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Thomas Lippmann zu TOP 15: Private Unterrichtsangebote organisieren und finanzieren

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

mit dem nahenden Ende des laufenden Schuljahres sind die Vorbereitungen für das nächste Schuljahr bereits in vollem Gange. Weiter steigende Schülerzahlen und die beständig schlechte Bewerberlage für neue Lehrkräfte sind dabei Anlass für größte Sorgen um die Unterrichtsversorgung im kommenden Schuljahr.

Seit acht Jahren verschlechtert sich die Unterrichtsversorgung unaufhaltsam von Jahr zu Jahr. Und das wird sich auch im kommenden Schuljahr so fortsetzen. Vom Lehrkräftemangel sind zwar im Prinzip alle Schulformen betroffen, besonders gravierend sind aber die Einschnitte an den Schulen der Sekundarstufe I – also an den Sekundar- und Gemeinschaftsschulen und auch an den Förderschulen. Schon im letzten Schuljahr hatten wir in diesen Schulformen im Vergleich aller Bundesländer das schlechteste Unterrichtsangebot und der Abstand zu den anderen Bundesländern vergrößert sich derzeit weiter.

Der schulformspezifische Lehrkräftemangel und die daraus resultierende Einschränkung des Bildungsangebotes an den Schulen der Sekundarstufe I führen zu massiven Gerechtigkeitsproblemen zwischen den Jugendlichen, die den noch relativ gut ausgestatteten gymnasialen Bildungsgang absolvieren und den Jugendlichen, die alle anderen Bildungsgänge einschließlich der Förderschulen besuchen. Der größte Teil unsere Jugendlichen – das sind fast 2/3 – wird so in ihrer Entwicklung massiv benachteiligt und im Schulsystem abgehängt.

Bereits im laufenden Schuljahr betrug der Unterschied in der Unterrichtsversorgung zwischen den Gymnasien und den Sekundarschulen offiziell 11 Prozentpunkte – von 98% bei den Gymnasien bis zu den dürftigen 89% bei den Sekundarschulen. Doch das ist nur die geschönte Bilanz des Bildungsministeriums. Blendet man die in den letzten Jahren mehrfach durchgeführten bedarfsmindernden Maßnahmen an den Sekundar- und Gemeinschaftsschulen aus, dann liegt die Unterrichtsversorgung schon heute in diesen beiden Schulformen deutlich unter 80% und sie wird im kommenden Schuljahr real auf unter 75% sinken.

Im Moment lernen in den Sekundar- und Gemeinschaftsschulen fast 7.000 Schüler*innen mehr als noch 2013/14. Dafür sind mehr als 500 Lehrkräfte zusätzlich erforderlich. Tatsächlich ist der Lehrkräftebestand an den Schulen in diesen acht Jahren aber um mehr als 500 Lehrkräfte gesunken. An den Sekundar- und Gemeinschaftsschulen fehlen also schon jetzt mindestens 1.000 Lehrkräfte, nur um wieder so unterrichten zu können, wie vor acht Jahren. 

Diese Entwicklung führt inzwischen dazu, dass immer mehr Schulen der Sekundarstufe I nicht mehr in der Lage sind, einen gefüllten Stundenplan mit eigenen Lehrkräften abzusichern. Inzwischen wird offenbar nicht mehr nur über 80+10 Unterrichtsmodelle diskutiert, sondern mit Schulleitungen auch über die Planung von 4-Tage-Unterrichtswochen beraten. Es gibt bereits Schulen, in denen an ganzen Schultagen kein Unterricht organisiert werden kann. Noch sind das einzelne Schulen. Bis zum Ende der Wahlperiode wird es aber die gesamte Sekundarstufe I betreffen.

Dann wird es außerhalb der Gymnasien keine 5-Tage-Unterrichtswochen mehr geben, und zwar bis weit in die 2030 Jahre hinein. Deshalb muss jetzt mehr unternommen werden, um das Bildungsangebot in den Schulen der Sekundarstufe I wieder zu vervollständigen und dabei wird es notwendig sein, auch auf private Unterrichtsangebote zurückzugreifen. Denn selbst bei extensiver Einstellung von Seiteneinsteigern gibt es in den nächsten 10 – 15 Jahren wegen der ungenügenden Ausbildung keine Chance, genügend staatliche Lehrkräfte für diese Schulformen zu finden.

Ich kann mir gut vorstellen, dass sich einige beim Lesen unseres Antrags verwundert die Augen gerieben habe. DIE LINKE fordert die Öffnung der öffentlichen Schulen für private Unterrichtsangebote. Das zeigt aber nur, wie dramatisch die Entwicklung ist. Ich appelliere an die Koalitionsfraktionen, bei diesem Antrag jetzt nicht wieder mit uns zu streiten, sondern gemeinsam anzupacken, um den Niedergang in den Sekundar- und Gemeinschaftsschulen aufzuhalten.

Unser Antrag orientiert vor allem auf die Angebote privater Bildungsträger für einen guten berufspraktischen Unterricht. Die sind in den letzten Jahren bereits entwickelt worden und sind inzwischen erprobt und ausgereift. Beispiele dafür sind etwa das Projekt PINK der Berufsakademie in Leuna oder das Tabeo-Projekt des Bildungszentrums für Beruf und Wirtschaft in Wittenberg.

Dieser berufspraktische Unterricht soll flächendeckend für die 8. und 9. Klassen aller Schulen der Sekundarstufe I im Umfang von einem Unterrichtstag pro Woche organisiert werden. Er unterscheidet sich grundlegend von dem aktuellen BRAFO-Angebot und von den Betriebspraktika. Betriebspraktika und BRAFO sollen dabei nicht wegfallen, sondern als etablierte Formen der Berufsorientierung in den berufspraktischen Unterricht integriert werden.

Ein qualitativ hochwertiger und vielseitiger berufspraktischer Unterricht, der an der konkreten wirtschaftlichen Struktur der Region ausgerichtet wird, ist nach unserer Überzeugung am besten geeignet, das Unterrichtsangebot an den Schulen der Sekundarstufe I wieder zu ergänzen und durch eine gute Berufsorientierung und Berufsvorbereitung den Bildungserfolg der Schülerinnen und Schüler insgesamt zu verbessern.

Bis zum Ende der Wahlperiode müssen deshalb die Voraussetzungen geschaffen werden, dass allen Jugendlichen aus den Schulen der Sekundarstufe I flächendeckend ein solcher berufspraktischer Unterricht angeboten werden kann. Es ist nach unserer Überzeugung der einzige Weg, um aus der Not des Lehrkräftemangels tatsächlich eine Chance für unsere Jugendlichen zu machen. Diese Chance, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD, sind sie unseren Jugendlichen schuldig. Denn die Löcher, die in den Stundentafeln jetzt immer weiter aufreißen, sind allein die Folge ihrer Personalpolitik in den letzten 15 Jahren.

Aber auch durch berufspraktischen Unterricht kann der Ausfall ganzer Fächer nicht kompensiert werden. Deshalb haben wir unseren Antrag weiter gefasst. Wenn z. B. Träger der Erwachsenenbildung wie etwa Volkshochschulen oder Bildungsakademien in der Lage sind, mit ihrem Fachpersonal regulären Fachunterricht abzusichern, der ansonsten wegen des Mangels an staatlichen Lehrkräften nicht stattfinden kann, dann muss das künftig möglich sein.

Es geht jedenfalls nicht, dass sich die Schulbehörden nach den Einstellungsrunden zurücklehnen und die Hände heben, wenn noch solche riesigen Defizite im Unterrichtsangebot bestehen. Es geht auch nicht, dass der Finanzminister Personalkosten im dreistelligen Millionenbereich einstreicht, die für die Schulbildung zur Verfügung stehen müssen. Die gekürzten Personalmittel für staatliche Lehrkräfte müssen 2023 wieder in den Haushalt eingestellt werden, und zwar so, dass auch Unterricht durch private Bildungsträger bezahlt werden kann.

Es ist genau jetzt die Zeit zum Handeln. Viele Gespräche in den letzten Monaten haben gezeigt, dass ein großes Interesse bei den Schulen, beim Handwerk und bei der Industrie gibt. Und es gibt große Potenziale bei den Bildungsträgern. Nehmen sie deshalb diese Initiative ernst und lassen sie die Jugendlichen, die nicht an den Gymnasien lernen können, nicht weiter im Regen stehen.