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TOP 01: Unternehmenskultur und gesellschaftliche Verantwortung - wohin entwickelt sich die soziale Marktwirtschaft? / Sicherung guter Arbeitsbedingungen in Sachsen-Anhalt

Die soziale Marktwirtschaft von Ludwig Erhard hatte in der Bundesrepublik Deutschland enorme Erfolge. Das ist ohne Frage.

Er soll einmal gesagt haben: Wenn es den Unternehmen gut geht, dann geht es auch den Menschen bzw. den Arbeitnehmern gut. Genau deshalb haben wir diesen Antrag gestellt, denn ich glaube, dieses Verhältnis ist gestört. Es geht uns um die Frage „Demokratie im Unternehmen“, also um die Frage der Wirtschaftsdemokratie. Deswegen unterstütze ich die These: Die politische Demokratie kann nur erhalten werden, wenn sie durch eine entwickelte Wirtschaftsdemokratie untermauert wird.

Damit uns nicht wieder Populismus oder Sonstiges vorgeworfen wird, zitiere ich aus unserer Landesverfassung. Dieser Artikel ist auch im Grundgesetz verankert. Dort heißt es unter anderem: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.“

Unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen werden viele Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in einer Reihe von Unternehmen in ihrer persönlichen Würde und Entfaltung eingeschränkt.

Wie ist die Situation in Sachsen-Anhalt? In den letzten fünf Jahren ist eine große Anzahl von sozialversicherungspflichtigen Jobs verloren gegangen. Zu viele Menschen haben keine Arbeit. Im ersten Quartal 2008 gibt es 34.000 weniger Beschäftigte als im vierten Quartal 2007. 67.000 Beschäftigte im Land Sachsen-Anhalt benötigen ergänzende Sozialleistungen, um ihre Existenz zu sichern. Die Einkommen im Niedriglohnbereich sind von durchschnittlich 5,48 € je Stunde im Jahr 2006 auf heute 4,68 € reduziert worden. Bei den Lohnkosten haben wir mit 26.649 € den dritten Platz von hinten. Vor uns sind nur noch die Länder Mecklenburg-Vorpommern mit 25.621 € und Thüringen mit 26.576 €.

Vollzeitjobs sind wenig entstanden, stattdessen gibt es mir Minijobber, Scheinselbständige, Zeitarbeiter, Ein-Euro-Jobber und Teilzeitbeschäftigte. Das macht das Dilemma deutlicher. Der Umfang der Leiharbeit ist in Sachsen-Anhalt innerhalb eines Jahres um 27 % gestiegen. Damit hat sich die Zahl seit 2004 auf über 22.000 mehr als verdoppelt. Immer mehr Unternehmen setzen Leiharbeit nicht mehr ein, um kurzfristige Auftragsspitzen zu bewältigen. Nein, Leiharbeitnehmer werden als billige Arbeitskräfte eingesetzt, die bis zu 50 % weniger Gehalt bekommen als die Stammbelegschaft. Das erhöht den Druck auf die Stammbelegschaft, weil die berechtigte Sorge besteht, dass damit ihre Normalarbeitsverhältnisse zerstört werden.

Zu Praktika gibt es eine Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Diese Studie stellt fest: Nach der Ausbildung findet nur ein Drittel der Ausgebildeten im Alter von 18 bis 35 Jahren eine Stelle, bei 43 % sind atypische Arbeitsverhältnisse die Realität. Von allen freiwilligen Erstpraktika nach Abschluss der beruflichen Ausbildung waren 51 % nach Angaben der Befragten unbezahlt, 12 % unangemessen bezahlt und nur 3 % haben eingeschätzt, dass sie eine angemessene Vergütung bekommen haben.

Die viel gepriesenen wirtschaftlichen Erfolgsmeldungen widersprechen dem, was die Menschen umtreibt und was sie selbst wahrnehmen und empfinden. Sie nehmen wahr, wie sich ihre Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren verschlechtert haben, sie nehmen wahr, dass bei vielen das Einkommen nicht zum Auskommen reicht, sie nehmen wahr, dass die Bedingungen, wenn sie eine neue Arbeit finden, schlechter sind als ihre alten Arbeitsbedingungen, sie nehmen wahr, dass offen ist, ob sie überhaupt noch eine Arbeit in Sachsen-Anhalt finden. Existenzängste haben sich festgesetzt.

Das alles hat nicht unerheblich dazu beigetragen, dass in immer mehr Unternehmen die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen systematisch verschlechtert worden sind. Arbeitgeber sind aus Verbänden ausgetreten oder haben sich in Verbänden ohne Tarifbindung organisiert, um nicht mehr tarifgebunden zu sein. Im Osten sind nur noch knapp 50 % der Unternehmen tarifgebunden.

Die arbeitsrechtlichen und Tarifvereinbarungen werden umgangen, Arbeitsverträge werden nach Gutsherrenart abgeschlossen, wenn überhaupt ein Arbeitsvertrag abgeschlossen wird. Es gibt Arbeitsverträge, die absolute Schweigepflicht über alles fordern. Es wird sogar verlangt, keine persönlichen Kontakte mit den Kolleginnen und Kollegen zu haben. Selbst regelmäßige Überstunden von mindestens 20 Stunden sind vertraglich diktiert, natürlich ohne dass dafür zusätzliches Geld gezahlt wird. Das alles wird als selbstverständlich verlangt.

Betriebsratswahlen werden verhindert. Die nach dem Betriebsverfassungsgesetz geregelten Mitbestimmungsrechte im Betrieb sind offensichtlich bei einigen sehr unmodern geworden. Für manche Unternehmen ist die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei wirtschaftlichen Entscheidungen, bei Personalentwicklung, Arbeitszeitgestaltung, Überstunden, Eingruppierungen und anderem ein nicht notwendiges Übel.

Diese Entwicklung setzt auch die Unternehmen unter Druck, die seriös sind ‑ das heißt, die sich für ordentliche Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeiter einsetzen ‑, und zwar auch deshalb, weil es die Wettbewerbsbedingungen natürlich für die, die wie beschrieben handeln, verschlechtert. Diese Unternehmen fangen dann ebenfalls an zu überlegen, ob man das nicht auch anders bekommt.

Die Wertschätzung für die Leistung der Beschäftigten wird zunehmend ökonomisiert und muss aufgrund des Wettbewerbs so billig wie nur möglich sein. Die Menschen in unserem Land sind aus meiner Sicht zunehmend zu einer ökonomischen und wirtschaftlichen Manövriermasse geworden. Nicht wenige erfahren keinerlei Anerkennung und Würdigung der Leistungen im Arbeitsprozess. Es wird nicht nach Tarif bezahlt und die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes bestimmt die Zusammenarbeit. Die Sicherung des eigenen persönlichen Erfolgs ist den Mitarbeitern wichtiger geworden als das kollektive Miteinander, nach dem Motto: Jeder ist sich selbst der Nächste.

Damit das so bleibt, wird versucht, die Demokratie aus den Betrieben und Unternehmen herauszuhalten. Hierzu einige Beispiele: Bei Enercon in Magdeburg im Bereich der Rotorblattfertigung wurde durch die Geschäftsleitung über Monate versucht, die Gründung eines Betriebsrates zu verhindern. Der Druck auf die Beschäftigten war enorm, sie waren Repressalien ausgesetzt bis hin zu Entlassungen. Selbst IG-Metall-Sekretäre waren verbalen Angriffen ausgesetzt. Erst als der Vorgang öffentlich wurde und ein Gericht den Anspruch der Arbeitnehmer auf einen Betriebsrat bestätigte, lenkte die Geschäftsleitung ein.

Das zweite Beispiel: Doppstadt Calbe. Seit dem Wechsel der Geschäftsleitung im Jahr 2003 befindet sich der Betriebsrat in einem ständigen Ausnahmezustand, so bezeichnet das die IG Metall. Während ihrer gesamten Amtszeit wurden die Betriebsräte nicht nur ignoriert, sondern auch systematisch mit einstweiligen Verfügungen, Einstellungsverfahren und arbeitsgerichtlichen Verfahren überzogen. Die Bildung einer Tarifkommission im Jahr 2007, die nach einigen Jahren des freiwilligen Einkommensverzichts die Arbeitgeberseite zu Tarifverhandlungen aufgefordert hat, verschärfte die Situation weiter. Die IG Metall als Tarifpartner war gemeinsam mit den betrieblichen Interessenvertretern der Meinung, dass es jetzt, wo sich das Unternehmen gut erholt, im Jahr 2006 einen Jahresüberschuss von 2,4 Millionen € erwirtschaftet hat, an der Zeit ist, eine Steigerung bei den Einkommen zu erreichen. Die Geschäftsleitung sah das anders und nahm es erneut zum Anlass, die Rechtmäßigkeit des Betriebsrates infrage zu stellen und einen erbitterten Kampf der Beschäftigten untereinander zu organisieren.

Das zeugt nicht von Verantwortung der Geschäftsleitung gegenüber den Beschäftigten, im Gegenteil. Die Geschäftsleitung hat eine Gegenbewegung Pro Doppstadt organisiert, um den Betriebsrat, der rechtsmäßig gewählt ist, zu zerschlagen. Solche Gegenbewegungen, mit denen die Betriebsbeschäftigten mit dem Erhalt des Arbeitsplatzes unter Druck gesetzt oder auch gekauft werden, hatte sich die PIN AG gegen den Postmindestlohn zu Eigen gemacht. Wie groß muss die Angst der Beschäftigten um den Verlust des Arbeitsplatzes sein, um gegen den eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Schutz, gegen legitim gewählte Arbeitnehmervertreter und gegen die Verbesserung der eigenen Einkommen auf die Straße zu gehen?

Ein drittes Beispiel: Das Ladenöffnungsgesetz. Wir werden darüber demnächst im Ausschuss reden. Das ist ein Schulbeispiel dafür, wie wir mit Gesetzesentscheidungen auch dazu beitragen können, dass Arbeitsbedingungen der Beschäftigten verschlechtert werden. Im November wurde das Ladenöffnungsgesetz beschlossen. Ich will gar nicht darüber reden, ob sich die Umsatzerwartungen erfüllt haben. Ich will auch nicht darüber reden, ob die Kunden ihr Versprechen gehalten haben, rund um die Uhr einzukaufen. Aber ich will darüber reden, wie die Arbeitgeber ihrer Verantwortung gegenüber den Beschäftigten anschließend nachgekommen sind.

Das Gesetz wurde im Schnellverfahren bereits im Monat Dezember zum Weihnachtsgeschäft umgesetzt. Gleichzeitig haben die Arbeitgeber des Einzelhandels den Monat Dezember genutzt, um den Manteltarifvertrag zu kündigen, damit sie die Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit, die eine besondere Belastung für die Arbeitnehmerinnen sind, nicht mehr zahlen zu müssen. Seit dieser Zeit haben die fast 70.000 Beschäftigte keinen gültigen Manteltarifvertrag mehr.

Es scheint, der Einzelhandel will gar keinen Tarifvertrag mehr abschließen, denn es gibt auch im Entgelttarifbereich keine ordentliche Tarifbindung mehr, da dieser Tarifvertrag seit dem 30. Juni 2007 gekündigt ist. Das ist ebenfalls bereits ein Jahr her. Wenn Verhandlungen laufen, dann laufen sie ins Leere.

Den Beschäftigten wurden bei der Beschlussfassung Zusagen gemacht, so z.B. für die schnelle Allgemeinverbindlichkeit zu sorgen. Es ist richtig, die Allgemeinverbindlichkeit zu fordern. Nur macht das keinen Sinn, wenn es keinen Tarifvertrag gibt. Das ist das große Dilemma im Einzelhandel. Deshalb fordern wir die Landesregierung dazu auf, ihren Einfluss geltend zu machen, damit die Arbeitgeber an den Verhandlungstisch zurückkehren und mit den Beschäftigten einen Tarifvertrag abschließen.

Diese Beispiele ließen sich für unterschiedliche Branchen fortsetzen. Entscheidend ist aber, dass der Eindruck entsteht, dass in einer Reihe von Unternehmen Gesetzesverstöße zum Gesellschaftssport geworden sind. Die Fälle, in denen Manager mit einem aggressiven Kurs gegen die Beschäftigten und deren Interessenvertreter sämtliche Skrupel verloren haben, häufen sich: die Bespitzelung bei Lidl, die Gründung einer arbeitgebergefälligen und arbeitgeberfreundlichen Gewerkschaft zur Verhinderung eines Mindestlohns im Postbereich, der AUB-Skandal und der sich erhärtende Verdacht der Ausforschung des Aufsichtsrates und der Beschäftigten der Telekom. Es gibt andere Beispiele: Siemens, Nokia, Auslagerung von Unternehmen oder Bestechung bei VW.

Dazu gehört auch das erst kürzlich Pleite gegangene Unternehmen Ricö, das auch Betriebsteile im Jerichower Land hat. Der Geschäftsführung werden Insolvenzverschleppung und betrügerische Geschäfte vorgeworfen, wodurch ein Schaden von etwa 300 Millionen € entstanden ist. Dieser Vorgang hat mehreren Hundert Beschäftigten den Arbeitsplatz gekostet.

Das alles macht den Menschen Angst und führt einer Studie zufolge dazu, dass bereits jeder fünfte Arbeitnehmer einen Psychologen aufsuchen musste. Dieselbe Studie macht raue Arbeitsbedingungen am deutschen Arbeitsmarkt deutlich. Demnach wurde jeder achte Beschäftigte an seinem aktuellen Arbeitsplatz zum Mobbingopfer. Hierbei geht man von etwa 3,8 Millionen Personen über 18 Jahren aus. Menschen, die sich ständig unter Druck gesetzt fühlen, werden krank und leistungsunfähig. Es leiden die Kreativität und die Produktivität in der Arbeit. Das schadet wiederum der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung unseres Landes. Deshalb haben wir unseren Antrag eingebracht. DIE LINKE will diese Entwicklung nicht mehr weiter hinnehmen.