Diese Website verwendet Cookies. Warum wir Cookies einsetzen und wie Sie diese deaktivieren können, erfahren Sie unter Datenschutz.
Zum Hauptinhalt springen

TOP 13: Paradigmenwechsel in der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen verwirklichen

Mit diesem Antrag möchten wir einen grundlegenden Diskussions- und Veränderungsprozess im Land einleiten, der schließlich dazu führen soll, dass in Sachsen-Anhalt Menschen mit Behinderung genau wie Menschen ohne Behinderung ihr Leben in Selbstbestimmung und Würde selbst – und zwar als Subjekt und nicht als Objekt von Fürsorge - gestalten können und dass ihnen die dafür erforderlichen Hilfen bedarfsgerecht und möglichst ohne Inanspruchnahme eines Rechtsanwaltes zur Verfügung gestellt werden.

Dieses zuletzt genannte Anliegen ist wohl ein wenig auch Ausgangspunkt für den Antrag der Regierungsfraktionen, dessen Aufgabenstellungen für die Landesregierung wir ausdrücklich unterstützen. Aber dies kann nur ein erster Schritt sein. Wir haben bewusst die im Antrag von SPD und CDU genannten Problemstellungen nicht noch einmal explizit aufgeführt, da sie als Teilaspekte in unseren Forderungen verankert sind. Wir meinen, dass man tiefer gehen muss, um einen wirklichen Paradigmenwechsel herbeizuführen und sehen die beiden Anträge quasi als zwei Seiten einer Medaille.

Es geht uns um mehr als um die Qualität der Arbeit der Sozialagentur. Es geht um die Realisierung der in verschiedenen nationalen und internationalen Dokumenten und Gesetzen verankerten Rechte von Menschen mit Behinderungen auf Selbstbestimmung und Teilhabe. Die vom Hohen Hause hier vor mehr als einem Jahr begrüßte Unterzeichnung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen war ein Auftakt.

Deutschland war eines der aktivsten Länder im Erarbeitungsprozess der UN-Konvention. Wir können es uns, denke ich, international jetzt nicht leisten, einen Rückzieher zu machen. Das SGB IX und das SGB XII sowie die Behindertengleichstellungsgesetze des Bundes und des Landes sind in der Praxis entsprechend anzuwenden. Jetzt kommt es darauf an, die auf diesen Dokumenten basierenden gesellschaftlichen Veränderungen auch durch Verwaltungshandeln umzusetzen und möglichst auch zu fördern! Da gibt es viele Defizite wie gerade auch der Antrag der Regierungsfraktionen zeigt.

Es geht aber auch um die Bewältigung der wachsenden qualitativen und finanziellen Anforderungen in der Eingliederungshilfe. Die Zahl der Hilfeempfänger wächst von Jahr zu Jahr. Der Eingliederungshilfe-Titel macht im Sozialhilfe-Haushaltsplan zwei Drittel aus. Der Mittelabfluss beträgt zur Hälfte des Jahres schon fast 63 % - es wird also erneut mehr gebraucht als geplant war.

Einige Träger fordern neue Heimplätze, weil die Wartelisten immer länger werden. In der Realität ist immer noch das stationäre Angebot bei den zuständigen Ämtern und den Trägern der Einrichtungen das Angebot der ersten Wahl, vor allem, wenn es sich um Menschen mit relativ hohem Hilfebedarf handelt.

Traditionen und eine langjährige bevorzugte – politisch unterstützte - finanzielle Ausstattung stationärer Einrichtungen tragen dazu bei, dass bei vielen Familien mit behinderten Angehörigen und den Menschen mit Behinderungen selbst gar keine Alternativen gedacht oder für möglich gehalten werden. Wie können den ca. 1.000 gegenwärtig noch bei ihren teilweise über 70/80 Jahre alten Eltern lebenden WfbM-Mitarbeitern, die in den nächsten 5-8 Jahren Hilfen beim Wohnen bzw. Wohnplätze nachfragen werden, angemessen und ihren Wünschen entsprechend Angebote gemacht werden? Sollen wir noch 20 Heime bauen oder sorgen wir für ambulante Betreuungsformen?

Meine Damen und Herren, wir stehen hier unmittelbar vor einer Entscheidungssituation: entweder das Land fördert mit Millionen den Bau neuer Heime oder wir gestalten Rahmenbedingungen, die ambulante Strukturen und Dienstleistungen befördern. Wir meinen, das es in jedem Fall besser ist, den 2. Weg zu gehen. Wir meinen, es müssen andere als stationäre Formen der Hilfe entwickelt und angeboten werden, die zum einen den Menschen mit Behinderungen das Verbleiben in der gewohnten häuslichen Umgebung ermöglichen, die ihre Selbstbestimmung ermöglichen und stärken und zum anderen mit den vorhandenen bzw. nur unwesentlich steigenden Mitteln finanziert werden können.

Diese Feststellungen haben wir im ersten Teil unseres Antrages formuliert und ich gehe davon aus, dass Sie diesen Feststellungen zustimmen können. (Zumindest entnehme ich diese Haltung vielen vorangegangenen Erklärungen und Statements gegenüber dem Landtag und den Behindertenverbänden.)

Im zweiten Teil unseres Antrages fordern wir die Landesregierung zu Maßnahmen auf, die unseres Erachtens dringend anzupacken sind, wenn ein Paradigmenwechsel ehrlich gemeint ist und gelingen soll. Dabei kann man sicher noch über die eine oder andere Nuance streiten, aber grundsätzlich muss ein Handlungskonzept her, das alle Ziele, Voraussetzungen und auch Hürden benennt.

Besonders wichtig ist uns an dieser Stelle der Punkt 1d – die Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen und der Leistungserbringer in den Prozess des Paradigmenwechsels. So grundlegende Änderungen im System können nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn eine aktive und fördernde Mitwirkung der Betroffenen gesichert ist.

Die VertreterInnen der Einrichtungsträger müssen wissen, dass ihre bisherige Arbeit in den stationären Einrichtungen geschätzt wird und dass sie auch in der ambulanten Betreuung gebraucht werden. Es muss gewährleistet sein, dass eine Umorientierung auf ambulante Versorgungsformen betriebswirtschaftlich verträglich organisiert werden kann, dass um eine allmähliche, aber auch konsequente Umsteuerung geht.

Die Menschen mit Behinderungen müssen wissen und erleben können, dass es Alternativen zum Heim gibt, dass sie eine echte Wahl haben und die Entscheidung für eine ambulante Wohnform sie nicht gegenüber HeimbewohnerInnen benachteiligt. Zugleich muss aber auch gesichert sein, dass HeimbewohnerInnen nicht aus ihrem gewohnten Zuhause gedrängt werden dürfen. Wir wollen- ich unterstreiche das noch mal – dass es reale Wahlmöglichkeiten gibt!

Dieses Mitnehmen der Betroffenen setzt auch die im Punkt 2 genannten Maßnahmen voraus. Der Übergang von der Objekt- zur Subjektförderung ist ein gravierender Einschnitt. Es geht darum, nicht mehr den Platz in einer Einrichtung mit einer bestimmten Summe Geld zu fördern, sondern den konkreten Hilfebedarf einer konkreten Person festzustellen und für diese Person in Geld zur Verfügung zu stellen. Das kann im einen Fall zu mehr Geld führen als der bisherige Heimplatz gekostet hat und im anderen Fall zu weniger. Es macht aber auf jeden Fall möglich, dass ein Mensch mit hohem Hilfebedarf auch außerhalb eines Heimes seine Hilfe in Anspruch nehmen kann. Allerdings ist es noch recht schwierig, den Hilfebedarf richtig zu erfassen und noch schwieriger ihn zu verpreislichen, wie die Fachleute sagen. Aber ich bin überzeugt, auch dieses Problem ist lösbar.

Deshalb haben wir z. B. solche Aufgaben wie unter 1, 2 und 3 formuliert. Da kann es auch möglich sein, dass bundesrechtliche Regelungen an der einen oder anderen Stelle hinderlich sind. Das wiederum ist im Punkt 4 weniger zu befürchten, da die Rahmenvereinbarung im Land ausgehandelt wird. Aber auch hier sind Geduld und langfristiges Arbeiten angesagt, - die zähflüssigen Verhandlungen zwischen Land und LIGA der Freien Wohlfahrtspflege sind uns ja seit Jahren bekannt – um die Rahmenbedingungen von der Dominanz stationärer Versorgungsformen zu befreien.

Wir wollen, dass die Bestimmungen überprüft und gegebenenfalls verändert werden, die eine Bevormundung durch die Kostenträger besonders für Menschen mit höherem Hilfebedarf bewirken. Aus unserer Sicht ist es mit der UN-Konvention nicht vereinbar, wenn Menschen, die der Hilfebedarfsgruppe 4 – der höchsten Stufe – zugeordnet werden, ausschließlich auf stationäre Einrichtungen verwiesen werden. Lt. UN-Konvention darf niemand den Menschen mit Behinderung vorschreiben, wo und mit wem sie leben sollen. Wir erwarten, dass dies auch in Sachsen-Anhalt respektiert und umgesetzt wird. Nach der gegenwärtigen Fassung der Rahmenvereinbarung kann die Sozialagentur eben nur stationäre Einrichtungen für Menschen mit hohem Hilfebedarf vorschlagen. Da hilft auch die Qualifizierung der MitarbeiterInnen der Sozialagentur oder der herangezogenen Gebietskörperschaften nicht weiter.

Schließlich und endlich geht es in dem ganzen Prozess um die Verbesserung der Lebensqualität einer großen Gruppe von Menschen, die ihre Verankerung in den Kommunen haben. Und deshalb sollte das Leben dieser Menschen auch im kommunalen Rahmen organisiert werden, sollte die Kommune vor Ort für die Lebensbedingungen vor Ort zuständig sein. Wir haben mit unserem Antrag deshalb erneut die Frage der Kommunalisierung der Eingliederungshilfe aufgeworfen und wollen die Landesregierung deshalb fragen:

Was muss aus Sicht der Landesregierung geschehen, damit die Kommunalisierung (die im Personalentwicklungskonzept auf S. 74 als seit Beginn des Jahres umgesetzt aufgeführt ist) der Eingliederungshilfe Erfolg im Sinne von mehr Lebensqualität behinderter Menschen haben kann? Wir gehen davon aus, dass mindestens eine Qualifizierungs- und Fortbildungsoffensive vorbereitet und durchgeführt werden muss. Aber ganz wesentlich ist für uns die Konstituierung von Teilhabekonferenzen vor Ort, d. h. in den Landkreisen und kreisfreien Städten.

Da die beiden vorliegenden Anträge in der Grundtendenz aus unserer Sicht das Problem von Teilhabe und Selbstbestimmung zum Gegenstand haben und einander ergänzen beantrage ich die Überweisung beider Anträge in die Ausschüsse für Soziales (federführend), für Finanzen, für Inneres und für Recht und Verfassung.