Thomas Lippmann zu TOP 1a: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2020/21 (Nachtragshaushaltsgesetz 2020/21)
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,
es war richtig, das Parlament kurzfristig zu den Sondersitzungen in dieser Woche einzuberufen. Wie tief die Folgen der Corona-Pandemie in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens eingreifen, beginnen wir ja erst nach und nach zu erfassen. Wir sind in dieser Situation als Parlament gefordert und müssen arbeitsfähig bleiben. Ich möchte mich deshalb an dieser Stelle bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landtagsverwaltung bedanken, die mit umfangreichen Vorkehrungen für die bestmögliche Sicherheit für uns Abgeordnete sorgen und hier im Haus oder im Home-Office die Stellung halten.
Wir sind froh, dass die Landesregierung so schnell unserer Forderung nach einem Nachtragshaushalt nachkommt. Wir stimmen der Landesregierung zu, dass das Land jetzt selbst zusätzliche Mittel in erheblichem Umfang zur Verfügung stellen muss. Auch wir Abgeordnete sollten dabei mindestens diesen kleinen Solidarbeitrag leisten und auf unsere nächste Diätenerhöhung verzichten.
Die Landesregierung will mit ihrem Nachtragshaushalt vom Parlament einen Blankoscheck über 500 Mio. Euro. Einen solchen ersten Schritt zur Bewältigung der finanziellen und wirtschaftlichen Folgen aus der Corona-Krise hatten wir ja vor 10 Tagen bereits gefordert. Wer von diesen Mitteln profitieren soll und in welchem Umfang verrät uns die Landesregierung allerdings nicht. Es wäre deutlich mehr Transparenz notwendig, damit wir Abgeordnete anschließend Fragen beantworten können, was das für den Einzelnen konkret bedeutet und wann mit finanzieller Hilfe zu rechnen ist.
Uns alle erreichen in diesen Tagen umfangreiche Mails mit konkreten Forderungen und Hilferufen aus immer mehr Branchen, verständlicherweise vor allem aus dem Bereich Tourismus, Hotellerie und Gastgewerbe. In besonderer Weise ist aber z.B. auch die Kunst- und Kulturszene betroffen. Die Kulturschaffenden bereichern unser Leben und haben sich mit ihren Leistungen über Jahre hinweg um Sachsen-Anhalt verdient gemacht. Jetzt brauchen die Künstlerinnen und Künstler unsere Hilfe. Jetzt muss die Politik für sie da sein. Das 400-Euro-Hilfsprogramm der Landesregierung ist ein Anfang, aber hier darf man jetzt nicht stehen bleiben. Wir haben in unserem Entschließungsantrag sehr konkrete Forderungen und Möglichkeiten formuliert und wir hoffen, dass diese Aufarbeitung gewürdigt wird und sich in der Agenda der Landesregierung wiederfindet.
Was bei der Bewältigung der finanziellen Folgen aus der Corona-Krise aus unserer festen Überzeugung aber gar nicht geht, ist die Vorstellung, in der größten Not seit dem Zweiten Weltkrieg wieder nur dem Staat und den kleinen Leuten die Lasten aufzubürden und gleichzeitig die großen Vermögen weiter anwachsen zu lassen. Wenn alle sagen, nach Corona könne man nicht mehr so weitermachen, wie bisher, dann gilt das in besonderer Weise für die Finanzpolitik und die Daseinsvorsorge.
Es macht keinen Sinn, das jetzt benötigte Geld den nächsten Haushalten zu entziehen. Dann geht das ganze Elend der letzten zwanzig Jahre nicht nur weiter, sondern wird verschärft – der Abbau des Sozialstaats, die Unterfinanzierung der Kommunen, der Investitionsstau in der gesamten Infrastruktur und die Privatisierung der Daseinsvorsorge. Wir wollen diese Szenarien durchbrechen, sie sind kein Naturgesetz.
Man kann die zu kurze Decke nicht immer nur hin und her ziehen und Löcher stopfen, indem man neue Lücken aufreißt. Die Decke muss endlich vergrößert werden. Das Geldvermögen der deutschen Privathaushalte ist allein in den letzten fünf Jahren von 5 Billionen auf über 6 Billionen Euro gestiegen. In dieser außergewöhnlichen Notsituation muss wenigstens die Hälfte dieser Steigerung dem Staatshaushalt zur Verteilung zugeführt werden. Den größten Brocken davon bekommt die Wirtschaft ohnehin wieder zurück.
Unsere Haltung zum Nachtragshaushalt hängt deshalb von der Beantwortung von zentralen Fragen ab:
- Wird sich die Landesregierung für eine zeitlich befristete Vermögensabgabe für Millionäre einsetzen, um so die finanziellen Lasten gerecht zu verteilen und den sozialen Zusammenhalt zu stärken?
- Wird die Rückzahlung der vom Land aufzunehmenden Kredite länger gestreckt, um die Last nicht nur den nächsten Haushalten aufzubürden?
- Wird es innerhalb der 500 Mio. Euro einen Sozialfonds geben, wie wir ihn in unserem Entschließungsantrag ansatzweise umrissen haben? Werden hieraus schnelle und niederschwellige Hilfen vor allem für die Menschen angeboten, die bereits am Rand der Gesellschaft stehen oder die jetzt verstärkt dorthin abgedrängt werden?
- Werden Mittel für die kommunalen Haushalte spürbar aufgestockt und werden insbesondere Kultureinrichtungen und freischaffende Künstler die Hilfe erhalten, wie wir sie in unserem zweiten Entschließungsantrag vorschlagen?
- Werden die Abgeordneten über die Maßnahmen der Landesregierung zur Umsetzung des 500 Mio. Programms und der Bundesprogramme nicht nur umfassend und vor der Öffentlichkeit informiert, sondern an deren Erarbeitung beteiligt?
- Wird die Landesregierung ein Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens vorlegen, mit dem in einem Umfang von mindestens 700 Mio. bis 1 Mrd. Euro in den kommenden fünf Jahren endlich der Investitionsstau im Gesundheitswesen abgebaut wird?
Es kann jetzt nicht zuerst darum gehen, der Landesregierung freie Hand zu geben. Dringend geboten ist in dieser Krisenzeit die Unterstützung und die Kontrolle durch das Parlament.
Dass dies notwendig ist, zeigt sich an unserem Gesetzentwurf zur Ergänzung des Kinderfördergesetzes. Es scheint nicht klar zu sein, dass bei einer staatlich angeordneten Schließung von Einrichtungen das Land die Elternbeiträge übernimmt und zwar ohne Wenn und Aber. Die Landesregierung hat sich zwar inzwischen zu einer Übernahme-Regelung für die Aprilbeiträge durchgerungen, wir wollen aber nicht, dass das scheinbar eine Ermessensentscheidung ist und dass man dafür 14 Tage Bedenkzeit braucht. Wir wollen auch nicht, dass monatsweise überlegt wird, ob und was man sich noch leisten kann.
Und wir wollen schon gar nicht, dass Eltern für die Notbetreuung bezahlen. Wir haben uns gerade eben alle bei den Menschen bedankt, die wegen ihrer systemrelevanten Tätigkeiten derzeit unverzichtbar sind. Und weil die ihre Kinder mangels Betreuungsalternativen weiter in die Einrichtungen bringen müssen, sollen diese Eltern weiter bezahlen. Wir wollen das nicht! Wertschätzung sieht anders aus!
Die Landesregierung hat alle Kindertageseinrichtungen geschlossen. Der Rechtsanspruch aus dem KiFöG ist aufgehoben und damit kann es auch keine Elternbeiträge geben. Die Notbetreuung ergibt sich aus der Eindämmungsverordnung und nicht aus dem KiFöG. Die Landesregierung sieht das offenbar anders. Deshalb müssen solche Selbstverständlichkeiten in das KiFöG hineingeschrieben werden.
Erheblichen Regelungsbedarf sehen wir derzeit beim Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Die von der Bundes- und der Landesregierung verordneten Maßnahmen für den privaten Bereich werden im Arbeitsleben noch zu oft nicht als Maßstab für die Arbeitsorganisation in den Betrieben angesehen. Dadurch werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verunsichert und das Ziel, die Pandemie zu verlangsamen, wird unterlaufen. Hier sind dringend klare und verbindliche Regelungen erforderlich, die auch eine Unterscheidung zwischen systemrelevanten und nicht-systemrelevanten Bereichen vornehmen.
Die derzeitige Regelung zum Kurzarbeitergeld mit 60 bzw. 67 Prozent des letzten Nettoverdienstes bedeutet für viele Beschäftigte vor allem in Niedriglohnbereichen, dass sie bei einem solchen Einschnitt ihre täglichen Ausgaben nicht mehr bestreiten können. Miete, Kredite, Stromzahlungen usw. müssen ja weiter in voller Höhe geleistet werden. Das wird in vielen Fällen in die Verschuldung führen. Eine Aufstockung der Leistungen besonders in Niedriglohnbereiche auf 90 Prozent ist daher dringend geboten.
Letztlich muss zu unserem Gesetzentwurf zur Änderung des Volksabstimmungsgesetzes nicht mehr viel gesagt werden. Unglücklicherweise trifft die Corona-Pandemie das laufende Volksbegehren mitten in der Eintragungsfrist, in der Unterschriften gesammelt werden können. Und die ist auf sechs Monate begrenzt. Die Landesregierung war durch Corona gezwungen, die Kontakte unter den Menschen soweit wie möglich zu begrenzen. Unter diesen Bedingungen kann das Volksbegehren nicht mehr regulär durchgeführt werden. Deshalb darf die Zeit, in der das Volksbegehren den Einschränkungen unterworfen ist, nicht auf die Eintragungsfrist angerechnet werden.
Im Volksabstimmungsgesetz gibt es bisher keine Regelung, um auf solche gesellschaftlichen Ausnahmesituationen zu reagieren und die verfassungsmäßigen Rechte der Bürgerinnen und Bürger auch unter solchen schwierigen Bedingungen in vollem Umfang zu gewährleisten. Mit der beantragten Änderung soll deshalb eine Fristverlängerung zugesichert werden, wenn äußere Ereignisse die Volksgesetzgebung einschränken oder unmöglich machen. Die beste Lösung wäre, die Frist ganz zu streichen, aber zumindest muss man sie jetzt verlängern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu Beginn der Sitzung haben wir uns u.a. beim medizinischen Personal für ihre aufopfernde Arbeit symbolisch bedankt. Doch allein mit „Standing Ovations“ kann man nach der Krise keine Rechnungen bezahlen. Dieser Aussage eines Ameos-Pflegers kann man nur zustimmen. Wir müssen über die Krise hinaus deutlich machen, dass die medizinischen Berufe mehr finanzielle Anerkennung, mehr Tarif und weniger Privatisierung verdienen.
Corona geht uns alle an und wir dürfen niemanden mit den Folgen allein lassen. Deshalb sollten wir in der kommenden Zeit alle sehr kooperativ und kreativ handeln. Die heute zu behandelnden Regelungen werden sicher nicht die letzten sein und es sollte dabei weniger denn je darauf ankommen, wer den ersten Aufschlag macht. Die Menschen im Land erwarten von uns jetzt schnelle, zielführende und gerechte Lösungen.