Diese Website verwendet Cookies. Warum wir Cookies einsetzen und wie Sie diese deaktivieren können, erfahren Sie unter Datenschutz.
Zum Hauptinhalt springen

Birke Bull zu TOP 05: Konzept zur zukünftigen Gestaltung von Förderschulen

Sie präsentieren mit Ihrem Antrag den aller-, aller-, allerkleinsten gemeinsamen Nenner Ihres Regierungsbündnisses. Ich weiß, mehr ist nicht machbar. Denn die einen möchten, vielleicht unterschiedlich gewichtet, Inklusion am besten begraben, die anderen müssen sich mit dem weitest gehenden Stillstand begnügen. Deshalb bleiben Sie uns und der Öffentlichkeit schuldig, was Rahmen und Richtung Ihres Antrages sein soll. Genau darum drücken Sie sich. Ich will vier Bemerkungen zu Ihrem Antrag bzw. zu unserem Änderungsantrag machen.

Zum Ersten. Ich finde, Inklusion ist eine großartige Vision und ein Menschenrecht und demokratisch. Alle Kinder lernen miteinander in vielfältigen Lernprozessen. Vor allen Dingen erleben sie Gleichwertigkeit in der Differenz. Ich finde, das ist auch pädagogisch eine spannende Sache. Bildung braucht Vielfalt und nicht Einfalt. Ich will aber gleichzeitig sagen, es ist eine riesige Herausforderung, und zwar deshalb, weil man nahezu alles, was althergebracht ist oder scheint, infrage stellen muss.
Für diejenigen, die es nicht allzu gern haben: Es ist ein ratifiziertes Gesetz. Wir können hier nicht mehr über die Frage des Ob reden, sondern es ist nur noch eine
Frage des Wie. Ich weiß, das finden nicht alle gleich gut. Eine beliebte oder subtile Strategie der Ablehnung ist immer die Umdeutung. Deshalb finde ich es schon immer wieder notwendig zu erklären, worum es eigentlich geht.

Die Prämissen sind: Erstens. Vielfältige Lebenslagen und Lernvoraussetzungen sind Normalität. Entscheidend dabei ist, dass jede und jeder Wertschätzung, und zwar gleichermaßen Wertschätzung und Teilhabe erfährt oder, anders gesagt, dass alles, was Unterschiede in Misskredit bringt oder Chancen vorenthält, überwunden gehört.
Zweitens. Inklusion in Bildungsprozessen heißt gemeinsames Lernen voneinander und miteinander.
Drittens. Diese Unterschiede muss man produktiv machen. Das ist und bleibt - ich
wiederhole mich - eine ganz große Herausforderung. Deshalb ist es uns wichtig, noch einmal ganz klar zu sagen: Die Zukunft liegt im gemeinsamen Unterricht, im gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderungen, von Kindern aus unterschiedlichen Kulturen und unterschiedlichen Religionen, von unterschiedlicher sozialer Herkunft und vieles andere mehr.

Zum Zweiten. Wenn Theorie auf Praxis trifft, dann ist es immer so, dass Ideale nur noch Näherungswerte sind. Deshalb bleibt dieser Prozess einer der ständigen
Auseinandersetzung. In Sachsen-Anhalt ist es so, dass Erfolg und Misserfolg sehr nah beieinanderliegen und dass wir seit vielen Jahren keine Balance mehr zwischen dem einen und dem anderen haben. Es gibt erfolgreiche Schulen und Projekte, aber es gibt viel zu viele, die die Segel gestrichen haben.
Hierzu will ich noch einmal klar sagen: Das ist selbstgemachtes Leid; denn der Misserfolg ist in allererster Linie mit dem akuten Personalmangel zu begründen. Ich finde es gut, wenn Frau Gorr sagt, Sie seien kurzsichtig gewesen. Entscheidender ist aber die Frage, ob Sie jetzt weitsichtig werden.

Zum Dritten. Die Kolleginnen und Kollegen an den Förderschulen leisten Bewundernswertes. Sie fördern die Kinder nach den Möglichkeiten, die eine Förderschule bietet. Sie geben ihnen Zuversicht und auch emotionale Zuwendung, zumindest in den meisten Fällen. Trotzdem ist es so, Schülerinnen und Schülern in den Förderschulen fehlen nun einmal die gleichaltrigen stark oder anders Begabten. Es fehlen ihnen kognitive Anreize und Impulse. Und zur Wahrheit gehört auch, es ist extrem schwer bis unmöglich, den Rahmen der Förderschule zu verlassen und eine andere Schullaufbahn einzuschlagen.
Schülerinnen und Schülern an den Regelschulen wiederum fehlen die Erfahrungen mit besonderen Lernstrategien, mit besonderen Lebenssituationen. Ihnen fehlen die Erfahrungen, welche anderen Lernstrategien man entwickeln kann, wovon auch sie profitieren könnten.

Zum Vierten. Der Umbauprozess ist nicht nur komplex und kompliziert, sondern er gestaltet sich auch als Dilemma, weil: Die Zukunft der Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen ist an der Regelschule. Das Problem ist nur, weniger Förderschülerinnen und Förderschüler, also mehr im gemeinsamen Unterricht, brauchen nicht gleichermaßen weniger Förderpädagoginnen und Förderpädagogen. Auch kleine Klassen in den Förderschulen kommen nicht mit einem halben oder mit einem Dreiviertellehrer aus. Solange wir zwei Säulen für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf haben, stecken wir im Dilemma fest. Deswegen müssen wir über den Übergang nachdenken.

Damit bin ich bei Ihrem Antrag, gegen den man im Wesentlichen nichts einwenden kann. Ich freue mich vor diesem Hintergrund auf eine sachliche Diskussion im Ausschuss. Ich hätte gern noch dazu die Frage gestellt, wie es gelingen könnte, einen solchen Übergang mit Kooperationsklassen unter dem Dach der Regelschule zu gestalten. Ich denke, es wird uns sicherlich gelingen, sachlich und konstruktiv in einen Austausch zu treten, auch wenn wir am Ende nicht die gleichen Pfade favorisieren.