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Kerstin Eisenreich zu TOP 16: Aktuelle Debatte: Ursachen und Auswirkungen der aktuellen Preisentwicklung bei Erdgas

Sehr geehrte Damen und Herren,

seit Wochen versetzen die Entwicklungen bei den nach oben schnellenden Gaspreisen Verbraucher*innen, Wirtschaft und Politik in Angst und Schrecken. Täglich erreichen uns neue Hiobsbotschaften. So mussten die Stickstoffwerke Piesteritz bereits vor 10 Tagen ihre Produktion von Ammoniak drosseln und steht damit nicht allein da. Da dies Grundstoff für die weiterverarbeitende Industrien, für Düngemittel und Zusatzstoffe in der Logistik eingesetzt wird, wirkt sich die Produktionseinschränkung auch auf diese aus. Oder stehen demnächst gar die Busse im Land still, so wie in Großbritannien.

Versorgungsunternehmen bieten keine Verträge für Neukunden. Damit wird die immer wieder bemühte Diskussion darum, man könne doch den Anbieter wechseln, ad absurdum geführt.

Erste Versorger gehen in die Knie. Insbesondere kleinere Versorger sind dem Risiko einer Insolvenz ausgesetzt.

Und was ist mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern? Sollen die in der bevorstehenden Jahreszeit nun frieren? Doch bereits 2019 – bei noch durchschnittlichen Gaspreisen – war das Heizen für zwei Millionen Menschen in Deutschland zu teuer. Besonders betroffen waren Alleinlebende und Alleinerziehende. Das Problem ist also Energiearmut. Und es ist kein neues Problem. Nur ist eine Lösung dieses Problems seit Jahren nicht angegangen worden. Das rächt sich in Anbetracht der aktuellen Situation, in der nach Angaben von Verbraucherschützern ein Musterhaushalt in Deutschland etwa 172 € pro Jahr mehr fürs Heizen mit Gas ausgeben muss. Wesentlich mehr Menschen werden sich die explodierenden Preise nicht mehr leisten können. Hier müssen wir also unverzüglich gegensteuern. Und klar, die steigenden Preise der Märkte werden an die Verbraucher*innen weitergeben, während zu Zeiten, als die Preise gering waren, dies übrigens nicht passierte.

Was kostet eigentlich eine Kilowattstunde Gas gerade? Aktuell sind das 6,22 Cent pro Kilowattstunde. Mehr als zwei Drittel des Preises gehen aktuell für Beschaffung, Vertrieb und Netzentgelte drauf. Der Rest sind Steuern. Die bisherige Teuerungsrate für Verbraucher*innen in Deutschland in diesem Jahr war im Wesentlichen durch die Rückkehr von der abgesenkten Mehrwertsteuer auf 19 Prozent und die CO2-Abgabe zurückzuführen. Da die vom Staat eingenommene CO2-Abgabe jedoch nicht bei den Verbraucher*innen wieder ankommt, um sie zu entlasten, ist dieses Instrument aus unserer Sicht ungeeignet und führt zu weiteren sozialen Verwerfungen.

Jetzt aber wird der Beschaffungspreis die Preise massiv weiter in die Höhe treiben. So ist der Preis für eine Megawattstunde Erdgas seit März dieses Jahres auf durchschnittlich 87 Euro angestiegen und liegt damit doppelt so hoch wie im September des vergangenen Jahres. Anfang Oktober lag er kurzfristig gar bei 155 Euro, während er zwischen Oktober 2019 und März 2021 zwischen 15 und 20 Euro lag.

Da stellt sich die Frage, wie wir damit umgehen und wer, um es salopp zu sagen, Schuld an der Misere ist.

Da gibt es jene, die die Schuldigen bei den Grünen und der Energiewende sehen. Dann hört man auch von Grünen, dass Russland zumindest zur Hälfte Schuld sei, um Europa zur schnelleren Freigabe von Nordstream 2 zu bewegen. Da ist gar von Erpressung die Rede. Oder wie wiederum vom Wirtschaftsminister des Landes zur vernehmen war, dass das Problem mit der Freigabe von Nordstream 2 gelöst sei. Übrigens die bisher einzige Lösung, die vom Wirtschaftsminister bisher dazu zu hören war, wenn es denn überhaupt eine ist.

Letzten Endes geht es doch darum, dass der vielgerühmte Markt wie ein Markt reagiert, wenn das Angebot die Nachfrage nicht erfüllen kann. Dafür sorgen die schnellere Erholung insbesondere der asiatischen Wirtschaft nach der Pandemie sowie der bevorstehende Winter. Und im Sommer musste aufgrund von weniger Wind mehr Gas als sonst zur Erzeugung von Strom eingesetzt werden. Das sorgte für eine Rückgang der Lagerbestände in den Speichern, die derzeit statt normal mit 90 Prozent in Deutschland nur etwa zu 70 Prozent gefüllt sind. Doch statt frühzeitig die Vorräte aufzufüllen, wurde munter spekuliert, dass die bis dato leicht gestiegenen Beschaffungspreise ja schnell wieder fallen. Was für ein Irrtum! Außerdem wurden bereits 2020 zahlreiche langfristige Lieferverträge gekündigt, weil Unternehmen auf Spotmärkte und noch weiter fallende Preise setzten. Das ist doch absurd! Und wieder wird deutlich:

Statt niedrige Beschaffungspreise an die Verbraucher*innen weiterzugeben, werden Gewinnmargen ausgeschöpft. Und für den Fall, dass es mal anders kommt, wird darauf spekuliert, dass es der Staat schon richten wird. So läuft das gerade wieder. Der Ruf nach dem Staat erschallt und der muss eingreifen und mit wertvollen Steuergeldern das Missmanagement des Marktes und seiner Player subventionieren.

Und dann sind da noch Spekulationen von Hedgefonds, über die kaum geredet wird und die ebenso die Preisexplosionen maßgeblich vorantreiben. Da braucht man sich nur die Gewinne einiger dieser Fonds anschauen. Das sind doch die Gewinner dieser Krise, denen das Handwerk gelegt werden muss.

In Anbetracht dieser dramatischen Situation braucht es jetzt klare politische Signale. Nicht umsonst hat auch die EU-Kommission die sogenannte Toolbox geöffnet.

Da ist einerseits der Ruf nach Senkung von Steuern und Abgaben. Ein richtiger Schritt, aber der allein wird nicht helfen.

Aus unserer Sicht sind gerade für die Verbraucher*innen jetzt staatliche Garantien notwendig, dass sie im Winter nicht zu Hause frieren und im Dunkeln sitzen. Das sollte durch Kostenzuschüsse und auch die Verwendung der zusätzlichen Einnahmen aus CO2-Preisen und Emissionshandel erfolgen

Für die Industrie kann es aber keinen Blankoscheck für alle Betroffenen geben. Sicherlich sind im Rahmen der EU-Vorgaben Hilfen möglich, aber eben nicht unbegrenzt.

Klar wird auch, ein Zurück zu Fossilen Brennstoffen ist der völlig falsche Weg. Der würde die Situation nur verschlimmern. Wir brauchen den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien, verbunden mit intelligenten Speichern und hier sollten wir als Land unsere Strategien konsequent umsetzen.

Und klar wird auch, die Organisation von Energieversorgung dem freien Spiel der Marktkräfte zu überlassen, ist gescheitert.

Die Märkte haben sich doch längst schon über das Wohlergehen der Menschen und die Bewahrung ihres Lebensraumes, unserer Erde hinweggesetzt, sich verselbstständigt und zeigen, dass sie in dieser Form in allen Bereichen Krisen verursachen. Das ist gerade auch im Bereich der Energieversorgung, die wir als Daseinsvorsorge und Grundrecht ansehen, fatal. Wir brauchen eine neue europäische und auch nationale Strategie. Die Sicherstellung der Versorgung ist über Regulierungen in staatliche Hand zu nehmen.