Hendrik Lange zu TOP 9: Aktuelle Debatte: 15. Weltnaturkonferenz - Chancen und Auswirkungen für Sachsen-Anhalt
Sehr geehrte Damen und Herren,
am 1. September 1914 starb Martha im Zoo von Cincenetti als letzte ihrer Art. 100 Jahre später starb Angalifu im Zoo von San Diego und 4 Jahre später Sudan als letzter Bulle seiner Art. Warum diese Tiere berühmt sind und wofür sie stehen, dazu komme ich noch.
Sehr geehrte Damen und Herren,
auf der Erde gab es immer wieder Auslöschungen von Arten. Paläontologen definieren meist 5 dieser Ereignisse. Ihnen ist gemein, dass in geologisch relativ kurzer Zeit Arten verschwunden sind. Diese Auslöschungsereignisse führen Geologen meist auf die herrschenden bzw. sich ändernden Umweltfaktoren zurück. Sei es eine fast komplette Vereisung der Erde, die Bildung eines Megakontinents oder dessen auseinanderbrechen, oder aber der berühmte Meteoriteneinschlag dessen Folgen zum Ende der Kreidezeit die Dinosaurier haben aussterben lassen. Spannend ist auch, dass es Lebewesen selbst sein können, die ohne Bewusstsein eine solche Auslöschung hervorrufen – bis hin zur Gefährdung der eigenen Existenz. So waren es Cyanobakterien, die im Präkambrium Sauerstoff produzierten. Gut für uns, da sich der überschüssige Sauerstoff in der Atmosphäre anreicherte und die Methan-atmosphäre ersetzte. Schlecht für alle Lebewesen, die in dieser Zeit einen nicht auf Sauerstoff basierenden Stoffwechsel hatten. Die konnten mit dem Zellgift Sauerstoff nicht umgehen. Und wahrscheinlich hat dieser Vorgang zu einer sogenannten Schneeballerde geführt – eine Totalvereisung die fast alles Leben auslöschte.
Sehr geehrte Damen und Herren,
warum erzähle ich Ihnen das? Wie die Wissenschaftler Richard Leakey und Roger Lewin in ihrem Buch die Sechste Auslöschung beschreiben, sind wir mittendrin in einem erneuten Auslöschungsereignis. Allerdings wird dieses Auslöschungsereignis durch ein sich selbst bewusstes und reflektiertes Lebewesen vorangetrieben – nämlich dem Menschen. Und hier setzt eines der Ziele der Weltnaturschutzkonferenzen an. Der Mensch muss sich über Zusammenhänge und die Auswirkungen seines Handelns bewusst sein. Leichter gesagt als getan. Zwingen doch die kapitalistischen Produktionsbedingungen täglich Milliarden von Menschen in einen Überlebenskampf. Interessant könnte dabei aber eine Erkenntnis sein: Je größer die Biodiversität ist, desto größer ist die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Ökosystems. Sprich: Eine große Biodiversität sichert auch unser eigenes Überleben. Sehr geehrte Damen und Herren,
was Lekey und Lewin in ihrem Buch auch darstellen: Die Simulationen zeigen, dass sich ein und dasselbe Ökosystem mit gleichem Artbestand unterschiedlich entwickeln kann. Die Regeln dazu sind wohl eher in der Chaostheorie zu finden als monokausale Zusammenhänge. Was nun aber kompliziert scheint ist für den Naturschutz recht einfach: Schützt die Arten und damit die Biodiversität. Damit sichern wir unser Überleben am besten.
Sehr geehrte Damen und Herren,
was müssen wir für uns daraus ableiten und was Haben Martha und Sudan damit zu tun. Nun eigentlich haben wir kein Erkenntnisproblem. Wir wissen was den Verlust der Arten und damit der Biodiversität vorantreibt. Sei es die Zerstörung von Lebensraum, die intensive Landwirtschaft oder Umweltgifte oder der Klimawandel oder ungehemmte Jagd und Überfischung. All das bedroht viele Arten auf unserem Planeten. Und deshalb muss dringend gehandelt werden.
Es gibt Arten, die sind groß genug um jedem aufzufallen, wenn sie nicht mehr da sind. Ein Beispiel dafür ist die Wandertaube, die Anfang des 19. Jahrhunderts noch einen geschätzten Bestand vom über 5 Mrd. Individuen hatte. Durch exzessives Bejagen und das Zerstören der Brutplätze wurde der Bestand massiv dezimiert bis die Population komplett einbrach und Martha als wohl letzte ihrer Art bereits 1914 im Zoo von Cincenetti verstarb. Ein Endling der heute als mahnendes Beispiel im SmithonianInstitut ausgestellt ist. Sie sehen, hier kam alles zusammen. Vor allem auch, dass sich die Menschen schlichtweg nicht vorstellen konnten, dass ein solcher Massenvogel in kürzester Zeit ausstirbt. Und man kannte das Verhalten der Art zu wenig. Sonst hätte man wissen können, dass Aufzucht und Verteidigung der Brut nur in sehr großen Kolonien gelingt. Doch sogar das wurde der Art gegenüber dem größten Räuber der Erde zum Nachteil. Denn zu Hunderten zogen Menschen in die Wälder, um die Bäume zu roden, und um an die begehrten Nestlinge ranzukommen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
dass Sudan der letzte nördliche Breitmaulnashornbulle ist, der 2018 verstorben ist, das habe ich hier in einer Rede schonmal erwähnt. Auch er ist Botschafter für den Erhalt der Biodiversität. Denn wenn eine so große Art ausstirbt, ist das sichtbare Mahnung. Und wir werden alle ärmer. Wandertaube und Breitmaulnashorn sind sichtbar. Wie viele der meist unsichtbaren Arten hat unsere Art zu leben schon auf dem Gewissen. Und wir machen ja nicht mal vor den nächsten Verwandten halt, wie die Oran Utans oder den Schimpansen, die der Gier nach Profit, nach Anbauflächen für Palmöl oder Soja etc. weichen müssen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
umso wichtiger ist, dass auf der jetzigen Weltnaturkonferenz verbindliche und abrechenbare Ziele vereinbart werden. Denn man muss feststellen, dass von den 20 Zielen, die in der Japanischen Stadt Aichi vereinbart wurden gerade einmal 4 und dann auch nur teilweise erreicht wurden.
Ich schließe mich daher den Forderungen des NABU an die Staatenlenker an. Wir brauchen klare und messbare Ziele für 2030!
- Mindestens 20 Prozent der globalen Landes- und Meeresflächen müssen renaturiert werden
- 30 % der Land- und Meeresfläche müssen in Form von Schutzgebieten unter Schutz gestellt werden, dazu gehören Ausweitung und effektiver Schutz unter Achtung der Rechte indigener Völker
- Pestizid- und Nährstoffeinträge sollten (global) jeweils um die Hälfte reduziert werden
- 25 % agrarökologisch genutzten Flächen (inklusive Ökolandbau) in dem Abkommen zu verankern
Zudem muss klar und deutlich gemacht werden, welche Subventionen für die Natur schädlich sind und welche Investitionen die Natur fördern. Rückschläge wie bei der EU-Agrarförderung können wir uns angesichts der Biodiversitätskrise nicht mehr leisten.
Deutschland muss dabei in einen Prozess starten, indem die Verantwortung von Bund und Ländern geklärt und Ziele für die einzelnen Sektoren definiert werden. Über eine Biodiversitätsstrategie und einen entsprechenden Aktionsplan muss der Weg hin zu einem Biodiversitätsgesetz führen.
Und
Sehr geehrte Damen und Herren,
Klimaschutz und Biodiversität gehen Hand in Hand. Denn gehen Ökosysteme wie Moore verloren entwickeln sich Co2 Senken zu Treibhausgasproduzenten. Und umgekehrt ist die Erderhitzung für viele Arten bedrohlich.
Investitionen in den Klimaschutz sind daher auch die beste Investition in den Artenschutz.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Hier haben wir als Land ebenso Verantwortung. Sei es durch Versieglung und Zerstörung von Lebensraum durch mangelnde Renaturierung oder das Reißen der Klimaschutzziele. Und das will ich mir nicht verkneifen: Die Artensofortförderung bis zur Unkenntlichkeit einzudampfen ist in diesem Zusammenhang ein Armutszeugnis. Über vieles werden wir hier noch reden. Sei es der Schutz der Karstlandschaft oder die Investition in Straßenverkehr statt der Schiene. Auch über die Förderung der Artenkenntnis haben wir schon gesprochen. Fakt ist eins: Wir, als Land müssen hier unsere Verantwortung wahrnehmen. Sei es durch Bildung, durch Förderung oder aber durch kluge Regulierung.
Denn eines ist am Ende klar: Wir brauchen die Biodiversität unserer Erde für das eigene Überleben. Und wir haben die ethische Verantwortung die mit uns auf dieser Erde lebenden Arten zu schützen.
Danke