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Kerstin Eisenreich zu TOP 14: Entschuldungsfrist für insolvente Verbraucher*innen absenken, Beratungsangebote öffnen und ausbauen

Im November 2019 gaben die veröffentlichten Zahlen im Schuldneratlas für das Jahr 2018 erneut Anlass für Sorgenfalten: Die private Verschuldung der Menschen in Sachsen-Anhalt betrug mehr als 7 Milliarden Euro, bundesweit sind es 200 Milliarden Euro. Das sind in Sachsen-Anhalt pro Schuldner*in 30.000 Euro und betrifft etwa 240.000 Sachsen-Anhalter*innen. Auch wenn die absolute Anzahl der Schuldner*innen und die Pro-Kopf-Verschuldung im Vergleich zu den Vorjahren leicht gesunken sind, so ist die Schuldnerquote in Sachsen-Anhalt gestiegen. Jeder 8. Einwohner in Sachsen-Anhalt ist überschuldet, das heißt, die Personen können ihren Zahlungsverpflichtungen mit hoher Wahrscheinlichkeit über einen längeren Zeitraum nicht nachkommen und haben keine Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt durch Vermögen oder Kredite zu decken. Damit rangiert Sachsen-Anhalt auf dem vorletzten Platz bundesweit.

Regional lassen sich dabei deutliche Unterschiede erkennen. So führen Halle mit 16 Prozent und Magdeburg mit 15 Prozent die Liste in Sachsen-Anhalt an. Diese Zahlen beruhen auf Statistiken der Insolvenz- und Schuldner*innenberatungsstellen und dürften tatsächlich noch höher liegen, weil nicht jeder Betroffene eine Insolvenz beantragt oder eine Beratungsstelle aufsucht.

Und sehr besorgniserregend ist, dass die Zahl der betroffenen Seniorinnen und Senioren über 64 Jahren sowie von Frauen, insbesondere alleinerziehender, ansteigt. Hier geht es nicht um Luxusschulden. Hier geht es ganz klar um Armut!

Dies wird deutlich, wenn man sich die Hauptursachen für Überschuldung ansieht: Trotz rückläufiger Arbeitslosigkeit ist diese immer noch eine der Hauptursachen für Überschuldung. Hinzu kommen Krankheit und Unfälle, aber auch Trennung und gescheiterte Selbstständigkeit. Doch ein nicht zu übersehender Grund gerade auch hier in unserem Land ist längerfristiger Niedriglohn und daraus resultierende Niedrigrente. Hier geht es massiv um das Problem Altersarmut! Wie sollen Menschen ständig steigende Lebenshaltungskosten stemmen, wenn die Mietbelastung 30 bis 40 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens beträgt? Und gerade der aktuelle Monat Januar, in dem zum Beispiel die Autoversicherung fällig wird, verschärft die Situation der Betroffenen.

Die damit einhergehende psychische, wirtschaftliche und soziale Belastung der Betroffenen ist immens und führt dazu, dass diesen Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verwehrt wird.

Hilfe können die Betroffenen bei den Schuldner- und Insolvenzberatungen finden. Dabei geht es nicht um die finanzielle Unterstützung zur Schuldentilgung sondern um Hilfe zur Selbsthilfe, um Unterstützung bei der Verhandlung mit den Gläubigern und der Umschuldung bei Banken.

Zwar gibt es eine Beratungslandschaft, die diesen Menschen zur Seite stehen soll, aber die Hürden für deren Inanspruchnahme sind hoch. So besteht nur ein Rechtsanspruch auf Schuldner*innenberatung für Menschen, die Leistungen nach SGB II und XII beziehen. Dazu gehören jedoch Rentnerinnen und Rentner nicht. Diese können sich theoretisch an das Sozialamt wenden, aber einerseits ist die Scham, diese Hilfe und Beratung zu nutzen, sehr groß. Und andererseits können die Sozialämter dies personell nicht leisten.

Wir benötigen aber dringend mehr kostenlose, bedarfsgerechte und transparente Beratungsangebote, damit nicht private Berater*innen und Unternehmen aus der Notlage der Betroffenen Geld schlagen. Dazu ist es dringend erforderlich, dass die kommunalen Schuldner*innenberatungsstellen und die vom Land finanzierten Insolvenzberatungsstellen stärker unterstützt und finanziell und personell angemessen ausgestattet werden.

Meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, halten Sie Ihren Koalitionsvertrag ein! Dort ist auf Seite 59 zu lesen, ich zitiere:

„Wir werden das derzeitige Angebot der Verbraucherzentralen sichern und fördern, um eine flächendeckende, qualitätsgesicherte und fachlich versierte persönliche Beratung in Sachsen-Anhalt gerade auch für ältere Menschen ermöglichen zu können. Zudem werden wir in Kooperation mit den Kommunen Schuldnerberatungsstellen stärker unterstützen. Gleiches gilt für die Förderung der vom Land finanzierten Insolvenzberatungsstellen. Durch mehrjährige Förderverträge werden wir diesen Planungssicherheit geben.

Zur Umsetzung des gesetzlichen Auftrages werden wir die angemessene Sach- und Personalausstattung sichern. Dazu gehört auch, das Landesamt für Verbraucherschutz als leistungsfähige, interdisziplinäre Behörde zu stärken und dessen personelle und technische Ausstattung weiter zu verbessern.“ Zitat Ende

Wie kann es also sein, dass im aktuellen Entwurf zum Haushaltsplan 600.000 Euro weniger eingestellt sind? Für eine angemessene Personalausstattung und die Bewältigung der vielschichtigen Aufgaben müssen die Beraterinnen und Berater nach Tarif entlohnt werden! Wir fordern eine finanzielle Ausstattung, die eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe 10 der TV-L ermöglicht, a.so mindestens auf dem Niveau von 2019.

Mit der gegenwärtig praktizierten Förderung nach Fallzahlen muss Schluss sein. Wie sollen pro Fachkraft 102 Beratungen geleistet werden, um an die Fördermittel zu kommen? Da kann doch wohl nur Absicht unterstellt werden, dass die Fördermittel nicht vollständig abgerufen werden können. Sinnvoll sind maximal 70 Beratungen pro Fachkraft, um die Qualität zu sichern und die Berater*innen nicht auf Verschleiß zu fahren. Hier darf doch nicht weggeschaut werden, dass die Problemlagen der Betroffenen häufig vielschichtiger sind. Das ergibt sich ja schon aus den verschiedenen Ursachen für die prekäre finanzielle Situation. Dementsprechend muss es den Berater*innen überhaupt zeitlich möglich sein, die im Familienfördergesetz vorgesehene Kooperation mit anderen Beratungsstellen, wie Sucht-, Familienberatung oder diverse Erkrankungen, umzusetzen.

Ein weiterer wichtiger Schritt wäre es, die Entschuldungsfrist für Verbraucher*innen von derzeit 6 Jahren auf 3 Jahre zu verkürzen. Diese Entschuldungsfrist gilt derzeit bereits für juristische Personen. Mit der EU-Richtlinie 2019/1023 über präventive Restrukturierungsmaßnahmen, Entschuldung und Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entscheidungsverfahren, die im Juni vergangenen Jahres verabschiedet wurde, ist die Restschuldbefreiung nach 3 Jahren möglich, ohne dass wie bisher die Gerichtskosten und ein Drittel der Schuldensumme vorab aufzubringen sind. Das befürworten unter anderem der Deutsche Anwaltsverein, die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung und die Verbraucherzentrale des Landes. Diese Richtlinie ist innerhalb von 2 Jahren in bundesdeutsches Recht umzusetzen. Deshalb fordern wir die Landesregierung auf, sich auf Bundesebene für die Anpassung der Entschuldungsfrist für private Schuldner*innen einzusetzen.

Für die Rückkehr in ein schuldenfreies Leben wäre dies ein wichtiger und würdevoller Schritt für die Betroffenen. Außergerichtliche Beratungen mit niedrigschwelligen Angeboten statt kostenintensiver Gerichtsverfahren sind sozial und sollen weitere Armut vermeiden. Damit könnten die Berater*innen viel stärker präventiv tätig werden. Darauf sollte der Fokus liegen.

Schuldner*innen- und Insolvenzberatung gehen sehr oft fast nahtlos ineinander über. Daher sollte nach unserer Auffassung überprüft werden, und zwar unter Beteiligung der Träger*innen der Kommunen und des Landes, ob eine Zusammenführung möglich ist und unter welchen Bedingungen, ohne dabei gleich wieder eine Einsparchance zu wittern.

Schuldner- und Insolvenzberatung sind kein Mittel gegen Armut. Trotzdem sind Land und Kommunen mit der Beratungslandschaft und deren angemessener Sach- und Personalausstattung in der Pflicht, Menschen, die in Überschuldung geraten, eine würdige Rückkehr in ein schuldenfreies Leben zu ermöglichen. Allen Beraterinnen und Beratern, die dies unter den gegenwärtig nicht einfachen Bedingungen aufopferungsvoll leisten, gilt an dieser Stelle unser Dank.

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.