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Thomas Lippmann zu TOP 5a: Aktuelle Debatte "Deutschland in guter Wirtschaftsverfassung? Wir müssen über die Vergesellschaftung des Reichtums reden!"

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Debatte um den desolaten Zustand unserer so gepriesenen sozialen Marktwirtschaft gewinnt zunehmend an Fahrt. Und das ist gut so! Denn die soziale Polarisation zwischen Reichtum und Armut und die daraus resultierende Verunsicherung der Menschen nimmt zu und erfasst zunehmend auch die Mitte der Gesellschaft. Bisher war vor allem Arbeitslosigkeit das Hauptrisiko für Armut. Doch die Risiken haben sich inzwischen deutlich erweitert: Arm durch überhöhte Mieten. Arm durch steigende Pflegekosten. Arm durch niedrige Renten. Arm durch Kinder, insbesondere bei Alleinerziehenden. Und dann das immer gleiche Geschrei, wenn eine Steuerschätzung unter den erwarteten Einnahmen bleibt. Die fetten Jahre seien jetzt vorbei, wir müssten den Gürtel wieder enger schnallen und spinnerte Ideen könne man sich nun auch gar nicht mehr leisten.

Ich frage ernsthaft, für wen das hier in Sachsen-Anhalt zuletzt fette Jahre waren? Etwa für die 30 Prozent der Beschäftigten, die im Niedriglohnsektor von ihrer Hände Arbeit noch immer nicht leben können? Oder für die vielen Kommunen, die sich weiterhin in der Konsolidierung befinden? Oder für das Land, das weder in der Personalpolitik noch bei den Investitionen einen spürbaren Aufbruch hinbekommt und dennoch nur magere Haushaltsabschlüsse vorweisen kann. Wer also soll den Gürtel jetzt wieder enger schnallen?

Und welche spinnerten Ideen können wir uns denn nicht mehr leisten?  Das Uniklinikum in Magdeburg endlich wieder auf Vordermann zu bringen, die Straßenausbaugebühren und Kitabeiträge vollständig abzuschaffen oder Tausende zusätzliche Beschäftigte im öffentlichen Bereich einzustellen? Ist es Sozialklimbim, gegen Kinder- und Altersarmut vorzugehen, oder ist es spinnert, die Unterfinanzierung der Kommunen zu beenden und eine Renaissance des kommunalen Eigentums zu fordern oder auch nur ein gebührenfreies Azubi-Ticket einzuführen?

Wir müssen also über Geld reden, Geld für Löhne und Renten und Geld für die öffentlichen Kassen. Ich weiß, das fällt einigen nicht leicht, mit uns über die Verteilungsmechanismen im Kapitalismus zu streiten. Aber es hilft ja nichts. Nach vier Jahrzehnten geistig-moralischer Wende befinden wir uns längst am Rand der wirtschaftlichen Vernunft. Es ist bezeichnend für die bürgerlichen Parteien ebenso wie für die AfD, sich mit Händen und Füßen gegen eine Diskussion über die wachsenden Missstände des kapitalistischen Wirtschaftssystems zu sträuben. Sie haben Tausenden von Leiharbeitern, Reinigungs- wie Pflegekräften und den vielen anderen Geringverdienern und Hartz IV-Beziehern einfach nichts anzubieten – außer Arbeitsarmut, Kinderarmut und Altersarmut.

Sie gaukeln den Menschen einen Sozialstaat vor, den sie über Jahrzehnte systematisch ausgehöhlt haben. Uns überrascht deshalb nicht die Scheu, sich der überfälligen Debatte um die Verteilung des Reichtums zu stellen, die z.B. jüngst auch der DGB-Vorsitzende Rainer Hoffman gefordert hat. Der Kapitalismus in Deutschland ist aus den Fugen geraten, wenn heute ein Fünftel der Menschen arm oder von Armut bedroht ist. Die Lebenswirklichkeit dieser Menschen straft das Wohlstandsversprechen des deutschen Kapitalismusmodells Lügen.

Natürlich muss das Geld irgendwo herkommen, aber eben nicht allein aus ständigem Wachstum. Das ist die große Lüge der Umverteilung zugunsten der Reichen: Dass Wohlstand und Beschäftigung nur dann erreicht werden können, wenn den Kräften des Marktes möglichst unkontrolliert freies Spiel gewährt wird. Was dabei herauskommt, haben uns die Bankenkriese 2008 oder jetzt die Entwicklung bei der Nord/LB deutlich vor Augen geführt. Die Apologeten einer radikalen Marktideologie tragen die Verantwortung, dass die Finanzwirtschaft schon lange von der Realwirtschaft entkoppelt und damit die Basis für eine gesunde Wirtschaftsentwicklung zerstört wurde.

Die besten Konjunkturprogramme sind weniger Armut und mehr öffentliche Investitionen. Denn dadurch wird realer Bedarf befriedigt, es wird Geld aus den Finanzblasen in die Realwirtschaft geholt, es wird wieder Mehrwert geschaffen und so auch die extreme Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft vom Export und von der Börsenentwicklung reduziert. Wir brauchen keine Rettungsschirme für Banken oder Abwrackprämien und schon gar keine weitere Steuersenkungsdebatten. Wir müssen uns endlich wieder um die arbeitenden Menschen und die klammen öffentlichen Kassen kümmern.

Schon vor vielen Jahren habe ich an einer Kirchentür gelesen: Der Kapitalismus hat nicht gesiegt, er ist nur übriggeblieben! Wie war! Wenn die Gesellschaft nicht weiterhin aus immer weniger Gewinnern und immer mehr Verlierern bestehen und dadurch destabilisiert werden soll, muss der Staat regulierend eingreifen. Und das macht er vor allem durch seine Steuer-, Sozial- und Wirtschaftspolitik. Umverteilung heißt das – und da müssen wir nach Jahrzehnten jetzt die Richtung ändern.

Wir haben erlebt, was es heißt, die Gewinne zu privatisieren und die Risiken zu vergesellschaften. Jetzt heißt es, übermäßige Gewinne und Vermögen zu vergesellschaften und für die Sicherung der Daseinsvorsorge zurückzuholen. Und die Macht wirtschaftlicher Interessengruppen gefährdet nicht nur den sozialen Frieden, sondern auch die Demokratie selbst. Großkonzerne und Einzelpersonen verfügen inzwischen über ökonomisch absurde Kapital- und Vermögenswerte.

Diese versetzen sie jederzeit in die Lage Stimmungen und Meinungen in der Bevölkerung, Entscheidungen von Parlamenten und Regierungen und auch Wahlen maßgeblich zu beeinflussen. Das sehen wir hier bei uns im Lande und das sehen wir aktuell in Österreich. Strache und Co., die Spießgesellen der AfD, sind korrupt und verkommen bis ins Mark. Über Kapitalismus zu reden, heißt eben auch, über eine gekaufte und geschmierte Politik zu reden, und damit meine ich nicht nur Weidel, Reil, oder Meuthen.

Unregulierter Kapitalismus bedeutet, dass Transfers in Steueroasen, dass Steuervermeidung z.B. durch Cumex-Geschäfte, dass Steuerhinterziehung und Geldwäsche in ganz großem Stil zugelassen werden. Regierungen hier bei uns und weltweit lehnen Regelungen zur Konzerntransparenz oder die Besteuerung von Finanzprodukten hartnäckig ab. Im Gegenzug zu dieser ungezügelten Bereicherung wird der Staat seit Jahrzehnten gezielt arm gemacht, um Privatisierungsdruck auf kommunales Eigentum aufzubauen und es so den Finanzinvestoren zuzuführen – Wohnungen, Krankenhäuser, Schulen, kommunale Versorgungsunternehmen, Grund und Boden usw.

Strategien gegen den neoliberalen Geist sind dabei weder neu noch eine Erfindung sozialistischer Ideologen. Franklin D. Roosevelt hat als amerikanischer Präsident sein Land in der Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre mit umfangreichen Reformen des Wirtschafts-, Finanz und Sozialsystems – damals als New Deal bezeichnet – stabilisiert und eben nicht, wie zeitlich parallel in Deutschland, den Faschisten überlassen. Denn das sind dann die Konsequenzen, wenn Politik versagt – der Ruf nach dem starken Mann.

Trotzdem werden heutige Debatten um einen neuen New Deal als Klassenkampf diffamiert. Doch heute kämpfen immer größere Teile der Bevölkerung gegen eine immer kleinere Schar von Großkonzernen, Personengesellschaften und Banken wehren, die an den Finanzmärkten den Reichtum verzocken, der von den abhängig Beschäftigten aber auch von klein- und mittelständischen Unternehmern geschaffen wird.

Es ist der Kampf gegen die marktradikalen Vorstellungen aus den Gehirnwäschefabriken der Mont Pèlerin Society wie des Vereins „Neuen Sozialen Marktwirtschaft“. Es ist die Auseinandersetzung um reale Änderungen der Verteilungsverhältnisse, um die Rückeroberung der Handlungs- und Steuerungsfähigkeit des Staates, um die Sicherung der sozialen Basis unserer Demokratie. Dafür haben wir sehr konkrete Vorschläge vorgelegt. Und dass genügend Geld vorhanden ist, das sehen wir z.B. beim Strukturwandel. Da gießt die Bundesregierung gerade ein 40 Mrd.-Füllhorn über uns aus, ohne dass bisher klar ist, was damit eigentlich gemacht werden soll.

Wer also nicht weiterhin vor jedem Haushaltsbeschluss angstvoll auf die Konjunkturprognosen und die Steuerschätzungen schauen will, wer Armut wirksam bekämpfen und die öffentlichen Haushalte nachhaltig sanieren will, der muss unsere Vorschläge ernst nehmen. Sozialer Friede und demokratische Stabilität brauchen eine wirtschaftliche und finanzielle Basis und die wird nicht an den Börsen geschaffen. Es ist die Herausforderung für die Politik, dafür werden wir gewählt. Und nicht als Club von Lobbyisten.