfraktion nicht nur Gedanken über die weiteren Schritte aus der Pandemie gemacht, sondern sie auch in konkrete Vorschläge gefasst. Darin sehen wir unsere Verantwortung als gewählte Mitglieder des Verfassungsorgans, des Landtages von Sachsen-Anhalt.

Ich werbe um Zustimmung zu unserem Antrag. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.