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Doreen Hildebrandt zu TOP 3: Große Anfrage "Situation und Entwicklung der freien Berufe in Sachsen-Anhalt"

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich muss gestehen, ich habe recht lange vor der großen Anfrage der CDU – Fraktion zur „Situation und Entwicklung der freien Berufe in Sachsen -Anhalt“ gesessen und überlegt, worauf Sie mit Ihren Fragen hinauswollten. Und dann fiel mir auf, dass ich als Linke damit Schwierigkeiten haben muss, weil Sie die aus unserer Sicht wirklich wichtigen Fragen gerade nicht gestellt haben.

Sie haben nicht gefragt, wie viele der Freiberufler soloselbständig sind.

Sie haben nicht gefragt, wie viele der Freiberufler Arbeitslosengeld II als aufstockende Leistung zum Lebensunterhalt beantragen müssen.

Sie haben nicht gefragt, wie viele der Freiberufler sich keine Rentenversicherung, keine Arbeitslosenversicherung, keine Kranken- und Pflegeversicherung leisten.

Sie haben weder nach der drohenden Altersarmut der Freiberufler noch nach Überschuldungen durch Praxis- bzw. Atelierausstattungen gefragt.

Ich finde das schon bezeichnend, dass die CDU-Fraktion in ihren ganzen 3 Sätzen Vorbemerkung richtig feststellt, dass – ich zitiere: „die Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Ärzte, Ingenieure, Architekten oder Anwälte einen großen Beitrag für das gesellschaftliche Allgemeinwohl leisten“ -Zitat Ende, aber nicht den Finger in die Wunden legt. Frei nach dem Motto “ was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ wird das wirkliche Leben vieler Freiberufler überhaupt nicht erfragt.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich zweifle nicht an, dass es Freiberufler gibt, die sehr gut von ihrer Arbeit leben und auch ihre Familien ernähren können. Andererseits zeigt gerade die Antwort auf Frage 2 zur allgemeinen Lohnentwicklung seit 2010, dass sich auch viele Freiberufler in prekären Einkommensverhältnissen befinden. Das sind nicht nur große Teile der bildenden Künstler, Musiker und Schauspieler, sondern auch Restauratoren, Journalisten, Fotografen, Übersetzer, Designer, Sachverständige, Dozenten, Fahrlehrer, Heilpraktiker und Datenverarbeiter.

Erwartungsgemäß sind das die freien Berufe, in denen es kein gesetzliches Mindesthonorar gibt und in denen Knebelverträge nach dem Motto „friss oder stirb“ Gang und Gäbe sind. Hier gibt es Handlungsbedarf, wo wir uns als Parlament ansehen müssen, welche Zeichen vom Land selbst ausgehen. Beispielsweise nötigen doch unsere Landesbehörden Dozenten, für 20,-€/Stunde in der Erwachsenenbildung zu unterrichten. Da muss sich doch etwas ändern lassen!

Genauso lohnt es sich, mal hinzusehen, wie Freiberufler, die aufstockend Arbeitslosengeld 2 beziehen, von den Jobcentern behandelt werden: Wenn es laut SGB II schon vorgeschrieben ist, Aufstocker regelmäßig zu einem Vermittlungsgespräch einzuladen und zu überzeugen, sich einen „lukrativeren“ Job zu suchen – was meiner Meinung nach gegen Artikel 12 GG verstößt – und eine freiberufliche Fotografin auf ihrer Homepage die Öffnungszeiten ihres Fotostudios veröffentlicht hat – reicht da nicht gesunder Menschenverstand und ein bisschen Empathie des Jobcenter-Mitarbeiters, diese Frau außerhalb der Öffnungszeiten ihres Fotostudios zum Vermittlungsgespräch einzuladen?

Sowas muss doch machbar sein!

Und, was Sie, meine Damen und Herren der CDU-Fraktion erstaunlicherweise auch nicht erfragt haben: Wieviel Lebens – bzw. Arbeitszeit müssen denn Freiberufler aufwenden, um die administrativen Aufgaben für ihre eigentliche Arbeit zu erfüllen? Ist für Sie denn da kein Handlungsbedarf erkennbar?

Aber ich will an dieser Stelle nicht nur die Fragesteller auf ihre eingeschränkte Sicht aufmerksam machen. Auch die Landesregierung bekleckert sich mit ihren Antworten nicht mit Ruhm. Ein Beispiel ist die Antwort auf Frage 18, in welchem Umfang die Medizin-Studienplätze erhöht werden müssen, um dem Fachkräftemangel zu beseitigen.

Antwort der Landesregierung: Sachsen-Anhalt liegt bei der Anzahl der Humanmedizinstudiengänge über dem Bundesdurchschnitt, also gibt es keine Erhöhung. 6 Seiten weiter beschreibt die Landesregierung aber als Antwort zur Frage 22, dass von den 6880 Human- und Zahnmedizinern im  Land 1246 Ärzte 55 Jahre und älter sind – also demnächst in Rente gehen. Wollen wir schon wieder solange untätig zugucken, bis es wie bei den Lehrern heute zu spät ist?

Sehr geehrte Damen und Herren der CDU-Fraktion,

insgesamt betrachtet hätten Sie aus dieser großen Anfrage deutlich mehr Erkenntnisse über die Lebenswirklichkeit der Freiberufler in Sachsen-Anhalt ziehen können, wenn Sie nur gewollt hätten. Das wäre dann auch dem von Ihnen erwähnten großen Beitrag der Freiberufler am gesellschaftlichen Allgemeinwohl gerecht geworden.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.