Monika Hohmann zu TOP 12: Große Anfrage "Kinderschutz und frühe Hilfen in Sachsen-Anhalt"; Antrag: Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren,
vor 30 Jahren hatten sich die UN-Mitgliedsstaaten verpflichtet, Kindern mehr Rechte zu gewähren. Neben den Bereichen Förderung und Beteiligung gibt es noch den des Schutzes. Und genau diesen haben wir uns in unserer großen Anfrage näher betrachtet. 10 Jahre nach der Verabschiedung des Kinderschutzgesetzes im Land, wollten wir die Wirksamkeit erfragen, um daraus eventuelle Handlungsbedarfe abzuleiten.
Zunächst einmal muss man sagen, dass seit In-Kraft-Treten 2009 einiges bewegt worden ist und sich manches verbessert hat (finanzielle Förderung, Früherkennung, U-Untersuchungen, Familienhebammen etc.). Das ist gut. Die Landesregierung selbst kann zu den Wirkungen des KiSchuG noch nichts Genaues sagen, sondern will auf dessen Evaluation warten.
Die Beantwortungen der Fragen zeigen schon jetzt, wo auf alle Fälle noch Handlungsbedarf besteht. Obwohl sich die Landkreise Anhalt- Bitterfeld, der Salzlandkreis und der Burgenlandkreis nicht an der Beantwortung der Großen Anfrage beteiligt haben, konnte dennoch ein guter Überblick zum Kinderschutz und Frühe Hilfen in Sachsen-Anhalt gegeben werden.
Sehr geehrte Damen und Herren,
auf einige wesentliche Antworten möchte ich nun eingehen.So fragten wir nach, wie sich die Zahl der in Anspruch genommenen Früherkennungsuntersuchungen seit 2009, also die U2 bis U9 entwickelten? Positiv konnte konstatiert werden, dass In Sachsen- Anhalt 72,7% aller Kinder zur Schuleingangsuntersuchung hierüber einen vollständigen Nachweis vorlegten. Dies ist ein Anstieg, von fast 53 Prozent im Jahr 2011, um 20 Prozentpunkte auf knapp 73 Prozent im Jahr 2018. Dennoch gab es auch hier landkreisbezogene Unterschiede. Im Salzlandkreis wiesen nur 65,1% und im Bördekreis 84,4% aller Kinder diesen vollständigem Nachweis auf.
Auf die Frage, ob es zutreffend ist, dass sich die Anzahl der Kinder mit seelisch- emotionalen und psycho-sozialen Belastungen oder Behinderungen erhöht hat, zeigten die vorgelegten Zahlen eine deutliche Sprache. Im Jahr 2009 erhielten 11771 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren Erzieherische Hilfen. Im Jahr 2017 waren es schon 16577 Betroffene. Den größten Anteil der Hilfe stellten die Sozialpädagogische Familienhilfe, die Familienberatung, gefolgt von der Heimerziehung oder sonstige Wohnformen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
bei all diesen Befunden muss auch der Einsatz von Fachkräften mit betrachtet werden. So widmete sich ein Abschnitt unserer Anfrage dem ASD. Wir wollten erfahren, wieviel Familien eine Fachkraft im ASD betreut. Aus fachlicher Sicht sollte das Verhältnis 1:35 sein. Das Ergebnis unserer Anfrage zeigt, dass diese Relation nur in Halle eingehalten bzw. verbessert wird. Hier ist die Relation 1:30. Dagegen ist die Betreuung im Altmarktkreis Salzwedel von 1:68 zu hinterfragen.
Die Studie der Hochschule Koblenz „Berufliche Realität im Jugendamt: der ASD in strukturellen Zwängen“ aus dem Mai 2018 zeigt, dass hier Handlungsbedarf besteht und die derzeitigen strukturellen Rahmenbedingungen im System der Kinder- und Jugendhilfe eine professionelle sozialpädagogische Arbeit behindern. Finanzielle Engpässe, aufgrund knapper Haushaltslagen in vielen Kommunen und steigendem Fachkräftemangel, machen es dem Fachpersonal oft schwer, die für die Familie bestmögliche Entscheidung zu treffen. Das Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration nimmt deshalb diese Studie zum Anlass für eine gemeinsame Fachtagung mit dem Landesjugendhilfeausschuss und dem Landesjugendamt. Bei diesem Fachaustausch sollen die Personalausstattung der Jugendämter sowie Personalbedarfsbemessungsverfahren im Mittelpunkt stehen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
überrascht waren wir ebenfalls von den Zahlen in der Anlage 6 zur Meldung von Kindeswohlgefährdung. Die Gesamtzahl stieg von 2315 im Jahr 2012 auf 3235 in 2018. Dabei erhöhten sich die Fälle akuter/latenter KWG gleichfalls. Die größte Art der Gefährdung ist nach wie vor die Vernachlässigung. Betroffen war ich von der gestiegenen Anzahl sexueller Gewalt. Wurden 2012 noch 18 Fälle registriert, waren es 2018 bereits 46. Jeder einzelne Fall ist einer zu viel und deshalb, werte Kolleginnen und Kollegen, müssen wir alles tun, um hier entschieden entgegen zu wirken. Deshalb ist es zu begrüßen, dass im letzten Landesjugendhilfeausschuss der Antrag „Prävention, Schutz vor und Hilfe bei sexualisierter Gewalt von Kindern, Jugendlichen und jungen Menschen“ mehrheitlich verabschiedet wurde.
Sehr geehrte Damen und Herren,
bei der Meldung von KWG ist festzustellen, dass die Jugendämter im Zeitraum von 2012 bis 2018 weniger meldeten. Bei anderen Meldern wie Polizei, Bekannte und Nachbarn, aber auch die Minderjährigen selbst, stiegen die Zahlen an.Gleichfalls wurde in unserer Großen Anfrage deutlich, dass die Zusammenarbeit zwischen Jugendämter und Schulen stellenweise als „überwiegend nicht gut“ bzw. „befriedigend“ angegeben wurde (Dessau, Magdeburg, Stendal und Wittenberg). Hier muss gefragt werden, warum dies so ist und wie es zu einer Verbesserung kommen kann.
Des Weiteren wird deutlich, dass die lokalen Netzwerke überwiegend mit der Einbeziehung von Gesundheitsberufen Probleme haben. Das Ministerium schreibt dazu: „Für den Gesundheitsbereich ist jedoch nach Rückkoppelung der lokalen Netzwerke einzuschätzen, dass die Kooperation mit dem stationären Bereich zwar als durchweg gelungen eingeschätzt werden kann, während der Einbezug von niedergelassenen Medizinerinnen und Medizinern in die lokalen Netzwerke als noch deutlich ausbaufähig erscheint“. Hier ist Handlungsbedarf angezeigt.
Sehr geehrte Damen und Herren,
zum Schluss meiner Ausführungen zur Großen Anfrage, möchte ich einige Anmerkungen zum Abschnitt „Lokale Netzwerke Kinderschutz“ vornehmen.
Da wir bereits ab 2009 über ein Kinderschutzgesetz verfügten, konnte Sachsen- Anhalt diesen Vorlauf gut mit in das Bundeskinderschutzgesetz, welches ab 2012 in Kraft trat, überführen. Dies belegten auch die Antworten der Landesregierung. So setzte Sachsen- Anhalt bereits seit 2006 Familienhebammen ein. Mit Beginn des Bundeskinderschutzgesetz waren in Sachsen- Anhalt 48 Familienhebammen tätig. Im Jahr 2018 stieg deren Anzahl auf 71, wobei 22 Fachkräfte davon als Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen im Einsatz sind. Bemerkenswert ist hierbei, dass in den Landkreisen Wittenberg und Salzlandkreis ein Aufwuchs dieser Fachkräfte von 2 auf 8 bzw. von 2 auf 9 stattfand, während im Harzkreis eine Reduzierung von 7 auf 3 Kräfte zu verzeichnen ist. Woran dies liegt, konnte in unserer Anfrage nicht beantwortet werden. Ich nehme an, dass im Rahmen der Evaluation dieser Punkt näher untersucht wird. Trotz der positiven Anzahl an Fachkräften, müssen wir im Land zur Kenntnis nehmen, dass der Einsatz von Familienhebammen immer schwieriger wird. Die Landesregierung führt dazu aus: „Bei steigender Nachfrage nach originären Hebammenleistungen verringern sich für die freiberuflich agierenden Hebammen die zeitlichen Kapazitäten, als Familienhebamme in den Frühen Hilfen tätig zu werden. Um den Ausbaustand des Angebotes halten zu können, ist es wichtig, für aktive Fachkräfte eine attraktive Beschäftigung zu bieten und frühzeitig neue Fachkräfte zu qualifizieren.“
Sie sehen, meine Damen und Herren, es ist zwingend notwendig , das Thema Kinderschutz in unserem Land noch weiter und intensiver anzugehen.
Damit komme ich zu unserem Antrag.
Für meine Fraktion ist es ein wichtiges Anliegen, alles dafür zu tun, damit das Kindeswohl in allen Lebenslagen Berücksichtigung findet. Nach wie vor gibt es immer noch entscheidende strukturelle Benachteiligungen unter anderem von Kindern aus Familien mit niedrigem Einkommen, nichtdeutscher Familiensprache oder geringeren Bildungsressourcen als auch bei Kindern mit Behinderung. Deshalb ist es für uns ein wichtiges Anliegen, gerade 30 Jahre nach der Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention auf die fehlende Umsetzung elementarer Forderungen aufmerksam zu machen Zu nennen wäre der Grundrechtestatus von Kinderrechten, die Bildungsgerechtigkeit und der Kampf gegen Kinderarmut. Gerade das Kinderrecht auf soziale Sicherung wird in Deutschland verletzt, wie jüngst die Studie über Kinderarmut zeigt. Jedes 5. Kind in Deutschland und fast jedes 4 Kind in Sachsen- Anhalt ist davon betroffen. Diese Zahlen sind zu hoch und ein Armutszeugnis für unser reiches Land.
Sehr geehrte Damen und Herren,
so langsam bewegt sich auf Bundesebene in Sachen Kinderrechte ins Grundgesetz einiges. So wurde 2016 angeregt, eine Bund- Länder-Arbeitsgruppe einzuberufen, die sich der Aufgabe einer Grundgesetzänderung, stellt. 2017 nahm eine gemeinsame Justiz-Familie-Bund-Länder-Arbeitsgruppe die Arbeit auf.Ein Abschlussbericht liegt seit geraumer Zeit vor. Erstaunt war ich, als ich mir die teilnehmenden Länder dieser Arbeitsgruppe näher anschaute. 25 Mitglieder hatte diese Arbeitsgruppe, 21 Mitglieder von Landesebene und 4 von Bundesebene. Von 16 Bundesländern waren 15 vertreten. Manche Bundesländer gleich mit mehreren Ressorts. Und nun dürfen sie mal raten, wer nicht vertreten war? Ich kann es Ihnen sagen: Sachsen- Anhalt nahm als einziges Bundesland nicht an dieser Arbeitsgruppe teil. Ebenfalls kam aus Sachsen- Anhalt keine Zuarbeit zu den Erfahrungen aus den Ländern zu Inhalt und Auswirkungen ihrer kinderspezifischen Verfassungsbestimmungen. Damit waren wir wieder mal die Einzigen, die sich nicht positionierten. Und das, meine Damen und Herren, nenne ich ein „Armutszeugnis“ was sich hier unsere Landesregierung geleistet hat.
Nach allem, was ich in meiner Rede darlegte, ist es umso wichtiger, dass wir heute, einem Tag nach dem dreißigjährigen Bestehen der UN-Kinderrechtskonvention, aus Sachsen- Anhalt ein Zeichen setzen. Deshalb stimmen Sie bitte unseren Antrag zu!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!