Diese Website verwendet Cookies. Warum wir Cookies einsetzen und wie Sie diese deaktivieren können, erfahren Sie unter Datenschutz.
Zum Hauptinhalt springen

Dagmar Zoschke zu TOP 17: Arbeitsweise der Sozialagentur den aktuellen Problemlagen in der Eingliederungshilfe und den Erfordernissen der UN- Behindertenrechtskonvention anpassen

Es ist eine unendliche Geschichte der Klagen über die Sozialagentur und ihre Arbeitsweise, die uns Anlass war, das Problem heute zu thematisieren.

Die Sozialagentur verdankt ihre Entstehung dem Gesetz zur Neuordnung der Landesverwaltung von 2003. Sie besteht als LHO-Betrieb (also Betrieb nach Landeshaushaltsordnung) seit dem 1. Juli 2004. Im Behördenverzeichnis des Landes ist sie als Verwaltungsbehörde dem Ministerium für Arbeit und Soziales zugeordnet. Sie ist für die Aufgaben des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe zuständig und untersteht der Dienst- und Fachaufsicht des Ministeriums für Arbeit und Soziales wie man im Internet nachlesen kann.

Nun werden wir von Wohlfahrtsverbänden, Trägern von Behinderteneinrichtungen und Bürgerinnen und Bürgern mit Behinderungen, die auf Eingliederungshilfeleistungen nach dem SGB XII angewiesen sind, immer wieder mit Entscheidungen der Sozialagentur konfrontiert, die für „Otto und Ottilie Normalverbraucher“ nicht nachvollziehbar sind. Auch die Arbeitsweise und der Umgang mit den Anliegen behinderter BürgerInnen und deren Familien werden häufig kritisiert.

Vor allem wird die hemmende Rolle der Sozialagentur bei der Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe im Sinne der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention konstatiert.

  • dass das viel zitierte Prinzip „ambulant vor stationär“ noch immer nicht die Art und Weise der Behindertenhilfe bestimmt,
  • dass schwerst behinderte Menschen mit hohem Hilfebedarf noch immer fast automatisch auf Heime verwiesen werden, wenn sie nicht mehr bei den Eltern versorgt werden können und dass ihr Wunsch- und Wahlrecht dabei für den Kostenträger kaum eine Rolle spielt,wer dafür verantwortlich ist,
  • dass in den Anlagen zum Rahmenvertrag nach § 79 SGB XII, der 2007 im Teil 1 unterzeichnet wurde, noch immer keine Leistungs-, Prüf- und Entgeltvereinbarungen abgeschlossen wurden. Trotzdem werden z. B. für den Leistungstyp „Ambulant betreutes Wohnen“ pro Tag nur ca. 11 Euro als Entgeltsatz veranschlagt.


So richtig beantwortet wurden diese Fragen aber nicht: Die Landesregierung verwies bezogen auf solche Formen wie Persönliches Budget auf die kommunale Ebene als herangezogene Gebietskörperschaft, die für die Entscheidungen verantwortlich sei.

Die kommunale Ebene wiederum verweist auf die Vorgaben der Sozialagentur und eine drohende Regresspflicht des örtlichen Trägers, wenn sie die Vorgaben der Sozialagentur nicht einhalten. Die Sozialagentur auf die Entscheidungshoheit der örtlichen Sozialämter. Die Träger der Einrichtungen als Leistungserbringer verweisen auf mangelnde Auskömmlichkeit der Entgeltsätze, die seit 1996 einer Deckelung unterliegen. So wird der schwarze Peter also hin und her geschoben.

Wer ist denn nun tatsächlich dafür verantwortlich, dass in Sachsen-Anhalt zwar die Eingliederungshilfekosten Jahr für Jahr steigen, aber die Entgelte für die verschiedenen Hilfeformen seit den 90er Jahren kaum den wachsenden Kosten entsprechend angepasst wurden?

Woran liegt es, dass seit 2007 zwar der allgemeine Teil der Rahmenvereinbarung unterzeichnet vorliegt, aber die notwendigen Anlagen, die die konkrete Ausgestaltung der zu erbringenden Leistungen und deren Vergütung und Kontrolle beinhalten, noch immer nicht einvernehmlich ausgehandelt sind? Hat die Sozialagentur ausreichend Personal – und zwar auch in der richtigen Qualifikation? Entscheidungen allein nach Aktenlage bringen gerade in einem so sensiblen Bereich wie der Eingliederungshilfe häufig Probleme mit sich.

Auf der Strecke bleibt der letztendlich anspruchsberechtigte Mensch mit Hilfebedarf, der, wenn er mit den zugewiesenen Hilfeformen nicht einverstanden ist oder das damit verbundene Entgelt nicht ausreicht, auf den Rechtsweg verwiesen wird. Und dieser ist nicht nur kompliziert, sondern auch elend lang z. B. für einen Menschen, der mit Fünfzig im Pflegeheim landet, weil der Ehepartner mit der Versorgung nicht mehr klarkommt, und der dort festhängt, weil die Behörde sich an Akten und Formalien festhält.

Woran liegt es, dass man sich über die Leistungsbeschreibungen nicht einig wird? Wir halten es für dringend erforderlich, dass das gesamte System der Behindertenhilfe in Sachsen-Anhalt endlich an die Erfordernisse von Selbstbestimmung und Teilhabe angepasst wird.

Leistungsbeschreibungen, die die Grundlage für die Verhandlung von Vergütungen sind, bilden die Art und Weise der Hilfeerbringung und Förderung für die Menschen mit Behinderung ab. Sie müssen sich nach unserer Auffassung vor allem an den Bedürfnissen der Menschen mit Behinderungen orientieren und die Prämissen der UN-Behindertenrechtskonvention zum Ausgangspunkt haben. Deshalb müssen die Leistungsvereinbarungen, die noch aus den frühen 90er Jahren stammen, endlich neu gestaltet werden.

Wann wird es für Sachsen-Anhalt eine den aktuellen Erfordernissen entsprechende Fachplanung in der Behindertenhilfe geben? Weder im Bereich des Wohnens noch in anderen Bereichen mündete der Richtungswechsel, der mit dem SGB IX 2001 gesetzlich verankert wurde, in einer adäquaten Fachplanung.

Z. B. steht seit 2001 die Aufgabe, eine interdisziplinäre Frühförderung zu gewährleisten. Bis heute gibt es keine Landesrahmenvereinbarung für diese Komplexleistung. Die Leistungserbringer schlagen sich seit Jahren mit Verhandlungen um Standards und Entgelte herum, statt ihre Kräfte auf innovative und qualitativ hochwertige  Förderangebote konzentrieren zu können.

Wann wird die Sozialagentur personell in die Lage versetzt, den Verhandlungsstau bei den Leistungsbeschreibungen und Entgeltverhandlungen abzubauen? Wie soll die Vielzahl an Einzelverhandlungen zeitnah abgeschlossen werden oder verspricht man sich von offenen Verfahren Einsparungseffekte?

Der Eingliederungshilfetitel im Haushalt ist von einer solchen Dimension, die einfach mehr Aufmerksamkeit bzgl. seiner Wirksamkeit erfordert. Wir geben Beträge in dreistelliger Millionenhöhe aus und hören trotzdem viel Kritik an der Situation in der Behindertenhilfe. Fast alle Träger haben sich vom öffentlichen Tarif trennen müssen, weil die seit 1996 stagnierenden Entgelte eine regelmäßige Gehaltssteigerung für die Fachkräfte nicht zulassen. Trotzdem arbeiten sie mit hohem Einsatz, viel Liebe und Engagement. – Dafür an dieser Stelle unser Dank!

Noch eine Bemerkung zum 2. Punkt unseres Antrages:

Ambulant vor stationär heißt die Devise in Grußworten bei Behindertenverbänden und Reden am 5. Mai vor den Menschen mit Behinderungen. Aber wenn es um die Finanzierung geht, klammert man sich an uralte Regelungen, die noch aus Zeiten stammen, als behinderte Menschen nach der Höhe ihres Hilfebedarfs regelrecht in Schubkästen sortiert wurden. Und noch heute sagt man Menschen mit sehr hohem Hilfebedarf im Sozialamt, dass nur diese oder jene stationäre Einrichtung in Frage käme.

Selbstbestimmungsrechte, Teilhabemöglichkeiten und Wunsch- und Wahlrecht spielten damals bestenfalls in Reden eine Rolle. Doch diese Vorgehensweise kann nicht mehr akzeptiert werden. Das Recht auf freie Wahl des Wohnortes auch für behinderte Menschen, das u. a. im Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention verankert ist, erfordert auch neue Methoden der Verpreislichung der Leistungen. Die Fachleistungsstunde zugrunde zu legen, wäre z. B. eine Möglichkeit. Zumindest sollte sie in die Verhandlungen einbezogen werden. Warum man sich hier so zurückhält, ist nicht nachzuvollziehen. Dazu interessiert uns die Argumentation der Landesregierung.

Und vielleicht ist es ja auch möglich, mal über die Landesgrenzen hinaus zum Thema Fachplanung, Fachleistungsstunden und Entgeltgestaltung mit anderen Bundesländern in Erfahrungsaustausch zu treten – und zwar nicht mit dem Ziel, in dem Bereich die Mittel zu reduzieren, sondern die eingesetzten Mittel wirksamer im Sinne einer hohen Lebensqualität behinderter Menschen einzusetzen.

Nun zum Änderungsantrag der Regierungsfraktionen, zwei Unterschiede zu unseren Forderungen sind auszumachen:

  1. Sie teilen offenbar nicht den kritischen Blick auf die Sozialagentur.
  2. Sie wollen von der Landesregierung nicht wissen, wie sie zur Anwendung von Fachleistungsstunden als Grundlage für Leistungsentgelte steht. Dass dieses Verfahren umstritten ist, wissen wir. Dass man aber nicht darüber sprechen will, warum Sachsen-Anhalt es ablehnt, grenzt u. E. an Heuchelei. Denn ohne grundsätzliche Änderungen im Entgeltsystem wird es nichts mit „ambulant vor stationär“. Oder sind Sie tatsächlich der Meinung, dass ein pauschaler Tagessatz von 11 Euro dazu führen kann, dass Menschen mit hohem Hilfebedarf dann die Wahl haben, wo sie leben wollen und mit wem? Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention kann so wohl nicht entsprochen werden.