Monika Hohmann TOP 21: Wir brauchen eine Überwindung von Hartz IV und keine ausgeschmückte Armut per Gesetz - ein neuer Name ändert nichts!
Sehr geehrte Herr/Frau Präsident/in, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
das SGB II, das am 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist, erfährt mit dem nun vorliegenden 12. Änderungsgesetz eine grundlegende Reform.
17 Jahre hieß es auf Bundesebene „fordern und fördern“ und seit 17 Jahren erklären wir, DIE LINKE, dass das Grundsicherungssystem ALG II, auch Hartz IV genannt, generell menschenunwürdig und die Armut per Gesetz ist. Nun wurde im letzten Jahr in der Koalitionsvereinbarung der Ampel auf Bundesebene die Überwindung von Hartz IV festgeschrieben.
Doch mit dem bestehenden Referentenentwurf wurden die Hoffnungen an vielen Stellen stark gedämpft. Rundum kann gesagt werden, dass mit dem aktuellen Entwurf Hartz IV nicht überwunden werden kann! . Folglich bilden die niedrigen Regelleistungen und die Leistungsminderungen charakteristische Kennzeichen des Hartz-IV-Systems. So sind die Ansätze des Entwurfes zu befürworten, aber leider reichen diese nicht zur Etablierung einer armutsfesten Grundsicherung aus.
Positiv zu benennen ist, dass bei der Arbeitsvermittlung und beim Neu-Bezug von Grundsicherungsleistungen Erleichterungen für die Leistungsbeziehenden spürbar werden.
Dies betrifft insbesondere die Schonfristen bei der Anrechnung von Vermögen, bei der Anerkennung der Wohnkosten und die Weiterbildungsmöglichkeiten bzw. -bedingungen. Diese helfen aber nur bestimmten Personengruppen. Doch für eine Vielzahl der Leistungsberechtigen ergeben sich keine spürbaren Verbesserungen.
So müssen wir feststellen, dass Langzeiterwerbslose, chronisch Kranke, Bezieher*innen der Erwerbsminderungsrente oder auch Personen mit aufstockenden Leistungsbezug keine hilfreiche Berücksichtigung im Referentenentwurf finden.
Dies ist unter Berücksichtigung der aktuellen Zahlen mehr als bedauerlich und zeigt, dass die Überwindung von Hartz IV für Kompromisse und Symbolpolitik einer vermeidlich geeinigten Koalition der Bundes-Ampel ad acta gelegt wurden.
Sehr geehrte Herr/Frau Präsident/in, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
sehen wir uns doch die Zahlen einmal genau an, dann lässt sich schnell feststellen, dass jeder 12. Haushalt bundesweit hilfsbedürftig ist und hierzu zählen insbesondere Alleinerziehende, welche besonders betroffen sind, wenn diese drei oder mehr Kinder haben. Hierzu bedarf es kurzfristig höhere Leistungsbezüge für unter 18-jährige Kinder und Jugendliche und auf lange Sicht eine bedingungslose Kindergrundsicherung, die nicht auf die Transferleistungen von Familienangehörigen angerechnet werden kann und generell sanktionsfrei ist.
Die Aussichten langzeiterwerbsloser Menschen auf eine Erwerbstätigkeit sind insgesamt niedrig und in den vergangenen Jahren gesunken. Zudem erhalten Menschen, die länger als ein Jahr erwerbslos sind, von etwa der Hälfte der Betriebe im Einstellungsprozess keine Chance.
Es steht daher außer Frage, dass der Markt die Langzeiterwerbslosigkeit und die dadurch bedingte Perspektivlosigkeit der Betroffenen nicht lösen wird. Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und viele Bundesländer fordern deshalb seit Jahren entschlossene Maßnahmen zu öffentlich geförderter Beschäftigung. Kerngedanke dabei ist, die ohnehin erforderlichen Transferleistungen für Erwerbslose, um weitere Mittel zu ergänzen. Statt Arbeitslosigkeit wird Teilhabe an gesellschaftlich sinnvoller und sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung finanziert.
Neben dem Aspekt der verfehlten Problembehebung ist die Erhöhung der Regelsätze um 50 Euro zwar besser als nichts, aber ist keine Wohltat der Regierung, sondern gleicht lediglich die Inflation dieses Jahres aus.
Sehr geehrte Herr/Frau Präsident/in, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
die bestehende Kleinrechnerei beim Regelsatz geht einfach weiter. Die Erhöhung ist viel zu niedrig und lässt Menschen in Hartz IV bis Januar im Stich. Es ist auch schon jetzt klar, dass die Preise im kommenden Jahr weiter ansteigen werden. Trotz Regelsatzerhöhung bleibt es somit bei einem massiven Kaufkraftverlust für die Betroffenen. Wir fordern einen ehrlich berechneten Regelsatz von mindestens 687 Euro. Diese Einschätzung teilen ebenso die Sozialverbände, wie beispielsweise aus der Stellungnahme des Paritätischen Gesamtverband hervorgeht.
Das kleingerechnete Bürgergeld lässt auch immer noch Sanktionen zu. Gut- in diesem Fall kann gesagt werden, dass diese nun „Leistungsminderungen“ heißen und die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2019 einhalten, doch die Charakteristik der „Leistungsminderungen“ ist eindeutig. Neben dem Punkt, dass das Verhängen von Sanktionen auch immer die im Haushalt lebenden Kinder und Jugendlichen unverschuldet betrifft, sind diese menschenunwürdig und die Folgen von Sanktionen wiegen schwer.
Zudem konnte nie die Wirksamkeit der Sanktionen nachgewiesen werden und schon in den Jahren 2006 bis 2008 konnte erkannt werden, dass die erfolgreichen Widerspruchsverfahren gegen Sanktionsbescheide zunahmen .Notwendig ist, dass sich Sachsen-Anhalt für eine sanktionsfreie Grundsicherung mit einer menschenwürdigen Berechnungsgrundlage auf Bundesebene einsetzt.
Auch wenn das Gesagte nicht alle Baustellen des Referentenentwurfs aufgreift, möchte ich eine andere große Baustelle ansprechen: die Zeit!
Die Zeit, die den Landkreisen und Jobcentern nach dem Beschluss des Bürgergeldes zur Verfügung steht, um die Reformen umzusetzen.
So sieht die Landesregierung zwar keine Bedenken in der Umsetzung der Systemreform und keinen Handlungsbedarf, um den Landkreisen bzw. zuständigen Jobcentern personell, technisch oder infrastrukturell Unterstützung anzubieten; doch die Hilferufe aus den zuständigen Verwaltungsstrukturen sind vorhanden und können nicht ignoriert werden! So nennt beispielsweise der Landkreistag Sachsen-Anhalts den Starttermin am 1. Januar, in der Volksstimme, „absurd“. Die Kommunen beklagen, dass Überlastungen und lange Wartezeiten für Betroffene zustande kommen können, nicht weil der Kreis der Aufstocker*innen sich erweitert, sondern weil den Kommunen Personal und Mittel fehlen, um die steigenden Bedarfe personell sowie finanziell zu decken.
Alarmiert durch diese Meldungen haben wir,vier Dringliche Anfragen zum Thema eingereicht und es ist schon beeindruckend wie sich die Antworten sowie Meldungen aus den Kommunen widersprechen. Interessanterweise widersprechen sich die Antworten teilweise auch untereinander. Auch wenn die Machbarkeit der Einführung zum 01.01.2023 nicht pauschal beantwortet werden kann, bestehen von Seiten der Landesregierung keine Bedenken, dass es zu Warte- und/oder Versorgungslücken kommt oder gar Gefahren der nicht Umsetzbarkeit bestehen. Begründet wird dies einerseits in der stufenweisen Einführung des Bürgergelds und andererseits, dass die betroffenen Verwaltungsstrukturen dies gewohnt seien, weil die Reform ja „nur“ ein Software-Update darstellt und vergleichbar mit den jährlichen Updates der Software zu Regelleistungsanpassung ist und bei früheren kurzfristigen Gesetzesanpassungen auch die Mitarbeitenden dies manuell lösen konnten.
Ebenso werden zwar aufkommende Mehrkosten in den Kommunen durch die anteilige Wohnkostenübernahme gesehen. Mit der Begründung, dass die meisten Kosten vom Bund getragen werden, verweist die Landesregierung auf die Zuständigkeit von Bund und Kommunen und meint, ich zitiere, „keine Einflussmöglichkeiten“ zu haben. Sie sollen keinen Einfluss nehmen, sondern die Kommunen sowie die Leistungsberechtigen bei einem reibungslosen Übergang unterstützen unter Berücksichtigung der aktuell steigenden Energie- und Wohnkosten!
In Sachsen-Anhalt leben ca. 200.000 Menschen mit Anspruch auf Leistungsbezug, die zum 01.01.2023 auf die Auszahlung des Bürgergeldes angewiesen sind. Aber auch in Sachsen-Anhalt zeigt sich, dass die Bedürftigkeit wächst, denn von den Leistungsberechtigten im Land sind schätzungsweise gerade mal ca. 75.000 Menschen arbeitslos und die Zahl wird steigen!
Mit dem Wissen der Landesregierung, dass, ich zitiere, „manuelle Anpassungen bei der Bewilligung zu einem höheren Verwaltungsaufwand sowie einer höheren Fehleranfälligkeit führen“ oder Fälle von Mittellosigkeiten bei Leistungsberechtigten im Einzelfall entstehen können, haben die Jobcenter erprobte Mechanismen entwickelt, um eine mögliche finanzielle Notlage abzuwenden. Ich denke, dass die Landesregierung hier ebenfalls in der Pflicht ist, die Korrektur- und Wartezeiten möglichst zu verhindern und alle hierfür notwendigen Ressourcen in Absprache mit den zuständigen Verwaltungsstrukturen zu veranlassen und so die betroffenen Leistungsberechtigten und insbesondere die betroffenen Kinder im Land zu schützen! Eine Abwälzung der Lösungsfindung auf die zuständigen Mitarbeitenden in den Jobcentern und/oder Landkreisen ist unzulässig. Noch haben wir die Möglichkeit präventiv zu unterstützen, lassen Sie die Menschen nicht allein!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!