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Thomas Lippmann zu TOP 10: Masterplan zur Sicherung der Schulbildung in Sachsen-Anhalt

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

4.121, das wurde uns als „Zahl der Woche“ vom statistischen Landesamt zum Weltlehrertag am vergangenen Mittwoch übermittelt. So viele Lehramtsstudierende gab es vor einem Jahr in Sachsen-Anhalt. Klingt vielleicht viel, ist es aber nicht. Denn um unseren Einstellungsbedarf im nächsten Jahrzehnt aus eigener Kraft zu decken, müssten es zwei- bis dreitausend Lehramtsstudierende mehr sein. Es waren aber nur 200 Studierende mehr als 2020. Es geht also zwar etwas voran, aber zu langsam und in zu kleinen Schritten.

Denn im ganzen Jahr 2021 haben noch nicht einmal 400 Lehramtsstudierende bei uns ihr Studium abgeschlossen haben. Das ist weiterhin nicht einmal die Hälfte der derzeit ausscheidenden Lehrkräfte. Wir würden in den nächsten zehn Jahren zwei- bis dreimal so viele Absolventen benötigen, um uns aus dem Mangel herauszuarbeiten.

Doch in der Lehramtsausbildung wird weiter gemauert, geknausert und gejammert. Am Ende wird gern behauptet, dass es angeblich gar keine Bewerber*innen für noch mehr Studienplätze gäbe. Fakt ist aber, dass diese 400 Lehramtsabsolventen im Jahr 2021 noch nicht einmal 5% der Hochschulabschlüsse ausgemacht haben. Wer will ernsthaft behaupten, dass dieser geringe Anteil nicht gesteigert werden kann?

Es gibt genügend junge Menschen, die ein Lehramt studieren wollen, man muss sie nur lassen und ihnen auch ein adäquates Studium anbieten. Durch eine Fülle von Zulassungsbeschränkungen werden in jedem Jahr hunderte Interessenten an einem Lehramtsstudium von der MLU ferngehalten. Und man muss auch damit aufhören, dass Lehramtsstudierende ihre fachwissenschaftliche Ausbildung in zwei Fächern zusammen mit angehenden Fachwissenschaftlern absolvieren müssen – und das neben ihrer pädagogisch-didaktischen Ausbildung. Eine solche Mehrfachbelastung muss in vielen Fällen zum Scheitern führen. Dass fast jeder zweite Lehramtsstudent nicht zum Abschluss kommt, spricht da Bände. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der letzten Woche fand die Stichtagserhebung für die Unterrichtsversorgung statt. Auch ohne die Auswertung schon zu kennen, kann man die Dimension des Unterrichtsabbaus mit wenigen Daten begreifbar machen. Die Zahl der Schüler*innen an den allgemeinbildenden Schulen ist in den letzten zehn Jahren um mehr als 20.000 gestiegen. Gleichzeitig ist das Arbeitsvolumen der Lehrkräfte vor der Klasse um 20.000 Unterrichtsstunden gesunken. Das Unterrichtsangebot hätte aber entsprechend um mindestens 36.000 Unterrichtsstunden steigen müssen, um weiter auf gutem Niveau unterrichten zu können.

In unseren Schulen fehlen derzeit also mindestens 56.000 Unterrichtsstunden und das in jeder Unterrichtswoche. In einem ganzen Schuljahr sind das mehr als 2 Mio. Unterrichtsstunden, die der heutigen Schülergeneration gar nicht mehr angeboten werden. Und da kommt dann der Unterrichtsausfall durch Krankheit und andere Abwesenheit noch obendrauf. Das sind dann noch einmal fast 1 Mio. Unterrichtsstunden, die nicht vertreten werden.

2 Mio. fehlende Unterrichtsstunden entsprechen dem Arbeitsvolumen von etwa 2.200 vollbeschäftigten Lehrkräfte. Das ist mehr als das Zweieinhalbfache der 850 Vollzeitlehrkräfte, die Ministerin Feußner am Dienstag im Volksstimme-Interview zugestanden hat. Es fehlen eben nicht nur 8 Prozent, sondern schon mindestens 18 Prozent an der notwendigen Unterrichtsversorgung – und das bei gewaltigen Unterschieden zwischen den Schulformen. Denn während die Gymnasien kaum Defizite beklagen müssen, belaufen sich die Unterrichtsverluste aus den letzten zehn Jahren an den Sekundarschulen inzwischen auf fast 30 Prozent.

Nun kann man nicht bestreiten, dass von Seiten der Schulbehörden einige Anstrengungen unternommen werden, um diesem Elend beizukommen und den Schaden irgendwie zu begrenzen. Aber es gelingt nicht, die Maßnahmen sind nicht ausreichend oder nicht wirksam. Das ganze Unterrichtssystem rutscht mit jedem Schuljahr weiter in den Keller.

Wir alle sind gefordert, dieser bedrohlichen Entwicklung Einhalt zu gebieten. Dafür sind nicht nur neue Anstrengungen und neue Ideen gefordert, gute Bildung kostet auch mehr Geld. Es mag als ein schlechter Zeitpunkt erscheinen, gerade jetzt mehr Geld für Bildung einzufordern. Doch die Krise unseres Schulsystems kann auf keine lange Bank geschoben werden. Diese Krise ist tiefgreifend und existenziell und wir werden noch sehr lange mit ihren Folgen zu kämpfen haben.

Es ist deshalb überfällig, dass sich endlich der Ministerpräsident ernsthaft und persönlich um die Probleme der Unterrichtsversorgung kümmert. Das Kind liegt im Brunnen und Frau Feußner wird es da ohne seine Unterstützung nicht herausbekommen. Und damit sind keine Schulbesuche und ein paar eigene Unterrichtsstunden gemeint. Auch aufwändig inszenierte Gespräche zu einem Schulfrieden bringen offenbar überhaupt nichts. Das alles ist Fassade und dient lediglich der Ablenkung vom Regierungsversagen in der Schulpolitik.

Dass wir heute in unseren Schulen bundesweit mit die schlechtesten Bedingungen und sinkende Kompetenzen bei unseren Schüler*innen feststellen müssen, das, Herr Ministerpräsident, geht auf das Konto ihrer Regierungszeit. Sie müssen endlich hier im Parlament Farbe bekennen. Und in diesen Appell beziehe ich die Koalitionsfraktionen, insbesondere die CDU-Fraktion aber auch die SPD mit ein. Es gibt keine Zeit mehr für Schaukämpfe. Sie müssen vor dem Ende der Wahlperiode eine Wende schaffen. Sonst lassen sie zehntausende Schüler*innen bis weit in die 30 Jahre hinein ohne Hoffnung auf eine gute Ausbildung.

Ein Masterplan für die Sicherung der Schulbildung gehört auf ihren Tisch. Es ist der entscheidende Zeitpunkt, um Verantwortung zu übernehmen und Weichen anders zu stellen. Wir haben unsere Vorschläge im vorliegenden Antrag dazu noch einmal zusammengetragen und bieten unsere Unterstützung an. Wir wollen da jetzt nicht so hochtrabend wie sie von einem „Schulfrieden“ reden, aber eine ernsthafte Suche nach einem „Schulkonsens“ oder eben eine Verständigung auf einen „Masterplan“ scheint uns das mindeste, was Schüler*innen, Eltern und Gesellschaft in dieser verfahrenen Situation von der Politik erwarten können.

Ich hoffe in diesem Sinne darauf, dass sie sich nicht an der Wiederholung einiger von ihnen bereits einmal abgelehnter oder zumindest bisher nicht umgesetzter Maßnahmen abarbeiten wollen. Inzwischen wurde vom Bildungsministerium ja auch einiges auf den Weg gebracht, um den Mangel zu mildern. Dazu zählen u.a. die schnelle Folge von Ausschreibungen, die sehr weite Öffnung der Voraussetzungen für die Einstellung von Seiteneinsteigern und die Suche nach Sprachlehrkräften und ukrainischen Lehrkräften. Dem haben wir bei unseren Vorschlägen Rechnung getragen.

Außerdem will ich heute der Bildungsministerin einmal den Rücken stärken bei ihrem Einsatz für eine Ausweitung der Lehramtsausbildung in Magdeburg und für die A13-Besoldung für die Grundschullehrkräfte. Nachher werden ja sicher einige von rausgehen zu der Demonstration von Grundschullehrkräften. Deren Ungeduld und der Unmut über die weiter ausstehende Angleichung ihrer Bezahlung ist riesig. Lassen sie unsere Grundschullehrkräfte nicht erneut frustriert und ohne Perspektive für eine gerechte Bezahlung nach Hause fahren. Sorgen sie dafür, dass wir in Sachsen-Anhalt nicht das Schlusslicht bei der A13 für die Grundschulen bilden. Wir können es uns nicht länger leisten, dass uns dringend benötigte Lehrkräfte wegen der besseren Bezahlung in den Nachbarländern den Rücken kehren. Unser Gesetzentwurf für die A13 liegt im Finanzausschuss. Lassen sie ihn dort nicht liegen, sondern packen sie es jetzt an.

Abschließend will ich auf einige der von uns aufgeführten Maßnahmen direkt eingehen, weil es dazu zum Teil schon Debatten gab, die bisher wenig fruchtbringend waren.

Das erste ist die Steuerung und die feste Bindung der hier ausgebildeten Lehramtsabsolventen an den späteren Einsatz im Land. Wir schlagen erneut Anwärtersonderbezüge für alle schulformbezogenen, fächerbezogenen und regionalbezogenen Mangelbereiche vor. Außerdem drängen wir nachdrücklich darauf, dass die schon zweimal beschlossenen Vorverträge mit den Lehrkräften im Vorbereitungsdienst jetzt endlich umgesetzt werden. Die oftmals engen Bindungen zwischen den Auszubildenden und ihren Schulen sollen bewusst gepflegt und für den späteren Einsatz an diesen Ausbildungsschulen genutzt werden.

Als zweites plädieren wir dafür, wesentlich sorgsamer mit den Lehrkräften im Seiteneinstieg umzugehen. Es muss alles dafür getan werden, damit möglichst alle über einen berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst zu vollwertigen Lehrkräften werden. Und das auch dann, wenn sie keine zwei Fächer nachweisen können. Vollwertig heißt dabei: Durch den Vorbereitungsdienst pädagogisch qualifiziert und über eine Sonderlaufbahn in der Besoldungsgruppe A13 in ein Beamtenverhältnis übernehmbar und wie alle anderen Lehrkräfte bezahlt. Wenn dafür jetzt keine Wege eröffnet werden, wird sich das ehr früher als später rächen.

Drittens wollen wir nachdrücklich darauf hinweisen, dass die Sekundarschule als Schulform im gegliederten Schulsystem nicht mehr erfolgreich weitergeführt werden kann. Sie ist für Schüler*innen und Eltern ebenso wie für neue Lehrkräfte zunehmend unattraktiv und gleitet immer mehr auf das Niveau früherer Hauptschulen ab. Wir schlagen deshalb vor, die Ausbildung für das separate Lehramt an Sekundarschulen aufzugeben und die Ausbildung im Lehramt an Gymnasien auf alle weiterführenden Schulen zu erweitern. Außerdem schlagen wir vor, die Umwandlung bestehender Sekundarschulen in Gemeinschaftsschulen aktiv zu unterstützen und die Gemeinschaftsschule durch weitere innere und strukturelle Reformen so zu stärken, dass sie sich zu einer Schulform entwickeln, die den Gymnasien gleichwertig ist.

Als letztes wollen wir erneut den Versuch unternehmen, Landesregierung und Koalitionsfraktionen von unserem Vorschlag für einen verbindlichen berufspraktischen Unterricht zu überzeugen. Dieser soll u.a. wegen des wegbrechenden Unterrichtsangebotes in den Schulen der Sekundarstufe I für die 8. und 9. Klassen im Umfang von einem Tag je Unterrichtswoche organisiert werden. Er soll von qualifizierten Trägern der beruflichen Bildung und ggf. auch von ausreichend großen Ausbildungsbetrieben bzw. von berufsbildenden Schulen durchgeführt werden, wobei private Träger dafür eine kostendeckende Vergütung erhalten müssen.

Die jetzt nicht angesprochenen Maßnahmen in unserem Antrag sind z.T. ebenfalls nicht neu oder sollten sich hinsichtlich ihrer Zielsetzung von selbst erschließen.

Ich hoffe auf eine zeitnahe und produktive Auseinandersetzung in den Ausschüssen. Diese sollte federführend im Bildungsausschuss und mitberatend im Finanzausschuss erfolgen.