Diese Website verwendet Cookies. Warum wir Cookies einsetzen und wie Sie diese deaktivieren können, erfahren Sie unter Datenschutz.
Zum Hauptinhalt springen

Henriette Quade zu TOP 5: TOP 5 Humanitäre Katastrophe abwenden – Gesundheitsschutz für alle

Anrede,

es ist eher ungewöhnlich als Abgeordnete einer LINKE-Fraktion eine Rede mit einem Zitat eines CSU-Bundesministers zu eröffnen, ich möchte das jedoch heute tun und zitiere – mit ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin – Entwicklungsminister Gerd Müller aus der Rheinischen Post mit den Worten „Wir müssen allen Menschen in den Lagern helfen. Ich empfinde es als Schande, welche Zustände mitten in Europa akzeptiert werden.“ Der Minister hat dies mit Blick auf das Lager Moria auf der Insel Lesbos gesagt – und er hat recht. Inzwischen müssen dort mehr als 20.000 Menschen leben, darunter gut 8.000 Kinder; insgesamt sind es auf den griechischen Inseln inzwischen mehr als 42.000 Geflüchtete, nach Angaben des UNHCR sind darunter mehr als 10.000 Kinder im schulpflichtigen Alter von denen lediglich etwa drei Prozent eine Schule besuchen können – sie sind unter Bedingungen untergebracht, die in Europa in Friedenszeiten undenkbar sein sollten. Nur sind sie genau das nicht, sie sind real – inzwischen mehren sich die Berichte von Kindern, die verschwinden, von Kindern, die sich selbst verletzen bis hin zu Suizidversuchen; die Menschen sind in katastrophalen hygienischen Bedingungen festgehalten, sie werden krank, sie sind Gewalt ausgesetzt. Ärzte ohne Grenzen spricht davon, in Teilen auf den griechischen Inseln so arbeiten zu müssen wie in einem Kriegsgebiet – weil die Lage der in einem Kriegsgebiet immer mehr ähnelt; die meisten Hilfsorganisationen bezeichnen das Lager als „Hölle von Moria“ und fordern bereits seit Langem die Evakuierung der Lager. Im Fall von Moria die Evakuierung eines Lagers, in dem 17.000 Menschen mehr untergebracht sind, als ursprünglich gedacht, geplant und irgendwie verantwortbar. Diese Zustände waren schon bisher nicht haltbar, sie waren schon bisher nicht mehr gedeckt durch europäisches Recht und völkerrechtliche Verträge, sie waren schon bisher grausam und gefährlich für die Betroffenen – doch mit der Corona-Pandemie hat sich diese Situation noch weiter verschärft; sind Leben und Gesundheit der Menschen in den Lagern akut in Gefahr.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit Beginn der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie in der Bundesrepublik wie im Land Sachsen-Anhalt verwenden nun auch Politikerinnen und Politiker das Wort „Solidarität“ ständig und jederzeit, zu deren Standardvokabular das Wort bisher nicht gehört hat. Und, das will ich gleich vorneweg sagen, wir haben viel Solidarität gesehen in den letzten Wochen, Solidarität unter den Menschen, die akut von den Folgen der Corona-Pandemie und den Maßnahmen zu deren Eindämmung direkt und oftmals erheblich betroffen sind, die ganz neu ihren Alltag organisieren müssen. Nun gibt es die ersten Lockerungen, weitere sind absehbar – doch die Pandemie ist keineswegs vorbei und natürlich bleibt es dabei – Solidarität ist das Gebot der Stunde. Denn einfach nur die Verordnungen zu lockern löst keine Probleme, schon gar keine sozialen. Die Pandemie und die Folgen ihrer Eindämmung treffen die Menschen sehr unterschiedlich hart, sie treffen jene die wenig Vermögen und Verdienst haben härter, jene die jetzt ihre Arbeit und ihr Einkommen verlieren, die mit dem niedrigeren Lohn aus der Kurzarbeit etwa Kredite bedienen müssen, Alleinerziehende und Familien die Arbeit und Kinderbetreuung gleichzeitig stemmen müssen, alte und kranke Menschen deren Leben und deren Bedingungen sich durch die Einsamkeit zusätzlich verschlechtern. Geflüchtete, Menschen ohne Krankenversicherung und Gefangene, die faktisch isoliert sind, treffen sie besonders hart. Meine Fraktion ist überzeugt: Solidarität kennt keine Grenzen und Solidarität, die nicht Solidarität mit Jenen in Not bedeutet, ist keine. Deswegen müssen wir uns besonders um die Menschen kümmern, deren Sorge nicht ist ob das nächste Spiel der Ersten Fußballbundesliga stattfinden wird, sondern wie sie in den kommenden Wochen und Monaten gesundbleiben können, wie sie leben können und darum legen wir heute (nicht nur) diesen Antrag zur Abstimmung vor.

In Moria und in den anderen Lagern auf den griechischen Inseln zeichnet sich seit Jahren eine humanitäre Katastrophe ab, die Griechenland alleine nicht verhindern kann und die auch Leid und das Sterben von Menschen bedeutet, ein Befund der für die Politik der europäischen Regierungen mit Blick auf die Situation an den europäischen Außengrenzen seit Langem zutrifft; eine Politik die inzwischen tausende Menschen das Leben gekostet hat, obwohl sie durch Search-and-Rescue-Missionen hätten gerettet werden können. Stattdessen setzen die Regierungen der europäischen Staaten insgesamt weiter auf Abschreckung – wie wir das zuletzt wieder an der griechisch-türkischen Grenze gesehen haben, hier wird im Übrigen auch die Rolle der Bundespolizei noch durch den Bundestag aufzuklären sein. Und, auch das sehen wir: Abschreckung bedeutet: Tod und Elend die niemanden aufhalten, sondern nur Menschen die Gesundheit und viel zu oft ihr Leben kosten. Die Bundesrepublik hat nach wochenlangen Verhandlungen nun 50 Kinder aufgenommen, 50 Kinder von mindestens 10.000 Kindern im schulpflichtigen Alter – davon Sachsen-Anhalt zwei – ja, der Innenminister hat sogar zuerst nur ein einziges Kind aufnehmen wollen – meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist beschämend!

Niemand verlangt von Sachsen-Anhalt alleine die Situation in Moria zu lösen, auch wir nicht. Was wir von Ihnen verlangen, ist alles zu tun was Sachsen-Anhalt tun kann – und das ist deutlich mehr als zwei Kinder aufzunehmen!

Da sich die Bundesregierung nicht ausreichend handlungsfähig zeigt, braucht es jetzt schnell ein eigenes Landesaufnahmeprogramm, das gibt die Kompetenzverteilung im föderalen Bundestaat auch her. Mittelfristig muss sich die Landesregierung auf Bundesebene gemeinsam mit den anderen Ländern für ein Aufnahmeprogramm der Bundesrepublik stark machen, das dann auch nicht mehr nur auf Kinder ausgerichtet ist, sondern auch auf Erwachsene – denn die menschenunwürdigen Zustände in Moria sind nicht nur für Kinder menschenunwürdig, sondern für alle Menschen dort. Europäische Solidarität und das Beschwören europäischer Werte bleiben nutzlose Floskeln, wenn Griechenland hier alleine gelassen wird, humanitärer Verantwortung wird die Staatengemeinschaft nicht gerecht, wenn sie die Geflüchteten nicht aus Griechenland rausholt. Sie können dem nun entgegenhalten, dass es erst eine gemeinsame europäische Lösung bräuchte und ja, in einer idealen Welt wäre das der Ansatzpunkt – doch in der Realität geht es darum, möglichst schnell damit zu beginnen die Menschen aus Moria rauszuholen. In Sachsen-Anhalt standen und stehen viele Menschen bereit Geflüchtete zu unterstützen, haben Kommunen im Rahmen der Seebrücke ihre Bereitschaft zur Aufnahme erklärt – wir als Parlament und die Landesregierung als Spitze der Exekutive dürfen dahinter nicht zurückfallen, sondern müssen hier dazu beitragen, dass die Menschen gerettet werden – dafür bitte ich Sie heute um Ihre Zustimmung zu diesen Punkten unseres Antrags.

Sehr geehrte Damen und Herren, während für die Lager in Griechenland völkerrechtliche Verträge und europäisches Recht die humanitäre Verantwortung normieren, greifen für die Situation in Sachsen-Anhalt unmittelbar die Landesverfassung und das Grundgesetz. Es ist die Aufgabe und die Verantwortung der Landesregierung das Leben und die Gesundheit aller Menschen in Sachsen-Anhalt zu schützen und dabei ihre Grund- und Menschenrechte zu wahren. In Massenunterkünften ist dies schon in bisher normalen Zeiten schwierig bis kaum möglich, unter den Bedingungen der Corona-Pandemie ist es schlichtweg unmöglich. Die ZASt Halberstadt ist eine solche Massenunterkunft, eingerichtet durch das Land und in der Verantwortung des Innenministers. Dass dort in den vergangenen Wochen Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen, das Landesnetzwerk Migrantenorganisationen und der Flüchtlingsrat zum Einsatz kommen mussten – wohlbemerkt auch mit Unterstützung des Sozialministeriums –, ist in einem sonst so durchorganisierten Land nicht nur irritierend – es zeigt auch dass der Innenminister seiner Verantwortung, eine gesundheitsschützende Unterbringung in Halberstadt sicherzustellen, nicht gerecht geworden ist. Sie ist in einer Massenunterkunft auch einfach nicht möglich, dort lässt sich nicht Abstand halten, dort kann man keine Menschenansammlungen vermeiden, dort ist keine Selbstbestimmung mehr möglich, wenn Infektionsrisiken gesenkt werden sollen. Und deswegen fordern wir, dass die Landesregierung sofort alle notwendigen Schritte unternehmen muss, um die Massenunterbringung in der ZASt Halberstadt zu beenden. Und ja, trotz des Kurses des Innenministers hat sich etwas getan in den letzten Wochen. Doch auch 500 Menschen sind noch eine Massenunterkunft, sie ist nur etwas kleiner geworden – wenn der Innenminister mehr Angst vor einem Shitstorm der extremen Rechten hat, wenn er auch nur in den Verdacht gerät irgendetwas flüchtlingsfreundliches zu tun als Tatendrang, seine Verantwortungsbereiche solide zu regeln, dann ist es unsere Aufgabe als Parlament, hier tätig zu werden.

Zuletzt fordern wir mit unserem Antrag auch die Einführung anonymer Krankenscheine – Thüringen und Rheinland-Pfalz haben bereits solche Möglichkeiten. Ich bin dem Medinetz Halle und dem Medinetz Magdeburg außerordentlich dankbar, dass sie zur Umsetzung ein Konzept für einen Behandlungsschein erarbeitet haben, dass auch von LAMSA und dem Flüchtlingsrat unterstützt wird. Die Behandlungsscheine sollen sicherstellen, dass Menschen die keine Krankenversicherung haben dennoch notwendige medizinische Behandlungen erhalten, ob EU-Ausländerinnen, wohnungslose Menschen, ehemalige Inhaftierte, Personen mit unklarem Aufenthaltsstatus ohne Krankenversicherungsschutz – oder Selbständige, die sich die private Krankenversicherung nicht mehr leisten konnten. Diese Personen brauchen einen Zugang zum Gesundheitssystem, in der derzeitigen Situation noch dringender als sonst. Dass Thüringen und Rheinland-Pfalz solche Zugänge zum Gesundheitssystem schaffen konnten, zeigt dass dies – auch fiskalisch – möglich ist. Es braucht nun den politischen Willen, Gesundheitsschutz für alle zu gewährleisten, wie dies auch die allgemeine Erklärung der Menschenrechte vorsieht. Die Krise zeigt, neben vielem anderen, auch die Handlungsfähigkeit von Regierungen und Parlamenten – verstecken Sie sich nicht hinter vermeintlichen Sachzwängen., sondern lassen sie uns Handlungsfähigkeit und Handlungswillen zeigen und stimmen Sie unserem Antrag zu!

Danke.