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Kristin Heiß zu TOP 15: "Gute Arbeit" in der Jugendarbeit

Sehr geehrte Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen!

In Schönebeck muss zum Ende des Monats aufgrund mangelnder Förderung ein beliebter und gut besuchter Jugendclub schließen. Mehr als 150 junge Menschen kämpften engagiert um den Erhalt des Kinder- und Jugendfreizeitzentrums „Rainbow“.

Sie haben gegen die Schließung demonstriert, in sozialen Netzwerken ihren Club und dessen Arbeit vorgestellt, mit Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung diskutiert. Sie haben ein Schild gemalt, auf dem steht: „Für euch ist es nur ein Jugendclub – für uns ein zweites Zuhause. Nehmt es uns nicht!!!“

Aber sie haben verloren: Den Kampf und ihr zweites Zuhause. Am 28. Juni wird der Jugendclub ein letztes Mal seine Türen öffnen. Und das ist erst der Anfang: Ende 2020 wird ein zweiter Jugendclub in Schönebeck mangels Förderung schließen müssen.

Ein zweites Zuhause war der Jugendclub nicht nur wegen der offenen Türen und dem sprichwörtlichen Dach über dem Kopf. Es sind vor allem die Menschen, die Fachkräfte, die den Kindern und Jugendlichen Chancen bieten, Halt und Sicherheit und nicht selten neue Perspektiven vermitteln.

In vielen Debatten der letzten Sitzungen hier im Plenum und in Ausschüssen haben wir uns gegenseitig versichert, wie notwendig Schulsozialarbeit mit den dazugehörigen Fachkräften für die Kinder und Jugendlichen ist. Aber haben Sie schon einmal ein Schild gelesen, auf dem steht: „Für euch ist es nur eine Schule, für uns ein zweites Zuhause. Nehmt es uns nicht“?

Dabei sind es die gleichen pädagogischen Grundsätze, nach denen außerschulische Jugendarbeit funktioniert. Es ist die gleiche Zielgruppe.

Allerdings: Angebote der Jugendarbeit finden in der Regel am Nachmittag, abends und in den Ferien statt. Sie sind oft selbst organisiert und interessensgeleitet. Sie verfolgen keinen Defizitansatz, sondern fördern die Stärken junger Menschen. Sie bieten Kindern und Jugendlichen die Chance, sich mit anderen zu treffen, interkulturelle Erfahrungen zu machen, ihre Pubertät zu überstehen und andere, manchmal schwere Krisen zu meistern.

Bei all dem werden junge Menschen durch engagierte Fachkräfte begleitet. Die Kinder- und Jugendhilfe, geregelt durch das SGB VIII, ist ein sehr komplexer Bereich mit außerordentlich verantwortungsvollen Aufgaben. Um diese Arbeit qualifiziert leisten zu können, schreibt das Gesetz ganz bewusst vor, dass in der Kinder- und Jugendhilfe nur Fachkräfte beschäftigt werden sollen.

Aber um Fachlichkeit, um Chancengleichheit oder gleichwertige Lebensbedingungen geht es hier im Land meist gar nicht. Es geht ums Geld. Darum, dass es fehlt, das Geld gespart werden muss. Hier spielen die klammen Haushalte der Kreise und Kommunen eine Rolle aber auch die Kommunalaufsicht, die immer wieder Kommunen dazu zwingt, vermeintlich freiwillige Aufgaben, wie die der Kinder- und Jugendhilfe zu streichen.

Da frage ich mich ernsthaft, ob beim Innenministerium schon mal jemand ins SGB VIII geschaut hat. Hier ist die Rede von einer Pflichtaufgabe. Lediglich die Höhe der Finanzierung ist verhandelbar, nicht aber, dass die Finanzierung bei 0 Euro liegen darf.

Gleichzeitig verpflichtet Paragraf 3 SGB VIII den öffentlichen Träger zu bedarfsgerechten und pluralen Leistungen und hebt die besondere Bedeutung der freien Träger für die Erfüllung der Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe hervor.

Das heißt aber auch: Wo kein freien Träger Angebote unterbreiten kann, muss der öffentliche Träger einspringen. Die Kommunen müssen in diesem Fall selbst Einrichtungen betreiben und Fachkräfte anstellen.

Und hier kommen wir zu einem ganz wichtigen Punkt: Keine Kommune würde und dürfte ihre Beschäftigten, egal in welchem Bereich, dauerhaft mit Einjahresverträgen abspeisen und unter dem vereinbarten Tarif des öffentlichen Dienstes bezahlen. Außerdem würde unter solch schlechten Bedingungen ja keiner bei ihnen anfangen wollen!

Zu sehen ist dies sehr gut in Magdeburg im Bereich der Kinderförderung. Die eilends neu gebauten KiTas sind in kommunaler, also öffentlicher Hand, daher werden die dort eingesetzt Erzieherinnen und Erzieher auch ganz selbstverständlich nach dem TVöD bezahlt und nicht nach den meist deutlich schlechteren Haustarifverträgen von freien Trägern.

Wir möchten, dass sich das Land bei der Bezahlung von Fachkräften in der Jugendarbeit mehr engagiert und vorschreibt, dass die Fachkräfte nach dem öffentlichen Tarifvertrag bezahlt werden müssen und dieses Geld auch zur Verfügung stellt.

Verehrte Koalition,

Sie haben strukturelle und finanzielle Standards geschaffen im Bereich der Kinderförderung und im Bereich der Schulsozialarbeit.

Sie haben festgelegt, dass im Bereich der Schulsozialarbeit der öffentliche Tarif gezahlt werden muss. Sie wollen mit dem Vergabegesetz öffentliche Aufträge künftig nur noch an Betriebe geben, die Tarif zahlen. Und in Branchen, wo es keine Tarifverträge gibt, wollen Sie einen Vergabe-Mindestlohn durchsetzen.

Alle reden über KiTas, Lehrer, Schulsozialarbeiter. Sie initiieren sogar eine eigene landesweite Erzieherausbildung zur Nachwuchsgewinnung. Sie organisieren so einige krumme Dinger, um den riesigen Lehrerbedarf im Land irgendwie zu decken. Sie wollen die Schulsozialarbeit fortführen.

Aber Sie haben einen großen weißen Fleck auf Ihrer Agenda: Die Fachkräfte in der Jugendarbeit! Die Sozialpädagogen und Sozialarbeiter spielen in Ihrer Politik keine Rolle.

Was passiert aber mit den Kindern, nachdem sie Kita und Grundschule mit Hort durchlaufen haben? Sie kommen in eine weiterführende Schule und haben plötzlich andere Interessen und Probleme. Die Pflicht des Staates, Leistungen der Jugendarbeit anzubieten, endet nicht an der Schultür, sondern sie beginnt erst dort!

Kinder und Jugendliche verfallen nach der letzten Schulstunde nicht plötzlich in einen Ruhezustand, in dem sie mit halb geschlossenen Augen stumm in der Ecke ihres Zimmers stehen. Es ist genau das Gegenteil: Nach der Schule fängt das richtige Leben erst an! Man trifft sich mit Freunden, engagiert sich, will etwas bewegen. Dafür ist die Jugendarbeit da!

Aber hier kann unter den aktuellen Bedingungen nicht mehr viel passieren. Denn es gibt keine Mindeststandards, keine Forderung nach tariflicher Entlohnung, kein Programm zur Nachwuchsgewinnung.

Was in den vergangenen Jahren passiert ist, waren Kürzungen auf landes- und kommunaler Ebene, Schließungen von Einrichtungen und Lohndumping bei den Beschäftigten.

Ich möchte Ihnen ein anschauliches Beispiel für die finanzielle Situation der Fachkräfte geben: Sie alle haben vor Kurzem ein Schreiben der Landtagsverwaltung erhalten, in dem mitgeteilt wurde, dass unsere Wahlkreismitarbeit*innen rückwirkend ab 1. Januar 2019 monatlich bis zu 4.000 Euro brutto erhalten können. Das ganz unabhängig von der konkreten Tätigkeit und der fachlichen Ausbildung.

Die ausgebildete Fachkraft, die noch bis Ende Juni den bald geschlossenen Jugendclub in Schönebeck betreut, erhält monatlich 2.680 Euro brutto. Diese beiden Zahlen verdeutlichen das krasse Ungleichgewicht, dass ich keiner Fachkraft in der Jugendarbeit erklären kann.

Damit hört es aber nicht auf! Eine Fachkraft im ländlichen Raum muss in der Woche mitunter vier bis fünf Jugendclubs betreuen. Meist passiert das auch noch mit dem Privatauto. Und die von Träger zu Träger sehr unterschiedliche Kilometerpauschalen decken nicht mal annähernd die Kosten.

Wir müssen strukturelle Mindeststandards für die Jugendarbeiter schaffen. Wir müssen auch hier eine Art Betreuungsschlüssel einführen, denn wie soll eine Fachkraft täglich bis zu 90 Kinder- und Jugendliche verantwortungsvoll betreuen?

Einjahresverträge, schlechte und zum Teil untertarifliche Bezahlung und Abhängigkeit von Jahreshaushalten der Kommunen machen diese Arbeit nicht nur unattraktiv für die Fachkräfte sondern auch unzuverlässig und weniger vertrauenswürdig für jungen Menschen.

Die Fachkräfte und die Träger brauchen Planbarkeit und Verlässlichkeit für ihre Arbeit. Jugendarbeit braucht Kontinuität beim Personal und Verlässlichkeit im Bestehen der Einrichtungen.

Die vorgestern gestartete Petition vieler Vereine und Verbände im Land zeigt nochmals deutlich, wie groß der Handlungsbedarf ist und wie viel in den vergangenen Legislaturperioden falsch gemacht wurde. Verschlimmert wird die Situation noch durch die ausschließlich an Haushaltslage orientierte Politik von Koalition und Regierung.

Statt etwas zu tun, sind Sie der Meinung, weil sie nichts von Problemen gehört haben, gebe es sie nicht. Herr Steppuhn ist dafür ein Beispiel, der in der Mai-Sitzung sagte, da ihm kein Antrag eines Verbandes bekannt sein, bei dem es Probleme mit der Bewilligung gebe, sei das Land auf einem guten Weg.  

Oder Frau Ministerin Grimm-Benne die beim Festakt zu 20 Jahre Miteinander e.V. am 13. Juni sagte, ihr wäre die Zivilgesellschaft oft zu leise und abwartend.

Also wir haben die Demonstrationen in Schönebeck wegen der Schließung der Jugendclubs mitbekommen, meine Kollegin Eva von Angern war vor Ort. Wir hören auch die mahnenden, besorgten und erschöpften Stimmen der Jugendarbeiter vor Ort, wie auf dem Fachtag des Kinder- und Jugendringes am 15. Mai. Und wir reden mit den Trägern, wenn sie auf uns zukommen aber in der Tat auch von uns aus, wenn wir zu ihnen in die Einrichtungen gehen oder ihnen auf Tagungen und Veranstaltungen begegnen.

Bei der Legislative habe ich oft den Eindruck, dass sie sich bei solchen Gelegenheiten eher flüchtet und Gesprächen mit Verbandvertretern lieber aus dem Weg geht.

Was Sie, verehrte Koalition, verehrte Regierung momentan tun, ist verwalten und planen. Ich fürchte, damit haben sie zu spät angefangen. Der Paragraf 31des KJHG wird seit dem Herbst 2018 und evaluiert. Das Ergebnis soll im 2. Halbjahr vorliegen. Wir sind gespannt, was mir den Erkenntnissen passiert.  

Der Kinder- und Jugendbericht, der sich auch mit der Fachkräftesituation beschäftigt, sollte bereits zur Mitte der Legislatur vorliegen, das war im September 2018. Dann wurde er auf Frühjahr 2019 verschoben, dann auf Juni 2019, nun soll er in einer Sondersitzung des Landesjugendhilfeausschusses im September 2019 vorgestellt werden. Ich bin gespannt, ob der Bericht ziemlich genau ein Jahr später tatsächlich kommt. Was dann genau im Bericht stehen wird, können wir bisher nur erahnen. Und auch hier die Frage: was passiert mit den Erkenntnissen?

Werden diese in den Haushalt der kommenden beiden Jahre einfließen können? Wird sich dadurch etwas im Bereich der Jugendarbeit etwas ändern, gar verbessern?

Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Meiner Erfahrung nach beobachten junge Menschen und Fachkräfte ziemlich genau, wer sich für sie einsetzt und wer für sie streitet. Sie werden auch erfahren, wer diejenigen sind, die sich nicht für eine Verbesserung der Bedingungen einsetzen.

Herzlichen Dank!