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Nicole Anger zu TOP 10c) Kinder und Jugendliche psychisch entlasten: Angebotsstrukturen ausbauen – Fachkräfte und Einrichtungen stärken

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

die pandemische Lage in Deutschland umfasst nun 2 Jahre. In dieser Zeit wurden zahlreiche politische Maßnahmen erlassen, um das Infektionsgeschehen angemessen einzuschränken. All diese Maßnahmen waren je nach Welle, Infektionsgeschehen, Jahreszeit und Bundesland aus politischer Sicht notwendig, aber auch sehr dynamisch und wechselhaft - wenngleich einige der Maßnahmen bis heute in ihrer Wirksamkeit bis heute mindestens fragwürdig bleiben, Stichwort Ausgangsbeschränkungen. Diese Maßnahmen hatten und haben ein breites Spektrum und wirken sich auf alle Lebensbereiche aus. Zuvorderst gelten diese Maßnahmen dem Gesundheitsschutz aller Menschen, aber sie sollen auch, Folgen der Pandemie abmildern.

Problematisch zeigt sich bis heute die Kurzfristigkeit, mit der diese Maßnahmen ausgerufen wurden und werden. Ich erinnere nur mal an den 13. März 2020, ein Freitag; als es hieß, ab dem kommenden Montag, dem 16. März 2020 sind die Einrichtungen der Kindertagesbetreuung geschlossen. Und diese Kurzfristigkeit auch in der Zeit danach bis heute. Oftmals kamen donnerstags neue Verordnungen und Erlasse, die dann möglichst ab Montag drauf gelten sollten. Es fehlt uns allen an Kontinuität, Sicherheit und Planbarkeit und wir wussten alle oftmals nicht, was mit dem nächsten Beschluss der Minister:innenkonferenz oder am Kabinettstisch auf uns zukommt.

Die Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen wie die Schließungen von Kita und Schule, erforderliche Qurantänezeiten, geschlossene Freizeitangebote, fehlendes Vereinsleben, selbst ein Abhängen im öffentlichen Raum waren zeitweise nicht möglich. Junge Menschen wurden im Rahmen der Pandemie wenig bis gar nicht gehört und genauso wenig bis gar nicht ernst genommen. Dies alles zusammen hat sich als enorme Belastung für unsere Jüngsten, für unsere Kinder und Jugendlichen im Land gezeigt.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

nun stellen Sie sich vor, dass Sie eines der 322.000 Kinder in Sachsen-Anhalt sind, welches aktiv von den Maßnahmen betroffen war. Von einem auf den anderen Tag war es nicht mehr möglich, die Freund:innen zu sehen und sich mit ihnen auszutauschen oder zu spielen. Der Besuch von Oma und Opa könnte für diese durch die eigene Anwesenheit deren Gesundheit potenziell bedrohen. Der Unterricht findet von Zuhause aus statt und du musst dich jetzt selbst organisieren. Für die direkte Klärung von Fragen stehen nur Mama und/oder Papa zur Verfügung, die aber selbst den ganzen Tag zu Hause arbeiten müssen. Und außerdem wirken deine Eltern sowieso nur noch gestresst, wegen der Doppelbelastung Homeoffice und Homeschooling, wegen Existenzängsten, wegen der Sorge um das Wohlergehen der ganzen Familie. Oder stellen Sie sich vor, dass Sie keinen eigenen Computer haben, und alle am Küchentisch sitzen müssen – ob nun zum Lernen oder zum Arbeiten, weil ihr euch keinen Schreibtisch leisten könnt und es in eurer Wohnung auch nicht genügend Rückzugsorte gibt.

Und am Nachmittag denkst du dir, du könntest mal in den Jugendclub bei dir um die Ecke gehen, um mit den Jugendarbeiter:innen über die häusliche Situation zu quatschen. Aber auch der Club ist zu, genauso wie deine kleinen Geschwister nicht auf den Spielplatz vor deiner Haustür können. Denn der ist ebenfalls geschlossen. Dies sind nur einige Beispiele, überwiegend aus dem ersten Jahr der Pandemie, um das Erlebte unserer Kinder und Jugendlichen aufzuführen und es zeigt, dass es etwas mit den Jüngsten in unserer Gesellschaft macht. Vor allem, wenn Ansprechpartner:innen, Bezugspersonen, Angebote wie die Jugendarbeit nicht da sind, orientieren sich Kinder und Jugendliche schnell weg davon und sind danach noch schwerer bis gar nicht wieder zu erreichen. Und da stehen wir heute.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie und insbesondere der damit verbundenen Schließungen von Kita, Schule bis hin zu Jugendarbeit, teils angespannte Situationen Zuhause, Eltern unter Druck, generell die Alltagsbewältigung unter pandemischen Bedingungen sind gravierend. Corona ist ein schädigender Stressfaktor für die psychische Gesundheit.

Die Pandemie hat bei allen jungen Menschen zu Unterbrechungen in ihrer Entwicklung geführt, insbesondere bei der Verselbstständigung, in der Selbstpositionierung und auch in ihrer persönlichen Kompetenzentwicklung.

Die Pandemie führt hingegen zu einer Zunahme von Ängsten, Sorgen, sozialer Isolation und Einsamkeit auch bei den unter 18-Jährigen. Die Ängste der Kinder und Jugendlichen sind vielseitig, sie nehmen jedoch zu: Schulangst, Schulvermeidung, Angst vor einer Infektion, Angst andere – gerade wie Großeltern oder ein krankes Elternteil oder Geschwisterkinder anzustecken – Angst vor schlechten Noten, Angst Freund:innen zu verlieren, …. Hinzu kommt eine tägliche Unsicherheit vor dem, was jeweils morgen sein wird. Muss ich in Quarantäne? Ist jemand von meinen Freund:innen in Quarantäne? Sind morgen die Lehrer:innen da?

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

was hat dies zur Konsequenz? Unsere Kinder sind gestresster. Die Motivation und Neugierde zum Lernen gehen mehr und mehr verloren. Nur wer gesund ist, sich unbelastet fühlt, hat auch Spaß daran, Dinge zu tun, zu lernen, sich auszuprobieren, die Welt zu entdecken. Unsere Kinder haben hingegen zusehends Konzentrationsprobleme, sind reizbar. Manche sogar aggressiv. Sie zeigen häufiger depressive Symptome wie Traurigkeit und Interessensverluste. Die psychosomatischen Beschwerden, wie beispielsweise Kopf- und Bauchschmerzen, treten vermehrt auf und die erlebten Stressbelastungen der Eltern gehen auch nicht spurlos an unseren Kindern und Jugendlichen vorbei.

Dies sind keine spekulativen Vermutungen, sondern dies sind die Ergebnisse aus mehreren Studien. Zu diesen Untersuchungen zählen u.a. die COPSY-Studien, die BEVÖLKERUNGS:STUDIE 2 des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung oder auch die Gesundheitsberichterstattung des Bundes, welche gemeinsam vom RKI und DESTATIS getragen wurde.

Diese zeigen auch, dass die Folgen der Pandemie insbesondere Kinder und Jugendliche aus ökonomisch-prekären oder auch aus (Hoch)Risikofamilien noch stärker treffen. Den Einfluss der sozialbedingten Faktoren dürfen wir hier nicht aus Blick lassen. Demnach fühlen sich 8 von 10 Kindern aus ökonomisch-prekären Lagen immer noch durch die Pandemie stark beeinträchtigt. Diese Zahl sollte uns dringend Anlass zum Handeln geben, weil sie genauso hoch liegt wie bei den Erhebungsergebnissen vor einem Jahr. Und ich muss sicherlich nicht betonen, dass sich die Drastik der Einschränkungen zwischen Welle 2 und 3 und 4 deutlich voneinander unterschieden. Und die Zahl von betroffenen Mädchen und jungen Frauen in diesem Kontext ist signifikant höher als die von betroffenen Jungen und jungen Männern.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Januar 2022 stellte ich eine Kleine Anfrage über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. In der Antwort wurde auf das Strategiepapier der OPK – Ostdeutsche Psychotherapeut:innen-Kammer - verwiesen. Was darauf schließen lässt, dass die Problemlage sowie ein Teil der Handlungsbedarfe der Landesregierung sehr wohl bekannt sind. Erschreckenderweise zeigt die Antwort auch, dass der Landesregierung noch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Thematik vorliegen. Man warte auf die Ergebnisse bundesweiter Forschungsvorhaben. Trotz dessen ist keine Initiative von der Landesregierung ersichtlich, man befindet sich im Abwartemodus. Abwarten – das können unsere Kinder und Jugendlichen nicht.  

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir haben einen elementaren Handlungsbedarf im Sozial-, Gesundheits- und Bildungssystem. Und zwar nicht jeweils und parallel, sondern in Zusammenarbeit. Deswegen fokussieren wir in unserem Antrag auf unterschiedliche, aber alles erforderliche Maßnahmen, die zu ergreifen sind. Und diese sind jetzt zu ergreifen und nicht erst, wenn die Pandemie irgendwann einmal vorbei sein wird. Denn dann wird es für viele Kinder und Jugendlichen viel zu spät sein. Es braucht dringend eine stärkere gesellschaftliche Akzeptanz von psychischen Erkrankungen und deren Folgen. Dazu muss

  • Die Öffentlichkeit stärker dafür sensibilisiert werden, durch bspw. Kampagnen und Internetplattformen
  • Es braucht ein Online-Angebot, welches Anlaufstellen von Beratungen über Selbsthilfegruppen bis hin zu Psychotherapeut:innen aufzeigt
  • Kinder mit psychischen Belastungen benötigen in der Schule einen anerkannten Nachteilsausgleich

So braucht es dringend Unterstützung der Kinder und Jugendlichen und ihrer Familien bei der Bewältigung der gesundheitlichen Folgen der Pandemie durch u.a.

  • Den Ausbau psychosozialer niedrigschwelliger Hilfen
  • Die Stärkung der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Gesundheitsversorgung
  • Sozialpsychiatrische Dienste in allen Landkreisen und kreisfreien Städten
  • Stärken der Familienberatungsstellen und Kinder- und Elterntelefone

Des Weiteren braucht es für Kinder und Jugendliche an Schulen sowie auch für die dort tätigen Fachkräfte

  • Unterstützung durch mehr Schulpsycholog:innen, orientiert an der Empfehlung 1:5.000, Sachstand ist 1:10.000
  • Supervisionen und Fortbildungen für Lehrkräfte und pädagogisches Personal an Schulen
  • Sicherheit für die Schulsozialarbeit sowie endlich deren Verstetigung und den perspektivischen Ausbau an allen Schulen
  • Dringende Verbesserung der Rahmenbedingungen für Schulassistenzen, raus den prekären unterjährigen Beschäftigungsverhältnissen hin zu einem Poolmodell an Schule

Sehr geehrte Damen und Herren,

Es ist kein Luxus, wenn wir unseren Kindern und Jugendlichen in Sachsen-Anhalt alle erdenklichen Angebote zur Verfügung stellen, damit sie gesund und glücklich aufwachsen können, damit sie in ihrer Entwicklung gefördert werden. Unsere Aufgabe ist es, sie gerade jetzt nicht mit den Folgen der Pandemie allein zu lassen. Dabei darf eine gute Versorgung nicht vom Wohnort oder dem Einkommen der Eltern abhängen!

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

Vielen Dank!