Diese Website verwendet Cookies. Warum wir Cookies einsetzen und wie Sie diese deaktivieren können, erfahren Sie unter Datenschutz.
Zum Hauptinhalt springen

Henriette Quade zu TOP 4: Aktuelle Debatte "Meinungsfreiheit gewährleisten - Verrohung der politischen Auseinandersetzungen verhindern - gewalttätiger Debattenkultur Einhalt gebieten"

Anrede,

diese Aktuelle Debatte hat drei Schlagworte als Titel, über welche die AfD-Fraktion vorgibt hier debattieren zu wollen: Meinungsfreiheit, eine Verrohung politischer Auseinandersetzungen und eine gewalttätige Debattenkultur.

Nun – die extreme Rechte hier im Landtag will gerne, dass man über sie als Opfer spricht, nicht über sie als Täterin. Und ich bin mir sicher, wäre es zulässig den Drucksachen Bilder hinzuzufügen, hätten wir alle das Foto von Herrn Magnitz zu sehen bekommen, das er von sich aufgenommen hat, und das er verbreitet hat, um Betroffenheit zu erzeugen.

Ja, das hat funktioniert. National und international haben Medien über den Angriff auf einen Abgeordneten berichtet, der Bundespräsident hat, als oberster Repräsentant der Bundesrepublik, Herrn Magnitz einen Brief geschrieben. Mit Bestürzung, schrieb er, habe er von, Zitat, „dem brutalen Angriff auf Sie gehört“ und weiter, Zitat, „Ich verurteile diesen Angriff in aller Deutlichkeit.“ Spitzenpolitikerinnen und Politiker aller Parteien im Deutschen Bundestag haben sich, wie übrigens auch Landespolitikerinnen und Landespolitiker eindeutig geäußert, haben den Angriff verurteilt, ja haben sogar immer wieder ihre Anteilnahme ausgedrückt –auch aus Parteien wie den Grünen, denen man nicht unterstellen kann, Verbündete der AfD zu sein. Sie alle haben sich dabei auf die von Medien verbreiteten Darstellungen der AfD bezogen.

Herr Magnitz soll demnach mit einem Kantholz auf den Kopf geschlagen worden sein – inzwischen wissen wir: Das war eine Lüge. Die Täter sollen auf den am Boden liegenden Herrn Magnitz eingetreten haben – inzwischen wissen wir: Das war eine Lüge. Bauarbeiter sollen eingegriffen haben und dadurch erst den Angriff beendet haben – inzwischen wissen wir: Das war eine Lüge.

Die Spitzen von Staat und Politik in Deutschland haben den Angriff auf Herrn Magnitz umgehend verurteilt – und das obwohl er Politiker einer rechtsextremen Partei ist, die sich selbst nicht in der Form gegen Gewalt positioniert, im Gegenteil, und die fortwährend die Demokratie und ihre Repräsentantinnen und Repräsentanten angreift. Die Behörden haben schnell und umfassend Schritte zur Ermittlung des Sachverhalts und der Täter ergriffen. Und, meine sehr geehrten Damen und Herren, auch dieser Landtag und seine demokratischen Fraktionen haben Gewalt in Form von Angriffen auf Wahlkreisbüros der AfD immer wieder einhellig und eindeutig verurteilt.

Die einzige Fraktion in diesem Haus, die sich nicht von Gewalt distanziert, ist die AfD-Fraktion, die sich bis heute nicht von den Angriffen auf ein Mitglied des Landtags durch Herrn Lehmann distanziert hat; die AfD-Fraktion, deren Mitglied Herr Tillschneider mit der rechtsextremen Schlägertruppe der „Identitären“ zusammenarbeitet und dafür auch noch von seiner Partei mit einem Listenplatz für die Wahlen zum Europäischen Parlament belohnt wurde; die AfD, auf deren Demo in Querfurt Journalisten Morddrohungen erhalten haben, während Herr Tillschneider weiter Stimmung gemacht hat.

Und eigentlich kann das auch niemanden ernsthaft verwundern bei einer Partei, die Menschen „vernichten“, „entsorgen“, „jagen“ und „erlegen“ will und deren Amts- und Mandatsträger sich immer wieder in die Traditionslinie der Nationalsozialisten stellen, die nicht nur davon sprachen Menschen zu vernichten, sondern es auch millionenfach taten. Die Meinungsfreiheit, welche die Rechten hier meinen, die haben sie – im Rahmen der geltenden Gesetze und manchmal sogar darüber hinaus - sei es aus Überlastung der Justiz oder weil das Strafmaß nicht ausgeschöpft wird.

Der Artikel in der Süddeutschen Zeitung von Anfang Januar hat das nochmal eindrücklich beleuchtet. Was sie eigentlich wollen, ist, dass man ihnen nicht mehr widerspricht, dass ihre Lügen als „Meinungen“ unangetastet bleiben, dass man ihnen nicht entgegentritt, wenn sie faschistische Reden halten. Die Meinungsfreiheit der extremen Rechten ist wirklich nicht bedroht. Wenn Sie sich Sorgen gemacht haben sollten, schalten sie einfach eine beliebige Talkshow der öffentlich-rechtlichen Sender ein und Sie sehen beispielsweise den Geschichtsrevisionisten Herrn Gauland dort sitzen, oder hören im WDR den Rechten David Berger, verharmlosend als „umstritten“, statt zutreffend als „extrem rechts“ angekündigt.

Und damit zur Verrohung der politischen Auseinandersetzung. Dazu hat meine Fraktion zuletzt eine Aktuelle Debatte beantragt, eine Aktuelle Debatte zu politischen Kultur in Sachsen-Anhalt, in der wir gezeigt haben, wie eben jene AfD, deren Fraktion sich hier als Opfer gibt, als Täterin auftritt – wie ihre Politik auf ein Ende der Unterschiede in der Gesellschaft und auf ein Ende der Demokratie zielt. Und wie das zu realer Gewalt führt. Insofern wird die AfD auch nicht verunglimpft, wie sie es in ihrem Antrag zu dieser Aktuellen Debatte behauptet.

Wer die AfD als extrem rechts, als völkisch und in Teilen neonazistisch und faschistisch analysiert, beschreibt Tatsachen, die jede und jeder – übrigens ganz ohne den Verfassungsschutz – unschwer erkennen kann. Und dennoch: es bleibt richtig, dass auch die Gewalt gegen Abgeordnete der AfD und ihre Büros zu verurteilen ist, denn der Schutz vor Gewalt muss für jede und jeden gegeben sein. Muss – aber ist es nicht. Mehr als 180 Todesopfer rechter und rassistischer Gewalt in Deutschland seit den 90er-Jahren zeigen, dass dieser Staat – dessen Spitzen sich gerade erst so vehement hinter Herrn Magnitz gestellt haben – andere alleine lässt.

Die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız hat keinen Brief des Bundespräsidenten erhalten, in dem er sich schockiert und entsetzt gezeigt hat, dass nach allen bisher vorliegenden Informationen hessische Polizeibeamte mit den brutalen Morddrohungen – die mit „NSU 2.0“ und dem Namen eines Polizeiausbilders unterzeichnet wurden – zu tun haben. Stattdessen hat man ihr etwas zu den Möglichkeiten sich selbst zu bewaffnen erzählt.

Die Angehörigen der Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds haben über Jahre hinweg erleben müssen, dass staatliche Stellen sie nicht ernst genommen haben und bis heute vertritt die Justiz die vollkommen unhaltbare Theorie des „Kerntrios“. Geschweige denn, dass sie die Finanzierung des rechten Terrors durch die Inlandsgeheimdienste und deren sonstige Verwicklungen aufgeklärt hätte - während die Untersuchungsausschüsse immer noch nicht alle notwendigen Akten für ihre Arbeit haben und diese Tatsache weder bei SPD, CDU noch Grünen in Regierungsbeteiligung Priorität genießt. Die drei Parteien, die zwar bestimmt sehr viele kontroverse Debatten führen, aber im Ergebnis auch hier in Sachsen-Anhalt dafür sorgen, dass der Justizskandal um den Tod Oury Jallohs weiterhin nicht umfassend aufgearbeitet wird. Auch hier – kein Brief des Bundespräsidenten, kein Wille zur Aufklärung.

Dasselbe gilt für die zu DDR-Zeiten getöteten kubanischen Vertragsarbeiter, deren Fälle nicht aufgeklärt werden, obwohl der MDR umfangreich Hinweise bei seinen Recherchen gefunden hat. Aber der zuständige Staatsanwalt beschwerte sich lieber öffentlich, warum er Zeuginnen und Zeugen vernehmen solle, er habe doch die Akten der Stasi gelesen. Im Fall der mutmaßlichen Rechtsterroristen die derzeit in Halle vor dem Landgericht stehen, war es die Nebenklage, die dafür sorgen musste, dass die Verhandlung vor einem Gericht stattfindet, das den vollen Strafrahmen ausschöpfen kann – die Staatsanwaltschaft hatte auch daran kein Interesse.

Würde dieser Staat auch nur annährend den gleichen Aufwand – und ich sage ausdrücklich den gleichen – um die Opfer rechter und rassistischer Gewalt betreiben, wie um Herrn Magnitz, dann hätten wir vielleicht nicht über 180 Todesopfer rechter Gewalt, dann würde aufgeklärt werden, was mit dem Netzwerk „Hannibal“ in Bundeswehr, Polizei anderen staatlichen Stellen ist, dann würde rechte Gewalt wirksam eingedämmt werden!

Dieser Rechtsterrorismus und diese rechte Gewalt entstehen in einer Gesellschaft und einem Staat, die nicht genug dagegen tun. Und sie werden befördert durch die AfD und ihre rechten Netzwerke. Wenn die AfD-Fraktion also etwas gegen die Verrohung der politischen Auseinandersetzung in Sachsen-Anhalt tun will – wie sie hier vorgibt – ist der erste Schritt naheliegend: Hören sie auf rechtsextreme Politik zu machen und da sie das offenbar nicht können: wenden Sie sich an eine Aussteigerberatung für Rechtsextreme. Das wäre ein erster, guter Schritt.