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TOP 13: Erhöhung der Haftentschädigung für Justizopfer

Artikel 2 Grundgesetz, inhaltsgleich mit Artikel 5 der Landesverfassung von Sachsen-Anhalt besagt:

„(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.“

Was aber, wenn der Staat genau gegen dieses Grundrecht aufgrund einer irrtümlich fehlerhaften Festnahme in Untersuchungshaft bzw. eines Fehlurteils verstößt und damit in die „körperliche Bewegungsfreiheit“ einer Person eingreift? Wie viel ist dem Staat dann die „verloren gegangene“ Freiheit seiner Bürgerinnen und Bürger wert? Kann man dieses Unrecht überhaupt mit Geld aufwiegen, ausgleichen und rückgängig machen?

Sicher nicht, aber der finanzielle Ausgleich ist wenigstens der Versuch einer Art von Wiedergutmachung von erlittenem Unrecht.

Wie hoch ist also der Preis der Freiheit?

Die Freiheit hat in der Bundesrepublik Deutschland einen Wert von sage und schreibe 45,833333 Cent je unschuldig abgesessener Stunde, pro Tag also 11 Euro (abzüglich Kost und Logis). Dabei muss man sich in aller Deutlichkeit vergegenwärtigen, es handelt sich bei den betreffenden Personen um Menschen, die unschuldig in Untersuchungshaft bzw. in Strafhaft einsaßen. Und das mit dem Verdacht bzw. der Verurteilung aufgrund einer sehr schwerwiegenden Straftat, die sie jedoch nicht begangen und das auch immer erklärt und beteuert haben.

Aber auch die Justiz ist nicht unfehlbar! Justitia ist blind, aber nicht frei von Irrtümern.

An dieser Stelle seien beispielhaft nur zwei Justizirrtümer genannt; die Reihe könnte fortgesetzt werden.

So titelt „Die Welt“ online: „Gelegenheitsarbeiter aus Slowenien irrtümlich als Betrüger verhaftet“

Ein des Lesens und Schreibens unkundiger Familienvater aus Slowenien wurde beschuldigt, unter Vorlage seines Ausweises Baumaschinen unterschlagen zu haben und mittels EC-Kare auf Einkaufstour gegangen zu sein. Nach neun Wochen fiel dem Pflichtverteidiger auf, dass der Inhaftierte ganz anders aussah, als der in den Unterlagen. Der eigentliche Täter hatte mit dessen entwendetem Ausweis diese Straftaten begangen.

Seine Unschuld hat er immer beteuert.

Ein weiteres Beispiel für einen gravierenden Justizirrtum:

Fast zweieinhalb Jahre saß die Berlinerin Monika de Montgazon im Gefängnis. Sie war im Januar 2005 wegen Mordes an ihrem kranken Vater zu lebenslanger Haft verurteilt worden, verbunden mit der strafverlängernden „Feststellung der besonderen Schwere der Schuld“. Damit wäre eine Haftentlassung nach 15 Jahren ausgeschlossen gewesen. Der Vorsitzende der 22. Großen Strafkammer nannte Habgier als Motiv: Die 52-Jährige habe das Haus ihres Vaters in Brand gesetzt, um die Versicherungssumme von rund 220.000 Euro kassieren zu können. Die Tochter hatte stets ihre Unschuld beteuert.

Im Januar 2006 gab der Bundesgerichtshof (BGH) der Revision der Angeklagten statt und hob das Urteil mittels eines neuen Brandgutachtens auf. Seit März 2006 ist Monika de Montgazon wieder auf freiem Fuß. Sie erhielt für über zwei Jahre Haft als immaterielle Haftentschädigung ganze 3.600 Euro.

Ich denke, an dieser Stelle wird deutlich, dass diese Summe auf keinen Fall auch nur annähernd angemessen ist. Es besteht dringender Handlungsbedarf.

Hinzu kommt noch - und dieser Aspekt wiegt mindestens genau so schwer wir die Freiheitsberaubung - wie sieht das Leben nach wiedererlangter Freiheit denn nun wirklich aus? Gilt der unbescholtene Bürger auch für seine Umwelt, seine Arbeitswelt, für sein privates Umfeld, Nachbarn, Freunde als unbescholten?

Die Antwort lautet: In der Regel - nein. Die privaten und beruflichen Folgen sind für die Opfer der Justiz in der Regel gravierend und lassen sich nur schwer bemessen. Auch nach erfolgtem Freispruch existiert oft die Meinung, meist hinter vorgehaltener Hand – „Na, da wird doch was dran gewesen sein, sonst hätte man ihn doch nicht inhaftiert.

Stets bleibt bei den anderen ein Rest Zweifel an der Unschuld.

Immer bleibt ein Makel.

Und wir ergeht es den Familien, die konfrontiert werden mit dem Vorwurf, ihr Ehemann, Vater, Bruder sei ein Verbrecher? Oftmals zerbricht die Familie an diesen Vorwürfen.

Wie passiert mit dem Arbeitsplatz? Kein Arbeitgeber wird Wochen oder monatelang warten, bevor er das Arbeitsverhältnis beendet; schon gar nicht, wenn eine rechtskräftige Verurteilung vorliegt.

Was ist mit Hartz-IV Empfängern? Hier wird die Entschädigungssumme doch sicherlich angerechnet. Und da bekommt das Wort Entschädigung doch einen recht bitteren Beigeschmack.

Neben dem ungeheuerlichen Druck unschuldig und trotzdem inhaftiert zu sein, kommen auf die Betroffenen somit gravierende existenzielle Ängste und Sorgen hinzu. Und das alles lässt sich eigentlich nicht in Euro und Cent aufwiegen.

Die Regelung zur Haftentschädigung gibt es seit 1971, damals 10 D-Mark pro zu Unrecht erlittenen Hafttag. 1987 erfolgte eine Verdoppelung der Summe, aber immer abzüglich Haft und Logis. Im Jahr 2001 erfolgte die Festsetzung im Rahmen der Währungsumstellung auf 11 Euro. Seit dem gibt es keine Bewegung, keine Veränderung, keine Erhöhung.

Dass diese Summe unangemessen niedrig und mit einem sozialen Rechtsstaat nahezu unvereinbar ist, kritisieren Fachleute, wie VertreterInnen der Rechtsanwaltskammern oder des Deutschen Anwaltsverein, aber auch aus der Politik seit geraumer Zeit. Man fordert eine Reform der immateriellen Haftentschädigung für Justizopfer, die auf eine deutliche Erhebung hinauslaufen muss.

Anlässlich des 67. Deutschen Juristentages in Erfurt betonte DAV-Präsident Rechtsanwalt Hartmut Kilger: „Es geht letztlich um den Wert der Freiheit und wie der Rechtsstaat mit den durch sein Verhalten benachteiligten Menschen umgeht und wie er diese Opfer für das erlittene Unrecht angemessen entschädigt. Der nunmehr fast 21 Jahre geltende Betrag sei mehr als kleinlich und schäbig. Diskussionen um eine Erhöhung auf unter oder auf nur 20 Euro seien dies ebenfalls. Man müsse sich fragen, ob der Begriff „Entschädigung“ nicht in diesem Zusammenhang verhöhnt werde. Ist dem Staat die Freiheit nur 11 Euro wert?“

Bisher verwiesen einzelne Länder stets auf ihre prekäre Haushaltssituation hin, die eine Erhöhung der Entschädigungssumme nicht zulassen würde. Die LINKE vertritt an dieser Stelle die Auffassung, dass etwaige Bedenken im Hinblick auf fiskalische Auswirkungen hierbei im Interesse der Justizopfer zurückzutreten haben.

Schauen wir über den Tellerrand der Bundesrepublik hinweg, so sehen wir, dass in Österreich seit Jahren in der Regel über 100 Euro gezahlt werden, in den USA 55 $ Haftentschädigung.

Die Neufestsetzung des Tagessatzes obliegt dem Bund. An der Notwendigkeit einer entsprechenden Anhebung dürften aus unserer Sicht keine Zweifel bestehen. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam für eine deutliche Anhebung der Haftentschädigungszahlungen gegenüber der Bundesregierung und dem Bundesrat einsetzen.

Zwar ist Justitia blind und unterliegt menschlichen Ermessen, welches sie manchmal vom Pfad der Wahrheitsfindung abkommen lässt.... Aber Fehler sollten zu mindestens mittels angemessener Entschädigungen korrigiert werden.