Thomas Lippmann zu TOP 6: Aktuelle Debatte Erst tendenziell mehr und nun doch ganz sicher weniger Schulsozialarbeit – das Land zieht sich aus der Verantwortung
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
seit mehr als zehn Jahren haben die Schulsozialarbeiter*innen in unseren Schulen, haben die Mitarbeiter*innen in den regionalen Netzwerkstellen und in der landesweiten Koordinierungsstelle im ESF-Projekt „Schulerfolg sichern“ das Feld der Schulsozialarbeit für Sachsen-Anhalt vorbildhaft bestellt. Für die dabei mit Engagement, Ideenreichtum und Herzblut geleistete vielfältige und wertvolle Unterstützung für die Kinder und Jugendlichen möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken.
Nach fast 120.000 Unterschriften, die das Bündnis „Schulsozialarbeit“ im Frühjahr 2019 an den Bildungsminister übergeben hat, nach 75.000 Unterschriften im Volksbegehren „Den Mangel beenden!“, nach immer neuen Petitionen von Eltern und Schulsozialarbeiter*innen, nach dem gewachsenen Engagement in den Landkreisen und kreisfreien Städten bedarf es keiner langen Ausführungen mehr, welchen unverzichtbaren Beitrag die Schulsozialarbeit für die Arbeit in den Schulen und die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen leistet. Aufgrund der durchweg positiven Erfahrungen aus dem Projekt „Schulerfolg sichern“ wurde die Schulsozialarbeit inzwischen auch als Pflichtaufgabe in den Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schulen aufgenommen.
„Schulerfolg sichern“ zeigt, dass wir mit guten Partnern und guten Leuten tragfähige Konzepte entwickeln und auch umzusetzen können, die dem Land wirklich helfen und die auch bundesweit Beachtung finden. Doch wir können das immer nur mit fremden Geld. Das Ende der Förderung bedeutet fast immer auch das Ende der Projekte. Immer wieder lässt die Landesregierung gute Entwicklungen den Bach runtergehen, wenn es das Geld des Landes kostet.
So ist es jetzt auch wieder mit der Schulsozialarbeit. Es war schon vor Jahren absehbar, dass CDU, SPD und Grüne in der Kenia-Koalition nicht die Mittel im Landeshaushalt bereitstellen werden, um die Schulsozialarbeit als originäre Aufgabe des Landes zu finanzieren, sondern weiter nur nach den EU-Fördertöpfen schielen. Mit der alleinigen Fokussierung auf eine weitere EU-Finanzierung war aber auch klar, dass es keine Kontinuität, keinen bedarfsgerechten Ausbau und keine gesicherte Perspektive für die Schulsozialarbeiter*innen und die Träger geben würde.
Deshalb haben wir schon lange vor dem Ende der letzten EU-Förderperiode die parlamentarische Diskussion eröffnet und fünf Jahre lang intensiv darüber debattiert. Mit unseren Anträgen vom September 2016 und dann noch einmal vom September 2017 haben wir darauf gedrängt, den Übergang von der EU-Förderung zu einer Landesaufgabe langfristig in Angriff zu nehmen. Trotz endloser Befassungen im Bildungsausschuss mit unseren Anträgen hat die alte Koalition diese Chance vertan.
Auch das vom Landtag verabschiedete Konzepts zur Multiprofessionalität, in dem die Schulsozialarbeit ausdrücklich ihren Platz hat, ist offenbar nichts wert. Auf seiner Grundlage wurde in Aussicht gestellt, die Zahl der Schulsozialarbeiter*innen mit dem neuen ESF-Programm um fast 200 deutlich zu erhöhen. Doch das Geld soll jetzt offenbar für andere Projekte eingesetzt werden, die der Landesregierung wichtiger sind als der Ausbau der Schulsozialarbeit.
Was wir uns aber noch bis zum Ende des letzten Jahres nicht vorstellen konnten war ein Abbau der Schulsozialarbeit. Doch inzwischen ist klar, dass sich das Land so weit aus der Verantwortung stehlen will, dass fast alle gewachsenen Verbindungen infrage gestellt werden und kaum ein Stein auf dem anderen bleibt. In unserem Montagsgespräch zur Schulsozialarbeit und in unzähligen Mails, Briefen, Positionspapieren und Gesprächen wurden und werden Enttäuschung, Verunsicherung und Frust bei Eltern, bei Trägern, in Kommunalparlamenten und bei den Kindern und Jugendlichen überdeutlich.
Schauen sie in die Presse und in die Petitionen was es für Schulen bedeutet, denen die Lehrkräfteversorgung zusammenbricht und denen dann auch noch die Schulsozialarbeit entzogen wird. Schauen sie in die Berichte von unseren gut qualifizierten Schulsozialarbeiter:innen, die jetzt schon seit mehr als zehn Jahren von prekärer Beschäftigung leben müssen. Machen sie sich klar, was es für Kinder und Jugendlichen bedeutet, nach zwei Jahren Pandemiebelastungen, massivem Unterrichtsausfall jetzt auch noch die Unterstützung durch ihre gewohnte Beziehungsperson in der Schulsozialarbeit zu verlieren.
Wir stehen vor dem Scherbenhaufen einer Politik, die immer nur eins kann: kein Geld auszugeben. Wir brauchen aber dringend bessere Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen, doch gerade hier hält der Finanzminister immer wieder die Taschen zu und zahlt lieber hunderte Millionen für die Tilgung von Krediten oder in Fonds.
Wegen der Sünden in der Lehramtsausbildung, die bis heute anhalten, werden noch bis weit über 2030 hinaus viel zu wenige Lehrkräfte zur Verfügung stehen. Allein im letzten Jahr sind aus den Personalkostenbudgets für die Schulen mehr als 90 Mio. Euro nicht eingesetzt worden. Das Geld ist also da, um jetzt zumindest die Schulsozialarbeit vernünftig zu finanzieren und auch auszuweiten.
Wir werden deshalb weiter intensiv darauf drängen, dass im Sinne unserer Anträge aus der letzten Wahlperiode in den kommenden Haushalten ab 2023 die Voraussetzungen für ein eigenes Landesprogramm Schulsozialarbeit geschaffen werden. Damit soll das ESF-Projekt ergänzt und am Ende der jetzigen Förderperiode letztlich abgelöst werden.
Noch ein weiteres Mal darf es eine solche Hängepartie und einen solchen verlustreichen Übergang nicht geben. Das ist unzumutbar für die Kinder und Jugendlichen, das ist unzumutbar für die Träger und für die Kommunen und es ist unzumutbar für alle Beschäftigten. Ihre wertvolle Arbeit für die Bildung und Erziehung, ihr Engagement für die Probleme und Sorgen der Kinder und Jugendlichen und ihrer Eltern, ihre Unterstützung für die Lehrkräfte verdienen wirklich mehr als das Hangeln von einem befristeten Arbeitsvertrag zum nächsten.
Wir fordern die Koalition auf, hier und heute ein klares Bekenntnis abzugeben, bis zum Ende der Wahlperiode die Schulsozialarbeit in allen Schulen des Landes bedarfsgerecht sicherzustellen und dafür die notwendigen Mittel im Landeshaushalt einzustellen.
Was sie kurzfristig mindestens tun müssen, um den größten Schaden noch zu vermeiden und zumindest die bisherige Substanz zu retten, ist eine echte Anrechnung des Engagements in den Kommunen. Das bedeutet, dass die Landkreise und kreisfreien Städte in dem Maße von der im neuen ESF-Programm verlangten Mitfinanzierung entlastet werden müssen, in dem sie nachweislich eigene Schulsozialarbeiter*innen zusätzlich in ihren Schulen einsetzen.
Die Entlastung von der Mitfinanzierung muss dabei sowohl die Einsatzstellen in den Schulen als auch eine Mitfinanzierung aus Landesmitteln für die regionalen Netzwerkstellen umfassen. Das würde dazu führen, dass bereits bestehende Angebote und Strukturen i.d.R. nicht reduziert oder sogar ganz abgebaut werden. Durch ein solches Anreizsystem könnte das Engagement in den Kommunen vielleicht sogar gesteigert werden.
Und wie so oft wurde die neue Förderung auch wieder viel zu spät und viel zu holprig auf den Weg gebracht. Deshalb müssen sie sich jetzt wirklich ranhalten mit der Bescheidung der Anträge, damit nicht noch die letzten Eulen verflogen sind. Versprechen sie nicht nur, sondern tun sie etwas. Sie können es so nicht laufen lassen, denn es läuft schlecht.