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Nicole Anger zu TOP 3: Aktuelle Debatte: Rettungsschirm für Krankenhäuser im Land

Sehr geehrte Damen und Herren,

um es gleich zu Beginn deutlich auf den Punkt zu bringen: Unsere Krankenhäuser im Land befinden sich auf der Intensivstation. Immer wieder verweisen sie auf ihre finanzielle und personelle Notlage. Die Krankenhausgesellschaft spricht von einer drohenden Insolvenzwelle. Als Grund wird nicht nur die aktuelle Kostensteigerung der Krankenhäuser genannt, sondern die seit Jahren existierende strukturelle Unterfinanzierung. Erhebungen des Krankenhaus-Barometers zum Ende des vergangenen Jahres haben gezeigt:

  • Nur sechs Prozent der Krankenhäuser in Deutschland beurteilten ihre wirtschaftliche Lage als gut.
  • Lediglich 20 Prozent erwarteten für das Jahr 2022 ein positives Jahresergebnis.
  • Mehr als jedes zweite Krankenhaus (56 Prozent) geht für das Jahr 2023 von einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage aus. 

Corona und die zuletzt gehäuften Atemwegserkrankungen haben gezeigt, dass wir ein starkes Krankenhauswesen und flächendeckende Versorgung benötigen. Schließungen können wir uns in diesem Flächenland nicht leisten. Das alles sollte jetzt aber nicht überraschend für Sie sein. Wir hatten schließlich eine Anhörung im Sozialausschuss dazu mit der Krankenhausgesellschaft und dem VKLK, die genau diese Krise bestätigt haben und auch unseren Antrag zum Rettungsschirm haben wir dazu diskutiert. 

Wir haben einen Fachkräftemangel, der dazu führt, dass Betten nicht in Betrieb sind – sprich die eigentlichen Kapazitäten stehen nicht zur Verfügung, das Krankenhaus kann keine Volllast fahren. Hinzu kommt, dass in der Pandemie die Anzahl an Behandlungen sank. Weniger Patient:innen wurden stationär behandelt, demzufolge auch weniger Einnahmen.

So - und jetzt kommen die steigenden Preise für Energie, Strom, Lebensmittel, Medikamente, Verträge mit Drittanbietern hinzu. Und man muss kein Adam Ries sein, um festzustellen, dass bei durchschnittlichen Steigerungen des LBFW von 4,3% im Verhältnis zu durchschnittlich 15% Steigerung bei den laufenden Kosten – ohne Energie wohlbemerkt - ein Minus für die Kliniken rauskommt. Wobei Wäscheversorger ihre Verträge um bis zu 50% erhöht haben und beim Einkauf von Speisen Steigerungen von bis zu 25% mittlerweile der Fall sind. Damit wird das monatliche Defizit der einzelnen Häuser größer und größer.

DAS passiert, wenn man die Gesundheitsversorgung den Mechanismen des Marktes unterwirft. Und wir alle verlieren! Deswegen ist es unerlässlich, dass wir jetzt und sofort gegensteuern.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

jetzt wird gleich wieder das klassische und so vorhersehbare Argument aus den Reihen der Koalition kommen, warum wir keinen Rettungsschirm einrichten können. Wie soll das gehen? Das sag’ ich Ihnen gerne: Wie wäre es denn mit einem Sondervermögen? In Brandenburg ging das schließlich auch - übrigens ohne Gefahr zu laufen, den Straftatbestand der Insolvenzverschleppung zu bedienen. 

Um gleich hier auch noch auf die vollständig faktenfreie Argumentation der Sozialministerin aus dem Sozialausschuss einzugehen.  Ministerin Grimm-Benne verkündete nämlich im Ausschuss, dass es rechtlich nicht möglich sei, die Liquidität der Häuser zu finanzieren. Ich zitiere Sie mal konkret aus dem SOZ, wo Sie wörtlich sagten: “Außerdem sei davor zu warnen, liquiditätsgefährdete Unternehmen finanziell zu unterstützen, da dies sowohl beihilferechtlich als auch mit Blick auf den Straftatbestand der Insolvenzverschleppung nicht zulässig sei.”

Falsch, Frau Ministerin!! Sie haben hier eine völlig rechtswidrige Behauptung aufgestellt. Und bitte bedienen Sie sich nicht gleich wieder dieser Unkenntnis. Andernfalls würde mich und meine Fraktion interessieren, wie sonst das Entlastungspaket der Bundesregierung zu verstehen ist, wenn die Kliniken doch allesamt Zuschüsse erhalten? Oder die Ausfallbürgschaften, die die Landkreise und kreisfreien Städte in den vergangenen Wochen für die kommunalen Kliniken auf den Weg gebracht haben? Machen die sich dann allesamt damit strafbar?

 Im Übrigen habe ich genau dazu um die Einschätzung des GBD gebeten. Kurzfassung: Krankenhäuser haben eine Sonderstellung von allgemeinem Interesse im EU-Recht. Die Förderung soll explizit Insolvenz verhindern. Für bestimmte Krankenhäuser greift das Insolvenzrecht nicht. Die ausführliche Antwort stelle ich Ihnen gern zur Verfügung, wenn Sie diese haben möchten. Im Übrigen ist das an einigen Stellen bereits ausgeurteilt worden.  

Und bei den Unikliniken gleichen Sie doch auch Jahr für Jahr die hohen Defizitbeträge aus. Das müsste nach Ihrer Auffassung auch rechtswidrig sein. Ist es aber nicht.

Sehr geehrte Damen und Herren,

 Kommen wir noch einmal zum Stichwort Entlastungspaket: Nur zu gern bemühen Sie die Argumentation, dass es doch üppige 6 Milliarden vom Bund gibt. Doch diese reichen nicht aus. Ein Teil davon, also 4,5 Mrd. sollen für die steigenden Energiekosten eingesetzt werden, aber die Richtlinie ist bis heute unbekannt.

 1,5, Mrd. sind pauschal für weitere Defizite. Davon, von dieser Pauschale, kommen rund 48 Mio. im Land an. Wenn man dann davon ausgeht, dass ein Klinikum 600 Betten hat, bekommt es einmalig 1,8 Mio. Das monatliche Defizit ohne Energie einer Klinik seit Sommer ist aber bei einem Minus von 500.000 Euro pro Monat schon bei 3,5 Mio. – Tendenz steigend. Die Mittel des Bundes können und werden also das strukturelle Defizit wegen der inflationsbedingten allgemeinen Kostensteigerungen nicht ausgleichen. 

Sehr geehrte Damen und Herren,

das ist niemals ausreichend! Zum nicht ausreichenden Entlastungspaket besteht ja sogar Konsens zwischen meiner Fraktion und der CDU, wenn man dem Inhalt ihrer Pressemitteilung dazu glauben darf. Naja, dort stand auch, dass sie zu Gesprächen über Finanzhilfen bereit seien und solche gegebenenfalls im Rahmen der Haushaltsplanaufstellung bereitstellen wollten - da schien bei Herrn Krull aber am Ende doch mehr der Wunsch Vater des Gedankens gewesen zu sein…

”Gesprächsbereit” - wie Sie es in der Pressemitteilung nennen - waren Sie in meiner Erinnerung nun wirklich eher nicht im SOZ. Sollte sich da etwa noch was in der Bereinigungssitzung ergeben? Oder sind diese Erwartungen hier auch zu hoch?

Und mit Verlaub, aber ihre Argumentationslogik ist an so vielen Stellen einfach komplett realitätsverweigernd! Folgt man den Aussagen der Sozialministerin, unterstützt von der Koalition, dann naht die Rettung aber schon zum Ende des I. Quartals: Das Gutachten zu den Krankenhäusern liegt dann wohl vor! Und dann wird ja alles gut - oder etwa nicht??  

Ich sage Ihnen: Nein, nichts wird gut mit diesem Gutachten! Dieses Gutachten wird lediglich Bevölkerungsentwicklung und Statistiken von Erkrankungen aufzeigen.

Inwiefern sich hier die strukturelle Situation des Flächenlandes Sachsen-Anhalt mit seinen Bedarfen widerspiegelt, zweifle ich jetzt schon an. Und ich sage ihnen voraus: Fachkräftemangel, starke Alterung, ausgedünnter ländlicher Raum, zurückgehende Fallzahlen werden zu einer Verknappung der Versorgung und langen Fahrzeiten führen und Menschen vom Gesundheitssystem abkoppeln.

Havelberg ist dann auch möglicherweise in Sangerhausen, in Seehausen oder in Zeitz oder an anderen Orten.  Und wenn Sie noch weiter mit einer landeseigenen finanziellen Unterstützung der Kliniken zögern, schaffen Sie noch vor dem Gutachten eine kalte Marktbereinigung. 

Denn: Viele der Häuser laufen Gefahr, in nächster Zeit zahlungsunfähig zu sein. Und hier reden wir nicht mal mehr von Monaten, sondern bereits von wenigen Wochen. Dann sind vor allem bei den kommunalen Häusern auch die Obergrenzen der Kredite erreicht. Kredite, die sie eh nicht zurückzahlen können. Und dann werden zunächst Fachabteilungen abgemeldet, danach ganze Häuser. Und dann ist jeder Krankenhausplan und jedes Gutachten im Land genauso hilfreich wie eine Sonnenbrille bei Nebel. 

 

Reformen kann man aber nicht angehen, ohne vorher die Struktur zu stabilisieren.

Und wenn Sie jetzt sagen:  Aber der Bund….: Dann sage ich Ihnen: Auch Herr Lauterbachs Reförmchen werden nichts an dieser mehr als nur kritischen Lage ändern. Diese Reform wird mit Umstrukturierungen einhergehen und das kann man nur dann umsetzen, wenn man es sich leisten kann. Und das können vor allem die kommunalen und landeseigenen Kliniken nicht! Und auch die privat-gemeinnützigen werden das nicht schaffen. 

Insbesondere im ländlichen Raum ist zu befürchten, dass es mit dieser Reform gemeinsam mit der Personalknappheit zu einem Zusammenbruch der Krankenhausversorgung kommt. Es wird dann zu einer zweiten kalten Marktbereinigung kommen - wer nicht mithalten kann, ist raus.  Aber soweit darf es niemals kommen! Deswegen weisen wir auch unermüdlich auf diesen Umstand hin! Auch wenn die Ministerin es nicht mehr hören kann. Aber ich erkläre Ihnen das so lange, bis auch Sie es verstehen. Ich fordere Sie außerdem auf, ehrlich zu sein! Sagen Sie doch endlich, was Sie vorhaben! Was wollen Sie mit der Krankenhauslandschaft machen? Halten Sie die Menschen nicht länger hin!  

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bin der Überzeugung, dass es unsere Pflicht ist, Politik zum Wohle aller Menschen in unserem Land zu machen. Hin und wieder bedeutet das eben auch, dass wir abwägen müssen, was wichtiger ist - nicht für uns, sondern für die Menschen in Sachsen-Anhalt. Über mögliche Zinsen jammern, die die Aufnahme eines Kredites für den Rettungsschirm kosten oder verdammt nochmal Geld in die Hand zu nehmen, um den Menschen das Gesundheitsangebot zu ermöglichen, das sie benötigen. Tun Sie dies nicht, kommt es sehr schnell zu einer nachhaltigen Zerstörung einer der wichtigsten Säulen des Sozialstaates auf lange Zeit. Ist ein Standort tot, gibt es kein Wiederaufbau dieser Struktur. Die Menschen glauben nicht mehr, dass sich noch etwas verändern, ja verbessern wird, sie verlassen das Land, weil sie keine Perspektive sehen. Der Fachkräftemangel wird sich weiter zuspitzen, der ländliche Raum verödet zuerst. Und eines sage ich Ihnen auch ganz deutlich: Gesundheitsfürsorge darf niemals an Fragen des Geldbeutels geknüpft sein. Es ist keine Aufgabe des Marktes - es ist Aufgabe des Staates, die Menschen beim Gesundwerden bestmöglich zu unterstützen. Der Markt regelt einen - Sie wissen schon…. 

Wir sind es den Menschen mehr als nur schuldig, hier an vielen Stellschrauben zu drehen. Denn die Krankenhäuser sind im wahrsten Sinne des Wortes “kranke Häuser” - es krankt an finanziellen Mitteln, es fehlt Personal und die Arbeitsbedingungen für diejenigen, die im System arbeiten, sind miserabel. Für all diejenigen braucht es Perspektiven, damit der Beruf wieder als Berufung gelebt werden kann. Also helfen Sie gemeinsam mit uns den Krankenhäusern und schauen Sie nicht weiter weg! 

Herzlichen Dank!