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Eva von Angern zu TOP 5: Aktuelle Debatte: Damit nach den Wahlen nicht der Rotstift regiert – Soziale Sicherheit statt Abstiegsagenda in Sachsen-Anhalt und im Bund!

Sehr geehrte Damen und Herren,

„Kuschel-Bündnis steht“. So titelte die Magdeburger Volksstimme am 14. September 2021 aus Anlass der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages durch die CDU, SPD und FDP. Diese sei ausgesprochen harmonisch verlaufen. „Das aber wird nicht immer so bleiben", prognostiziert der dazugehörige Kommentar. Denn betrachtet man das Foto unter dieser Headline, so könnte man annehmen, die Gruppe sei auf einem feuchtfröhlichen Klassentreffen und reiche inzwischen vergilbte Klassenzeitungen mit lustigen Fotos und Sprüchen herum, a la „weißt Du noch?“. Und nur einer auf dem Foto - der Co-Vorsitzende der Landes-SPD - gibt den Spielverderber und schaut dem lustig-gelösten Treiben mit einer Mischung aus Distanziertheit und Skepsis zu.

Mich haben dieses sprachliche Bild der Volksstimme und der für die Fotografen demonstrativ zur Schau gestellte Frohsinn der Koalitionäre sehr irritiert. Denn beides kommuniziert nicht den Ernst der Lage in Sachsen-Anhalt, nicht den Ernst der Lage in Deutschland, sondern spricht zu uns Bürgerinnen und Bürgern nach dem Motto:

„Wir wollen uns Durchkuscheln“ mag eine nette Erzählung für Ihre Deutschland-Koalition, Herr Ministerpräsident, sein.

Doch sie verkennt - bewusst - die Herausforderungen unserer Zeit. Deutschland steht vor großen Herausforderungen – ein Satz der überall zu hören und zu lesen ist und der den Tatsachen entspricht. Wir stehen vor wesentlichen Weichenstellungen, die über die Zukunft nachfolgender Generationen entscheiden. Fünf richtungsweisende Jahre stehen unserem Land bevor:

  1. Wir müssen beantworten, wie uns ein sozial gerechter Klimaschutz unter Einbeziehung aller Menschen gelingen kann.
  2. Wir müssen – gerade mit den Erfahrungen der letzten 1,5 Jahre Pandemie im Rücken – beantworten, wie wir einen starken Sozialstaat nicht nur garantieren, sondern tatsächlich realisieren wollen.

Und da sage ich zugleich ganz deutlich: wir brauchen dringend eine Abkehr vom neoliberalen Anbeten des Marktes. Allen Verächtern des Sozialstaates sei gesagt, dass gerade dieser uns relativ gut über die letzten 1,5 Jahre hinweg geholfen hat. Und ich sage ebenfalls ganz deutlich: Ja, wir brauchen mehr davon. Ein starkes soziales Fundament schafft Sicherheit und Geborgenheit gerade in Zeiten des Wandels.

Schaut man in den Koalitionsvertrag, wird deutlich: Die Antworten auf diese Herausforderungen, die der Koalitionsvertrag gibt, sind nicht zeitgemäß, sind kleinteilig. So wird Sachsen-Anhalt weiter verlieren. Wir bleiben weiter das Land, durch das durchgefahren wird. Mehr nicht. Darüber täuscht auch der benannte Kuschelkurs nicht hinweg. Dieser führt meist nur zum kleinsten gemeinsamen Nenner.  Es ist eine Koalition des kleinsten gemeinsamen Nenners und keine Koalition der Visionen, des solidarischen Schritts nach vorn.

Gestritten haben Sie sich nur, als es um Posten und Zuständigkeiten für Ministerinnen und Minister; also: als es faktisch um Macht ging. Das Eingreifen des Ministerpräsidenten in die Verhandlungen war erst nötig, als sich Frau Feußner erdreistete, keinen Sachsen-Anhalter, sondern einen Thüringer zu ihrem Staatssekretär machen zu wollen.

Prof. Dr. Wulf Diepenbrock – ehemaliger Rektor der MLU – schrieb dazu in der Mitteldeutschen Zeitung:

„Wer ist Jürgen Böhm? Er ist ein herausragender Bildungspolitiker und Schulkenner, wie es nur wenige gibt. (…) Es gibt nur wenige Ostdeutsche, die auf einen solchen Werdegang zurückblicken können.“ Sogar in Bayern war er hoch anerkannt!

Können wir es uns leisten, in Anbetracht des immer tiefer werdenden Tal der bitteren schulpolitischen Tränen auf derartig ausgewiesene Experten zu verzichten, der Kuschelpolitik wegen? Was ist das für eine Personalpolitik? Durchkuscheln will sich die CDU, die ein mit der SPD mögliches Zweierbündnis ablehnte und auf eine zahlenmäßig größere Mehrheit hier im Hause Wert legte, indem man sich noch die FDP ins Boot holte. Der Ministerpräsident will uns aber weiß machen, er wolle eine „stabile Mehrheit, die nicht von Krankenscheinen abhängig“ sei. Nicht abhängig will er sein von den unsicheren Kantonisten in seiner - eigenen Fraktion.

Das ist politisch ein Armutszeugnis!

Zu nennen sind da etwa die beiden Verfasser der Denkschrift, die als stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU in der letzten Wahlperiode meinten, es müsse wieder (!) gelingen, das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen wollten. Wie man hört, sind beide nur deshalb nicht wieder Teil der Fraktionsspitze, weil das Adenauer-Haus interveniert habe. Zu nennen ist da auch die Angst vor der stimmenmäßigen Abhängigkeit und möglichen Retourkutsche von seinem ehemaligen Landesvorsitzenden und Innenminister, den er entlassen musste, weil er für den Fall des Scheiterns der Kenia-Koalition öffentlich und laut über Kooperationen mit der AfD nachgedacht hatte.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Durchkuscheln will sich aber auch die SPD, die eine für sie – und vor allem für die Umsetzung möglichst vieler ihrer Wahlziele – überaus günstige taktische Situation selbst beiseitelegte und sich und vor allem die Stimmen ihrer Wählerinnen und Wähler im politischen Aushandlungsprozess unter Wert verkaufte.

Sie hat nicht nur das Wirtschaftsressort verloren und damit zugleich die politische Hoheit über das Tariftreue- und Vergabegesetz.

Es verging kein Wahlforum, indem sie diese richtige Forderung nicht ganz weit vorangestellt hat. Nun müssen Sie, verehrte Kolleg*innen von der SPD, darauf warten, dass das nun von der CDU geführte Wirtschaftsministerium einen Gesetzentwurf vorlegt. Da werden auch kleine Anfragen aus der SPD-Fraktion nicht helfen, diesen Prozess zu beschleunigen. Selbst wenn das Wirtschaftsministerium einen Entwurf vorlegt, haben sie schon jetzt den Weg geebnet, dass ihre Forderung nach einem Vergabemindestlohn unterlaufen werden kann. Ihr Deal in dieser neuen Koalition war:  Vergabemindestlohn gegen juristische Beinfreiheit bei seiner Umgehung. Tut mir leid, die Taktik hinter diesem Deal erschließt sich mir nicht! Ich finde übrigens die Formulierung zur Kindergrundsicherung im Koalitionsvertrag äußerst ambitionslos – und ich ahne, dass Sie dafür hart kämpfen mussten. Sie wollen sich auf Bundesebene „positiv in die Debatte“ einbringen. Na DONNERWETTER: in Berlin wird jetzt gezittert!

Nein, liebe Kolleg*innen der SPD: Wir brauchen dringend eine Bundesratsinitiative zur Einführung der Kindergrundsicherung. In Sachsen-Anhalt lebt fast jedes vierte Kind in Armut und wir wissen, was das bedeutet. Wir müssen handeln und uns nicht hinter netten Floskeln verstecken!

Lieber Andreas Schmidt, liebe Frau Kleemann, Sie hätten die Landes-CDU vor die Wahl einer Koalition nur mit der SPD oder mit der FDP und den innig geliebten Bündnisgrünen stellen können. Ein Zweierbündnis wäre möglich gewesen.

Es ist doch nicht Ihre Verantwortung, wenn der Ministerpräsident seine Reihen nicht geschlossen bekommt. Sie haben dieses Problem der CDU ohne politische Not abgenommen und erklärt, nur für eine Koalition mit einer dritten Fraktion zur Verfügung zu stehen. Das in dem Wissen, dass das für die Landes-CDU nie die bündnisgrüne Partei sein würde.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Die FDP als der genehmere Partner? Sie sollten sich über das Kuschelpotential und vor allem über die Kuschelbereitschaft der Landes-FDP und ihrer Frontleute keine Illusionen machen. Doch schaue ich nach Berlin, muss ich hier und heute davon ausgehen, dass auch der SPD-Kanzlerkandidat lieber mit der FDP kuschelt, als seine Ziele, namentlich die Erhöhung des Mindestlohnes oder die Einführung einer Vermögenssteuer, umzusetzen.

Eine Wahrheit, die sie nicht gern hören, die aber allen bewusst sein sollte, wenn sie ihre Stimme der SPD geben und auf mehr soziale Gerechtigkeit hoffen. Sie werden bitter enttäuscht werden!

Das Stichwort „Vermögenssteuer“ trifft ein Kernproblem Ihrer Koalitionsverhandlungen. Ich will nicht verhehlen, dass es nicht auch Kapitel darin gibt, die fachpolitisch als positiv einzuschätzen sind.

Doch, und jetzt kommt das entscheidende: Ihnen wird an vielen Stellen das Geld für die Umsetzung der Wünsche der drei Koalitionäre fehlen! Die Möglichkeiten, die die Kenia-Koalition noch hatte, bleiben ihnen verwehrt. Die Kassen des Landes Sachsen-Anhalt sind leer. Ihre einzige Möglichkeit, aus ihrer Sicht wahrscheinlich eher Hoffnung, sind Steuereinnahmen. Finanzminister Richter spricht von einer großen Herausforderung für unser Land. Ich füge hinzu: für die er noch keine Lösung. Der Koalitionsvertrag bleibt diese Lösung schuldig. Deshalb sage ich ganz deutlich: Ihr Koalitionsvertrag ist eine Mogelpackung!

Sie versprechen sich gegenseitig bzw. den Menschen in unserem Land Dinge, die sich nicht halten können und ich füge hinzu: nicht halten wollen. Denn auch an dieser Stelle lohnt ein Blick in Richtung Bund!

Zwei der hiesigen Koalitionspartner sprechen sich ganz offen gegen Steuererhöhungen aus. CDU und FDP wollen sogar die Reichsten in unserem Land entlasten.

Nur mit einem Mitte-Links-Bündnis kann es zur dringend erforderlichen großen Steuerreform kommen, und nur dann verfügen wir als Land Sachsen-Anhalt über ausreichend Steuereinnahmen, um die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag tatsächlich umzusetzen.

Sollte dies nicht geschehen, ist Ihr Vertrag das Papier nicht wert, auf den er gedruckt wurde. Allein Ihr Sondervermögen wird Ihnen aus dieser Situation nicht heraus helfen. Es mag ein kleiner Rettungsanker für das Jahr 2022 sein. Mehr nicht.

Ich erinnere an dieser Stelle an die Positionen von CDU und FDP zur Schuldenbremse, die sie als heiligen Gral vor sich hertragen, ohne ehrlich die konkreten Folgen für die Menschen in unserem Land zu benennen.

All die Herausforderungen, vor den unser Land steht, kosten Geld und es muss die Frage beantwortet werden, wer dieses leistet.

Ich habe kürzlich einen Post eines Instagram Influencers gelesen: „Warum ist eigentlich der Satz – die Reichen sollen die Krise bezahlen – überhaupt eine Forderung über die diskutiert wird, wer soll es denn sonst machen?“ Recht hat er.

Doch schaue ich auf die Inflationsentwicklung, sehe ich, wer zahlen soll. Nein, das ist ungerecht und mit uns nicht zu machen. Sie wollen, dass die zahlen, die die meiste Last der Pandemie getragen haben.

Unser Land ist gespalten: in Millionen von Verlierern und wenigen Gewinnern mit obszönem Reichtum. Reichtum, der sich in der Zeit der Pandemie noch einmal vermehrt hat. Deshalb brauchen wir eine Debatte über eine angemessene Vermögensbesteuerung und eine große Steuerreform, die Normal- und Geringverdiener entlastet. Wir brauchen kein weiteres Klatschen vom Balkon!

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Allein das Thema Steuerreform zeigt, dass dieser Koalition, die alles verbindende, für das Ganze stehende Erzählung oder Botschaft fehlt. Die leider wieder vor sich hin mäandernden Dankensworte des Ministerpräsidenten nach seiner Wahl vorhin, haben das in traurig-deutlicher Weise dokumentiert.

Wir brauchen Ideen, wir brauchen einen Ort des Aufbruchs in unserem Land. Ich möchte meine Rede nicht ohne ein Lob beenden: Wir haben das erste Mal in der Geschichte ein fast paritätisch zusammengesetztes Kabinett. Das freut mich sehr.

Herr Ministerpräsident, Sie haben sich darüber hinaus für sehr starke Frauen in Ihrem Kabinett entschieden.

Da ich persönlich weiß, dass der Umgang mit starken Frauen nicht grade Ihre Lieblingsbeschäftigung ist, beeindruckt mich das umso mehr. Ich gratuliere allen gewählten Ministerinnen und Ministern zu Ihrer Ernennung und selbstverständlich dem Ministerpräsidenten zu seiner Wahl!

Gehen Sie davon aus, dass meine Fraktion Sie in den nächsten fünf Jahren in der Sache konstruktiv aber selbstverständlich in Ihrer Arbeit offensiv kontrollieren und Fehlstellen transparent machen wird!

Anstatt sich den Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft mutig zu stellen, anstatt die Weichen endlich in Richtung starker Sozialstaat und starker Wirtschaft, die der Gesellschaft dient zu stellen, verharren Sie in einem mutlosen „Weiter so!“.

Sie eröffnen keine Perspektiven für Sachsen-Anhalt, sie begnügen sich mit einer mangelhaften Verwaltung mangelhafter Zustände. Und damit führen Sie Sachsen-Anhalt sehenden Auges aufs Abstellgleis. Die Menschen in Sachsen-Anhalt können nur hoffen, dass Ihre konkrete Politik besser wird als dieser ambitionslose Koalitionsvertrag.

Zu Ihrer Politik liegen klare Alternativen auf dem Tisch, und mit denen werden wir Sie öffentlich konfrontieren. Erklären Sie den Menschen im Lande dann, warum sie auf Stagnation statt Fortschritt setzen.

Glauben Sie mir, dann wird es mit dem „Kuschel-Bündnis“ schnell vorbei sein.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!