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Henriette Quade zu TOP 8_ Aktuelle Debatte: Migration in Deutschland

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich finde gut, dass die CDU nach 16 Jahren Regierungsverantwortung und hier aus der Regierung im Land wie im Bund über das Thema Migration reden will, noch besser wäre, sie würden sich inhaltlich mit den zahlreichen Anträgen zum Thema, die auf dem Tisch liegen befassen, statt diese in den Ausschüssen auf Halde zu legen. Und ich sage ihnen ganz ehrlich: Mein Eindruck ist, erstens dass es bei einem großen Teil der Wortmeldungen im Bund wie auch hier in Sachsen-Anhalt, eher darum geht, dass die Bundesinnenministerin von der SPD ist, als um einen ernsthaften Vorschlag. Und dass zweitens die CDU-Spitzen im Bund und im Land von der aus humanitärer, aber auch aus ganz rational bilanzierender Perspektive dringend notwendigen Modernisierung konservativer Migrationspolitik mit klarer Abgrenzung nach rechtsaußen, wie sie im Burgenlandkeis mit dem Landrat Götz Ulrich praktiziert wird, genauso weit entfernt sind, wie in der Vergangenheit.

Meine Damen und Herren, wer heute wie Friedrich Merz heute von „Sozialtourismus“ spricht, weil Frauen und Kinder, die aus der Ukraine flüchten mussten ihre Familien besuchen und sie unterstützen, wer, wie Alexander Dobrindt, davon spricht, dass „der deutsche Pass verramscht“ werden soll, und wer glaubt, man müsse Asyl- und Aufenthaltsrecht nur noch restriktiver machen, als sie ohnehin schon sind, um rassistischen Kampagnen und Einstellungen den Boden zu entziehen, der hat nichts, aber auch gar nichts aus den letzten 30 Jahren gelernt.

Ich will auf die in der Begründung der aktuellen Debatte angesprochenen und auch auf die nichtangesprochenen Punkte zu sprechen kommen:

Natürlich war und ist die Flucht von Menschen aus der Ukraine eine große Herausforderung und ist den Kommunen und unzähligen Engagierten ausdrücklich zu danken. Ich sage: Der beste Dank an die Kommunen wäre, sich jetzt nicht hinzustellen, zu sagen, die Kommunen sind überfordert, wir können keine anderen Geflüchteten mehr aufnehmen, sondern für eine an den tatsächlichen Aufgaben und Bedürfnissen orientierte Finanzierung der Kommunen und zum Beispiel auch für personelle Verstärkung, wo sie nötig ist, zu sorgen.

Der Staat hat in diesem Jahr gezeigt, was möglich ist, wie unkomplizierte und schnelle Entscheidungen herbeigeführt werden können und wie „Willkommen“ auch in Verwaltungspraxis übersetzt werden kann, wenn der politische Wille dazu da ist. Für Viele, die seit Jahren in der Geflüchtetenhilfe arbeiten, war und ist es bitter zu sehen, dass das auch zu Geflüchteten erster und zweiter Klasse geführt hat.

Für uns als LINKE-Fraktion ist sehr klar: Die gute Aufnahmepolitik für Ukrainer:innen muss als Vorlage für die Humanisierung der Asyl- und Aufenthaltspolitik im Allgemeinen genommen werden.

Und offensichtlich sind die Probleme, mit denen sich Asylsuchende und Geflüchtete seit Jahren rumschlagen müssen, die sich unmittelbar aus den Asyl- und Aufenthaltsgesetzen ergeben, wie langer Aufenthalt in Ankerzentren, fehlender Zugang zum Arbeitsmarkt, Separierung von der Mehrheitsgesellschaft, ja Regierenden in Bund und Land durchaus bewusst, sonst wären sie ja nicht gezielt für die Menschen aus der Ukraine ausgesetzt und verändert worden.

Aber statt den von der Ampelkoalition angekündigten und überfälligen Paradigmenwechsel vorzunehmen, enttäuscht die Bundesregierung mit zu zögerlichen und hinter dem Koalitionsvertrag zurückbleibenden Regelungen im neuen Chancenaufenthaltsrecht und geht selbst davon aus, dass nur ca. 34000 Menschen überhaupt die Chance bekommen, die für alle versprochen wurde und nötig wäre.

Zeitgleich und nahezu ohne darüber zu reden und gegen die große Mehrheit der im Bundestag angehörten Expert:innen brachte sie die größte Veränderung im Asylgerichtsverfahrensrecht seit 30 Jahren auf den Weg, die in vielerlei Hinsicht eine Katastrophe für die Betroffenen ist und das negative Sonderrecht für Asylsuchende zementiert und ausweitet, statt es abzuschaffen.

„Fortschritt wagen“ wurde im Koalitionsvertrag versprochen und außerdem faire, zügige und rechtssichere Asylverfahren. Geliefert hat die Bundesregierung eine weitere Einschränkung der ohnehin schon beschnittenen Prozessrechte Asylsuchender im Asylverfahren. Das ist nicht weniger als ein Skandal.

Auch uns treibt das Thema Aufnahmeprogramm für besonders gefährdete Ortskräfte aus Afghanistan um. Anders als die CDU werfen wir der Bundesregierung nicht vor, dass sie ein solches Programm aufgelegt hat, sondern dass sie es verschleppt und es keine Priorität hat und deshalb Menschen sterben.

Dass sie sich hier hin stellen und im Wissen darum, dass das Ausnahmeprogramm nicht läuft, nicht das Sterben der Menschen, sondern die abstrakte Aufnahme skandalisieren, spricht Bände über die praktische Relevanz christlicher Nächstenliebe in der Politik und über die Absicht dieser Debatte.

Auch das mit Abstand größte Integrationshindernis in Sachsen-Anhalt – Rassismus – spielt in ihrem Debattenbeitrag keine Rolle und die ewige Wiederholung des Mantras „Mehr Abschiebungen sorgen für mehr Offenheit für die, die nicht abgeschoben werden“ entbehrt nicht nur jeder empirischen und soziologischen Evidenz. Es bestärkt diejenigen, die mit Gewalt gegen Geflüchtetenunterkünfte vorgehen, sogar, weil ja die Problembeschreibung auch aus der CDU und dem Innenministerium geteilt wird. Das ist verheerend und brandgefährlich. Rassismus unterscheidet nicht nach Status. Er wirkt für alle – den Geflüchteten wie für den Intelmanager.

Die Antwort darauf ist nicht ein VIP-Bereich in der Ausländerbehörde für erwünschte Fachkräfte. Die Antwort ist Antirassismus und Solidarität.

Wer illegale Migration bekämpfen will, der muss Fluchtursachen wie z.B. auch den Klimawandel bekämpfen und legale Fluchtwege schaffen. Nicht Verschärfung der Grenzkontrollen und Gewalt zur Abschreckung an den Außengrenzen der EU, sondern endlich ein solidarisches und menschenrechtssicherndes europäisches Asylsystem muss die Antwort auf das Scheitern des Dublinsystems sein.

Dass diktatorische Regime Schutzsuchende als Waffe instrumentalisieren funktioniert nur, weil sie auch von demokratischen Regierungen so verstanden werden. Das ist kein Notstand der Migration, es ist ein Notstand der Menschlichkeit.

Und letztlich steht die Frage, ob wir ein Europa der Mauern und Grenzen, in dem der Pass „der edelste Teil von einem Menschen“ ist, wollen oder ein Land, dass Humanität und Menschenwürde verteidigt, endlich anerkennt, dass Migration stattfindet und die Bedingungen dafür schafft. Wir werben klar für Letzteres und Sie meine Damen und Herren von der CDU müssen sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen wollen.