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Dagmar Zoschke zu TOP 20: Regelbedarfsstufe 3 unverzüglich abschaffen

Der Deutsche Bundestag hat im Februar dieses Jahres eine Reihe von Veränderungen der Sozialgesetzbücher 2 und 12 beschlossen, die zu einer erheblichen Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen führten.

Im Rahmen des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 03.12.2010 (BT-Drs. 17/3404, 17/3958, 17/3982, 17/4032, 17/4058, 17/4095, 17/4303, 17/4304, 17/4770; 11.02.2011 - 17/4719; 23.02.2011 vom Vermittlungsausschuss beschlossenen Änderungen,- 17/4830) wurden die Regelbedarfsstufen neu geordnet und eine neue Stufe 3 eingeführt. Diese Regelbedarfsstufe umfasst 80 % des vollen Regelsatzes – macht 291 €. Eingeordnet werden in diese Regelbedarfsgruppe „erwachsene Leistungsberechtigte, die keinen eigenen Haushalt führen, weil sie im Haushalt anderer Personen leben“.

Während junge Erwachsene über 25 Jahre, die bei ihren Eltern leben, arbeitsfähig sind und ALG 2 erhalten, nach § 7 Absatz 3 SGB II nicht zur Bedarfsgemeinschaft zählen, quasi eine eigene Bedarfsgemeinschaft bilden und den vollen Regelsatz erhalten, werden die Leistungsberechtigten nach SGB XII in die neue Regelbedarfsstufe 3 eingeordnet und erhalten damit 73 € weniger als SGB II-Leistungsberechtigte. Also wurden ihnen seit dem 1. Januar dieses Jahres die Leistungen um 73 Euro gekürzt.

Betroffen von diesen Benachteiligungen sind nach Aussagen des Bundesbehindertenbeauftragten Hubert Hüppe etwa 37.000 Menschen mit Behinderungen. Dabei handelt es sich zumeist um Menschen mit hohem Hilfebedarf.  Diese Menschen mit hohem Hilfebedarf leben wegen ihrer Behinderung auch im Alter von über 25 Jahren sehr oft noch bei ihren Familien, weil sie auf die Hilfe ihrer Familien oder auf die Hilfe einer Wohngemeinschaft angewiesen.

Diese offensichtliche Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen durch den Gesetzgeber so kurz nach der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesrepublik war wohl den Koalitionsfraktionen und auch der SPD im Bundestag (zunächst) nicht aufgefallen. Trotz zahlreicher Proteste von Behinderten- und Sozialverbänden im Vorfeld der Gesetzgebung wurde keine Gleichstellung vorgenommen.

Auch im Vermittlungsverfahren des Bundesrates konnte man sich lediglich auf eine Protokollnotiz einigen, in der für irgendwann eine Prüfung des Regelsatzes versprochen wurde. Im Gesetz fand diese Prüfung keinen Niederschlag.Dass damit die Betroffenen nur vertröstet werden sollten, wurde in den letzten Monaten deutlich. Wie ernst diese Protokollnotiz zu nehmen ist, zeigt die Antwort des Staatssekretärs Gerd Hoofe vom 15.07.2011 auf eine parlamentarische Anfrage der Bundestagsabgeordneten Katja Kipping. Staatssekretär Hoofe sieht keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass für erwachsene behinderte Menschen, die im Haushalt der Eltern leben müssen, weil anderswo ihr Hilfebedarf nicht gedeckt werden kann, der gleiche Regelsatz zur Anwendung kommen könnte wie bei Erwachsenen im SGB II-Bereich.
Und auch die angebliche Notwendigkeit neuer statistischer Erhebungen, die erst 2013 abgeschlossen werden können, schiebt eine Angleichung der Verhältnisse auf die lange Bank.

Diese offensichtliche Ungleichbehandlung stößt nicht nur bei vielen Menschen auf Unverständnis, sie benachteiligt vor allem die auf Assistenz angewiesenen Menschen und ihre Familien. Außerdem konterkariert diese Verfahrensweise alle Beteuerungen der Bundesregierung, die Forderungen der UN- Behindertenrechtskonvention seien in der Bundesrepublik weitgehend umgesetzt.

Der Nationale Aktionsplan listet zahlreiche Maßnahmen auf, die angeblich zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention beitragen. Die Abstellung solcher Ungleichheiten ist darin nicht aufgeführt.

Mit dieser Regelung werden auch Bestrebungen, Menschen mit Behinderungen ein Leben außerhalb stationärer Einrichtungen zu ermöglichen und ihre Selbstbestimmung zu fördern, erschwert bzw. verhindert.
Denn die Argumentation, dass das Zusammenleben mehrerer Erwachsener im Haushalt eines anderen Erwachsenen die Regelbedarfsstufe 3 mit sich bringt, führt dazu, dass es auch selbst organisierte Wohngemeinschaften nicht geben wird.

Oder glauben Sie, meine Damen und Herren, dass die Absenkung der zum Lebensunterhalt zur Verfügung stehenden Mittel um 73 € die betreffenden Menschen  dazu motiviert, in Wohngemeinschaften zu ziehen?

Ambulant vor stationär zu fördern, sieht meines Erachtens anders aus!
Mit dieser Meinung bin ich nicht allein, sie wird vertreten viele Behindertenverbände, darunter auch die Bundesvereinigung der Lebenshilfe.

Deren Vorsitzender Robert Antretter schreibt in einem Brief an verschiedene Bundestagsabgeordnete folgendes: „Diese Ungleichbehandlung wird durch die Bundesregierung in der Gesetzesbegründung … mit dem Systemunterschied zwischen der Grundsicherung für Arbeitssuchende und der Sozialhilfe gerechtfertigt. Der Leistungsbezug des SGB II sei nur auf vorübergehende Unterstützung ausgelegt, wohingegen Leistungen der Sozialhilfe zumeist dauerhaft bezogen würden. Mithin handele es sich bei ersterem um ein dynamisches, bei letzterem um ein statisches System. Diese Begründung ist nicht überzeugend und realitätsfern. Das BVerfG hat in seinem Urteil klargestellt, dass nach Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums besteht. Bereits im Urteil vom 23.03.2010 (Az: B 8 SO 17/09 R) hat das Bundessozialgericht ausgeführt, dass im Hinblick auf die identische sozialrechtliche Funktion beider Leistungen, nämlich die Sicherstellung des Existenzminimums, für eine unterschiedliche Behandlung der Personengruppe der SGB XII- und SGB II-Leistungsempfänger keine sachlichen Gründe erkennbar seien und auch über 25-jährigen SGB XII-Leistungsbeziehern der volle Regelsatz zustehe. Der pauschale Abschlag von 20 Prozent der Grundsicherungsleistung trifft Personen, die besonders auf die Unterstützung ihrer Familien und die Solidarität der Gesellschaft angewiesen sind - gerade behinderte Menschen sind aufgrund ihrer Behinderung zumeist nicht in der Lage, aus eigener Kraft etwas an ihrer Einkommenssituation zu ändern. Die Bundesvereinigung Lebenshilfe bittet deshalb nachdrücklich darum, in der jetzt tagenden Bund-Länder-Arbeitsgruppe darauf hinzuwirken, dass es nicht zur Einführung dieser diskriminierenden Regelbedarfsstufe 3 kommt.“

Diese Bitte verhallte im Februar 2011. Inzwischen haben verschiedene Betroffenen-Initiativen sich an den Gesetzgeber gewandt, eine Briefaktion der Lebenshilfe Wolfenbüttel ruft dazu auf, sich mit einem Protestschreiben an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu wenden. Sie begründen ihren Protest unter anderem mit dem Artikel 3 des Grundgesetzes, in dessen 3. Absatz der Satz steht: Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Wir haben hier schon oft über Integration und auch Inklusion diskutiert und genau deswegen sollten auch wir uns dafür einsetzen, dass die gleichen Rechte der Menschen mit Behinderung nicht nur beschworen werden, sondern endlich auch gewährleistet werden!

Stimmen Sie unserem Antrag zu, verehrte Kolleginnen  und Kollegen und beauftragen Sie mit uns die Landesregierung, in dieser Angelegenheit aktiv zu werden.