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Monika Hohmann zu TOP 10: Aktuelle Debatte: Fachkrafte ausbilden, gewinnen, anerkennen und integrieren

Sehr geehrte Herr/Frau Präsident/in, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

die heute geführte Aktuelle Debatte ist derzeit richtig und unter Anbetracht des Bundeskabinettsbeschlusses zur Fachkräfteeinwanderung mehr als notwendig. Auf diesem Wege will die Bundesregierung dem Arbeitskräftemangel begegnen, in dem es für Menschen aus Nicht-EU-Ländern attraktiver wird, in Deutschland zu arbeiten.[1]

Und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die aktuellen Gegebenheiten und Entwicklungen in den Bereichen Arbeitsmarkt und Fachkräfte politische Aufmerksamkeit sowie Lösungen benötigen! Doch bevor wir mit wilden Spekulationen in diese Debatte einsteigen, schauen wir uns doch einmal die Begriffe an:

„Von einem Arbeitskräftemangel kann gesprochen werden, wenn […] [die] Betriebe mehr Stellen zu besetzen haben als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Betriebe würden dann beispielsweise auf Stellenausschreibungen keine oder nur wenige Bewerbungen erhalten. Als Arbeitskräfte werden, unabhängig von ihrer Qualifikation, alle arbeitsfähigen Personen bezeichnet.

[…] Von einem Fachkräftemangel kann dann gesprochen werden, wenn die Nachfrage nach Fachkräften [ - Personen, die eine anerkannte akademische Ausbildung oder eine anerkannte mindestens zweijährige Berufsausbildung absolviert haben -] über einen längeren Zeitraum nicht mehr ausreichend gedeckt werden kann.“[2]

Gemäß Angaben der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Bundesagentur dauerte es im Zeitraum September 2021 bis August 2022 durchschnittlich 140 Tage,    bis eine sozialversicherungspflichtige Stelle in Sachsen-Anhalt besetzt werden konnte. Begründet wird dies oftmals mit einem bestehenden Fachkräftemangel, welcher aufgrund des demografischen Wandels besteht.[3]

Aber per se zeigen die Zahlen erstmal einen Arbeitskräftemangel und dass sich nur wenige Personen auf die Stellenangebote in Sachsen-Anhalt bewerben. Gemäß der aktuellen Herausgabe des Statistischen Landesamtes leben in Sachsen-Anhalt 867.429 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte, wobei nur 805.193 Beschäftigte ihren Arbeitsort in Sachsen-Anhalt haben.[4] Dies lässt vermuten, dass eine hohe Zahl an Arbeitskräften in anderen Bundesländern tätig ist.

Schauen wir uns doch mal den Bereich der Pflege an. Bundesweit sowie hierzulande wird von einem Fachkräftemangel gesprochen. Studien zeigen , dass aktuell 290.000 Stellen offen sind und prognostizieren, dass die Zahl auf 1,8 Mio. offene Stellen im Jahr 2035 angestiegen sein wird.[5]

Doch auch wenn in all diesen Fällen von Arbeitskräfte- sowie Fachkräftemangel gesprochen wird, zeigt die Realität, dass die aktuellen Begriffsverwendungen hier fehl am Platz sind. So zeigt die Studie „Ich pflege wieder, wenn…“, dass mindestens 300.000 Vollzeit-Pflegekräfte durch Wiedereinstieg in den Beruf oder aufstockende Arbeitszeit zur Verfügung stehen würden, wenn die Arbeitsbedingungen in der Pflege sich deutlich verbessern.[6] Des Weiteren zeigt die Untersuchung auch, dass die Beschäftigungsentwicklung in den Pflegeberufen in den vergangenen fünf Jahren überdurchschnittlich um 14 % gestiegen ist. Dass „das Gesundheitswesen, auch in der Corona-Pandemie, zu den wenigen Branchen in Deutschland gehörte, die nicht von einem Beschäftigungsrückgang betroffen waren“.[7] Demzufolge zeigt sich, dass die oben genannte Zahl an offenen Stellen bundesweit vollständig gedeckt werden könnte, wenn die Arbeitsbedingungen in der beruflichen Pflege verbessert werden und dementsprechend ausreichend Fachkräfte verfügbar sind.

Auch im Jahr 2019 zeigte eine Kleine Anfrage[8] der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, dass sich nur bei 7 von 144 Branchen die Zahl der offenen Stellen die Zahl der Arbeitslosen übersteigt.[9]

In Sachsen-Anhalt wird insbesondere ein Arbeitskräftemangel im Handwerk verzeichnet. Die dramatische Situation in einigen Handwerksberufen bestätigt auch unsere Kleine Anfrage im Bundestag.

Jedoch im Kern zeigt sie, dass die erfolglose Personalsuche der Unternehmen oftmals ihre Ursache in häufig schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigen Löhnen hat,  nicht aber an einer unzureichenden Anzahl an Arbeitskräften.

 

Sehr geehrte Herr/Frau Präsident/in, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

es ist zu begrüßen, dass der Arbeitsmarkt für Menschen aus Ländern außerhalb der Europäischen Union geöffnet wird. Diese Öffnung ist richtig und wichtig, muss aber nach dem Grundsatz „Gute Arbeit für alle“ erfolgen. Deutschland braucht die Zuwanderung, aber wir brauchen keine Konkurrenz und Unterbietung auf dem Arbeitsmarkt! Denn nach dem aktuellen Debattenverlauf wird nur daraufgesetzt, dass Unternehmen möglichst billig und unkompliziert Fachkräfte aus dem Ausland bestellen. Die Herausforderungen der Fachkräfteentwicklung können nicht durch die weitere Ausbeutung von migrantischen Arbeits- und Fachkräften  gelöst werden.

Somit sind also die Ursachen für einen Fachkräftemangel richtig zu benennen, der derzeit lediglich in einer sehr begrenzten Zahl von Branchen anzutreffen ist.

Die Bundesregierung unternimmt zu wenig, um dort gezielt für bessere

Arbeitsbedingungen zu sorgen.

Auch wenn mit dem Bürgergeld-Gesetz die Weiterbildungsbedingungen für Leistungsbezieher*innen in der Grundsicherung sich verbessern, haben wir schon mit unserem Antrag zum Bürgergeld im Oktober aufgezeigt, wie Menschen in der Langzeitarbeitslosigkeit geholfen werden kann. Und ja, wir müssen in unsere Schülerinnen und Schüler im Land investieren. Aber unter den aktuellen Gegebenheiten des Lehrer*innenmangels an unseren Schulen, ist es mehr als bedenklich, dass 11,6 % unserer Schülerinnen und Schüler im Schuljahr 2021/2022 ohne Abschluss abgegangen sind. „Allein 2070 Jugendliche müssen nun versuchen, ihren Weg ins Leben und den Beruf ohne Schulabschluss und damit ohne ausreichende schulische Qualifikation zu suchen.“ [10] Ein erfolgreicher Schulabschluss ist die Voraussetzung, dass wir qualifizierte Fachkräfte in Sachsen-Anhalt ausbilden können! Auf diesem Weg können wir auch die nächste Generation an Langzeitarbeitslosen präventiv vorbeugen. Hierzu benötigen unsere Schülerinnen und Schüler u.a. einen uneingeschränkten Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Bildung, unabhängig vom Einkommen der Eltern!

 

Sehr geehrte Herr/Frau Präsident/in, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, was brauchen wir nun, um den aktuellen Problemlagen entgegenzuwirken?

Zu Beginn müssen wir die Rechtslage von der Duldung hin zu einem echten Bleiberecht für Geflüchtete mit Arbeits- und Ausbildungsplatz formulieren und rechtssicher für alle Beteiligten gesetzlich verankern, damit die Einwanderung bzw. Einbürgerung nicht zur Ausbeutung der zugewanderten Fachkräfte führt.

Wir müssen an den Arbeitsbedingungen und rechtlichen Rahmen anpacken. Demnach bedarf es u.a., unbefristete Arbeitsverträge zur Regel machen, Mini- und Midi-Jobs in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umzuwandeln und somit den Niedriglohnsektor rückzubauen. Die zulässige Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Wochen auf 40 Stunden reduzieren und in diesem Kontext ggf. in einigen Bereichen über eine generelle Arbeitszeitverkürzung nachdenken, um beispielsweise Frauen und Kinder vor Familien- und/ oder Altersarmut zu schützen.

Zudem müssen wir Sachsen-Anhalt als lebenswertes Bundesland für alle gestalten! Wir brauchen eine funktionierende Sorge- und Sozialstruktur in den Bereichen Bildung, Wohnen und Gesundheit sowie gute Kitas bis hin zu Freizeitangebote für alle Familienmitglieder.

Auf diesem Weg können wir die Abwanderung von qualifizierten Fachpersonal vermeiden und die Attraktivität des Standortes Sachsen-Anhalt für alle potenziellen Arbeitskräfte steigern. Alles andere stellt nur eine Symptombehandlung dar, behebt aber nicht die Ursachen der Problemlagen am Arbeitsmarkt!

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit!

 


[1] https://www.fr.de/politik/einbuergerung-reform-staatsbuergerschaft-kabinett-beschliesst-ampel-koalition-deutschland-wirtschaft-91945100.html (09.12.2022)

[2] https://www.bpb.de/themen/arbeit/arbeitsmarktpolitik/178757/fachkraeftemangel/#node-content-title-0 (09.12.2022)

[3] https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/fachkraefte-mangel-offene-stellen-100.html (09.12.2022)

[4] Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt: Erwerbstätigkeit, Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte 31.12.2018 bis 31.12.2021, Halle, 2021, S. 10 und S.11

[5] https://www.pwc.de/de/gesundheitswesen-und-pharma/fachkraeftemangel-im-deutschen-gesundheitswesen-2022.html

[6] https://www.boeckler.de/pdf/pm_fofoe_2022_05_03_final.pdf (09.12.2022)

[7]https://www.arbeitnehmerkammer.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Politik/Rente_Gesundheit_Pflege/Bundesweite_Studie_Ich_pflege_wieder_wenn_Langfassung.pdf (09.12.2022, S.7)

[8] KA mit Antworten: https://dserver.bundestag.de/btd/19/094/1909401.pdf (09.12.2022)

[9] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1116893.arbeitsmarkt-linke-fachkraeftemangel-wird-dramatisiert.html (09.12.2022)

[10] https://www.zeit.de/news/2022-11/30/mehr-schueler-verlassen-schulen-im-abgangsjahr-2022 (09.12.2022)