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Christina Buchheim zu TOP 16: Kommunale Demokratie nicht außer Kraft setzen

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

werte Kolleginnen und Kollegen,

mit Urteil vom  23. April 2015, Az. III ZR 195/14 hat der BGH festgestellt, dass Beschlüsse rechtswidrig sind, „wenn bei der Beschlussfassung des Gemeinderats die Vorschriften der Gemeindeordnung über die Öffentlichkeit der Gemeinde-ratssitzungen verletzt worden sind“. Er führt weiter aus: „Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzung gehört zu den wesentlichen Verfahrensbestimmungen des Gemeinderechts“.

Unsere Kommunalverfassung schreibt in § 52 Abs. 1 vor, dass Sitzungen der Vertretung und ihrer Ausschüsse öffentlich sind. Abs. 2 enthält dazu Einschränkungen, wobei festzustellen ist, dass eine mögliche Infektionsgefahr kein Ausschlussgrund der Öffentlichkeit der Sitzungen ist. Abs. 4 sieht vor, dass Zeit, Ort und Tagesordnung der Sitzungen der Gremien rechtzeitig ortsüblich bekanntzumachen sind. Unsere Kommunalverfassung spricht sich also für die so genannte Saalöffentlichkeit aus.

Das Prinzip der Öffentlichkeit findet sich in allen Kommunalverfassungen und ist ein tragender Grundsatz des Kommunalrechts. Mit dem Öffentlichkeitsprinzip soll das Handeln der kommunalen Vertretungsorgane transparent sein und damit das Vertrauen der Bevölkerung in die kommunalen Vertretungen gestärkt werden. Damit gehört das Öffentlichkeitsprinzip zu den Säulen kommunaler Demokratie.

Dieses Prinzip wurde in allen Kommunen gelebt. Doch dann kam Corona und in dieser Krise stellte sich die Frage, wie die Vertretungen demokratisch handlungsfähig bleiben. Ohne Zweifel ist das gesundheitspolitische Ziel, die Eindämmung der Pandemie, die Sicherung der Krankenhausversorgung und der gesundheitliche Schutz besonders gefährdeter Bevölkerungs-gruppen gegenüber der Einschränkung von Grundrechten abzuwägen. Dennoch darf diese Abwägung nicht dazu führen, dass die demokratische Kontrolle außer Kraft gesetzt wird, sie darf in einer Krise nicht zur Disposition stehen.

Während die Eindämmungsverordnungen das Selbstorganisa-tionsrecht der Gemeinderäte, Verbandsgemeinderäte, Kreistage und weiterer Selbstverwaltungskörperschaften nicht einschränkte, wurde per Runderlass des Innenministeriums vom 23. März 2020 in Abstimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden auf der Grundlage von § 143 Abs. 4 des Kommunalverfassungsgesetzes ab sofort bis zunächst zum 30. April 2020 eine Befreiung von einzelnen Regelungen der Kommunalverfassung erteilt, insbesondere das Öffentlichkeitsprinzip, also die tragende Säule der Demokratie für diese Zeit außer Kraft gesetzt. Danach sollen dringende Angelegenheiten, die keinen Aufschub dulden, ausnahmsweise in einem an § 54 S. 2 KVG angelehnten vereinfachten schriftlichen Verfahren beschlossen werden können. Zudem sollen keine inhaltlichen Beschränkungen für dieses Verfahren gelten. Auch das Internet wird für öffentliche Bekanntmachungen der Kommunen zugelassen. Für diesen Fall ist eine Änderung der Hauptsatzung notwendig, die wiederum nach Auffassung des Innenministeriums im vereinfachten schriftlichen Verfahren beschlossen werden kann. In der Folge kam es zur Absage sogenannter Präsenzsitzungen, es regte sich aber auch Widerstand von Kommunalpolitikern. Teilweise wurden dann doch Präsenzsitzungen abgehalten, allerdings zum Teil auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Mit dem Erlass wurde offensichtlich wissentlich in Kauf genommen, dass das KVG keine Ermächtigung für das Innenministerium enthält, generelle Ausnahmen von zwingenden Vorschriften zuzulassen. Damit wurden Rechtsunsicherheiten geschaffen, da der Grundsatz der Öffentlichkeit – wie die anfangs von mir zitierte Entscheidung des BGH bestätigt - tragend für die Wirksamkeit von Beschlussfassungen der kommunalen Gremien ist.

In den Kommunen wurde der Erlass großzügig ausgelegt und angewendet. Dass die Kommunen damit Gefahr laufen, dass gefasste Beschlüsse damit rechtswidrig bzw. nichtig sind, nahm das Innenministerium offensichtlich in Kauf. Dass ausgerechnet aus dem Haus des Innenministers, aus der Feder mehrerer Juristen solche rechtswidrigen Handlungsempfehlungen stammen, ist offen zu kritisieren und zu missbilligen.

Blickt man auf die übrigen Bundesländer, so stellt man folgenden Konsens fest: 1. Sitzungen der Vertretung sollen in der Coronakrise nur auf das absolut Notwendige beschränkt werden. 2. Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Sitzungen der Vertretung als eines der wesentlichen Grundprinzipien des Kommunalverfassungsrechts ist einzuhalten.

Auch andere Bundesländer haben die sogenannte Experimentierklausel, § 143 Abs. 4 unserer Kommunalverfassung, als Rechtsgrundlage für die Einführung neuer Formen der Beratung und Beschlussfassung der kommunalen Vertretungen in Betracht gezogen. Allerdings kamen sie übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass diese Vorschrift es gerade nicht gestattet, grundsätzliche Entscheidungen des Gesetzgebers auszusetzen. Die Einführung neuer Formen der Beratung und Beschlussfassung der kommunalen Vertretungen ist und bleibt dem Gesetzgeber vorbehalten.

Um Kommunalparlamente handlungs- und beschlussfähig zu halten, muss eine rechtssichere Handlungsgrundlage für die Dauer der aktuellen Corona-Pandemie, aber gegebenenfalls auch vorsorglich für zukünftige Ausnahmesituationen geschaffen werden. Dies ist gerade nicht mit dem angegriffenen Erlass geschehen und deshalb können wir den beschönigenden Alternativantrag der Koalitionsfraktionen auch nicht mittragen.

Änderungen an der Kommunalverfassung obliegen dem Gesetzgeber. Hierzu können wir uns gern im Innenausschuss zu Lösungsansätzen verständigen. Wie diese anstatt des fragwürdigen Erlasses schon hätten aussehen könnten zeigt ein Blick in die anderen Bundesländer:

Dort wurden bereits – teils befristete – Änderungen der Kommunalverfassungen beschlossen bzw. noch beraten; Brandenburg hat mit seinem „Gesetz zur Sicherstellung der Handlungsfähigkeit der brandenburgischen Kommunen in außergewöhnlicher Notlage“ eine Verordnungsermächtigung für den Innenminister beschlossen. Sowohl die Verordnungsermächtigung als auch die aufgrund dieses Gesetzes erlassene Verordnung wurden befristet. Zudem wurde der Erlass der Verordnung vom Einvernehmen mit dem Innenausschuss abhängig gemacht. Andere Bundesländer haben mit entsprechenden Hinweisen per Erlass darauf verwiesen, dass die kommunalverfassungsrechtlichen Vorschriften ausreichend Spielraum bieten, um über die Durchführung von Sitzungen der Gremien abhängig von den örtlichen Gegebenheiten und der weiteren Entwicklung der Lage flexibel entscheiden zu können.

Festzuhalten bleibt, wir als Landesparlament haben uns auch um den Gesundheitsschutz der kommunalen Vertretungen zu kümmern und sind für die entsprechenden Weichenstellungen zuständig.

Das Handeln des Innenministeriums war rechtswidrig. Ausreichend wären einfache Hinweise gewesen, da der rechtliche Rahmen unserer Kommunalverfassung ausreichenden Spielraum bietet, um über die Durchführung von Sitzungen im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Corona-Pandemie flexibel entscheiden zu können.

Der Gesetzgeber hat bereits für den Fall, dass der Gemeinderat bzw. Kreistag nicht beschlussfähig ist, eine Regelung getroffen, die die Handlungsfähigkeit sichert. Insoweit verweise ich auf § 55 Abs. 2 und § 55 Abs. 3 Kommunalverfassungsgesetz, die in der Kommentierung Notbeschlussfassung genannt werden.

Erwartet hätten wir daher, dass das Innenministerium Hinweise dahingehend erteilt hätte, wie man unter den derzeit rechtlichen Möglichkeiten in Verbindung mit organisatorischen Maßnahmen die Handlungsfähigkeit der kommunalen Vertretungen sichert. Da wären die Verlegung von Sitzungen und Durchführung von Präsenzsitzungen nur für dringende Angelegenheiten, Beschlussfassung bei Gegenständen einfacher Art nach § 54 S. 2 KVG und Nutzung der sogenannten Notbeschlussfassung – all diese gesetzlichen Regelungen bieten ausreichenden Handlungsspielraum. Daneben wären Kapazitätsbeschränkungen für Besucher, die Begrenzung von Sitzungs- und Redezeiten und Pairing-Vereinbarungen zulässige Möglichkeiten. Im Zweifel verbliebe immer noch die Eilentscheidung des Hauptverwaltungsbeamten nach § 65 Abs. 4 KVG.

Mit unserem Antrag haben wir die bestehende Problemlage aufgezeigt und zunächst mit Auslaufen des ersten Erlasses entsprechende Abhilfen gefordert. Offensichtlich war man sich zwischenzeitlich dessen selbst bewusst geworden, da man die Kommunen nunmehr auch mit dem Erlass vom 29.04.2020 darauf hingewiesen hat, dass die im Umlaufverfahren gefassten Beschlüsse in späteren Präsenzsitzungen durch Beschluss bestätigt werden müssen. Dieser Erlass trägt allerdings unserem Begehren nur zum Teil Rechnung.

Um die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der kommunalen Vertretungen auch in Krisenlagen zu sichern, sollten entsprechende gesetzliche Änderungen vorgenommen werden, wenn man meint, dass die bestehenden Regelungen der Kommunalverfassung nicht ausreichend sind. Die Beibehaltung der derzeitigen Rechtslage - die Berücksichtigung der Erlasslage -führt in der Konsequenz weiterhin zu Rechtsunsicherheiten.

Die Erweiterung des Umlaufverfahrens ist aufgrund der Bedeutung des Öffentlichkeitsprinzips keine zulässige Option zur Vermeidung von Sitzungen. Soweit die Koalitionsfraktionen mit ihrem Alternativantrag in Ziffer 3 die Beteiligung der Öffentlichkeit online sicherstellen möchten, halten wir auch das für problematisch, da praktisch Einwohnerfragestunden außer Kraft gesetzt werden. Zudem ist die technische Gewährleistung (Stichwort Barrierefreiheit) nicht überall gewährleistet.

Und zum Abschluss noch folgender Hinweis:

Zwischenzeitlich gibt es mindestens eine Kommunalaufsicht, die darauf hingewiesen hat, dass die mit diesem Erlass eröffnete Möglichkeit eines vereinfachten schriftlichen Verfahrens rechtlich nicht sicher ist, da der Erlass gesetzliche Regelungen nicht außer Kraft setzen könne. Es sollen sogar bereits entsprechende Verfahren anhängig sein, die nach Auffassung der Kommunalaufsicht Saalekreis Aussicht auf Erfolg haben könnten. Deshalb hat die Kommunalaufsicht davon abgeraten, Satzungsänderungen im vereinfachten schriftlichen Verfahren zu beschließen. Dies war im Erlass vom 23.03.2020 noch ausdrücklich empfohlen wurden, mit Erlass vom 29.04.2020 wird nunmehr empfohlen, darauf zu verzichten. Und die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen legen einen Alternativantrag vor, der diesen Murks auch noch rechtfertigt. Da hätte ich – mit Blick auf Brandenburg - schon mehr erwartet.

 

Vielen Dank!