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Alle Menschen sind gleich und frei geboren – das ist das Ideal seit der Aufklärung und das Versprechen

In der aktuellen Debatte in Erinnerung an das Ermächtigungsgesetz im Landtag von Sachsen-Anhalt betont Eva von Angern:

„Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 endete die parlamentarische Demokratie binnen weniger Wochen. Bereits mit der Reichtagsbrand-Verordnung im Februar verloren Gegnerinnen und Gegner des Regimes jeden rechtlichen Schutz. Kommunist:innen und Sozialdemokrat:innen wurden in sogenannte Schutzhaft genommen. Der Begriff der „Schutzhaft“ war ein zynischer Euphemismus: es handelte sich tatsächlich um eine willkürliche Haft, die kein Richter angeordnet oder überprüft hatte. Diejenigen, die in Hinterzimmern von Kneipen und Kellern, den ersten wilden Lagern, von des SA gefoltert worden hätten vor denen geschützt werden müssen, die sie einsperrten.

Das Ermächtigungsgesetz vom 23. März, also der Beschluss in der Reichstagssitzung vor genau 90 Jahren, sicherte den Nazis dann den absoluten Durchgriff. Es hebelte die Gewaltenteilung, die Verwaltung der Länder und die Oppositionsrechte aus. Nicht einmal acht Wochen nach Machtantritt wurde aus der Weimarer Demokratie das Ein-Parteienregime der NSDAP. Die neuen Machthaber waren entschlossen, gewalttätig und skrupellos. Bereits am 1. April folgte der erste landesweite Boykott von Geschäften jüdischer Inhaber. Mit Verkündigung vom 7. April verloren die jüdischen Beamt:innen ihre Stellen im öffentlichen Dienst. Bereits vorher waren viele demokratisch gesinnte Beamte aus Verwaltung und Polizei entlassen worden. Ab Juli 1933 begann die zwangsweise Sterilisation und Ermordung von Menschen mit Behinderungen. Lange vor Auschwitz also griff das Deutsche Reich mit enormer Konsequenz in das Leben von hunderttausenden Verzweifelten ein.

Heute sind wir uns alle einig, zumindest der übergroße Teil hier, wie verbrecherisch die Zeit des Nationalsozialismus war. 90 Jahre nach Auschwitz, nach den Verbrechen in Bernburg, in der Lichtenburg und in Isenschnibbe, gibt es kaum jemanden, der keine Abscheu zeigt. Schwerer ist die Frage, wie dies alles möglich war und damit, wie es künftig zu verhindern sei. Allerdings, die Suche nach Antworten verlief gar nicht so entschlossen, wie Nachgeborene heute meinen könnten. Beide deutsche Teil- Gesellschaften mussten nach 1945 einen Aufbruch gestalten, der durch Menschheitsverbrechen belastet war. Beide deutsche Staaten haben dies, trotz großer Unterschiede, auch dadurch gelöst, diese schuldbeladene Vergangenheit einzufrieren, abzuwehren oder nur stückweise zuzulassen.

Die sichere Grundlage, auf der heute die bundesdeutschen Gerichte ehemalige Helfer der Vernichtungs- und Konzentrationslager verurteilen, gibt es noch gar nicht so lange. Erst nachdem 99 Prozent der direkt Beteiligten nicht mehr lebten, hat die Justiz die Kraft gefunden, die letzten der 99-jährigen Täterinnen zu verurteilen. Fritz Bauer vertraute den deutschen Behörden nicht und verabredete die Strafverfolgung von Adolf Eichmann vorsichtshalber nur mit der israelischen Regierung.

Die Deutlichkeit, mit der wir in heutigen Gedenkreden die Enteignung und Entrechtung der jüdischen Bevölkerung geißeln, hätten sich die wenigen Zurückgekehrten gewünscht, die lange versuchten, ihr im NS geraubtes Hab und Gut zurückzubekommen. Als ab 1995 die Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung durch Deutschland tourte, kam es zu unseligen Protesten. Sowohl Journalist:innen, Abgeordnete der CSU und CDU als auch Neonazigruppen mobilisierten in zahlreichen Städten gegen die Ausstellung und versuchten, das Bild der „sauberen Wehrmacht“ aufrechtzuerhalten.

Doch das Publikumsinteresse war enorm, und der längst belegte Forschungsstand zur Beteiligung am Holocaust drang ins allgemeine Bewusstsein vor. Kriegs- und Wehrmachtsverherrlichung waren bis dahin anschlussfähig. Fast 60 Jahre lang verkauften sich die Landser-Hefte in der Bundesrepublik. In der DDR wurden die dort verbotenen Hefte heimlich getauscht, nach der Wiedervereinigung fanden sich auch im Osten neue und jüngere Käufer:innen. Ebenso ziehen sich, nicht nur rechte Gewalt, sondern auch Wahlerfolge rechtsextremer Parteien und Organisationen durch die Geschichte der Bundesrepublik.

Bereits in den 60er Jahren gelang der NPD der Einzug in sieben westdeutsche Landesparlamente. 1998 erreichte die DVU in Sachsen-Anhalt aus dem Stand ein Wahlergebnis von knapp 13 Prozent. Deren Abgeordneten gaben schon damals einen Vorgeschmack auf das Niveau, was auch heute in diesem Landesparlament zu finden ist. Warum dieser Exkurs? Nun, wir sehen, dass selbst das Unabweisbare zu lange strittig blieb. Millionen Tote sind nicht zu leugnen, aber, wer sie umgebracht hat, das bleibt umstritten. Je genauer man in die Archive schaut, umso mehr ahnt man, dass unser Vertrauen auf zivilisatorischen Fortschritt mehr Hoffnung als letzte Gewissheit ist. 2022, also 100 Jahre nach dem Marsch auf Rom übernimmt in Italien eine Ministerpräsidentin die Macht, die sich positiv auf den Diktator Mussolini bezieht. Die jetzige polnische Regierung verbietet Frauen den Schwangerschaftsabbruch, auch im Fall der Gefährdung des eigenen Lebens durch eine Schwangerschaft. Das neu gewählte rechte Regierungsbündnis in Israel will das Justizsystem schleifen. Donald Trump hatte 2021 versucht, seine Wahlniederlage durch Gewalt und rechtliche Tricks abzuwenden.

Demokratische Wahlen bringen zunehmend Parteien an die Macht, die die Gewaltenteilung abschaffen, die Opposition behindern, Minderheitenrechte abschaffen, das Wahlrecht instrumentell ändern wollen. Und auch in unserem Land gibt es immer wieder Angriffe auf Presse-, Kunstfreiheit, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, deren Rechte wir mit aller Kraft verteidigen müssen. Von Beginn an benannten die Nazis aber auch im eigenen Jargon diejenigen, die im Gegensatz zur Volksgemeinschaft stünden und die stattdessen bluten müssten und die aufgeknüpft gehörten: „Juden, Sozis und Bolschewisten“. Keine Gemeinschaft ohne Feindbestimmung. Die NSDAP versteckte zu keinem Zeitpunkt ihre verbrecherischen Ziele.

Die deutsche Gesellschaft begrüßte mehrheitlich die Hybris vom Herrenmenschen, das Führerprinzip, die Raubzüge im Inland und in den Kriegsgebieten. Die gewaltsame Aussonderung von Minderheiten bot neue Gelegenheiten des Aufstieges. Auch das klingt aktuell nicht unbekannt. Aus zerstörten Lebenswegen der einen, wurden die Karrieren der anderen. Die in der Regel auch das Kriegsende überdauerten. Woran sich also politisch orientieren?

Für mich als LINKE bleibt ein zentraler Maßstab, den es hochzuhalten und zu verteidigen gilt: Alle Menschen sind gleich und frei geboren! Das ist das Ideal seit der Aufklärung, bekräftigt nach zwei Weltkriegen, das ist das Versprechen der Demokratie. Dieses Versprechen ist stark. Demokratische Politik muss sich fragen, wie sie dieses Ideal in Praxis übersetzt. Und die Wähler:innen der Rechten müssen sich fragen, ob sie eine Gesellschaft wollen, die sich nicht an diesem Ideal orientiert. Nach zwei Weltkriegen, und während eines Krieges in Europa und mitten im globalen gesellschaftlichen Wandel.“

 

Magdeburg, 23. März 2023