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TOP 21: Sachsen-Anhalt kommt voran - aber wie

Der Fakt, dass die laufende Legislatur zur Hälfte der Vergangenheit angehört, soll nach dem Willen der FDP mit Hilfe dieser Aktuellen Debatte gebührend gewürdigt werden. In der Begründung schwingt ein bisschen Verärgerung mit, dass die Landesregierung eine Halbzeitbilanz gegenüber den Medien, nicht aber gegenüber dem Parlament mittels einer Regierungserklärung gezogen hat.   

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage Ihnen ausdrücklich, unser Ärger hält sich diesbezüglich in  engen Grenzen, aber zumindest bietet diese Aktuelle Debatte die Gelegenheit, uns gegenseitig das zu erzählen, was wir vorher alle einzeln den Medien erzählt haben.

Damit interessierte Kreise darüber hinaus über die jeweilige Sicht der Dinge detailliert informiert werden, haben die Landesregierung, meine Fraktion, die CDU und die FDP jeweils Broschüren erstellt. Dies tat nur die SPD nicht, worüber unsereiner intensiv spekulieren könnte, warum sie das nicht tat. Die wohlmeinendste Interpretation ist, dass die Gelder in der Fraktionskasse knapp wurden, aber es gäbe auch durchaus andere Möglichkeiten.

Aus unserer Sicht ist interessant, dass die Halbzeitbilanzen unserer politischen Konkurrenz fast ausschließlich alle Bezug auf die B-Note nehmen. D. h., es wird davon ausgegangen, was man selbst so getan hat und wie man meint, diese Dinge reflektiert werden müssten. Interessant für uns war dabei, dass außer uns niemand auf die Idee gekommen ist, einmal die Sicht derjenigen ins Visier zu nehmen, um die es hier eigentlich geht, nämlich die Sicht der Bürger in diesem Land. Dazu gibt es jedoch ein umfangreiches Material, nämlich der „Sachsen-Anhalt-Report“ aus dem Jahr 2007, der uns sehr drastisch vor Augen führt, wie Politik, insbesondere auch Landespolitik, gesehen wird, welches Vertrauen die Menschen in uns haben bzw. eher nicht haben, welche Problemlösungskompetenzen sie bei uns vermuten bzw. eher nicht vermuten und welche Positionierung sie insgesamt zum politischen System haben. Im Angesicht dieser Erhebung müsste die eine oder andere Erfolgsmeldung eigentlich etwas dezenter ausfallen, als wir es nachlesen konnten, zumal die Entwicklung der letzten zweieinhalb Jahre von ausgesprochen günstigen externen Rahmenbedingungen geprägt gewesen ist, und die Frage nach der jeweiligen Leistung der Landesregierung vor diesem Hintergrund bewertet werden muss.

Aber genau dies scheint das eigentliche Problem zu sein, wie man die eigene Leistung bewertet. Nehmen wir uns einmal den, wie der Ministerpräsident ihn bezeichnete, Pappkarton der Landesregierung. Gleich auf der zweiten Seite werden wir dort darüber aufgeklärt, dass das Wirtschaftswachstum in Sachsen-Anhalt im ersten Halbjahr 2008 mit 2,8 % über dem Durchschnitt der Bundesländer, insbesondere der ostdeutschen Bundesländer, ist. Da wir aber alle in diesem Raum wohl wissen, dass diese Legislaturperiode nicht erst 2008 begonnen hat, wäre es einmal interessant zu erfahren, wie die Entwicklung des Wirtschaftswachstums in den Jahren 2006 und 2007 gewesen ist. Auch diese Zahlen sind übrigens an einer anderen Stelle veröffentlicht worden und zwar in einer kleinen Broschüre des Finanzministeriums. Daraus geht eben hervor, dass Sachsen-Anhalt sowohl 2006 als auch 2007 ein unterdurchschnittliches Wirtschaftswachstum im Vergleich zu den anderen ostdeutschen Bundesländern hatte. Dies könnte vielleicht noch für die SPD positiv zu interpretieren sein nach dem Motto: “Wir mussten erst einmal eine Zeitlang in dieser Regierung sein, damit es vorwärts geht.“

Die CDU hätte da schon Schwierigkeiten, sie regiert hier seit 2002 und müsste demzufolge auch für diese Werte Verantwortung übernehmen, aber davon findet sich nichts in ihrem so genannten Pappkarton.

Lassen Sie mich nur noch ein Beispiel für diese selektive Wahrnehmung nennen: Da feiert die Landesregierung die wachsende Zahl der Beschäftigten im Maschinenbau und den Umsatz in dieser Branche. Eigenartigerweise findet man jedoch nicht die Gesamtbilanz bei der Entwicklung der Zahl der Erwerbstätigen in Sachsen-Anhalt. Diese lag 2006 noch leicht über dem Durchschnitt der neuen Flächenländer, im Jahre 2007 und 2008 jedoch darunter. Soweit diese Landesregierung diese Tatsache überhaupt zur Kenntnis nimmt, reagiert sie, indem sie darauf verweist, dass man hier in Sachsen-Anhalt besonders viel Beschäftigte im öffentlichen Sektor abbauen würde. Im Laufe dieser Legislaturperiode allein 14.0000. Nun wird den interessierten Haushaltspolitiker diese Zahl durchaus interessieren, da sie wirklich erklärungsbedürftig ist, und ob es denn wirklich stimmt, dass andere Bundesländer im Osten diesen Abbau nicht mehr vollziehen müssten.

Aber das ist nicht das eigentliche Thema. Das eigentliche Thema ist vielmehr, welche Perspektive  nimmt Politik bei der Bewertung der eigenen Leistung ein? Und an der Stelle existiert das eigentliche Problem. Aus der Sicht des Einzelnen ist nämlich eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, egal, ob im öffentlichen Dienst oder im privatwirtschaftlichen Sektor, ein ganz entscheidender Faktor für die Sicherung von Lebensqualität und Perspektive, also auch dafür, ob jemand dieses Land verlässt oder hier bleibt oder vielleicht hierher kommt. Und wenn dann Politik den radikalen Abbau von Beschäftigungszahlen im öffentlichen Sektor als Erfolg verbucht, ohne dabei zu reflektieren, dass damit auch ein Abbau von Leistung und Wertschöpfung praktiziert wird, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die Leistung von Politik in diesem Land von unseren potenziellen Wählerinnen und Wählern ganz anders bewertet wird als von den Akteuren in Regierung und Landtag. Und da, werte Kolleginnen und Kollegen, ist die eigentliche Differenz zwischen Ihrer Halbzeitbewertung und der unseren. Wir fragen nicht, welche selektiven temporären Parameter ganz besonders gut ausgefallen sind, sondern wir fragen, was kommt bei den Leuten am Ende wirklich an. Welche Auswirkung hat Politik auf deren Lebensumstände? Und dann ist es mindestens genauso interessant, sich einmal anzuschauen, wie sich z. B. die Arbeitseinkommen in Sachsen-Anhalt entwickelt haben. Da können wir registrieren, dass es auch hier eine Steigerung gegeben hat, aber diese eben klar unter dem Durchschnitt der neuen Flächenländer ausgefallen ist. Eigenartigerweise habe ich diese Tatsache in keiner Bewertung der bisher abgelaufenen Legislaturperiode, außer in der unserigen, gefunden. Aber das ist doch die eigentlich wichtige Kennziffer, wenn es um die Situation des Landes Sachsen-Anhalt geht. Lassen Sie mich das an einem weiteren Beispiel kurz erläutern: Ja, Sachsen-Anhalt hat die Arbeitslosenquote vom Juni 2006 bis August 2008 deutlich gesenkt. Sachsen-Anhalt liegt mit 4,3 % hier leicht über dem Durchschnitt der neuen Länder, ohne Berlin mit 4,2 %, hat aber andererseits bei der Entwicklung der Beschäftigtenzahlen, wie ich vorhin sagte, eine unterdurchschnittliche Entwicklung.

Was ist nun die Ursache dieser Diskrepanz?

Dafür mag es mehrere geben, die wichtigste aber ist, dass die Abwanderung, die vor allem potenzielle Arbeitnehmer betrifft, in Sachsen-Anhalt deutlich über dem Durchschnitt der neuen Flächenländer liegt. Wir haben hier die schlechteste Bilanz von allen. Das Wanderungsdefizit der beiden Jahre 2006 und 2007 beträgt in Sachsen-Anhalt fast 1,4 % der Bevölkerung, im ostdeutschen Durchschnitt beträgt es knapp 0,9 %. Diese erhebliche Differenz zwischen Sachsen-Anhalt und den anderen neuen Bundesländern bei der Entwicklung der letzten Jahre sucht man vergeblich in den Dokumentationen der Halbzeitbilanz der Koalition, geschweige denn, dass man sich damit auseinandersetzt.

Da feiert man vielmehr den Rückgang der Arbeitslosenzahlen, der sich zu einem gewissen Teil eben auch aus der Abwanderung erklärt.

Trotz alledem muss man sagen, dass wirtschaftliche Kennziffern als auch bspw. Wanderungssalden, nur bedingt Ergebnisse landespolitischer Entscheidungen sind. Darüber hinaus wissen wir alle, dass viele Entwicklungen über mehrere Jahre verzögert ablaufen und dass die Unterschiede zwischen den ostdeutschen Flächenländern oftmals marginal gegenüber den Unterschieden zwischen Ost und West bzw. der Bundesrepublik und den OECD-Staaten sind. Insofern warnen wir ohnehin davor, leichtfertig eine Verbindung von politischen Koalitionsfärbungen und ökonomischen sowie sozialen Rahmendaten herzustellen. Aber diese Landesregierung nimmt das ausführlich für sich in Anspruch und dann muss sie auch damit rechnen, genau an diesem Anspruch gemessen zu werden.

Deutlich genauer kann diese Landesregierung jedoch an Hand der Entwicklung einer Reihe politischer Projekte charakterisiert werden. Dafür trägt die Koalition nun einmal die Verantwortung und da sieht es einmal außerordentlich bunt aus. Dazu zählt erstens das Dauerchaos Gemeindegebietsreform, das nunmehr in einem Kompromiss endete, der vor dem Landesverfassungsgericht bestehen muss, von dem wir aber wissen, dass nicht wenige in der CDU hoffen, dass er genau da scheitert. Und wie tapfer die CDU solche Kompromisse verteidigt, haben wir vor kurzem erst bei ihrer Reaktion auf den Richterspruch zum Nichtraucherschutzgesetz gesehen. Ähnliches lässt sich über die Auseinandersetzung zur Ganztagsbetreuung in den Kindertagesstätten sagen, wo wir zwar im Mai 2006 eine sehr mutige Positionierung der SPD-Sozialministerin hatten, aber unter dem Strich nach wie vor eine Null stehen haben. Und wenn dann der Bildungskonvent, der auf Initiative der Koalition gebildet worden ist, eine aus Sicht der CDU falsche Entscheidung trifft und die Ganztagsbetreuung mehrheitlich fordert, wird dieser gleich noch als inkompetent und eigentlich überflüssig dargestellt.

Nicht so sehr viel anders verhält es sich mit der Diskussion um den Mindestlohn. Auch hier ist es nicht möglich, eine entsprechende Position dieser Landesregierung zu erreichen, um damit bundespolitisch aktiv zu werden, obwohl gerade dieses Thema extrem wichtig ist, wenn es um die Lebenssituation der Menschen in diesem Land und um die Entscheidung zur Abwanderung geht. Die Gräben bei der Diskussion um die Personalentwicklung sind genauso tief wie bei den vorhergehenden Themen, nur verlaufen sie etwas anders. Und zwar quer durch die jeweiligen Koalitionspartner, was die Situation unter dem Strich nicht besser macht. Aber auch diese Art und Weise der Koalitionsarbeit wird ihre Fortsetzung demnächst finden, wenn es um die Frage der Kommunalisierung von Landesaufgaben, die letzte Aufgabe der Kreisgebietsreform von 2007, geht. Da sind wir nicht nur gespannt, was uns diese Landesregierung vorlegt, sondern vor allem, was davon übrig bleibt, wenn die Koalitionsfraktionen sich näher damit beschäftigt haben.

Diese Auflistung lässt sich beliebig fortsetzen. Am spannendsten sind bisher die Auseinandersetzungen der Koalition im Innenbereich. Ich selbst hatte ja die Vermutung, dass die nächste koalitionsinterne Auseinandersetzung in diesem Feld die Farbe der Schnürsenkel der Bereitschaftspolizei betreffen wird. Statt dessen kam nach dem Geflügel die unterschiedliche Position zur Kostenbeteiligung am Polizeieinsatz beim Castor-Transport. Man muss wohl kein Prophet sein, wenn man voraussagt, dass sich noch viele Anlässe finden werden.

All das belegt letztlich nur eines, diese Koalition gründet sich nicht auf einen inhaltlichen Konsens. Wirklich wichtige landespolitische Entscheidungen, wie das Problem der Bildungsgerechtigkeit, wurden in die nächste Legislaturperiode vertagt.

Die kulturellen Differenzen dieser Koalition wurden bei der Debatte um die Position des Ministerpräsidenten zum leichtfertigen Umgang mit dem Leben als Folge von DDR-Sozialisation deutlich wie an anderen Stellen auch.

Ergo, diese Koalition wird im Wesentlichen durch den Willen zur Macht zusammengehalten. Bei der CDU erklärlicher als bei der SPD, aber letztlich ist dieses keine Perspektive für das Land Sachsen-Anhalt.

Die Halbzeitbilanz zu dieser Legislatur stellt natürlich auch die Frage an uns als Oppositionsführerin. Nun will ich wahrlich nicht in den gleichen Fehler verfallen wie die Koalition und eine allseits glänzende Selbsteinschätzung vornehmen. Aber wir haben doch zumindest erreicht, dass wir mit unserem Konzept zur Demokratieentwicklung und zur Bekämpfung des Rechtsextremismus einen komplexen Ansatz dargestellt haben, dass wir mit unserem Konzept zur Haushaltspolitik in dieser Legislaturperiode die Schwerpunkte unter den realen Bedingungen des Landeshaushaltes klar definiert haben, dass wir mit unserem Konzept für die räumliche Gliederung der öffentlichen Daseinsvorsorge bereits stark auf die Regierungsvorlage zum LEP eingewirkt haben und dass wir mit zwei Untersuchungsausschüssen zwei wichtige Problemfelder dieser Landesregierung aufgegriffen haben.

Sie können sich darauf verlassen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, dass wir diesen Weg weiter beschreiten werden, dass wir, anders als der Präsident dieses Landtages es will, nicht die Koalitionsvereinbarung gegenüber der Landesregierung durchsetzen werden, dies ist schließlich Aufgabe der Koalitionsfraktionen und wird von uns nur übernommen, wenn diese dazu nicht in der Lage sind und in der Koalitionsvereinbarung etwas richtiges drin steht.

Wir werden unsere politischen Alternativen entwickeln und sie mit den Menschen in diesem Land diskutieren und uns damit am Ende der Legislaturperiode zur Wahl stellen. Dann wird abgerechnet, dann ziehen die Wähler Bilanz und nicht die Politiker und es würde mich überhaupt nicht überraschen, wenn diese Bewertung dann eine erhebliche Differenz zu unseren Broschüren aufweist.