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Nicole Anger zu TOP 26

Sehr geehrte Damen und Herren,

Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht! Und Menschenrechte sind unteilbar! So legt es die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte fest.

Artikel 25 / Absatz 1 / Allgemeine Erklärung der Menschenrechte(UN-Menschenrechtskonvention)

“(1) Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen, sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder Verwitwung, im Alter sowie bei anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.”

Und auch das Grundgesetz der Bundesrepublik folgt dem im 

Artikel 2 / Absatz 2 

Und sagt: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“.

Sie wissen es: Zu dieser Aufzählung gehört unsere Landesverfassung, die im Artikel 5 / Absatz 2 (Handlungsfreiheit, Freiheit der Person) festlegt:

Jeder hat das Recht auf Leben sowie auf körperliche und seelische Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.”

Leider ist die Realität - selbst in einem Rechts- und Sozialstaat wie der Bundesrepublik - eine andere. Oft fallen Menschen, die u.a. ohne Papiere, ohne Wohnsitz, ohne gültigen Aufenthaltsstatus hier leben und Menschen in prekären Lebenssituationen und mit finanziellen Problemen aus dem Versorgungssystem heraus.  

Für Körper und Psyche der Betroffenen bedeutet dies ein Martyrium, denn es geht - und das ist mitnichten übertrieben - um Leben und Tod.

Die Gruppe der betroffenen Menschen, also der Menschen, die nicht krankenversichert sind und damit nicht einfach mal zum Arzt gehen können, ist mitunter größer als manch einer es zunächst vermutet. Ich will Ihnen gern einmal aufzuzeigen, wer in diesem Land alles von der Gesundheitsversorgung abgeschnitten ist - trotz verfassungsrechtlicher Bestimmungen, trotz internationaler Vereinbarungen und trotz der allgemeinen Versicherungspflicht.

  • Selbständige, die nach der Corona-Pandemie und den Kostensteigerungen die privaten Versicherungsbeiträge nicht mehr bezahlen konnten. Übrigens ist dies für viele Selbständige auch schon vor der Pandemie eine Gratwanderung gewesen.
  • Menschen, bei denen der Übergang von einem Pflicht- in ein freiwilliges Versicherungsverhältnis nicht funktioniert oder diejenigen, die nach einer privaten Krankenversicherung wieder in eine gesetzliche wechseln wollen, sind häufig betroffen, weil selbst hier oft die Prozesse nicht reibungslos verlaufen.
  • Auch ehemalige Inhaftierte haben nach dem Strafvollzug oft große Schwierigkeiten, wieder in ein Krankenversicherungsverhältnis eintreten zu können. 
  • Ähnlich verhält es sich mit Auslandsrückkehrer:innen, denen die Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung verweigert wird.
  • Oder aber auch Menschen ohne festen Wohnsitz, die ihre Sozialleistungen nicht geltend machen können.
  • Ebenso EU-Bürger:innen, die in Deutschland und ihren Herkunftsländern keinen ausreichenden Versicherungsschutz haben oder nachweisen können,
  • Drittstaatler:innen, deren Versorgungsbedarf das Leistungsspektrum der Auslands- und Reiseversicherung übersteigt sowie
  • Menschen, die aufgrund der Übermittlungspflicht entsprechend § 87 AufenthG ihren Leistungsanspruch nach AsylblG nicht wahrnehmen können oder wollen.

Dies sind nur Schlaglichter - es gibt viele andere Umstände und auch Einzelfälle, die ebenso durch das Netz fallen - mit schlimmen Folgen für ihre Gesundheit.

Eine zu späte Diagnose einer Erkrankung führt dazu, dass sie auch nicht behandelt wird. Dies wiederum hat eine Chronifizierung und im schlimmsten Fall den Tod zur Folge. Aber auch zu Pflegeleistungen haben die Betroffenen keinen Zugang. Aber auch Schwangerschaft und Geburtshilfe sind in diesem Zusammenhang zu nennen.

In den manchen Fällen finden die Betroffenen erst dann den Weg zur Ärztin/zum Arzt, wenn die Symptome so schwerwiegend sind, dass ihnen keine andere Wahl bleibt. In manchen Fällen aber auch dann nicht. So kommt es dann vermehrt zu medizinischen Notfällen, die zum einen hätten vermieden werden können und zum anderen Kosten nach sich ziehen, die unmöglich von den Patient:innen getragen werden können. Die Krankenhäuser stehen dann vor dem Problem, die Kosten von der Krankenversicherung nicht erstattet zu bekommen. Und da es aktuell nicht sonderlich gut um die Krankenhäuser in Sachsen-Anhalt bestellt ist, wie wir wissen, kommt es vermehrt dazu, dass Menschen ohne Krankenversicherung abgewiesen oder nicht ausreichend behandelt werden. Ein unhaltbarer Zustand, der mitnichten dazu beiträgt, das Recht der Betroffenen auf Unversehrtheit, Gesundheit und Menschenwürde zu wahren.

Diese grobe Versorgungslücke muss im Land Sachsen-Anhalt zwingend geschlossen werden, um unserem eigenen Anspruch, der durch das Grundgesetz und auch die UN - Menschenrechtskonvention verbrieft ist, gerecht zu werden.

In vielen Bundesländern – in 10 um genau zu sein - (Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen) gibt es bereits den anonymen Behandlungsschein. Und es gibt Clearingstellen, die Betroffenen helfen, den Weg in die Krankenversicherung zurückzufinden. Die Kostenübernahme im Falle der Inanspruchnahme des anonymen Behandlungsscheins wird oft aus sogenannten Behandlungsfonds realisiert. (https://anonymer-behandlungsschein.de/)

Für Sachsen-Anhalt wäre es ein guter Anfang, ein Modellprojekt für einen anonymen Kranken- bzw. Behandlungsschein ins Leben zu rufen. Dies muss zeitnah geschehen, um die Behandlungsdefizite der Betroffenen schnellstmöglich zu beheben und ihnen zumindest eine gesundheitliche Versorgung zu garantieren.

Das Konzept für das Modellprojekt sollte unter Mitwirkung von Expert:innen aus den medizinischen Fachbereichen und der Kranken- und Pflegekassen erarbeitet werden. Mit Sicherheit wäre es auch hilfreich, Vertreter:innen aus den bereits hier aktiven Bundesländern beratend heranzuziehen, und von ihren Erfahrungen und Kenntnissen zum anonymen Kranken- bzw. Behandlungsschein zu profitieren. 

Das Konzept sollte im III. Quartal dieses Jahres in den zuständigen Ausschüssen vorgestellt und dort noch einmal - gern auch mit den Expert:innen, die am Entwurf des Modellprojektes beteiligt sind -  diskutiert werden. 

Selbstredend muss im Landeshaushalt ab dem Jahr 2024 eine entsprechende finanzielle Vorsorge getroffen werden, so dass das Projekt ohne Verzögerung und mit einer umfänglichen Finanzierung beginnen kann. 

Das Modellprojekt soll zudem ab dem ersten Jahr seines Einsetzens regelmäßig evaluiert. Gleichzeitig soll ermittelt werden, wie viele Menschen von dem anonymen Kranken- bzw. Behandlungsschein Gebrauch machen, um gegebenenfalls nachsteuern zu können.

Den Menschen, die im Land Sachsen-Anhalt aktuell ohne oder bestenfalls lückenhafte medizinische Versorgung leben müssen, läuft die Zeit davon. Sie haben keine Gesundheitsvorsorge, leben mitunter mit unerkannten, chronischen oder sogar lebensverkürzenden Krankheiten und haben keine Chance auf eine adäquate Versorgung. Das ist ein unhaltbarer Zustand.

Für meine Fraktion und mich stehen die Menschen mit ihren Bedürfnissen und Bedarfen im Mittelpunkt unserer politischen Tätigkeit - und das ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, ihres Einkommens oder ihres Aufenthaltsstatus.

Gesundheitsversorgung und Gesundheitsvorsorge dürfen nicht zur Disposition stehen. Für keinen Menschen - ob nun mit oder ohne Krankenversicherung. Denn Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht! Und Menschenrechte sind unteilbar!

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!